OGH 7Ob83/98a

OGH7Ob83/98a26.3.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter K*****, vertreten durch Dr.Michael Hule und Dr.Eric Heinke, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei V***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Reinhold Kloiber und Dr.Ivo Burianek, Rechtsanwälte in Mödling, wegen S 204.446,-- sA (Revisionsinteresse S 170.000,-- sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 23. Oktober 1997, GZ 15 R 123/97m-55, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 28.März 1997, GZ 37 Cg 142/94z-50, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 9.135,-- (darin S 1.522,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat für sein Wohnhaus in W*****, B*****straße 81, bei der beklagten Partei eine Haushaltsversicherung mit Sturmschadenschutz zu den Allgemeinen Bedingungen für Haushaltsversicherungen (ABH 1984) abgeschlossen. Diese Bedingungen lauten auszugsweise:

"Abschnitt I Art.1.A "Versicherte Gefahren": "Der Versicherer bietet nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen Versicherungsschutz gegen Schäden an versicherten Sachen (Art.4) durch ...

c) Sturm, Hagel ..."

"Unter Sturmschaden im Sinne dieser Bedingungen werden solche Schäden verstanden, welche an den versicherten Sachen durch einen außerordentlich heftigen Wind (Spitzengeschwindigkeit von mehr als 60 km/h) verursacht werden. Für die Feststellung der Spitzengeschwindigkeit ist im einzelnen Falle die Auskunft der Zentralanstalt für Meterologie und Geodynamik maßgebend;

Abschnitt II Art 3 (1): "Der Versicherer ersetzt den Wert bzw die Wertminderung der versicherten Sache, wenn diese durch die unmittelbare Einwirkung eines der in Art. 1A angeführten versicherten Ereignisse nach der Maßgabe des Art 2 zerstört, beschädigt oder entwendet werden oder die Zerstörung oder Beschädigung ...

c) dadurch hervorgerufen wird, daß Teile des Gebäudes, in dem sich der Wohnungsinhalt befindet bzw benachbarter Gebäude oder andere Gegenstände (wie zB Bäume, Maste usw) durch ein Ereignis gemäß Art 2

(2) lit.a auf die versicherten Sachen geworfen werden."

Am 1.September 1991 um 5,30 Uhr öffnete die Haushälterin der klagenden Partei im obersten Stockwerk die Terrassentür des Schlafzimmers und die Zimmertüre sowie die Terrassentüre jenes Raumes, in dem später die Vase zu Bruch ging, und sicherte die Türen. Zu dieser Zeit wehte bereits erheblicher Wind. Um ca 8 Uhr wurde die Vase von einem Windstoß mit einer Windgeschwindigkeit von weniger als 60 km/h erfaßt, ist dadurch auf das darunterliegende Gesims aus Marmor gefallen, hat dieses beschädigt und ging selbst zu Bruch. Die Jugendstilvase mit Seidenblumen hatte einen Verkehrswert von S 170.000,--.

