OGH 2Ob31/98t

OGH2Ob31/98t26.2.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schinko, Dr.Gerstenecker und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Richard M*****, vertreten durch Dr.Friedrich Krall, Rechtsanwalt in Kufstein, wider die beklagte und widerklagende Partei Dr.Eva M*****, vertreten durch Dr.Guido Liphart, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Ehescheidung, infolge Rekurses der beklagten und widerklagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 29.Oktober 1997, GZ 4 R 441/97z-123, womit die Berufung der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 30.Mai 1997, GZ 3 C 81/90-114, zurückgewiesen wurde, und infolge Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 29.Oktober 1997, GZ 4 R 441/97z-123, womit infolge Berufung der klagenden und widerbeklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 30. Mai 1997, GZ 3 C 81/90-114, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs und der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte und widerklagende Partei ist schuldig, der klagenden und widerbeklagten Partei die mit S 7.605,-- (darin S 1.267,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Parteien haben am 3.1.1975 vor dem Standesamt Innsbruck die Ehe geschlossen. Beide Teile sind österreichische Staatsbürger, der letzte gemeinsame Wohnsitz war in Innsbruck. Der Ehe entstammen zwei minderjährige Kinder.

Mit der am 12.11.1990 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte der Kläger (zunächst) die Scheidung der Ehe gemäß § 55 Abs 1 EheG und brachte hiezu vor, daß die häusliche Gemeinschaft seit April 1986 aufgelöst sei. Da die bisherige Ehewohnung in der J*****-Straße zu feucht und zu teuer gewesen sei, habe er sich um eine andere Wohnung bemüht. Es sei ihm gelungen, eine preisgünstige BUWOG-Wohnung in der R*****straße zu erhalten. Die Beklagte habe sich jedoch geweigert, mit ihm in diese Wohnung zu ziehen. Die Wiederherstellung einer der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft könne nicht mehr erwartet werden.

Mit der am 14.2.1991 eingebrachten Widerklage begehrte die Beklagte die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Klägers. Die Nebenbeschäftigungen des Klägers, die aufgrund der damit verbundenen Ausgaben mit keinem nennenswerten Zusatzeinkommen verbunden gewesen seien, hätten dazu geführt, daß dieser sich immer mehr von seiner Familie abgewandt und schließlich jegliches Interesse an der Familie verloren habe. Im Zuge der vom Kläger gehaltenen Kurse habe er seine nunmehrige Freundin kennengelernt, mit der er in der Folge zusammengezogen sei. Die Übersiedlung in die J*****-Straße sei ohne ihre Zustimmung erfolgt. Im April 1986 sei der Kläger aus der Ehewohnung ausgezogen und in die ihm zugewiesene Bundeswohnung eingezogen, wobei ihr der Zutritt ausdrücklich untersagt worden sei. Überdies habe der Kläger der Beklagten jegliche Hilfe bei ihrer Erkrankung verweigert.

Dem Scheidungsbegehren des Klägers begegnete sie mit einer Antragstellung nach § 61 Abs 3 EheG.

Im ersten Rechtsgang hat das Erstgericht mit Urteil vom 22.9.1993 die zwischen den Streitteilen geschlossene Ehe gemäß § 49 EheG aus dem beiderseitigen gleichteiligen Verschulden geschieden.

