OGH 8ObA94/98a

OGH8ObA94/98a16.4.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rohrer und Dr.Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Dietmar Strimitzer und Dr.Heinz Nagelreiter als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Herbert K*****, Arbeiter, ***** vertreten durch Dr.Felix Spreitzhofer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Otto V***** GmbH, ***** vertreten durch Dr.Peter Ponschab, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 52.104,90 brutto abzüglich S 20.962,-- netto (Revisionsinteresse S 994,-- brutto), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21.November 1997, GZ 9 Ra 270/97k-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 7.Jänner 1997, GZ 21 Cga 355/96w-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 1.223,04 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 203,84 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrte den Klagsbetrag von S 52.104,90 brutto abzüglich S 20.946,-- netto sA mit dem Vorbringen, er sei vom 23.4. bis 2.7.1996 bei der beklagten Partei als Maler- und Anstreicher beschäftigt gewesen. Vom 19.6. bis 1.7.1996 habe er sich im Krankenstand befunden. Als er sich nach diesem wieder zur Arbeitsaufnahme gemeldet habe, sei ihm mitgeteilt worden, er werde nicht mehr gebraucht. Er begehre daher neben restlichem Lohn und Entgeltfortzahlung bis 2.7.1996 unter anderem auch ein Fahrgeld von S 994,-- brutto (für die Gesamtdauer seines Arbeitsverhältnisses).

Die beklagte Partei bestritt das Klagsvorbringen, beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor, der Kläger sei am 18.6.1996 vorzeitig ausgetreten. Ein Fahrgeld stehe ihm nach dem Kollektivvertrag mangels Vereinbarung nicht zu.

Der Zuspruch des Entgelts sowie des dem Kläger fortzuzahlenden Entgelts für die Zeit des Krankenstandes des Klägers ist in Teilrechtskraft erwachsen; im Revisionsverfahren ist nur mehr der Zuspruch eines Teilbetrages von S 994,-- brutto aus dem Titel Fahrgeld strittig.

Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers ist der Kollektivvertrag für das Maler-, Anstreicher-, Lackierer-, Schilderhersteller-, Vergolder- und Staffierer- und Industriemalergewerbe anzuwenden. Der Kläger befand sich nach Beginn des Arbeitsverhältnisses am 23.4.1996 bei der beklagten Partei vom 19.6. bis 1.7.1996 im Krankenstand. Der Kläger war auf einer Arbeitsstätte eingesetzt, die von der Werkstätte der beklagten Partei weiter als 3 km (Luftlinie) entfernt ist.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze, dh einschließlich des Fahrgeldes von S 994,-- brutto, Folge und führte insoweit aus, dieser Teilanspruch des Klägers sei berechtigt, weil sich aus dem Zweck des Kollektivvertrages ergebe, daß dem Arbeitnehmer die Fahrtkosten für das Zurücklegen von Wegstrecken über 3 km Luftlinie von der Werkstätte des Arbeitgebers zu ersetzen seien, weil der Arbeitsbeginn jeweils in den Firmenräumlichkeiten erfolge. Auch wenn der Arbeitnehmer direkt von seiner Wohnstätte zur Baustelle fahre, stehe ein derartiger Anspruch zu.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und erklärte die Revision für zulässig. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, der Argumentation der beklagten Partei, der Kläger habe keinen Anspruch auf Fahrgeld, sei nicht zu folgen. Nach Art XIII des Kollektivvertrages seien Fahrgelder voll zu bezahlen, wenn zwischen Werkstätte und Arbeitsstätte mehr als 3 km Luftlinie lägen. Art XIV des Kollektivvertrages sehe für den Fall, daß die Arbeitsstätte außerhalb des Sitzes des Arbeitgebers liege und die Anfahrt mehr als eine halbe Stunde betrage, vor, daß dies als Arbeitszeit zu berücksichtigen sei (Wegegeld). Eine betragsmäßige Festlegung des Fahrgeldes durch die Kollektivvertragsparteien sei nicht erfolgt, sodaß offensichtlich der der Höhe nach hier nicht mehr bestrittene tatsächliche Aufwand abgegolten werden solle. Es sei davon auszugehen, daß die Kollektivvertragsparteien vernünftige, zweckentsprechende, praktisch durchführbare Regelungen im Sinne eines Ausgleiches der sozialen und wirtschaftlichen Interessen treffen wollten. Die Zeiten der Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zählten regelmäßig nicht zur Arbeitszeit und seien nur ausnahmsweise zufolge besonderer kollektivvertraglicher Regelungen zu vergüten (DRdA 1994/6). Hingegen werde, ausgehend von einem Arbeitsantritt im Betrieb, die Fahrt von dort zur Arbeitstätte im Regelfall eine Dienstreise im Rahmen der Arbeitszeit sein, die ohnehin entweder mit den Betriebsmitteln des Arbeitgebers durchzuführen sei oder zu entsprechenden Ansprüchen auf Kilometergeld führe. Wenn die Kollektivvertragsparteien nun eine Regelung vereinbarten, wonach die Fahrgelder voll zu bezahlen seien, wenn die Entfernung zwischen Werkstätte und Arbeitsstätte mehr als 3 km Luftlinie betrage, so hätten sie im wesentlichen den Fall erfaßt, daß der Arbeitnehmer direkt von der Wohnung zur Baustelle fahre. Auch die Formulierung des Kollektivvertrages bringe nicht zum Ausdruck, daß die Regelung nur dann gelten solle, wenn der Arbeitnehmer vorweg in den Betrieb fahre.