Laut Auskunft der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik von 21.9.1994 wehte am 1.9.1992 gegen 8 Uhr MEZ im Raum W*****, B*****straße 81, starker Wind aus Richtung West. Die Böenspitzen lagen über 60 km/h.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von letztlich S 204.446,-- sA. Am 1.9.1992 habe gegen 8 Uhr im Bereich seines Hauses ein Sturm im Sinne der ABH geherrscht, wodurch die auf einer Stellage aufgestellte Vase im oben dargestellten Wert zu Boden geschleudert und dabei zerbrochen sei. Die Reparatur des Steinbodens habe einen Betrag von S 38.500,-- erfordert.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß der eingetretene Schaden selbst nach dem Klagsvorbringen kein Schaden im Sinne eines typischen Sturmereignisses sei, da auf die Vase kein unmittelbar relevanter (über 60 km/h) heftiger Wind eingewirkt habe, sondern bestenfalls ein Luftzug mit einer darunterliegenden Geschwindigkeit. Sollte die Vase durch das Öffnen der Terrassentüre tatsächlich einem Sturm mit über 60 km/h ausgesetzt worden sein, wäre das Aufstellen der Vase, deren Bestückung mit langstieligen Kunstblumen sowie insbesondere das Öffnen der Terrassentür bzw die Kombination dieser Komponenten als grob fahrlässiges Verhalten des Klägers anzusehen, weshalb die beklagte Partei gemäß § 61 VersVG leistungsfrei sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Aufgrund seiner (zufolge der ergänzenden Feststellung des Berufungsgerichtes rechtlich überholten) Feststellung, daß am Vorfallstag nur ein Wind mit einer Geschwindigkeit von höchstens 59,4 km/h geherrscht habe, folgerte es rechtlich, daß kein Sturmschaden im Sinne der ABH 1984 vorgelegen sei.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil teilweise in eine Klagsstattgebung hinsichtlich eines Teilbetrages von S 170.000,-- samt 4 % Zinsen ab und wies das Mehrbegehren von S 35.500,-- hinsichtlich der Reparatur des Steinbodens sowie das Zinsenmehrbegehren aus dem zugesprochenen Betrag (beides unbekämpft) ab. Es erklärte die Erhebung der ordentlichen Revision in Ansehung des der Klage stattgebenden Teiles für zulässig. Nach einer Beweisergänzung durch Verlesung der Auskunft der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik vom 21.9.1994 kam das Gericht zweiter Instanz zu der eingangs erwähnten Feststellung über die zur Vorfallszeit herrschenden Spitzengeschwindigkeiten des Windes. Es folgerte rechtlich, daß die ABH 1984 den schadensverursachenden Sturm damit definierten, daß im Schadenszeitpunkt in unmittelbarer Umgebung der versicherten Sache Windbewegungen mit einer Geschwindigkeit von über 60 km/h herrschten, weiters, daß zur Feststellung dieser Geschwindigkeit im Einzelfall eine Auskunft der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik einzuholen sei. Damit werde (§ 64 VersVG idF des BGBl 1994/509 sei auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden) die Einholung eines bindenden Schiedsgutachtens vereinbart, das das Gericht, sofern es nicht offensichtlich unrichtig sei, binde. Überschreite die Windgeschwindigkeit 60 km/h im Schadenszeitpunkt, sei von einem Sturmschaden im Sinne der zitierten Bedingungen auszugehen. Die Beschädigung eines versicherten Gegenstandes müsse aber nicht durch einen diese Geschwindigkeit erreichenden Luftzug verursacht worden sein, vielmehr genüge es, daß der Wind im Nahebereich der Schadensstelle 60 km/h überschritten habe, weil nach dem maßgebenden Sprachgebrauch des täglichen Lebens zu einem Sturm auch Anlauf- und Zwischenphasen hinzuzurechnen seien. Die Berufung komme auf den Einwand, daß der Versicherungsfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt worden sei, nicht mehr zurück.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der beklagten Versicherung ist nicht berechtigt.

