OGH 2Ob257/98b

OGH2Ob257/98b15.10.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter, Dr. Schinko, Dr. Tittel und Dr. Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helga A*****, vertreten durch Dr. Herbert Harlander, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Karl K*****, vertreten durch Mag. Daniel Schöpf und Mag. Christian Maurer, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 16. Juni 1998, GZ 54 R 177/98p-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 11. Februar 1998, GZ 33 R 818/97t-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 13.954,08 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 1.995,68 und Barauslagen von S 1.980) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Eigentümerin eines materiellen Teiles eines Hauses (Stockwerkseigentum); in der Natur ist das das 4. Stockwerk mit knapp 400 m**2 Ausmaß, in dem sich zwei vermietete Wohnungen, darunter die hier gegenständliche, befinden. Die Klägerin hat das Eigentum aufgrund der Einantwortungsurkunde vom 15. 5. 1991 nach dem am 22. Jänner 1991 verstorbenen Voreigentümer erworben. Sie hatte mit diesem am 6. Juli 1987 über dieses Stockwerk zu ihren Gunsten einen Fruchtgenußvertrag und einen Schenkungsvertrag auf den Todesfall, aufschiebend bedingt durch das Ableben des Geschenkgebers, geschlossen.

Die gegenständliche Wohnung ist ca 130 m**2 groß und besteht aus drei Zimmern, Küche, Vorraum, Bad und WC.

Die Klägerin kündigt diese dem Beklagten aus dem Grunde des Eigenbedarfes (§ 30 Abs 2 Z 8 MRG) auf. Sie brachte vor, sie müsse nun die von ihr bewohnte Eigentumswohnung im Ausmaß von 68 m**2 mit ihrer frisch geschiedenen Tochter und der neunjährigen Enkelin teilen. Dazu sei diese kleine Wohnung untauglich. Weitere Wohnmöglichkeiten stünden ihr nicht zu.

Der Beklagte wendete ein, es liege kein dringender Eigenbedarf vor bzw wenn ein solcher vorliege, sei er selbst verschuldet. Auch eine Interessenabwägung falle zu seinen Gunsten aus. Weiters sei die Aufkündigung innerhalb der 10-Jahresfrist des § 30 Abs 3 MRG erfolgt und daher unzulässig.

Das Erstgericht hob die Kündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab.

Dabei wurden im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Die am 10. Februar 1947 geborene Klägerin wohnt seit 30 Jahren in ihrer Eigentumswohnung. Diese verfügt über einen Vorraum mit 9,16 m**2, einen Abstellraum mit 2,14 m**2, ein WC mit 1,45 m**2, eine Kochnische mit 4,94 m**2, ein Zimmer mit 21,28 m**2 und ein nunmehr geteiltes Zimmer mit 23,38 m**2. Dieses ist durch Einziehung einer Schrankwand, die nach oben hin offen ist, in zwei Räume mit 15 m**2 und 8,4 m**2 (rechnerisch richtig: 8,38 m**2) geteilt. Der 8,4 m**2 große Teil verfügt zwar über eine Tür, aber kein Fenster. Dieser Teil wird nunmehr von der Klägerin zum Schlafen benützt, im anderen Teil schlafen die Tochter und die Enkelin. Das 21,28 m**2 große Zimmer wird von allen dreien gemeinsam als Eß-, Spiel-, Arbeits- und Wohnzimmer verwendet. Die Klägerin, die die letzten zehn Jahre allein in der Wohnung lebte, ist in ihrem Lebensraum merklich eingeengt. Ihre Tochter lebte bis zu ihrem 18. Lebensjahr bei ihr. In dem anläßlich der Scheidung der Ehe der Tochter geschlossenen Vergleich verpflichtete sich diese, bis längstens 31. 7. 1997 aus der Ehewohnung auszuziehen. Sie zog daraufhin mit ihrer Tochter zur Klägerin.

Der Beklagte mietete die gegenständliche Wohnung vom Rechtsvorgänger der Klägerin am 1. 6. 1972 zu einem monatlichen Mietzins von S 1.700 wertgesichert auf unbestimmte Zeit. Er ist Witwer nach seiner 1994 verstorbenen Ehefrau und für seine 1979 geborene Tochter sorgepflichtig.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Meinung, die Wohnung der Klägerin reiche zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses der Klägerin, ihrer Tochter und ihrer Enkelin aus. Bei der schon gegebenen Raumaufteilung sei für die Wohnbedürfnisse der miteinander verwandten weiblichen Personen ausreichend gesorgt.

Dagegen erhob die Klägerin Berufung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel Folge und änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, daß die Aufkündigung für wirksam erklärt und dem Räumungsbegehren stattgegeben wurde; es sprach aus, die Revision sei zulässig.

Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, die Klägerin könne zur Befriedigung ihres Wohnbedürfnisses grundsätzlich auf eine nicht in ihrem Eigentum stehende Wohnmöglichkeit nicht verwiesen werden, vielmehr sei davon auszugehen, daß jemand, der Eigentümer einer Wohnung oder eines Hauses mit Wohnung sei, in erster Linie sein Eigentum zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses heranziehen wolle und dürfe. Die Bestimmung des § 30 Abs 2 Z 8 lit b MRG sei auch auf Wohnungen im Stockwerkseigentum analog anzuwenden, was zur Folge habe, daß eine Interessenabwägung zu entfallen habe.

Ein dringender Eigenbedarf fehle, wenn dem Bedarf des Vermieters (oder seiner privilegierten Angehörigen) durch eine entsprechende Neuverteilung der zur Verfügung stehenden Räume abgeholfen werden könne. Diese Aufteilung müsse konkret so vorgenommen werden können, daß für den Vermieter und seine Mitbewohner ein menschenwürdiges Wohnen möglich sei. Es sei nicht einsichtig, 50 Jahren nach Kriegsende und ungeachtet des Wiederaufbaus Wertungen aus Notzeiten uneingeschränkt anzuwenden. Es sei daher bei der Beurteilung der Frage nach der Befriedigung des Eigenbedarfs durch Neuverteilung vorhandener Räume nicht in kleinlicher Weise der Nachkriegsstandard zugrundezulegen. Im vorliegenden Fall könnten die Einschränkungen, denen die Klägerin mit ihrer Familie ausgesetzt sei, nur vorübergehend als zumutbar angesehen werden. Im Hinblick auf die vorhersehbar steigenden Bedürfnisse der heranwachsenden, jetzt neunjährigen Enkelin und die verschiedenen Interessenlagen, die beim Zusammentreffen dreier Generationen aufeinandertreffen, könne die Klägerin auf Dauer nicht auf die vorgenommene provisorische Neuverteilung der Wohnung verwiesen und ihr nicht zugemutet werden, womöglich bis zu ihrem Lebensende in einem 8 m**2 kleinen fensterlosen Raumabteil zu schlafen und sich dorthin zurückzuziehen, sollten ihre Tochter oder ihre Enkelin das allen drei gemeinsam zur Verfügung stehende Zimmer in einer Weise nützen wollen, die den Interessen der Klägerin widerstreite.

Es sei auch nicht richtig, daß der Eigenbedarf selbst verschuldet worden sei.

Die Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob die Interessenabwägung gemäß § 30 Abs 2 Z 8 lit b MRG auch bei Stockwerkseigentum entfallen könne, und im übrigen die Auslegung des Gesetzesbegriffes des "dringenden Eigenbedarfs" in Fluß sei, weshalb es der Mitwirkung des Obersten Gerichtshofes im Wege der Fallvergleichung bedürfe.

Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß die Aufkündigung aufgehoben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Der Beklagte macht unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ua geltend, die der Klägerin gehörende Wohnung als Teil des Stockwerkseigentums könne nicht wie eine solche im Wohnungseigentum behandelt werden. Im Fall einer analogen Heranziehung des § 30 Abs 2 Z 8 lit b MRG für Stockwerkseigentum müßte zumindest differenziert werden, ob eine Kapitalanlage oder die Befriedigung des Wohnbedarfes im Vordergrund stehe. Es hätte daher einer Interessenabwägung bedurft. Es fehle auch an einem dringenden Eigenbedarf der Klägerin, stünden dieser doch gemeinsam mit ihrer Tochter und Enkeltochter knapp 70 m**2 zur Verfügung, was für drei miteinander verwandte Personen auch unter Berücksichtigung eines - von der Rechtsprechung nicht geforderten - durchschnittlichen neuzeitlichen Standards als durchaus ausreichend angesehen werden könne.