Das Berufungsgericht hat mit Beschluß vom 20.4.1994 den von beiden Parteien gegen dieses Urteil erhobenen Berufungen Folge gegeben, die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Im zweiten Rechtsgang änderte der Kläger sein Begehren dahingehend, daß er (zuletzt) den Antrag stellte, die zwischen den Streitteilen geschlossene Ehe gemäß § 49 EheG aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten zu scheiden; hilfsweise stützte er sein Scheidungsbegehren zum einen auf § 50 EheG und zum anderen auf § 55 Abs 1 und Abs 3 EheG. Er brachte dazu vor, daß die Beklagte seiner Aufforderung, ihm in die neue Wohnung in der R*****straße zu folgen, nicht Folge geleistet habe. Die Beklagte sei immer wieder einfach nicht vom Bett aufgestanden, weshalb er seinen Arbeitsplatz verlassen habe müssen, um den Haushalt und die Kinder zu versorgen. Dadurch sei es nicht nur zu enormen Einkommenseinbußen, sondern - durch den Einsatz von Familienhelferinnen zur Betreuung der Familie - auch zu zusätzlichen Kosten gekommen. Die Beklagte habe ihn wüst beschimpft und die ihr vom Kläger angebotene Übersiedlung in eine günstigere Wohnung abgelehnt. Bereits zum Zeitpunkt seines Auszuges aus der Wohnung in der J*****-Straße sei die Ehe der Streitteile sowohl subjektiv als auch objektiv unheilbar zerrüttet gewesen, weshalb die Streitteile bereits damals übereingekommen seien, einen getrennten Wohnsitz zu nehmen. Der Auszug aus der J*****-Straße sei dadurch bedingt gewesen, daß er die dort anfallende Miete aufgrund seines zu geringen Einkommens und der durch die ständigen Wohnungswechsel bedingten Kosten sowie die daraus resultierenden Darlehensverbindlichkeiten nicht mehr bezahlen habe können.

Die Beklagte wendete im zweiten Rechtsgang ergänzend ein, daß sie sich stets in einen psychisch und physisch äußerst schlechten Zustand befunden habe und ständig in ärztlicher Behandlung gewesen sei. Auch nach der Trennung vom Kläger sei sie nicht alleine dazu in der Lage gewesen, die Kinder zu betreuen. Jedenfalls seit November 1995 komme der Kläger der in einem Vergleich vereinbarten Unterhaltsverpflichtung nicht mehr nach.

Das Erstgericht wies im zweiten Rechtsgang das Klagebegehren des Inhaltes, die Ehe aus dem Verschulden der Beklagten zu scheiden, ab; es sprach jedoch aus, daß die Ehe der Streitteile gemäß § 50 EheG aus dem auf einer geistigen Störung beruhenden Verhalten der Beklagten und gemäß § 49 EheG aus dem Verschulden des Klägers mit der Wirkung geschieden werde, daß sie mit Rechtskraft seines Urteiles aufgelöst ist. Es traf hiezu im wesentlichen folgende Feststellungen:

