OGH 10ObS131/98g

OGH10ObS131/98g14.4.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Wilhelm Koutny und Dr.Heinz Paul (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef N*****, Landwirt, ***** vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr.Michael Stögerer, Rechtsanwalt in Wien, wegen vorzeitiger Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Dezember 1997, GZ 8 Rs 319/97h-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 2.Juli 1997, GZ 8 Cgs 491/96h-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 4.6.1996 lehnte die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Bauern den Antrag des am 9.2.1941 geborenen Klägers vom 16.11.1995 auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit mit der Begründung ab, daß nach dem Ergebnis der Ermittlungen bzw der ärztlichen Untersuchung dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht gegeben sei. Es seien daher zum Stichtag 1.3.1996 nicht alle Voraussetzungen für den Pensionsanspruch erfüllt.

In der gegen diesen Bescheid fristgerecht eingebrachten Klage auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem Stichtag machte der Kläger geltend, daß er an starken Abnützungserscheinungen am gesamten Stütz- und Bewegungsapparat, Beschwerden am linken Kniegelenk, der Wirbelsäule und den Schultern sowie unter Atemnot und Herzjagen leide. Er sei daher nicht mehr in der Lage, längere Zeit zu stehen oder zu gehen bzw schwere Lasten zu heben oder zu tragen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Voraussetzung für die Zuerkennung einer vorzeitigen Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit sei das Bestehen der dauernden Erwerbsunfähigkeit im Sinn des § 122c Abs 1 Z 2 BSVG. Nach dem Ergebnis der fachärztlichen Begutachtung sei der Kläger nicht als dauernd erwerbsunfähig in diesem Sinne anzusehen, sodaß sein Antrag abzuweisen gewesen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger eine vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit im gesetzlichen Ausmaß ab 1.3.1996 zu gewähren und bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von S 8.500 monatlich zu erbringen. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Der Kläger ist in der Lage, alle leichten und mittelschweren Arbeiten, drittelzeitig auch Schwerarbeiten zu den üblichen Zeiten mit den üblichen Pausen auszuführen. Nach etwa 20 Minuten Schwerarbeit sollte er leichte und mittelschwere Arbeiten durchführen. Vollschichtige Schwerarbeiten sind ihm nicht mehr zumutbar. Ausgeschlossen sind Arbeiten, die an höher exponierten Stellen (Leitern und Gerüsten) sowie Arbeiten vorwiegend über Kopf und Arbeiten, die ein häufiges Bücken erfordern (mehr als fünfmal in der Stunde) und vorwiegend in hockender oder knieender Körperhaltung durchzuführen seien. Der Kläger bebaut eine Weingartenfläche von 2,70 ha. Seine Ehefrau betreibt einen kleinen Heurigen, für den der Wein produziert wird, der aber auch im Faß verkauft wird. Ansonsten versorgt die Ehefrau des Klägers den Haushalt. Er selbst macht alle im Betrieb erforderlichen Arbeiten, insbesondere die Spritz- und Schneidearbeiten im Weingarten, das Anbinden der Reben und die Kellereiarbeiten.

