Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang des Zuspruchs der Ausgleichszulage als unangefochten unberührt bleiben, werden in ihren das Mehrbegehren abweisenden Teilen aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird insoweit zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die am 1. 6. 1963 geschlossene Ehe der am 17. 8. 1939 geborenen Klägerin mit dem ÖBB-Bediensteten Johann R. wurde mit Urteil vom 16. 4. 1981 aus dem alleinigen Verschulden des Mannes geschieden. In einem am selben Tag abgeschlossenen Unterhaltsvergleich verpflichtete sich der Mann, an die Klägerin ab 1. 5. 1981 einen monatlichen wertgesicherten Unterhalt von S 1.750 zu zahlen. Zusätzlich übergab er ihr als einmalige und sofortige Abgeltung aller sonstigen Unterhaltsansprüche den ihm gehörigen Fünftelanteil an einer Liegenschaft (auf dem das Wohnhaus der Klägerin stand). Seither bezog sie regelmäßig Unterhaltsleistungen vom geschiedenen Mann, zuletzt bis August 1997 monatlich S 2.500. Am 7. 10. 1997 wurde über das Erhöhungsbegehren der Klägerin ein gerichtlicher Vergleich geschlossen, in dem der Unterhalt nunmehr mit monatlich S 2.836 festgestellt und die Wertsicherung durch Bindung an den Verbraucherpreisindex geregelt wurde. Das Nettoeinkommen des geschiedenen Mannes, der keine sonstigen Unterhaltspflichten hat, betrug ab 1. 2. 1997 netto S 28.642,40, ab 1. 4. 1997 S 28.608,70 und ab 1. 7. 1997 S 28.722,50.
Mit Bescheid vom 2. 5. 1997 wurde der Klägerin ab 1. 2. 1997 die Invaliditätspension von monatlich S 2.824,60 (brutto) zuerkannt. Mit einem weiteren Bescheid vom 22. 7. 1997 hat die beklagte Partei die der Klägerin zur Pension gebührende Ausgleichszulage ab 1. 2. 1997 mit monatlich S 1.482,10, ab 1. 4. 1997 mit monatlich S 1.486,30 und ab 1. 7. 1997 mit monatlich S 1.472,10 bestimmt und ausgesprochen, über die ab 1. 8. 1997 gebührende Höhe der Ausgleichszulage, die vorläufig mit S 1.000 monatlich ausgezahlt werde, gesondert zu entscheiden. Eine Begründung für die Berechnung der Ausgleichszulage ist in diesem Bescheid nicht enthalten.
Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Zahlung einer höheren Ausgleichszulage. Ihr dürfe kein höherer Unterhalt angerechnet werden, als er ihr tatsächlich zukomme. Ein Teil des fiktiv angerechneten Unterhalts sei uneinbringlich oder dessen Verfolgung offenbar aussichtslos.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Unterhaltspflichtige wäre in der Lage, einen Unterhalt im Bereich des nach § 294 Abs 1 lit b ASVG maßgeblichen Pauschalsatzes von 12,5 vH seines Einkommens zu leisten. Daß die Klägerin auf Grund einer Unterhaltsvereinbarung tatsächlich einen geringeren Unterhalt beziehe, habe als Verzicht zu Lasten des Pensionsversicherungsträgers außer Betracht zu bleiben.
Das Erstgericht erkannte der Klägerin unter Abweisung des Mehrbegehrens nur die dem angefochtenen Bescheid entsprechende Ausgleichszulage zu. Gemäß § 294 Abs 1 lit b ASVG seien bei der Berechnung der Ausgleichszulage nach § 292 ASVG Unterhaltsansprüche des Pensionsberechtigten gegen den geschiedenen Ehegatten, gleichviel ob und in welcher Höhe die Unterhaltsleistung tatsächlich erbracht werde, dadurch zu berücksichtigen, daß dem Nettoeinkommen des Pensionsberechtigten 12,5 vH des monatlichen Nettoeinkommens des geschiedenen Ehegatten zuzurechnen sei. Einen Unterhaltsverzicht habe die Klägerin bei der Scheidung ihrer Ehe nicht abgegeben. Der Unterhalt sei lediglich etwas geringer angesetzt worden, weil die Klägerin damals dem Mann einen Liegenschaftsanteil ins Eigentum übertragen habe. § 294 Abs 5 ASVG setze voraus, daß der Ausgleichszulagenwerber auf Grund eines Unterhaltsverzichts vor mehr als 10 Jahren tatsächlich über all die Jahre keinen Unterhalt bezogen habe. Der Klägerin gebühre daher die Ausgleichszulage nur im zuerkannten (bescheidmäßigen) Ausmaß.
Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und wies den Antrag, beim Verfassungsgerichtshof § 294 ASVG überprüfen zu lassen, zurück. Gegen die Pauschalanrechnung von Unterhaltsansprüchen nach § 294 Abs 1 ASVG bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Ein Verzicht auf einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch sei gegenüber dem Sozialversicherungsträger selbst dann wirkungslos, wenn er nicht in der Absicht, diesen zu schädigen, sondern aus anderen Gründen abgegeben worden sei (SSV-NF 2/28, 5/83, 5/104 ua). Es entspreche durchaus sachlichen Gesichtspunkten, wenn der Gesetzgeber verhindern wolle, daß zu Lasten der Ausgleichszulage auf gesetzlichen Unterhalt verzichtet werde. Nur ausnahmsweise (§ 294 Abs 5 ASVG, eingefügt durch die 51. Novelle) solle ein spätestens 10 Jahre vor dem Pensionsstichtag abgegebener Unterhaltsverzicht die Ausgleichszulage nicht beeinflussen (SSV-NF 10/71, 10/109). Im übrigen wäre dem Vergleich aus dem Jahr 1981 ein Unterhaltsverzicht gar nicht zu entnehmen. Inwieweit der Unterhaltsvergleich vom 7. 10. 1997 hinter dem gesetzlichen Unterhalt bzw dem Betrag des anzurechnenden Nettoeinkommens zurückbleibe, könne dahingestellt bleiben.
Die gegen dieses Urteil wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Klägerin ist im Sinne ihres hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Erreicht die Pension zuzüglich eines aus übrigen Einkünften des Pensionsberechtigten erwachsenden Nettoeinkommens und der übrigen zu berücksichtigenden Beträge nicht die Höhe des für ihn geltenden Richtsatzes, so hat der Pensionsberechtigte grundsätzlich Anspruch auf Ausgleichszulage zur Pension (§ 292 Abs 1 ASVG). Bei Feststellung des Anspruches nach Abs 1 ist auch das gesamte Nettoeinkommen des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten zu berücksichtigen (§ 292 Abs 2 ASVG). Bei Anwendung dieser Bestimmungen sind Unterhaltsansprüche des Pensionsberechtigten unter anderem gegen den geschiedenen Ehegatten, gleichviel ob und in welcher Höhe die Unterhaltsleistung tatsächlich erbracht wird, dadurch zu berücksichtigen, daß dem Nettoeinkommen des Pensionsberechtigten ein bestimmter Prozentsatz des monatlichen Nettoeinkommens des geschiedenen Ehegatten zuzurechnen ist (§ 294 Abs 1 ASVG). Eine Zurechnung zum Nettoeinkommen erfolgt nur in der Höhe eines Vierzehntels der jährlich tatsächlich zufließenden Unterhaltsleistung, wenn die Unterhaltsforderung der Höhe nach trotz durchgeführter Zwangsmaßnahmen uneinbringlich oder die Verfolgung eines Unterhaltsanspruches in dieser Höhe offenbar aussichtslos oder offenbar unzumutbar ist (§ 294 Abs 3 ASVG). Eine Anrechnung erfolgt dann nicht, wenn die Ehe aus dem Veschulden des anderen Ehegatten geschieden wurde, eine Unterhaltsleistung aus dieser Scheidung auf Grund eines Unterhaltsverzichtes nicht erbracht wird und dieser Verzicht spätestens 10 Jahre vor dem Stichtag abgegeben wurde (§ 294 Abs 5 ASVG idF der 51. Nov. BGBl 1993/335). Zu der zuletzt zitierten Bestimmung führen die Gesetzesmaterialien (932 BlgNR 18. GP, 52) aus:
"Ein Unterhaltsverzicht bei Scheidung aus Verschulden des anderen Ehegatten soll, wenn der Verzicht spätestens 10 Jahre vor dem Stichtag abgegeben wurde, nicht die Höhe der Ausgleichszulage beeinflussen."