Nach der Eheschließung bewohnten die Streitteile zunächst eine Wohnung in M*****. Da diese Wohnung sehr hellhörig und die Beklagte lärmempfindlich war, übersiedelten sie nach Innsbruck in die D*****straße in eine im 7.Stock gelegene Wohnung, die von beiden gemeinsam ausgesucht worden war. Um die Ausstattung der Wohnung ihren Bedürfnissen anzupassen, nahm der Kläger einen Kredit in Höhe von ca S 45.000 auf. Die Rückzahlungsraten für diesen Kredit entsprachen etwa der Höhe der bezogenen Mietbeihilfe. Die Beklagte hatte dem Kläger gegenüber mehrfach geäußert, sie wolle in ein eigenes Haus ziehen; in diesem Zusammenhang äußerte sie gegenüber dem Kläger auch Selbstmorddrohungen. Im Herbst 1977 gab die Beklagte ihre Stelle als Bürokraft auf, um ihr Studium fortsetzen zu können. Da sie die Wohnung in der D*****straße ablehnte, übersiedelten die Parteien im Mai 1978 in eine Wohnung in der H*****-Straße, die wiederum von beiden gemeinsam ausgesucht worden war. Diese Wohnung war nur als Übergangslösung gedacht, weil sie nur Substandard aufwies und recht dunkel war. Da die Beklagte auch diese Wohnung ablehnte, begannen kurz nach dem Einzug die Probleme neuerlich, was schließlich im Juli 1978 zu einem Selbstmordversuch der Beklagten durch Einnahme einer Packung Schlaftabletten führte. Unter dem Druck der Selbstmorddrohungen der Beklagten suchte der Kläger eine neue Wohnung, diese fanden die Streitteile am I*****rain. Es handelte sich um eine vollmöblierte und sehr sonnige Wohnung, die im August 1978 bezogen wurde. Beide Teile fühlten sich dort recht wohl, die Beklagte machte gute Studienfortschritte und insgesamt verlebten die Streitteile dort zwei recht harmonische Jahre, obwohl sie bereits damals in getrennten Zimmern nächtigten, um der Beklagten ungestörten Schlaf zu ermöglichen. Probleme traten mit der Geburt einer Tochter am 10.6.1980 auf. Seit diesem Zeitpunkt verschlechterte sich das Eheleben der Streitteile zusehends. Nach der Geburt litt die Beklagte an einer Wochenbettdepression, die durch die Tatsache der Kaiserschnittgeburt und aufgrund von Stillproblemen noch verstärkt wurde. Gleichzeitig trat bei der Beklagten wieder massiv der Wunsch in den Vordergrund, in einem eigenen Haus zu leben. Sie fand schließlich ein Haus in A*****, welches im Oktober 1980 von den Parteien bezogen und nach mehreren Mietvertragsverlängerungen bis Ende März 1985 gemietet wurde. Einer weiteren Verlängerung des Mietvertrages hatte die Vermieterin nicht zugestimmt. Die Mietkosten für das Haus betrugen beim Einzug S 500 zuzüglich S 450 Betriebskosten, sie stiegen dann auf S 3.000 zuzüglich S 500 Betriebskosten. Als die Streitteile neuerlich eine Wohnung suchten, fanden sie zunächst eine ebenfalls in A***** gelegene Wohnung, die insoferne günstig gewesen wäre, als die Tochter den bisherigen Kindergarten weiter benutzen hätte können. Nachdem beide Teile mit der Anmietung dieser Wohnung zunächst einverstanden gewesen waren, unterfertigte der Kläger den Mietvertrag. Plötzlich lehnte die Beklagte die Wohnung ab, weil ihr die nächste Haltestelle zu weit entfernt schien. Der Kläger hatte bereits die bei Unterfertigung des Mietvertrages fällig gewesenen ersten drei Monatsraten sowie die Gebühren für den Mietvertrag bezahlt. In diesem Zeitraum war den Streitteilen eine Stadtwohnung zugewiesen worden, die der Kläger jedoch mit Schreiben vom 9.8.1984 unter Hinweis auf die totale nervliche Überlastung der Beklagten und die Lage dieser Wohnung an einer stark frequentierten Straße ablehnte. Aufgrund einer dann gemeinsam erarbeiteten Vorgabe hinsichtlich Kosten und Lage einer neuen Wohnung fand die Beklagte die Wohnung in der J*****-Straße, die im Feber/März 1985 bezogen wurde. Diese Wohnung, die der Beklagten zunächst zugesagt hatte, war von den Streitteilen nur als Übergangslösung gesehen worden, weil sie verhältnismäßig teuer war. Die Miete betrug S 4.400 zuzüglich Umsatzsteuer sowie S 1.400 Betriebskosten. Bei Abschluß des Mietvertrages ging der Kläger davon aus, daß er durch das Abhalten verschiedener Kurse auf dem Gebiet der Esoterik ca S 6.000 bis S 7.000 monatlich zusätzlich verdienen könne, was aber schließlich nicht der Fall war, weil er immer wieder unerwartet im Haushalt einspringen und die Kinder versorgen mußte und aus diesem Grund geplante Kurse nicht abhalten konnte. Dies führte dazu, daß er sich schließlich nicht mehr getraute, Zusagen für bestimmte Kurse zu geben. Eine Kostenbelastung ist ihm aus der Abhaltung dieser Kurse nicht entstanden. Er war damals dringend auf ein zusätzliches Einkommen angewiesen, weil er monatlich (nur) netto S 10.000 bis S 11.000 verdiente. Von der Stadt Innsbruck erhielt er