Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Text
Begründung
Maria R***** kam in den Abendstunden des 7.10.1997 in Begleitung ihrer Tochter in die als geschlossene Abteilung geführte Akutstation A der Landesnervenklinik S*****. Die Fachärztin Dr. Ingrid H***** überwies sie an die Geriatrie; Maria R***** wurde dort aber nicht aufgenommen, weil die diensthabende Ärztin der Auffassung war, daß Maria R***** fixiert werden müsse. Die Ärztin schickte Maria R***** auf die Akutstation A zurück. Dort verfügte Dr. Ingrid H*****, daß sich Maria R***** in ein Bett der Akutstation A legen solle. Maria R***** ging widerspruchslos mit der diensthabenden Schwester mit; sie bat um Baldriantropfen, die sie auch erhielt.
Um etwa 22.30 Uhr verfaßte Dr. Ingrid H***** das erste fachärztliche Zeugnis im Sinne des § 10 UbG; etwa gleichzeitig wurde die Patientin in die Landesnervenklinik Salzburg aufgenommen. Nach dem ersten fachärztlichen Zeugnis war Maria R***** verwirrt, desorientiert, teilweise hatte sie illusionäre Verkennungen. Die Patientin werde wegen Selbstgefährdung und wegen der Unmöglichkeit, sie in anderer Weise ausreichend zu betreuen, ohne Verlangen untergebracht.
Das Pflegepersonal trug in ein zweites fachärztliches Zeugnis die Angaben über die Station und das Datum "7.10.1997" ein. Das Zeugnis wurde jedoch erst am 8.10.1997 um etwa 9.00 Uhr von Dr. Patrick W***** verfaßt. Dr. Patrick W***** hielt im zweiten fachärztlichen Zeugnis fest, daß eine Alternative zur Unterbringung ohne Verlangen bestehe, weil sich der nunmehr auf der Geriatrie diensthabende Arzt bereit erklärt hatte, Maria R***** auf die Geriatrie zu übernehmen. Im Laufe der nächsten Stunden wurde Maria R***** aus dem geschlossenen Bereich verlegt.
Die Stationen der Landesnervenklinik sind ab 20.00 Uhr während der Nachtstunden versperrt; die Akutstation ist ständig versperrt. Anderen Beschränkungen war Maria R***** nicht unterworfen. Maria R***** war in der Nacht vom 7. auf den 8.10.1997 völlig desorientiert; sie gefährdete sich selbst.
Der Patientenanwalt beantragt, die Zulässigkeit der Unterbringung von Maria R***** ab dem 7.10.1997 zu überprüfen und die Unterbringung für unzulässig zu erklären. Maria R***** sei zumindest vom 7. bis 8.10.1997 untergebracht gewesen. Es sei offen, ob die Bewegungsfreiheit von Maria R***** seit 8.10.1997 tatsächlich nicht mehr beschränkt sei.
Das Erstgericht stellte im ersten Rechtsgang das Verfahren zur Überprüfung der Unterbringung von Maria R***** ein. Die Unterbringung könne vom Gericht nicht überprüft werden, weil das Gericht nur zuständig sei, wenn die Zulässigkeit der Unterbringung in zwei fachärztlichen Zeugnissen bejaht werde.
Das Rekursgericht bestätigte den Beschluß des Erstgerichtes mit der Maßgabe, daß es den Antrag des Patientenanwaltes zurückwies. Als Akt unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt unterliege die Aufnahme in eine psychiatrische Krankenanstalt oder Abteilung nach § 10 UbG der Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat; Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens sei die Zulässigkeit der weiteren Unterbringung des Kranken, nicht aber die Frage, ob der Aufnahmevorgang ordnungsgemäß war.
Der Oberste Gerichtshof hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und trug dem Erstgericht auf, über den Antrag des Patientenanwaltes in der Sache zu entscheiden. Der Patient sei bereits "untergebracht", wenn er sich in einem geschlossenen Bereich befinde oder sonst Beschränkungen seiner Bewegungsfreiheit unterworfen sei. Das Gericht sei daher berufen, die Zulässigkeit der Unterbringung schon für diesen Zeitraum zu prüfen (4 Ob 17/98y = EvBl 1998/115).
Das Erstgericht erklärte nun im zweiten Rechtsgang die Unterbringung vom 7. bis 8.10.1997 auf der Akutstation A der 1. Psychiatrischen Abteilung in der Landesnervenklinik S***** für zulässig. Die Aufnahmevoraussetzungen seien gegeben gewesen. Maria R***** sei völlig desorientiert gewesen und habe sich selbst gefährdet. Eine Alternative zur Unterbringung habe nicht bestanden.