Die Revision sei zulässig, da es sich um eine Frage der Auslegung des Kollektivvertrages handle.

Nur gegen den Zuspruch eines Teilbetrages von S 994,-- aus dem Grund des Fahrgeldes richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Berufungsurteil in diesem Umfange abzuändern und diesen Teilbetrag abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund - der Auslegung einer Kollektivvertragsbestimmung kommt regelmäßig wegen des größeren Personenkreises der hievon betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erhebliche Bedeutung im Sinne des § 46 Abs 1 ASGG zu - zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Kollektivvertrag für das Maler-, Anstreicher-, Lackierer-, Schilderhersteller-, Vergolder- und Staffierer- und Industriemalergewerbe lautet (auszugsweise):

"XIII. Fahrgeld

Fahrgelder sind voll zu bezahlen, wenn die Entfernung zwischen der Werkstätte und der Arbeitsstätte über drei Kilometer Luftlinie beträgt.

XIV. Wegegeld

Bei Arbeiten außerhalb des Ortes, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat, wird der Mehraufwand an Zeit zur Erreichung des Arbeitsplatzes bzw zur Rückkehr von demselben, soweit er mehr als eine halbe Stunde beträgt, als Arbeitszeit gerechnet und bezahlt.

XV. Landzulage

a) Arbeitnehmer, die vom Betrieb auf eine außerhalb des Betriebssitzes gelegene Arbeitsstelle entsendet werden, erhalten den für den Betriebssitz geltenden Lohn und haben, sofern sie nicht täglich zu ihrer Wohnung zurückkehren können, Anspruch auf eine Landzulage als Abgeltung für Kost. Die Zulage ist zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor Beginn der Arbeit zu vereinbaren und

....."

In Art XVI sind verschiedene Erschwerniszulagen im Ausmaß von 10 bis 20 % enthalten.

Die grundsätzliche Zweiteilung von Entgelt und Aufwandersatz ergibt sich einerseits aus § 1152 ABGB und andererseits aus den §§ 1151 Abs 2 und 1014 ABGB (grundlegend Wilhelm, Entgeltliche und unentgeltliche Arbeitsverhältnisse in Tomandl, Hrsg, Entgeltprobleme aus arbeitsrechtlicher Sicht, 1, 5 f unter Hinweis auf das Leistungsinteresse). In den Fällen der Entgeltfortzahlung (EFZG; § 8 AngG; §§ 116 ff ArbVG; § 6 UrlG ua) wird diese Zweiteilung ganz selbstverständlich in dem Sinn vorausgesetzt, daß in den verschiedenen Fällen der Entgeltfortzahlung dem Arbeitnehmer das Entgelt fortzuzahlen ist, nicht aber der Aufwand, der im Falle des Unterbleibens der Arbeitsleistung typischerweise gar nicht entsteht.

Zusätzlich zu dieser Unterscheidung von Entgelt und Aufwandersatz ist der weite Entgeltbegriff des Arbeitsrechtes zu berücksichtigen, wonach es bei der Vergütung des Arbeitgebers für die Überlassung der Arbeitskraft durch den Arbeitnehmer "nicht auf die Bezeichnung, sondern nur auf die tatsächliche Funktion der Leistung" ankommt (SZ 50/46 = JBl 1979, 215).