eine Mietzinsbeihilfe in Höhe von ca S 1.000 monatlich. Durch die zahlreichen Übersiedlungen war es notwendig geworden, ein Darlehen zur Abdeckung dieser zusätzlichen Kosten für Übersiedlung, Renovierung der Wohnungen, Vertragsvergebührungen und Aufwand für Wohnungssuche aufzunehmen. Außerdem waren durch Einsätze von Familienhelferinnen im Zeitraum 1984 bis September 1985 Kosten in Höhe von insgesamt S 9.000 bis S 10.000 aufgelaufen. Es kann nicht festgestellt werden, daß der Kläger seine Darlehensschulden nicht zurückzahlte. Der Kläger hatte der Beklagten auf ihren Vorwurf hin, er sei nicht zur Führung der finanziellen Gebarung in der Lage, die finanzielle Situation dargelegt. Die Beklagte gestand daraufhin ein, daß sie nicht wüßte, wie man mit den zur Verfügung stehenden Mitteln auskommen sollte. Sie sei daher nicht bereit, die "Finanzen" zu übernehmen. Ab Sommer 1985 zahlte der Kläger nicht mehr pünktlich die monatlich fälligen Mieten für die Wohnung in der J*****-Straße, weil er hiezu nicht mehr in der Lage war. Schließlich kam es zu einer Räumungsklage, die zu einem Räumungsvergleich am 31.8.1986 führte. Die Beklagte selbst erhielt 1982 von ihren Eltern in Abfertigung ihrer Erbansprüche einen Betrag von S 350.000, der jedoch nicht für die gemeinsame Haushaltsführung oder Finanzierung der Wohnungskosten verwendet, sondern von ihr in Form von Bausparverträgen angelegt wurde. Seit der Geburt des zweiten Kindes (am 27.4.1984) litt die Beklagte zunehmend an Ein- und Durchschlafstörungen und damit verbundenen Erschöpfungszuständen, wobei sich der Kläger immer um seine Frau gekümmert hat. So bemühte er sich nicht nur, der Beklagten die erforderliche ärztliche Betreuung zukommen zu lassen, sondern übernahm auch zunehmend die Betreuung der Kinder. Die Beklagte verfaßte in diesem Zeitraum eine Vielzahl von Schreiben, die der Kläger in der Früh vorfand, worin sie ihm sinngemäß mitteilte, daß sie aufgrund von Schlafstörungen in der Früh nicht aufstehen könne und daß der Kläger somit die beiden Kinder zu versorgen und allenfalls eine Fremdpflege zu organisieren habe. Weiters erstellte sie für den Kläger detaillierte Einkaufslisten für den Haushalt. Fallweise forderte sie ihn auf, entweder selbst zu Hause zu bleiben oder sonst eine Familienhelferin zu besorgen. In einem derartigen Schreiben vom 27.3.1986 kündigte sie ihren Selbstmord an. Als der Kläger am nächsten Tag morgens das Schreiben vorfand, klopfte er zunächst erfolglos an der versperrten Tür der Beklagten. Nach Verständigung und Eintreffen eines Notarztes wurde schließlich die Tür aufgebrochen, wobei die Beklagte aufrecht sitzend im Bett angetroffen wurde. In der Zeit ab Sommer 1985 bis zu seinem Auszug aus der ehelichen Wohnung im April 1986 oblag dem Kläger ein beträchtlicher Teil der Haushaltsführung bzw der Organisation und sonstigen Betreuung der beiden Kinder. Es kam wiederholt vor, daß die Beklagte mit den Kindern an der Arbeitsstelle des Klägers auftauchte und die Kinder dort "abstellte", damit sich der Kläger um sie kümmere, weil sie überfordert sei. Zumeist gestalteten sich diese Szenen von Seiten der Beklagten sehr lautstark, weil sie den Kläger heftig beschimpfte. Die Wohnung machte einen etwas verwahrlosten Eindruck, es war dort ziemlich unordentlich. Der Kläger hat durch das Abhalten diverser Kurse die Familie nicht vernachlässigt. Die Situation zwischen den Streitteilen verschlechterte sich zur Zeit des Wohnens in der J*****-Straße drastisch. Sowohl bei der Stadt Innsbruck als auch bei der BUWOG waren die Streitteile als wohnungssuchend gemeldet, wobei beide Stellen dadurch Druck auf die Streitteile ausübten, daß sie ihnen mitteilten, bei neuerlichen Absagen würden sie von der Liste der Wohnungssuchenden gestrichen werden. Im Oktober 1985 wurde ihnen vom Magistrat der Stadt Innsbruck eine Wohnung am A*****weg und von der BUWOG eine Wohnung in der R*****straße angeboten. Nach dem Vorfall vom 27.3.1986, bei dem die Beklagte einen Selbstmord angekündigt hatte, entschied der Kläger, ihrem ständigen Druck nicht mehr länger nachzugeben und sich eine für ihn finanzierbare Wohnung zu suchen, egal ob die Beklagte dort einziehen würde oder nicht. Er stellte sie vor die Wahl, entweder die Wohnung am A*****weg oder jene in der R*****straße zu nehmen. Beide Wohnungen wurden aber von der Beklagten als zu laut empfunden. Im April 1986 zog der Kläger schließlich in die Wohnung in der R*****straße, wobei es ihm nichts ausmachte, daß die Beklagte dort nicht einzog. Einen Wohnungsschlüssel händigte er ihr nicht aus, damit sie nicht in seiner Wohnung auftauche und Radau schlage. Wäre die Beklagte mit dem Kläger dort eingezogen, hätte