Das Rekursgericht erklärte die Unterbringung für unzulässig und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Unterbringung sei schon deshalb unzulässig, weil Maria R***** nicht unverzüglich von zwei Fachärzten untersucht worden sei. Die jederzeitige Vornahme der Aufnahmeuntersuchung müsse organisatorisch gewährleistet sein. Auch an Wochenenden oder in der Nacht müßten zwei diensthabende Fachärzte für Psychiatrie (Neurologie) verfügbar sein, von denen einer mit der Leitung der Abteilung betraut sein müsse. Ob während des Unterbringungszeitraumes die materiellrechtlichen Unterbringungsvoraussetzungen vorlagen, sei ebensowenig zu prüfen wie die Frage, ob Maria R***** auf der Geriatrie freiheitsentziehenden Maßnahmen unterworfen war.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs des Abteilungsleiters Dr. Christian G***** ist zulässig, weil Rechtsprechung zu einem gleichartigen Sachverhalt fehlt; der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.
Der Revisionsrekurswerber ist der Auffassung, daß die Zulässigkeit der Unterbringung allein davon abhänge, ob die materiellrechtlichen Unterbringungsvoraussetzungen des § 3 UbG gegeben sind. Es genüge, wenn die Untersuchung durch den ersten Facharzt unverzüglich erfolge und der zweite Facharzt innerhalb angemessener Zeit zur Verfügung stehe. Maria R***** sei nur solange untergebracht gewesen, als keine Alternativen zur Unterbringung bestanden hätten.
Dem Revisionsrekurswerber kann nicht zugestimmt werden, daß nur die materiellrechtlichen Unterbringungsvoraussetzungen zu prüfen wären. Ein Patient darf nur untergebracht werden, wenn formelle und materielle Voraussetzungen erfüllt sind. Die formellen Voraussetzungen regelt § 10 UbG. Danach haben der Abteilungsleiter und ein weiterer Facharzt die betroffene Person unverzüglich zu untersuchen. Sie darf nur aufgenommen werden, wenn nach übereinstimmenden, unabhängig voneinander erstellten ärztlichen Zeugnissen die - in § 3 UbG geregelten - Voraussetzungen für die Unterbringung vorliegen. Nach dem Bericht des Justizausschusses soll mit der Einfügung des Wortes "nur" klargestellt werden, daß ein Zwangsaufenthalt eines Kranken ohne vorangegangene Untersuchung unzulässig ist (1202 BlgNR 17. GP 6).
Die Bestimmungen über die Unterbringung ohne Verlangen wären unvollziehbar, wenn eine Zwangsausübung vor der Aufnahmeuntersuchung unzulässig wäre. Der Patient muß auch gegen seinen Willen untersucht und zu diesem Zweck Beschränkungen unterworfen werden können. Weitergehende Beschränkungen sind aber nur zulässig, wenn das Aufnahmeverfahren positiv abgeschlossen und der Betroffene gemäß § 10 UbG unterbracht ist (s Kopetzki, Unterbringungsrecht II 563).
Nach § 10 UbG ist der Patient "unverzüglich" zu untersuchen. Die Auffassungen darüber, was unter "unverzüglich" zu verstehen ist, gehen auseinander. Nach Kopetzki (aaO 564; ders., Grundriß des Unterbringungsrechts Rz 206ff) ist die Aufnahmeuntersuchung unmittelbar nach der Einlieferung vorzunehmen. Demnach müsse die jederzeitige Vornahme der Aufnahmeuntersuchung in der Anstalt organisatorisch gewährleistet sein. Die bloße Erreichbarkeit eines außerhalb der Anstalt befindlichen Arztes genüge nicht. Auch an Wochenenden oder in der Nacht müßten zwei diensthabende Fachärzte für Psychiatrie (Neurologie) verfügbar sein, von denen einer der mit der Leitung der Abteilung betraute Arzt sein müsse. Aus rechtspolitischen Gründen könne die Sinnhaftigkeit einer doppelten fachärztlichen Untersuchung allerdings in Frage gestellt werden.
Demgegenüber erachten es Hopf/Aigner (Unterbringungsgesetz Anm 3 zu § 10) nicht für notwendig, daß auch in kleinen psychiatrischen Einheiten ständig zwei Fachärzte anwesend sind. Der Begriff "unverzüglich" enthalte zwei Komponenten: Zum einen bedeute er, daß die Untersuchung ohne Verzögerung, also so rasch es den Ärzten nach den gegebenen Umständen möglich ist, durchzuführen sei. Zum zweiten enthalte der Begriff auch eine absolute Komponente: Die Untersuchung müsse zwar nicht sofort, wohl aber innerhalb einer der Bedeutung und Dringlichkeit der Sache angemessenen Frist vorgenommen werden. Ein Zeitraum von mehreren Stunden werde nur unter besonderen Umständen als unverzüglich zu werten sein. Die Untersuchung könne zunächst durch den in der Krankenanstalt anwesenden Facharzt und dann durch einen sogleich von außen herbeigerufenen zweiten Facharzt vorgenommen werden.