Die gewählten Bezeichnungen Fahrgeld und Wegegeld in Art XIII und XIV des Kollektivvertrages legen die Auslegungshypothese nahe, daß es sich dabei um diese Unterscheidung von Aufwand und Entgelt für Arbeitswege handelt, die durch die Weisung des Arbeitgebers zur Tätigkeit an einer auswärtigen Arbeitsstätte veranlaßt werden. Die Besonderheit der Arbeitsleistung eines Malers und Anstreichers usw besteht darin, daß diese Arbeiten zum Großteil nicht in der Werkstätte des Arbeitgebers zu verrichten sind, sondern an auswärtigen Arbeitsstätten. Während der Arbeitsweg von der Wohnung des Arbeitnehmers zum Betrieb (Werkstätte) regelmäßig keinen Anspruch auf Entgelt und Aufwandersatz bewirkt und außerhalb der Arbeitszeit liegt (vgl § 2 Abs 1 Z 1 AZG), besteht für den Mehraufwand an Zeit zur Erreichung des Arbeitsplatzes bzw zur Rückkehr bei Arbeiten außerhalb des Ortes, an dem der Arbeitgeber seinen Sitz (Werkstätte) hat, ein Anspruch auf Wegegeld gemäß Art XIV des Kollektivvertrages. Damit wird die Inanspruchnahme der Zeit des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber in den Fällen abgegolten, in denen der Arbeitnehmer über Auftrag des Arbeitgebers für den Weg zu einer auswärtigen Arbeitsstätte einen zeitlichen Mehraufwand hat.

Es ist nicht anzunehmen, daß die Kollektivvertragspartner für ein und dieselbe Zeitspanne eine doppelte Leistung vorsehen, daß nämlich neben dem Wegegeld auch noch das Fahrgeld den zeitlichen Mehraufwand abgelten soll. Das Fahrgeld ist somit ein Aufwandersatz für den Fall, daß der Arbeitnehmer zwischen der Werkstätte und der Arbeitsstätte einen Weg von über 3 km Luftlinie - mit einem öffentlichen Verkehrsmittel oder mit dem eigenen Fahrzeug - zurückzulegen hat. Bei der den Kollektivvertragspartnern zu unterstellenden Sachgerechtigkeit (RdW 1996, 489 = DRdA 1996, 524) gewinnt der sprachliche Unterschied zwischen Fahrgelder sind voll zu bezahlen (Art XIII) und dem zeitlichen Mehraufwand in Art XIV an Bedeutung und zwar im Zusammenhalt mit den in Art XIII angeführten Entfernungen und der in Art XIV angeführten, der Arbeitnehmersphäre jedenfalls zugeordneten Wegzeit von 30 Minuten. Bei raschem Gehtempo bzw in städtischen Verkehrsverhältnissen üblichen Wartezeiten für öffentliche Verkehrsmittel bzw Zeiten der Parkplatzsuche entspricht eine Wegstrecke von 3 km Luftlinie annähernd einem hiezu erforderlichen Zeitaufwand von 30 Minuten. Das Fahrgeld ist voll unter der weiter angeführten Bedingungen - Entfernung der Werkstätte und der Arbeitsstätte über 3 km Luftlinie - zu bezahlen und nicht etwa nur das zusätzliche Fahrgeld (zB bei Ersatz von Kilometergeld). Insoweit ist die Auslegung des Berufungsgerichtes zutreffend, der die typisierende Erwägung zugrundeliegt, der Arbeitnehmer fahre direkt von seiner Wohnung zur Arbeitsstätte. Für den Fall, daß er die Arbeit in der Werkstätte antritt und sich sodann unter Mitnahme von ihm in der Werkstätte zur Verfügung gestellten Material und Werkzeug an die auswärtige Arbeitsstätte begibt, steht ihm dieser Fahrgeldersatz ebenso zu, wie in dem Fall, daß er sogleich zur mehr als 3 km von der Werkstätte entfernten Arbeitsstätte fährt.

Was die Höhe des Fahrtkostenersatzes betrifft, hat das Erstgericht für den Zeitraum der tatsächlichen Arbeitsleistung vom 23.4. bis 18.6.1996 einen diesbezüglichen Aufwand des Klägers von S 994,-- angenommen. An diese im Rahmen der rechtlichen Beurteilung getroffene, unbekämpft gebliebene Feststellung ist der Oberste Gerichtshof gebunden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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