sie einen Schlüssel bekommen. Da die Wohnung am A*****weg von der Beklagten nicht bezogen worden ist, beendete der Kläger nach 10 bis 11 Monaten das Mietverhältnis. Für ihn wäre die Finanzierung beider Wohnungen billiger gewesen als die Weiterzahlung der Miete für die Wohnung in der J*****-Straße. Einer der wesentlichen Gründe für die insgesamt sechs Wohnungswechsel der Streitteile innerhalb von 11 Jahren waren die im Hnblick auf die beiderseitigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse überzogenen Wohnvorstellungen der Beklagten, die letztlich von einem eigenen Haus mit Garten träumte. Im Zeitraum 1983/1984 lernte der Kläger B***** kennen, zu der er zunächst ein bloß freundschaftliches Verhältnis unterhielt. Nachdem der Kontakt eine Zeitlang ganz abgerissen war, nahm er Anfang 1986 wieder Kontakt zu ihr auf, weil er erfahren hatte, daß B***** einen Unfall hatte und er ihr bei der Regelung ihrer Angelegenheiten beim Arbeitsamt behilflich sein wollte. Ende 1987 begann der Kläger ein Verhältnis mit seiner nunmehrigen Lebensgefährtin B*****, mit der er ein am 27.8.1991 geborenes Kind hat. Seit dem Auszug des Klägers im April 1986 ist die Ehe der Streitteile für beide Seiten subjektiv unheilbar zerrüttet. Die Beklagte ist seit 1976 psychisch so schwer krank, daß ein Verschulden weder in Ansehung ihres Gesundheitszustandes noch in Ansehung ihres Gesamtverhaltens gegeben ist. Der Kläger seinerseits leidet seit 1983/1984 an einer chronischen Darmentzündung, weshalb er unter anderem Streß vermeiden sollte.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, daß hauptursächlich für die Zerrüttung der Ehe der ständige Druck der Beklagten gewesen sei, eine andere Wohnung zu besorgen, was mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden gewesen sei, sowie die Tatsache, daß die Beklagte sich ab Sommer 1985 kaum mehr um Haushalt und Kinder gekümmert habe. Da dieses Verhalten der Beklagten jedoch nicht als Verschulden vorwerfbar sei, müsse das Hauptbegehren des Klägers, die Ehe aus ihrem Verschulden zu scheiden, abgewiesen werden. Berechtigt sei jedoch das Begehren des Klägers, die Ehe nach § 50 EheG zu scheiden. Nach dieser Gesetzesstelle könne ein Ehegatte die Scheidung auch dann begehren, wenn die Ehe infolge eines Verhaltens des anderen Ehegatten, das nicht als Eheverfehlung betrachtet werden könne, weil es auf einer geistigen Störung beruhe, so tief zerrüttet sei, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden könne. Unter geistiger Störung seien nicht nur Geisteskrankheiten minderer Stufe, sondern auch nervöse Störungen wie Neurosen und - wie im vorliegenden Fall - auch massive Depressionen zu verstehen. Da andererseits die Beklagte eine Widerklage eingebracht habe, sei auch zu überprüfen gewesen, ob den Kläger ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. Dem Kläger sei es dabei nicht vorwerfbar, daß er seinen Verpflichtungen zur Erhaltung der Mietwohnung in der J*****-Straße nicht mehr voll nachkam, weil er hiezu gar nicht in der Lage gewesen sei. Ursache seien diesbezüglich nicht ein übermäßiger Konsum oder übermäßige Ausgaben des Klägers gewesen, sondern die ständigen Wohnungswechsel, welche aus den Forderungen der Beklagten resultierten. Die finanziellen Schwierigkeiten könnten deshalb dem Kläger nicht vorgeworfen werden, zumal er sich ohnehin bemüht habe, durch Nebenbeschäftigungen ein höheres Einkommen zu erzielen. Auch der Auszug des Klägers aus der Ehewohnung begründe kein Verschulden, weil ihm die Weiterzahlung der Miete in der J*****-Straße nicht mehr länger zumutbar und möglich gewesen sei. Wäre die Beklagte mit dem Kläger in die Wohnung in der R*****straße gezogen, so hätte er ihr einen Schlüssel ausgehändigt. Dem Kläger sei aber als Eheverfehlung vorzuwerfen, daß er nach seinem Auszug ein ehewidriges (gemeint: ehebrecherisches) Verhältnis mit B***** begründet und mit dieser sogar ein Kind gezeugt habe. Obwohl dieses Verhalten zur Zerrüttung der Ehe keinen Beitrag mehr geleistet habe, weil die Ehe zu diesem Zeitpunkt bereits beidseitig vollkommen zerrüttet gewesen sei, müsse dieser Ehebruch berücksichtigt werden, weil es sich dabei um einen absoluten Scheidungsgrund handle. Auch der bei bereits gänzlich zerrütteter Ehe oder der nach Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft begangene Ehebruch rechtfertige die Scheidung aus dem Verschulden des Ehebrechers. Da bei der Beklagten kein Verschulden feststellbar gewesen sei, habe eine Verschuldensabwägung nicht stattfinden können. Es sei rechtlich nicht von Bedeutung, daß das (schuldhafte) Verhalten des Klägers insgesamt von lediglich untergeordneter Bedeutung gewesen sei.