Da die Pauschalanrechnung bestimmter Hundertsätze des Nettoeinkommen der im § 294 Abs 1 ASVG angeführten Personen, die nach dem Gesetz als Unterhaltspflichtige in Betracht kommen könnten, ohne Rücksicht darauf zu erfolgen hat, ob Unterhaltsleistungen tatsächlich erbracht werden und auch die Höhe der tatsächlich erbrachten Unterhaltsleistungen unmaßgeblich ist, hat der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung SSV-NF 2/28 ausgesprochen, daß eine Pauschalanrechnung immer dann zu erfolgen hat, wenn ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch besteht und daß ein Verzicht auf einen solchen Unterhaltsanspruch gegenüber dem Sozialversicherungsträger jedenfalls wirkungslos ist, selbst, wenn er nicht in der Absicht abgegeben wurde, den Pensionsversicherungsträger zu schädigen. Wenn der Oberste Gerichtshof in späteren Entscheidungen aussprach, daß der Verzicht eines Pensionsberechtigten auf Ansprüche mit Einkommenscharakter bei Feststellung der Ausgleichszulage nur dann unbeachtlich sei, wenn er offenbar den Zweck hatte, den Träger der Ausgleichszulage zu
schädigen (SSV-NF 7/19 = DRdA 1994, 47 [Binder]; JBl 1994, 191; SZ
66/45; SSV-NF 9/76 = DRdA 1996, 393 [Binder]), so ging es in diesen Fällen nicht um den Verzicht auf gesetzliche Unterhaltsansprüche. Es ist daher daran festzuhalten, daß der Verzicht auf einen gesetzlichen, der Pauschalanrechnung unterliegenden Unterhaltsanspruch dem Sozialversicherungsträger gegenüber wirkungslos ist, auch wenn er nicht in Schädigungsabsicht abgegeben wurde (zuletzt 16. 7. 1998, 10 ObS 244/98z). Davon besteht nach dem Gesetz nur die bereits genannte Ausnahme des § 294 Abs 5 ASVG (Verzicht spätestens 10 Jahre vor dem Stichtag; vgl SSV-NF 10/71).
Den Vorinstanzen ist beizustimmen, daß die Klägerin im Jahr 1981 (also mehr als 10 Jahre vor dem Pensionsstichtag 1. 2. 1997) nicht völlig auf Unterhalt verzichtet hat, sich allerdings durch gerichtlichen Vergleich mit einem relativ geringfügigen Geldunterhalt abfand und darüber hinaus als "einmalige und sofortige Abgeltung aller sonstigen Unterhaltsansprüche" einen Liegenschaftsanteil vom geschiedenen Mann übertragen erhielt. Es wurde weder behauptet noch festgestellt, daß diese Übertragung eine Grundlage für die Bestreitung des Unterhaltes der Klägerin bildete oder bilden sollte. Selbst wenn man dem Vergleich einen teilweisen Verzicht auf Unterhalt in dem Sinne unterstellte, daß die Klägerin damals als schuldlos geschiedene Ehegattin nach § 66 EheG Anspruch auf einen höheren "angemessenen" Unterhalt gehabt hätte, bleibt aber der in der Revision zutreffend erhobene Einwand bestehen, daß eine schuldlos geschiedene Ehegattin, die sich spätestens 10 Jahre vor dem Stichtag unter teilweisem Verzicht auf den ihr gesetzlich zustehenden höheren Unterhalt vertraglich mit einem niedrigeren Unterhalt begnügte, nicht schlechter gestellt werden darf, als eine unter sonst gleichen Bedingungen zur Gänze auf Unterhalt verzichtende Ehegattin. Es ergäbe einen unauflösbaren Wertungswiderspruch, würde der teilweise Verzicht auf Unterhalt im Ausgleichszulagenrecht unbeachtlich bleiben, also zur vollen Pauschalanrechnung des § 294 Abs 1 ASVG führen, der gänzliche Verzicht auf Unterhalt hingegen nach § 294 Abs 5 ASVG jede Anrechnung von gesetzlichen Unterhaltsansprüchen ausschließen. Die Bestimmung des § 294 Abs 5 ASVG ist daher verfassungskonform so auszulegen, daß eine Anrechnung nach § 294 Abs 1 ASVG auch dann nicht erfolgt, wenn die Ehe aus dem Verschulden des anderen Ehegatten geschieden wurde, eine Unterhaltsleistung aus dieser Scheidung zumindest in Höhe des sich aus § 294 Abs 1 ASVG ergebenden Pauschalbetrages auf Grund der Vereinbarung eines niedrigeren Unterhalts und des darin zu erblickenden teilweisen Unterhaltsverzichts nicht erbracht wird und diese - den teilweisen Verzicht enthaltende - Vereinbarung spätestens 10 Jahre vor dem Stichtag abgegeben wurde.