In rechtlicher Hinsicht bejahte das Erstgericht die dauernde Erwerbsunfähigkeit des Klägers. Gerade im Weingarten gebe es eine Vielzahl von Tätigkeiten, die ein Arbeiten vorwiegend über Kopf und ein häufiges Bücken erforderten. Diese Körperhaltungen seien beim Kläger ausgeschlossen. Unter Berücksichtigung seines Alters, des festgestellten Leistungskalküls und der Tatsache, daß bei seiner Betriebsgröße seine Mitarbeit jedenfalls erforderlich sei, lägen die Voraussetzungen für den Pensionsanspruch vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung nicht Folge. Es führte aus, die Beklagte bestreite im Gegensatz zu ihrem Standpunkt vor dem Erstgericht nun nicht mehr die Erwerbsunfähigkeit des Klägers im Sinne des § 122c Abs 1 Z 2 BSVG, sondern mache erstmals geltend, daß die Zuerkennung einer vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit nicht möglich sei, wenn ein Versicherter seinen landwirtschaftlichen Betrieb weiterführe und nicht aus der Pflichtversicherung ausgeschieden sei, sondern eine Erwerbstätigkeit ausübe, weil gemäß § 122 Abs 1 Z 4 eine Pensionsvoraussetzung sei, daß der Versicherte am Stichtag nicht der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliege, wenn der Einheitswert des landwirtschaftlichen Betriebes 33.000 S übersteige. Mit diesem erstmals in der Berufung erhobenen Einwand verstoße die Beklagte gegen das im sozialgerichtlichen Rechtsmittelverfahren geltende Neuerungsverbot. Dieses Neuerungsverbot umfasse unter anderem auch das Verbot, neue Einreden und neue Tatsachen geltend zu machen. Das Neuerungsverbot sei von Amts wegen zu beachten, auf die Rüge des Rechtsmittelgegners komme es nicht an. Neue rechtliche Gesichtspunkte alleine verstießen noch nicht gegen das Neuerungsverbot, sofern das bisherige Tatsachenvorbringen zugrundegelegt werden könne. Gerade dies sei aber hier nicht der Fall, weil die Beklagte in erster Instanz kein Vorbringen zu einer aufrechten Pflichtversicherung oder weiter aufrechten Erwerbstätigkeit des Klägers und zu einem bestimmten Einheitswert des landwirtschaftlichen Betriebes des Klägers erstattet habe. Unzulässige Neuerungen seien ebenso unbeachtlich wie allfällige, über das Prozeßvorbringen der Parteien hinausgehende "überschießende" Feststellungen. Weiters sei aber auch darauf hinzuweisen, daß die Aufgabe der Erwerbstätigkeit gar keine Anspruchsvoraussetzung der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit sei, deren Fehlen zur Ablehnung des Pensionsantrages führe. Eine allfällige Erwerbstätigkeit hindere nicht die Zuerkennung der Pension. Die Pension falle jedoch mit der Erwerbstätigkeit weg bzw lebe mit Ende der Erwerbstätigkeit wieder auf (§ 122c Abs 2 BSVG). Da die Beklagte jedoch in erster Instanz in diese Richtung keine anspruchshemmenden Einwendungen erhoben habe, sei hierauf nicht weiter einzugehen. Da von der Beklagten im Berufungsverfahren andere Einwendungen als die genannten unzulässigen Neuerungen nicht erhoben worden seien, habe die Berufung erfolglos bleiben müssen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt die Abänderung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens oder auszusprechen, daß die Pension gleichzeitig mit ihrer Zuerkennung weggefallen sei, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit nach § 122c Abs 1 BSVG in der am Stichtag 1.3.1996 geltenden Fassung hat unter anderem der Versicherte nach Vollendung des 55.Lebensjahres, wenn er 1. die Wartezeit erfüllt hat, 2. innerhalb der letzten 36 Kalendermonate vor dem Stichtag 24 Beitragsmonate der Pflichtversicherung oder innerhalb der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag 36 Beitragsmonate der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nachweist und infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außerstande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die der Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat und wenn dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war. § 122c Abs 2 BSVG in der hier maßgebenden Fassung durch das BGBl 1995/297 ordnet an, daß die Pension gemäß Abs 1 mit dem Tag wegfällt, an dem der Versicherte eine Erwerbstätigkeit ausübt, die das Entstehen eines Anspruches gemäß § 122 Abs 1 Z 4 ausschließen würde. Ist die Pension aus diesem Grund weggefallen und endet die Erwerbstätigkeit, so lebt die Pension auf die dem Versicherungsträger erstattete Anzeige über das Ende der Erwerbstätigkeit im früher gewährten Ausmaß mit dem dem Ende der Erwerbstätigkeit folgenden Tag wieder auf. Nach der im § 122 Abs 1 Z 4 BSVG für die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer getroffene Regelung darf der Versicherte am Stichtag weder der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem BSVG (bei einem 33.000 S übersteigenden Einheitswert), dem ASVG, dem GSVG oder dem FSVG unterliegen noch aus sonstigen selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeiten ein Erwerbseinkommen über der Geringfügigkeitsgrenze beziehen. Aus den dargestellten Bestimmungen folgt, daß die Aufgabe der die Versicherung begründenden Beschäftigung keine Voraussetzung für den Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit nach § 122c Abs 1 ASVG war, daß diese Pension jedoch mit dem Tag wegfiel, an dem der Versicherte eine Erwerbstätigkeit ausübte. Wird also zum Pensionsanfall dieser Leistung auch eine Erwerbstätigkeit ausgeübt und daraus ein Erwerbseinkommen erzielt, das die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt, ist (wie dies auch einer Empfehlung des Hauptverbandes entspricht) gleichzeitig mit der Zuerkennung der Pension ein Wegfall auszusprechen (MGA ASVG 64.ErgLfg 1298/17 Anm 2 zu § 253d; SSV-NF 9/28). Aus dem bisher Gesagten folgt zunächst, daß die Frage des Anspruchs auf die vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit von der Frage ihres Wegfalls nach § 122c Abs 2 BSVG zu trennen ist.