Das Berufungsgericht wies die Berufung der Beklagten mangels Beschwer zurück. Der Berufung des Klägers gab es Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß die Ehe der Streitteile gemäß § 50 EheG aus dem auf einer geistigen Störung beruhenden Verhalten der Beklagten geschieden wurde, während das Widerklagebegehren auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Klägers abgewiesen wurde. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision zulässig sei, und führte im wesentlichen folgendes aus:

Für den Scheidungsgrund nach § 49 Ehe gelte das Verschuldensprinzip. Nicht als Eheverfehlung könne somit ein Verhalten gewertet werden, welches auf einer geistigen Störung beruhe, die die Einsichtsfähigkeit erheblich herabsetze. Voraussetzung für eine geistige Störung sei eine von der Norm abweichende Beschaffenheit des Seelenlebens, ein krankhafter Geistes- oder Gemütszustand, bei dem der Erkrankte nicht mehr vollständig Herr seines Vorstellungswillens oder Trieblebens sei. Infolge dieser geistigen Beschaffenheit müsse der Ehegatte entweder ganz außerstande sein, die Ehewidrigkeit seines Verhaltens zu erkennen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln, oder es müsse sich die geistige Beschaffenheit seiner Fähigkeit, diese Einsicht zu gewinnen und nach ihr zu handeln, erheblich herabgesetzt haben, sodaß sein Verhalten, für das er zwar verantwortlich sei, wegen dieser herabgeminderten Verantwortlichkeit nicht als schwere Eheverfehlung gewertet werden könne. Die Bestimmung des § 50 EheG setze ein dem § 49 EheG objektiv zu unterstellendes Verhalten voraus, das aber subjektiv nicht vorwerfbar sei. Die subjektive Komponente bestehe in einer erheblichen Beeinträchtigung der Willensbildung und Kontrolle, die nicht den Grad der Unzurechnungsfähigkeit erreicht haben müsse. Dabei seien unter geistigen Störungen nicht nur Geisteskrankheiten minderen Grades, sondern auch geistig-seelische Anomalien, Formen von Psychopathie, Psychoneurosen, Zwangsneurosen, Hysterie sowie unwiderstehliche Drogen- oder Alkoholsüchte, wahnhafte Einbildungen wie Eifersuchtswahn, aber auch geistige Anomalien wie melancholische, hysterische oder psychopathische Zustände und Zwangshandlungen zu verstehen.

