OGH 14Os55/98

OGH14Os55/9823.6.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.Juni 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Mayrhofer, Dr.Holzweber, Dr.Ratz und Dr.Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Köberl als Schriftführer, in der Strafsache gegen Adolf Sch***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der erpresserischen Entführung nach § 102 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Adolf Sch*****, Peter G***** und Tawfik Ben Ahmed Ch***** gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 18. Dezember 1997, GZ 13 Vr 3.010/96-143, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Wasserbauer, der Angeklagten und deren Verteidiger Dr.Mayr, Mag.Tomanek und Dr.Riß zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil eines Geschworenengerichtes wurden Adolf Sch*****, Peter G***** und Tawfik Ben Ahmed Ch***** des Verbrechens der erpresserischen Entführung nach § 102 Abs 1 StGB (I), Tawfik Ben Ahmed Ch***** überdies des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (II/1) und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und Abs 2 Z 1 und 4 StGB (II/2) schuldig erkannt.

Darnach haben am 14.November 1996 in Graz

I/ Adolf Sch*****, Peter G***** und Tawfik Ben Ahmed Ch***** im vorsätzlichen Zusammenwirken, teils ohne deren Einwilligung mit Gewalt, teils, nachdem sie die Einwilligung durch gefährliche Drohung erlangt hatten, sich der Verkäuferinnen der Gefangenenkantine der Justizanstalt Graz-Karlau Helga R*****, Irene D*****, Karin H***** und Maria F*****, indem sie diese am Körper erfaßten, gewaltsam in den Magazinraum zerrten, mit vorgehaltenen bzw am Hals angesetzten Messern ankündigten, im Falle des Widerstandes selbstgefertigte Flaschenbomben zu zünden, sie mit Klebebändern fesselten und an ihren Körpern Flaschenbomben anbrachten, bemächtigt, um Verantwortliche der Justizanstalt Graz-Karlau oder der Bundespolizeidirektion Graz zur Bereitstellung eines Geldbetrages von 8 Mio (später 4 Mio) S und eines vollgetankten Fluchthubschraubers zu nötigen;

II/ Tawfik Ben Ahmed Ch***** überdies

1/ die Justizwachebeamten BInsp.Friedrich P***** und RInsp Konrad P*****, welche die zu I geschilderte Tat verhindern wollten, mit Gewalt und durch Drohung mit dem Tode dadurch zur Unterlassung der Hilfeleistung gegenüber Maria F***** genötigt, daß er nach den Worten: "Laßt sie (gemeint: Maria F*****) los, sonst steche ich sie ab!" und "Gehen's weg Herr P*****, sonst steche ich die Frau F***** ab!" mit einem zugeschliffenen Messer auf die Beamten einstach;

2/ durch die zu II/1 geschilderte Gewalt Justizwachebeamte während der Vollziehung ihrer Aufgaben mit einem solchen Mittel und auf solche Weise, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, am Körper verletzt, und zwar

a) RInsp.Konrad P***** durch Stiche gegen die linke Schulter und den rechten Oberschenkel, was eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung zur Folge hatte (Stichverletzung im Bereich des linken Schulterblattes und des rechten Oberschenkels mit Irritation des nervus saphenus),

b) BInsp.Friedrich P***** durch zwei Stiche gegen die linke Schulter (zweifache Stichverletzung in der linken Schulterregion, Hautabschürfungen im Bereiche des Halses, der linken Schulter und des linken Auges, Bluterguß im Bereiche des linken Auges sowie Prellung und Bluterguß im Bereich des rechten Unterarmes).

Dagegen richten sich getrennt ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen den Verfahrensrügen (§ 345 Abs 1 Z 4 StPO) wurden sämtliche Beschwerdeführer (nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolles, dessen Richtigkeit nicht durch einen Antrag auf Berichtigung bestritten wurde) von den in ihrer Abwesenheit gemachten Aussagen (lange) vor Schluß des Beweisverfahrens in Kenntnis gesetzt (§ 250 Abs 1 und Abs 2 StPO; Bd IV, 107, 127, 153).

Welche Information dabei unterblieben sei, ist der Beschwerde Ch*****, die solcherart die vom Gesetz geforderte deutliche und bestimmte Bezeichnung unterläßt, nicht zu entnehmen. Sein Antrag, "die gemäß § 271 Abs 6 StPO vorgenommene" Tonaufzeichnung im Gerichtstag wiederzugeben, geht schon deshalb ins Leere.

Von Sch***** und Ch*****v behauptete Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten (§ 345 Abs 1 Z 5 StPO) liegt ebensowenig vor.

In der Hauptverhandlung hat Sch***** Akteneinsicht nicht begehrt. Keines der weiteren in den Rechtsmitteln relevierten Anbote, welche allesamt (vorgeblich) nicht verkraftete Haftbedingungen oder die dem Strafvollzug zugrundeliegende, als ungerecht abgelehnte Verurteilung betrafen, zielte auf den Beweis eines unmittelbar drohenden (vgl Steininger Komm3 § 10 RN 13) bedeutenden Nachteils für ein eigenes oder fremdes (Individual-) Rechtsgut oder die irrtümliche Annahme einer Notstandssituation und damit eines schulderheblichen Umstandes.

Mit Hinweisen auf die Verantwortung Sch*****s, er habe eine "verzweifelte Notstandshandlung aus unverschuldeten Motiven" gesetzt und jene Ch*****s, die in den Taten zum Ausdruck gekommene Reaktion auf seine Haftbedingungen sei angemessen gewesen, von ihm jedenfalls so eingeschätzt worden, wird die Fragestellung (von Ch***** verfehlt auch aus Z 5) nicht prozeßförmig kritisiert (§ 345 Abs 1 Z 6 StPO). Die aufgezeigten Zusatzfragen (§ 313 StPO) hätten tatsächliches Vorbringen (auch) einer Notstandssituation erfordert .

Indem Sch***** und G***** die in der Rechtsbelehrung vermißten "rechtlichen Unterschiede zwischen der Freiheitsentziehung im Sinne des § 99 StGB und dem Tatbestandsmerkmal "sich bemächtigen" im Sinne des § 102 Abs 1 StGB" nicht bezeichnen, verfehlt ihre Instruktionsrüge (§ 345 Abs 1 Z 8 StPO) eine am Gesetz orientierte Darstellung.

Entgegen der Subsumtionsrüge Ch*****s (nominell § 345 Abs 1 Z 11 lit a und Z 12, richtig nur Z 12; vgl die überzeugende Begründung Burgstallers in der Entscheidungsanmerkung JBl 1983, 661 [663]) liegt in einem (mit Todesdrohung gegen eine Geisel verbundenen) lebensgefährlichen, mehrfachen und zu (in einem Fall sogar schweren) Verletzungen führenden Einstechen auf zwei zu Hilfe eilende, von den entführten Personen verschiedene Justizwachebeamte mit einem zugeschliffenen Messer keine typische, regelmäßig mit erpresserischer Entführung verbundene Begleittat, von der mit Fug angenommen werden kann, der Gesetzgeber habe sie bei Aufstellung der Strafdrohung des § 102 Abs 1 StGB (ohnehin) mitberücksichtigt (vgl Burgstaller, Die Scheinkonkurrenz im Strafrecht, JBl 1978, 393 [461]; Steininger Komm3 § 28 RN 45 ff, insb 48 und § 102 RN 45 und - allgemein: Kienapfel AT6 E 8 Rz 30, Jescheck/Weigend LB5 735 f). Das für eine Verdrängung schwerer Nötigung unter dem (Scheinkonkurrenz-) Typus (vgl Burgstaller aaO, 394 f) "Konsumtion" erforderliche kriminologische Naheverhältnis ist demnach nicht gegeben.

Weil Sch***** seine Subsumtionsrüge (§ 345 Abs 1 Z 12 StPO) schließlich nur auf ein verkürztes "sachliches Substrat" des Wahrspruches gründet, verfehlt er erneut eine Ausrichtung am Gesetz.

Dem Berufungsvorbringen zuwider entsprechen auch die verhängten Freiheitsstrafen (je 19 Jahre über Sch***** und Ch***** und 17 Jahre über G*****) der personalen Täterschuld der Angeklagten.

Zwar ist der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 17 StGB auch Sch***** und Ch***** zugute zu halten. Dieser vermag jedoch am entscheidenden Gewicht der jeweils mehrfachen, teils überaus gravierenden Vorstrafen (Sch***** vier, G***** zwölf und Ch***** sechs, wobei jene von Sch***** und G***** die Voraussetzungen für eine Strafschärfung bei Rückfall erfüllt hätten) und der sorgfältig geplanten und außergewöhnlich rücksichtslos in die Tat umgesetzten erpresserischen Entführung von vier Frauen nichts zu ändern. Bei Ch***** kommen das Zusammentreffen zweier Verbrechen mit zwei (mehrfach qualifizierten) Vergehen sowie die Nötigung zweier Beamter und der Umstand hinzu, daß der Angeklagte am 6.März 1997 vom Bezirksgericht für Strafsachen Graz wegen des Vergehens der Körperverletzung (rechtskräftig) verurteilt wurde.

Ein für die Schuldfrage unbeachtlicher Irrtum über die rechtliche Seite eines Entschuldigungsgrundes (§ 10 StGB) stellt den Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 12 StGB nicht her. Weder Sch*****, noch Ch***** aber haben sich dahin verantwortet, irrtümlich angenommen zu haben, aufgrund vorgeblicher Mängel des Strafvollzuges zu ihrem Tun berechtigt gewesen zu sein.

Abstandnahme von weiterer Schadenszufügung (§ 34 Abs 1 Z 14 StGB) wird von Sch***** nur substratlos behauptet. Den als Geiseln genommenen Frauen nicht auch noch sexuelle Gewalt zugefügt zu haben, können G***** und Ch***** angesichts der angespannten Tatsituation nicht mildernd in Anspruch nehmen. Schon wegen der Übermacht der bei der Befreiung der Geiseln eingesetzten Sicherheitskräfte stellt auch das Unterlassen weiterer Gewaltanwendung den Milderungsgrund nicht her.

Den vorgeblich geplanten Gewaltverzicht hat Ch***** eindrücklich aufgegeben. Dem Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 8 StGB steht schon die sorgfältige Planung der erpresserischen Entführung entgegen. Beim Vorgehen gegen die den Geiseln zu Hilfe eilenden Justizwachebeamten aber kann von allgemeiner Begreiflichkeit nicht gesprochen werden. Die Flucht aus dem Vollzug einer Freiheitsstrafe stellt zudem keinen achtenswerten Beweggrund (§ 34 Abs 1 Z 3 StGB) für die Ch***** zur Last liegenden strafbaren Handlungen dar.

Das Zusammenwirken dreier Mittäter durfte durchaus strafschärfend berücksichtigt werden (§ 32 Abs 3 letzter Fall StGB). "Anlehnungsbedürftige" oder (ganz allgemein) "für äußere Einflüsse anfällige" Menschen haben keinen Anspruch auf die von G***** daraus reklamierte mildere Bestrafung. Der von ihm darüberhinaus geltend gemachte Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 4 StGB stellt eine bloße Mutmaßung dar. Davon, daß er nur untergeordnet an der erpresserischen Entführung beteiligt war, kann füglich ebensowenig die Rede sein wie von einer besonders verlockenden Gelegenheit zur Flucht. Schließlich liegt ein abnormer Geisteszustand (§ 34 Abs 1 Z 1 StGB) bei ihm nicht vor.

Insgesamt hat sich der Oberste Gerichtshof daher zu einer Reduktion der verhängten Freiheitsstrafen nicht bestimmt gefunden.

Die Kostenersatzpflicht der Angeklagten gründet auf § 390 a StPO.

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