Die Revisionswerberin ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes der Auffassung, es handle sich bei dem Vorliegen der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung durch Weiterführung des landwirtschaftlichen Betriebes nicht um eine neue Tatsache, zumal das Erstgericht festgestellt habe, daß der Kläger eine Weingartenfläche von 2,70 ha bebaut und alle im Betrieb erforderlichen Arbeiten macht. Das Erstgericht hätte folglich nach Ansicht der Revisionswerberin von sich aus den Urteilsspruch dahingehend ergänzen müssen, ohne daß dies von der Beklagten ausdrücklich hätte beantragt werden müssen. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Da es sich bei dem dargestellten Wegfall der Pension infolge Ausübung einer Erwerbstätigkeit, die das Entstehen eines Anspruches gemäß § 122 Abs 1 Z 4 BSVG ausschließen würde, um einen die Pensionsauszahlung hemmenden Umstand handelt, war er nicht von Amts wegen, sondern nur über Einwendung der Beklagten wahrzunehmen. Wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, hat die Beklagte weder auf den Wegfall der Pension nach § 122c Abs 2 BSVG hingewiesen noch auch vorgebracht, daß der Kläger weiterhin der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem BSVG (bei einem 33.000 S übersteigenden Einheitswert) unterliege oder aus sonstigen selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeiten ein Erwerbseinkommen beziehe, das die Geringfügigkeitsgrenze übersteige. Zumindest nachdem der Kläger im Verfahren erster Instanz informativ befragt angegeben hatte, daß er einen Weingarten bebaue und dort alle Arbeiten verrichte, wäre es Sache der Beklagten gewesen, auf die nach wie vor bestehende Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem BSVG hinzuweisen und ein konkretes Vorbringen zum Einheitswert des landwirtschaftlichen Betriebes zu erstatten. Das Erstgericht war auch nicht verpflichtet, die Beklagte zu einem entsprechenden Vorbringen anzuleiten, weil die erhöhte Anleitungspflicht nach § 39 Abs 2 ASGG nur für Parteien gilt, die nicht Versicherungsträger sind und auch nicht durch eine qualifizierte Person vertreten werden. Da die Beklagte im Verfahren erster Instanz jedoch weder den Wegfall der Pension nach § 122c Abs 2 BSVG geltend machte noch das dazu erforderliche Vorbringen erstattete, war das Erstgericht nicht veranlaßt, den Wegfall der zuerkannten Pension zu prüfen. Die erst in der Berufung erhobenen Einwendungen wurden daher vom Berufungsgericht zutreffend dem Neuerungsverbot unterstellt und demgemäß für unbeachtlich angesehen. Die hier vertretene Auffassung steht auch nicht im Widerspruch zu der bereits zitierten Entscheidung SSV-NF 9/28: Dort hatte die Beklagte bereits in erster Instanz den Wegfall der Pension ausdrücklich eingewendet.

Der Oberste Gerichtshof hat in einem anderen Zusammenhang ausgesprochen, daß dann, wenn das Arbeits- und Sozialgericht ein Urteil im Sinne des § 89 Abs 2 ASGG dem Grunde nach fällt, es dem Versicherungsträger nicht verwehrt ist, bei der Festsetzung der endgültigen Höhe der Leistung im Bescheid das gänzliche oder teilweise Ruhen der zuerkannten Leistung auszusprechen (SSV-NF 6/116; zust Fink, Die sukzessive Zuständigkeit, 522). Ob dieser Grundsatz auch für den Ausspruch des Wegfalls der Pension nach § 122c Abs 2 BSVG gilt, braucht im vorliegenden Verfahren nicht erörtert zu werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

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