Daß das von der Beklagten während aufrechter Ehe gezeigte Verhalten diesen Kriterien zu unterstellen sei, könne aufgrund der unbekämpften Feststellungen des Erstgerichtes ebenso wie der Umstand, daß dieses objektiv als massiv ehezerstörend einzustufende Verhalten der Beklagten die Ursache für die Zerrüttung der Ehe der Streitteile war, vorangestellt werden.

In Anbetracht dieser Umstände erscheine es hier tatsächlich als grob unbillig, dem Kläger das Alleinverschulden anzulasten. Das Berufungsgericht stütze sich dabei auf die zur Bestimmung des § 61 Abs 2 EheG entwickelte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Nach § 61 Abs 2 EheG sei auch ohne Erhebung einer Widerklage auf Antrag des Beklagten auszusprechen, daß den Kläger ein Verschulden treffe, wenn die Ehe lediglich aufgrund der Vorschriften der §§ 50 bis 52 EheG geschieden werde und der Beklagte zur Zeit der Erhebung der Klage oder später auf Scheidung wegen Verschuldens des Klägers klagen hätte können. Hätte der Beklagte bei Klageerhebung das Recht, die Scheidung wegen Verschuldens des Klägers zu begehren, bereits verloren gehabt, so sei dem Antrag gleichwohl stattzugeben, wenn dies der Billigkeit entspreche. Ein solcher Schuldantrag des Beklagten nach § 61 Abs 2 EheG sei dann rechtsmißbräuchlich, wenn eine Gesamtwürdigung des Eheverlaufes und des Verhaltens beider Ehegatten vor und nach der Zerrüttung der Ehe ergebe, daß eine einseitige Schuldfestsetzung gegen den Kläger der Billigkeit grob widerspreche. Sei ein wesentlicher Grund für die Zerrüttung der Ehe das Verhalten des mit der geistigen Störung behafteten Ehepartners gewesen, so habe der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, daß es diesfalls grob unbillig wäre, dieses Verhalten völlig außer acht zu lassen und die Ehe auf eine Art zu scheiden, die den Kläger so stelle, als hätte sein Gegner mit einer auf alleiniges Verschulden des Klägers gestützten Klage Erfolg gehabt. Eine korrespondierende, den Gedanken des Schutzes vor Rechtsmißbrauch erkennen lassende Regelung finde sich auch in der Bestimmung des § 49 zweiter Satz EheG. Danach könne derjenige die Scheidung nicht begehren, der selbst eine Verfehlung begangen habe, wenn nach Art seiner Verfehlung, insbesondere wegen des Zusammenhanges der Verfehlung des anderen Ehegatten mit seinem eigenen Verschulden, sein Scheidungsbegehren bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt sei.