Für die Auffassung von Hopf/Aigner (aaO) spricht, daß dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann, eine starre Regelung getroffen zu haben, die auf die im konkreten Fall gegebenen Umstände keine Rücksicht nimmt. Zweck des Unterbringungsgesetzes ist es, die Rechtsfürsorge für psychisch Kranke in geschlossenen Bereichen von Krankenanstalten zu verbessern. Beschränkungen sollen nur im unbedingt erforderlichen Ausmaß zur Abwehr schwerwiegender Gefahren zugelassen und hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und Anwendung einer wirksamen Kontrolle unterworfen werden. Die Regelung des Verfahrens zur Aufnahme soll eine Fehlbeurteilung der Aufnahmevoraussetzungen und damit eine ungerechtfertigte Aufnahme nach Möglichkeit vermeiden (464 BlgNR 17. GP 14f).
Dieses Ziel wird erreicht, wenn die Aufnahmeuntersuchung "innerhalb einer der Bedeutung und Dringlichkeit der Sache angemessenen Frist vorgenommen" (Hopf/Aigner aaO) wird. Es ist daher nicht in jedem Fall erforderlich, daß ständig zwei Fachärzte im Dienst sind, um Patienten unmittelbar nach der Einlieferung untersuchen zu können. Dem Gesetzeszweck wird auch dann entsprochen, wenn der Patient unmittelbar nach der Einlieferung vom diensthabenden Facharzt und danach von einem von außen herbeigerufenen zweiten Facharzt untersucht wird. Wie lange der Zeitraum zwischen der ersten und der zweiten Untersuchung sein darf, hängt von der Schwere des Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte des Patienten ab.
Werden diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewendet, so ist ein Verstoß gegen § 10 UbG zu verneinen:
Dr. Ingrid H***** verfaßte das erste fachärztliche Zeugnis am 7.10.1997 um etwa 22.30 Uhr, nachdem sich herausgestellt hatte, daß Maria R***** wegen ihres verwirrten Zustandes nicht auf der Geriatrie aufgenommen werden konnte. In diesem Zeitpunkt gab es zur Aufnahme auf der Akutstation A keine Alternative; Maria R***** konnte nicht nach Hause geschickt werden, weil sie in einem Zustand war, in dem sie sich selbst gefährdete. Sie verbrachte die Nacht in einem Bett der Akutstation A; am Morgen des nächsten Tages hatte sich ihr Zustand so weit gebessert, daß im zweiten fachärztlichen Zeugnis die Selbstgefährdung verneint und sie auf der Geriatrie untergebracht werden konnte.
Bei dieser Sachlage war der Zeitraum zwischen der ersten und der zweiten fachärztlichen Untersuchung noch angemessen. Maria R***** hatte sich widerspruchslos zu Bett bringen lassen und war während der Nacht nur insofern einer Beschränkung unterworfen, als sie die Station nicht hätte verlassen können, wenn sie dies gewollt hätte. Ihre Unterbringung, zu der keine Alternative bestand, war demnach mit keinem derart schwerwiegenden Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte verbunden, daß eine sofortige zweite fachärztliche Untersuchung notwendig gewesen wäre. Damit entfällt ein Verstoß gegen § 10 UbG; auch die materiellrechtlichen Voraussetzungen der Unterbringung (§ 3 UbG) waren erfüllt: die Patientin gefährdete sich selbst und konnte nicht auf andere Weise versorgt werden.
Daß die Patientin auch auf der Geriatrie freiheitsbeschränkenden Maßnahmen unterworfen gewesen wäre, kann dem Akt nicht entnommen werden. Nach den Verfahrensergebnissen hat die auf der Geriatrie diensthabende Ärztin es abgelehnt, Maria R***** aufzunehmen, weil sie sie wegen ihres verwirrten Zustandes fixieren hätte müssen. Ob, wie der Aussage von Dr. Christian G***** zu entnehmen ist, "die Mechanismen" auf der Geriatrie so sind, daß Maria R***** die Station kaum hätte verlassen können, ist unerheblich, weil in dem zu beurteilenden Zeitraum zwar versucht wurde, die Patientin auf der Geriatrie unterzubringen, sie dort aber nicht aufgenommen wurde.
Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben.
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