Anders als bei einem gänzlichen Verzicht auf jeden Unterhalt, der den Anspruch auch dem Grunde nach vernichtet, ist in diesen Fällen, in denen ja ein Anspruch auf Unterhalt dem Grund nach bestehen bleibt, allerdings noch zu prüfen, ob nicht die Voraussetzungen nach § 294 Abs 3 zweiter Satz ASVG, ebenfalls eingefügt durch die 51. Nov. BGBl 1993/335, vorliegen, wonach eine Zurechnung nur in der Höhe eines Vierzehntels der jährlich tatsächlich zufließenden Unterhaltsleistung erfolgt, wenn die nach Abs 1 und 2 berechnete Unterhaltsforderung der Höhe nach uneinbringlich oder die Verfolgung eines Unterhaltsanspruches in dieser Höhe offenbar aussichtslos oder offenbar unzumutbar ist (vgl. SSV-NF 9/107 = SZ 68/241).
Im Fall der Klägerin ist die Unterhaltshöhe durch den gerichtlichen Vergleich vom 16. 4. 1981 festgelegt worden: Dieser Unterhaltsbetrag sollte nach dem Vergleichswortlaut auch im Hinblick darauf "feststehend" sein, daß beim unterhaltspflichtigen Mann sich Einkommensveränderungen durch Vorrückung, Beförderung und dergleichen ergeben, doch wurde der Unterhaltsbetrag mit der Basis des Nettogehalts eines ÖBB-Beamten in der Gehaltsgruppe VIIa, Gehaltsstufe 9 (damals S 14.404 einschließlich ADZ brutto) im April 1981 wertgesichert. Mit Rücksicht auf diesen gerichtlichen Vergleich war die Verfolgung eines die Anpassung auf Grund der Wertsicherungsklausel übersteigenden Unterhaltes offenbar aussichtslos. Der nach § 292 ASVG vorzunehmenden Anrechnung der tatsächlichen Unterhaltsansprüche ist jedoch der sich zu den jeweiligen Perioden ergebende aufgewertete Unterhalt zu Grunde zu legen, weil dessen Durchsetzung mit Rücksicht auf die festgestellten Einkommensverhältnisse des geschiedenen Mannes weder aussichtslos noch unzumutbar war.
Einer sofortigen Abänderung der Urteile der Vorinstanzen im Sinne eines Zuspruches höherer Ausgleichszulagenbeträge stand die mangelnde Spruchreife entgegen: Es fehlen Feststellungen über die der Klägerin insbesondere zum 1. 2., 1. 4. und 1. 7. 1997 (über die ab 1. 8. 1997 gebührende Ausgleichszulage wurde im Bescheid noch gar nicht abgesprochen) aufgewertet zustehenden Unterhaltsbeträge, die bei Errechnung der Höhe der Ausgleichszulage einzubeziehen sind.
Da es zur Abklärung dieser Fragen einer Verhandlung erster Instanz bedarf, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)