Hiezu wurde erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 30 Abs 2 Z 8 MRG ist es als wichtiger Grund anzusehen, der den Vermieter zur Kündigung des Wohnungsmietvertrages berechtigt, wenn der Vermieter die gemieteten Wohnräume für sich selbst oder für Verwandte in absteigender Linie - wie hier die Klägerin für ihre Tochter und Enkeltochter - dringend benötigt, wobei zufolge lit b leg cit bei einer vom Wohnungseigentümer nach Wohnungseigentumsbegründung vermieteten Eigentumswohnung die sonst vorzunehmende Interessenabwägung entfällt. Ob § 30 Abs 2 Z 8 lit b MRG analog auf Stockwerkseigentum anzuwenden ist, kann hier dahingestellt bleiben, weil ein dringender Eigenbedarf der Klägerin nicht gegeben ist. Unter einem solchen ist nach der bisher herrschenden Rechtsprechung (MietSlg 41.355/19; WoBl 1991/17; WoBl 1994/29 uva) ein zumindest notstandsähnliche Situation zu verstehen, die nur dann zu bejahen sei, wenn der Wohnbedarf des Vermieters oder seiner begünstigten Verwandten jedenfalls nur so unzulänglich gedeckt ist, daß eine unabweisliche Notwendigkeit vorliegt, diesen Mangel so bald wie möglich zu beseitigen. Die wörtliche Übernahme des Kündigungstatbestandes des § 19 Abs 2 Z 5 MG in die neue Regelung spreche für die Annahme, daß die jahrzehntelange Auslegung der alten Bestimmung - die sich an den tristen Verhältnissen der Kriegs- und Nachkriegszeit orientiert habe - weiter aufrecht zu erhalten sei, wäre es doch dem Gesetzgeber freigestanden, gegen diese Auslegung eines unbestimmten Gesetzesbegriffes etwas zu unternehmen, weshalb keine Anhaltspunkte für ein neues, den geänderten Verhältnissen auf dem Wohnungsmarkt entsprechendes Verständnis der Eigenbedarfsbestimmung vorliege. Der für das Erfordernis des dringenden Eigenbedarfs angelegte Maßstab dürfe daher trotz leichter Entspannung auf dem Wohnungsmarkt nicht gelockert werden, wenngleich recht unterschiedliche Maßstäbe angelegt würden. Dagegen wurden von der Lehre erhebliche Bedenken geltend gemacht (Würth in Rummel**2, Rz 36 zu § 30 MRG; Call in WoBl 1993, 17; Gimpel-Hinteregger, "Notstand" und "Existenzgefährdung" - Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Kündigungsgrund des dringenden Eigenbedarfs nach § 30 Abs 2 Z 8 und 9 MRG, JBl 1988, 16).

Der Oberste Gerichtshof hat aber auch wiederholt ausgesprochen, daß der nach wie vor im bürgerlichen Recht in § 354 ABGB verankerte Grundsatz der freien Verfügbarkeit über das Eigentum gelte, der nur dort nicht zum Tragen komme, wo entgegenstehende Bestimmungen, wie etwa die Kündigungsbeschränkungen des MRG, eine Ausnahme verfügten. Auch wenn diese Bestimmungen die Eigenbedarfskündigung auf den Fall der unbedingten Notwendigkeit einschränkten, könne daraus nicht abgeleitet werden, daß der Vermieter zur Befriedigung seines Wohnungsbedürfnisses grundsätzlich auf eine nicht in seinem Eigentum stehenden Wohnmöglichkeit verwiesen werden müsse. Vielmehr sei davon auszugehen, daß der Eigentümer einer Wohnung oder eines Hauses mit Wohnung in erster Linie sein Eigentum zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses heranziehen wolle und dürfe (MietSlg 41/19; WoBl 1993/7 [Call]; ecolex 1994, 160).

Auf diese Rechtsprechung und die hieran geübte Kritik muß hier nicht eingegangen werden. Der dringende Eigenbedarf fehlt nämlich jedenfalls dann, wenn dem Bedarf des Vermieters durch eine entsprechende Neuverteilung der ihm zur Verfügung stehenden Räume abgeholfen werden kann. Dabei muß klar sein, wie diese neue Aufteilung konkret vorgenommen werden kann, und muß überdies nach einer solchen Neuverteilung für den Vermieter und seine allfälligen Mitbewohner ein menschenwürdiges Wohnen möglich sein, wenngleich im Einzelfall nicht immer ein durchschnittlicher neuzeitlicher Wohnungsstandard erreicht werden kann (WoBl 1997/9 mwN).

Mag auch im vorliegenden Fall durch die von der Klägerin vorgenommene Raumaufteilung kein neuzeitlicher Wohnungsstandard erreicht werden, so ist jedenfalls ihr und ihren Mitbewohnern ein menschenwürdiges Wohnen ohne weiteres möglich. Schließlich verfügt sie über einen durch eine Schrankwand abgetrennten Teil eines Zimmers, den sie allein zum Schlafen benützen kann, und wird ein 21,28 m**2 großes anderes Zimmer von allen Bewohnern gemeinsam als Eß-, Spiel-, Arbeits- und Wohnzimmer verwendet. Die Klägerin hat sohin sowohl die Möglichkeit, am gemeinsamen Familienleben teilzunehmen, als auch die Möglichkeit, sich allenfalls zurückzuziehen und weitgehend ungestört zu sein. Auch ohne kleinliche Anwendung des Nachkriegsstandards sind nach Ansicht des erkennenden Senates die Klägerin, ihre Tochter und ihre Enkeltochter menschenwürdig untergebracht, weshalb der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 8 MRG jedenfalls derzeit nicht gegeben ist. Die bloß vage Möglichkeit, daß es beim Heranwachsen der Enkeltochter später zu erheblichen Spannungen kommen könnte, vermag eine Kündigung derzeit nicht rechtzufertigen.

Es war daher der Revision des Beklagten Folge zu geben und das die Aufkündigung aufhebende Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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