Sturm als versicherte Gefahr und Schadenursache im Sinne der vorliegenden Versicherungsbedingungen unterscheidet sich von anderen versicherten Schadenursachen der Sachversicherung dadurch, daß nicht sämtliche adäquaten Folgen eines Sturmes in Form von Sachschäden oder Abhandenkommen versichert sind, sondern nur solche Fälle, bei denen einer der in den Versicherungsbedingungen vorgeschriebenen Kausalabläufe zum Schaden geführt hat. Dementsprechend beschränken sich die Sturmschadensversicherungsbedingungen auf die positive Aufzählung der versicherten Kausalabläufe (vgl Martin, Sachversicherungsrecht3 E II Rz 13 f). Der Versicherungsnehmer muß zunächst die Tatsache des Sturmes, sohin eine wetterbedingte Luftbewegung von mehr als 60 km/h, im Nahebereich des versicherten Objektes beweisen (vgl Martin aaO Rz 17 und 21). Der nach den vorliegenden Versicherungsbedingungen einzuholenden Auskunft der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik über die Windgeschwindigkeiten zum Vorfallszeitpunkt kommt dabei die Qualität eines Schiedsgutachtervertrages, mit dem einzelne Tatsachen unbekämpft festgestellt werden, aber keine Entscheidung gefällt werden darf, zu (vgl Rechberger in Rechberger ZPO § 577 Rz 18 mwN). Zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, daß der maßgebende Sprachgebrauch des täglichen Lebens zu einem Sturm im Sinne der vorliegenden Versicherungsbedingungen auch die Anlauf- und Zwischenphasen, in denen die Windstärke von mehr als 60 km/h noch nicht erreicht ist, dazuzurechnen ist. Hat der Versicherungsnehmer durch eine entsprechende Auskunft der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik nachgewiesen, daß im Vorfallszeitpunkt im Nahebereich des versicherten Objektes Windgeschwindigkeiten von mehr als 60 km/h herrschten, so ist es ohne Belang, daß die Zerstörung eines versicherten Objektes schon mit einer geringeren Windgeschwindigkeit erfolgte bzw möglich gewesen wäre. Dem Versicherer steht bei Feststehen dieser Tatsache nur mehr die Einwendung offen, daß der Schaden auf eine Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers bzw dessen grobe Fahrlässigkeit zurückzuführen ist. Eine Obliegenheitsverletzung wurde von der Revisionswerberin nicht geltend gemacht, darüber hinaus hat sie die für die Annahme grober Fahrlässigkeit erforderlichen Tatsachenabläufe in ihrer Berufung nicht als fehlend vermißt. Der Umstand, daß die Haushälterin um 5,30 Uhr des Vorfalltages bei schon heftigerem Wind die Türen im Haus des Klägers zum Lüften geöffnet hat, bedingt für sich allein beurteilt noch keine grobe Fahrlässigkeit, da die Revisionswerberin keine Feststellung vermißt hat, daß es der Kläger ab Bemerken des aufkommenden Sturmes unterlassen hat, die Türen wieder zu schließen.

Obwohl nicht gerügt, war im Rahmen der allseitigen rechtlichen Überprüfung noch darauf einzugehen, ob der vorliegende Sturmschaden durch eine "unmittelbare Einwirkung" verursacht worden ist. Eine solche Einwirkung ist aus folgenden Gründen zu bejahen: "Unmittelbar" wirkt der Sturm ein, wenn er die zeitlich letzte Ursache des Sachschadens ist. Die Voraussetzung der "unmittelbaren Einwirkung" ist zB erfüllt, wenn versicherte Sachen durch den Druck oder den Sog aufprallender Luft beschädigt werden oder zerstört oder abhanden kommen. Auf unmittelbarer Einwirkung des Sturmes beruhen Sachschäden an beweglichen Sachen auch dann, wenn sie umgeworfen oder gar aus erhöhter Position auf eine tiefergelegene Fläche heruntergeworfen und dadurch zerbrochen oder sonstwie beschädigt worden sind.

Deckung besteht auch, wenn der Sturm eine nicht ordnungsgemäß geschlossene Tür oder ein Fenster aufdrückt (vgl Martin aaO Rz 29 f). Das Schlechtverschließen einer Türe begründet keine Obliegenheitsverletzung und keine grobe Fahrlässigkeit. Zwischen dem Versehen, eine Türe nicht ordnungsgemäß abzuschließen, sodaß sie in der Folge der Wind aufdrücken kann und einer versehentlich nicht geschlossenen Türe besteht vom Fahrlässigkeitsgehalt her beurteilt kein gravierender Unterschied. Überhaupt kann das Lüften von Räumen durch das Aufmachen von Türen und Fenstern mangels entsprechender Obliegenheitsvorschriften nicht als leistungsausschließender Vorgang gewertet werden, stellt es sich doch unter normalen Umständen als durchaus üblicher und alltäglicher Vorgang dar, der notwendig ist.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte