OGH 10ObS133/98a

OGH10ObS133/98a28.4.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Steinbauer als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Karlheinz Kux (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag.Maria Pree (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Roland W*****, vertreten durch Dr.Edeltraud Bernhart-Wager, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen, Linke Wienzeile 48-52, 1061 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1.Dezember 1997, GZ 7 Rs 338/97w-33, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 27.Juni 1997, GZ 6 Cgs 53/94i-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Sozialrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Revision sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 19.4.1994 hat die beklagte Partei den Unfall des Klägers vom 26.7.1993 nicht als Arbeitsunfall anerkannt und Leistungen gemäß § 173 ASVG abgelehnt. In der dagegen erhobenen Klage behauptet der Kläger, daß sich der Unfall auf dem Weg von der Arbeitsstätte zu seinem Wohnort ereignet habe und daher als Arbeitsunfall im Sinne des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG anzusehen sei.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil die beim Unfall vorgelegene Alkoholisierung des Klägers die Lösung vom Betrieb bewirkt habe, so daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Unfall und der die Versicherung begründenden Beschäftigung nicht vorliege.

Das Erstgericht stellte fest:

Der Kläger fuhr am 26.7.1993 nach Arbeitsende gegen 19,00 Uhr und einer nachfolgenden Besprechung mit dem Vorgesetzten über den Arbeitsablauf des nächsten Tages gegen 19,30 Uhr von der Arbeitsstätte in A***** in Richtung seines Wohnortes in L*****. Auf dieser Strecke zwischen W***** und E***** kam er in einer Rechtskurve etwa gegen 20,30 Uhr von der Fahrbahn ab, wobei sich der PKW überschlug. Der Kläger erlitt eine Gehirnprellung mit epiduralem Hämatom links, offener Schläfen- und Hinterhauptfraktur sowie Schädelbasisfraktur und Hautabschürfungen am linken Oberschenkel. Die dem Kläger eindeutig zuordenbare ihm abgenommene Blutprobe wies einen Blutalkohol von 158,6 mg/dl auf. Dies entspricht einem Blutalkoholwert von 1,3 %o. Es kann weder festgestellt werden, daß der Kläger vor dem Unfall keinen Alkohol konsumiert hat noch in welcher Menge er Alkohol konsumierte. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 10 vH.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß durch das Vorliegen der Alkoholisierung von 1,3 %o im Unfallszeitpunkt der Zusammenhang mit der Arbeit gelöst worden sei und daher das Feststellungsbegehren auf Vorliegen eines Arbeitsunfalles keine Grundlage habe. Es wies daher das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es verneinte die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens, hielt die Beweisrüge für nicht begründet und verwies in rechtlicher Hinsicht auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichtes (§ 500 a ZPO).

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger bzw fehlender Sachverhaltsfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpfbare Feststellung einer Alkoholisierung des Klägers von 1,3 %o im Unfallszeitpunkt führt allein noch nicht zwingend zum Ausschluß des Versicherungsschutzes. Ein Anspruch auf eine Leistung aus der Unfallversicherung ist dann zu verneinen, wenn die Alkoholisierung die rechtlich erhebliche Ursache für den Eintritt des Versicherungsfalles war. Eine durch Alkoholgenuß herbeigeführte Verkehrsuntüchtigkeit wird dann als rechtlich wesentliche Ursache eines Arbeitsunfalles angesehen, wenn Einflüsse der betrieblichen Tätigkeit bei der Verursachung des Unfalles soweit zurücktreten, daß diese auch als wesentliche Mitursache nicht in Frage kommen. Dann jedoch, wenn der Zusammenhang zwischen Alkoholgenuß und Unfall rein zufällig war und der dem Alkohol innewohnende Gefahrenbereich für den eingetretenen Schaden nicht ursächlich war, geht auch im Falle einer Alkoholisierung der Versicherungsschutz nicht verloren (Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung 3, 79.Lfg Rz 345 zu § 8 SGB VII; SSV-NF 3/65, 4/49).

Aus dem Promillegehalt der Alkoholisierung allein kann ein individuell unterschiedlicher von den Umständen des Einzelfalles abhängiger Zustand der den Unfall herbeiführenden Fahruntüchtigkeit, der den Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit löst, nicht abgeleitet werden (Brackmann aaO Rz 348 f). Nach den Feststellungen hat sich der Unfall auf dem Heimweg von der Arbeitsstätte ereignet, ohne daß sich ein Umweg oder eine Lösung des zeitlichen Zusammenhanges mit der versicherten Tätigkeit ergeben hätte. Der Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem zur Verletzung führenden Unfall wäre daher grundsätzlich gegeben, wenn nicht eine für den Unfall kausale Alkoholisierung vorlag. Ein Wegunfall im Sinn des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG wäre daher nicht auszuschließen.

Entsprechend den auch in Sozialrechtssachen geltenden Grundsätzen der

Beweislastverteilung trifft den Kläger die objektive Beweislast für

die rechtsbegründenden Tatsachen. Der Kläger hat daher den kausalen

Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall

nachzuweisen (SSV-NF 5/10). Dabei sind aber im Verfahren über einen

sozialversicherungsrechtlichen Anspruch aus Arbeitsunfällen die

Regeln des Anscheinsbeweises modifiziert anzuwenden (SSV-NF 5/140 =

JBl 1992, 469; 9/15 ua). Auch dann, wenn noch andere Ursachen in

Betracht kommen, muß nur feststehen, daß die Körperschädigung eine

typische Folge eines als Unfall zu wertenden Ereignisses ist, das im

örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die

Versicherung begründenden Beschäftigung stand und daher ein

Arbeitsunfall war. Dieser Anscheinsbeweis wird nur dann entkräftet,

wenn der Möglichkeit eines anderen Geschehens zumindest die gleiche

Wahrscheinlichkeit wie dem Arbeitsunfall zukommt (SSV-NF 5/140 = JBl

1992, 469 = DRdA 1992, 443; SSV-NF 9/15).

Der Kläger war zum Zeitpunkt des Unfalles alkoholisiert; der Blutalkoholwert lag bei 1,3 %o und überschritt damit die im Straßenverkehr zulässige Grenze beträchtlich. Der Unfall ereignete sich, weil der Kläger in einer Kurve von der Fahrbahn abkam und damit auf eine Art, die geradezu typisch für Unfälle ist, die die Folge der Alkoholbeeinträchtigung des Lenkers sind. Unter diesen Umständen spricht alles dafür, daß sich der Unfall deswegen ereignete, weil der Kläger sein Fahrzeug in beträchtlich alkoholsiertem Zustand lenkte. Der beklagten Partei ist damit vorerst der Beweis des ersten Anscheins gelungen, daß der Unfall seine Ursache nicht in den üblichen Gefahren des Arbeitsweges hatte, sondern die Folge der Alkoholisierung des Klägers war. Die objektive Beweislast dafür, daß nicht die Alkoholisierung, sondern andere Ursachen den Unfall auslösten, trifft unter diesen Umständen den Kläger. Nur wenn erwiesen werden sollte, daß Gründe, die mit der alkoholbedingten Verkehrsuntauglichkeit in keinem Zusammenhang standen (idS SSV-NF 3/65) für den Unfall ursächlich waren; als solche kämen etwa ein technisches Gebrechen am Fahrzeug oder ein verkehrswidriges Verhalten eines Dritten, das auch einem verkehrstüchtigen Lenker eine unfallverhütende Reaktion nicht ermöglicht hätte, in Frage, wäre der Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nicht gelöst.

Über den Unfallhergang liegen bisher keine genaueren Feststellungen vor. Insbesondere ergibt sich aus dem Sachverhalt, den die Vorinstanzen ihren Entscheidungen zugrundelegten, nicht, ob und welche äußeren Gründe für das Abkommen des Klägers von der Fahrbahn ursächlich waren bzw ob ein anderes Fahrzeug in den Unfall involviert war.

Vorläufig sprächen, wie erwähnt, alle Umstände dafür, daß die Alkoholisierung der Anlaß für den Unfall war. Da gemäß § 87 Abs 1 ASGG die Beweisführungspflicht für die zu beweisenden Tatsachen nicht eine einzelne Partei trifft, weil in Sozialrechtsverfahren bloß die objektive nicht aber die subjektive Beweislast besteht, das Gericht die Beweise von Amts wegen aufzunehmen hat (SSV-NF 9/15), ist die Unfallursache und die Bedeutung der Alkoholisierung für das Unfallgeschehen zu erheben und festzustellen. Beweislastfragen stellen sich erst dann, wenn das Gericht diese für die Entscheidung wesentlichen Fragen nicht oder nicht vollständig feststellen kann (SSV-NF 6/119). Erst dann trifft den Versicherten die objektive Beweislast dafür, daß andere Umstände als die Alkoholisierung Ursache des Unfalles waren und daher der Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nicht gelöst wurde.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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