Vorliegendenfalls sei davon auszugehen, daß das eheliche Verhältnis zwischen den Streitteilen durch das über Jahre hinweg gesetzte Verhalten der Beklagten untragbar geworden sei und letztlich zu einer für beide Seiten gegebenen unheilbaren Zerrüttung der Ehe im April 1986 geführt habe. Es könne dem Kläger nicht als Verschulden angelastet werden, wenn er, nachdem er zunächst jahrelang seinen ehelichen Verpflichtungen in einem weit überdurchschnittlichen Ausmaß nachgekommen sei, sich letztlich nach Eintritt der unheilbaren Zerrüttung der Ehe von seiner Ehegattin abgewandt habe und - nahezu zwei Jahre nach Eintritt der Zerrüttung der Ehe - ein ehebrecherisches Verhältnis zu einer anderen Frau eingegangen sei. Von einem (erheblichen) Verschulden des Klägers am Scheitern der Ehe könne diesfalls keine Rede mehr sein.

Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hinzuweisen, daß dem Kläger der Wohnungswechsel nicht als Eheverfehlung angelastet werden könne, habe es doch triftige finanzielle Gründe hiefür gegeben und sei er doch mit dem Anbot des Klägers an die Beklagte, mit ihm in die neue Wohnung zu ziehen, verbunden gewesen.

Es werde nicht verkannt, daß ein Mitverschuldensantrag im Falle einer auf § 47 EheG gestützten Widerklage dem in einer solchen Klage enthaltenen Antrag auf Ausspruch nach § 60 Abs 1 EheG nach Art eines Eventualbegehrens nachgeordnet anzusehen sei und demnach hier die Voraussetzungen jener Bestimmung, zu der die oben angeführte Judikatur entstanden sei, nicht gegeben seien. Es sei aber kein Grund ersichtlich, warum die vom Obersten Gerichtshof entwickelten Grundsätze nicht in analoger Anwendung auch dann Platz greifen könnten, wenn die Beklagte nicht nur einen der Klage entgegengehaltenen Schuldantrag stelle, sondern eine Widerklage erhebe. Auch die Widerklage würde zu demselben grob unbilligen Ergebnis in der Weise führen, daß das zerrüttungswesentliche Verhalten der Beklagten völlig außer acht bleibe und die Ehe auf eine Art geschieden würde, die den Kläger als Alleinschuldigen darstellen würde. Dies erscheine im Lichte der oben zur Darstellung gebrachten Judikatur als grob unbillig, weshalb die Widerklage hier als rechtsmißbräuchlich eingebracht abzuweisen sei.

Eine solche in eine Scheidung aus dem Verschulden des Klägers mündende Lösung würde auch im Widerspruch zum Schikaneverbot stehen. Schikane liege nämlich nicht nur dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bilde, sondern bereits dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein krasses Mißverhältnis bestehe.

Nur am Rande sei dabei für den vorliegenden Fall anzumerken, daß der Beklagten nicht das Recht auf Durchsetzung der Ehescheidung genommen werde, weil ja aufgrund der Klage des Klägers ohnehin die Scheidung nach § 50 EheG auszusprechen gewesen sei.

Der vom Erstgericht vorgenommene Ausspruch eines (Allein-)Verschuldens des Klägers wegen des von ihm begangenen Ehebruches sei jedoch darüberhinaus im Lichte der wohl nicht mehr vollinhaltlich aufrechtzuerhaltenden Lehre vom Ehebruch als absoluten Scheidungsgrund zu hinterfragen. Ausgang zu nehmen sei dabei zwar von der (früheren) Judikatur des Obersten Gerichtshofes zum § 47 EheG. Nach dieser Judikatur handle es sich beim Ehebruch um einen absoluten Ehescheidungsgrund; eine objektive ehezerrüttende Wirkung des Ehebruches sei anders als bei der Bestimmung des § 49 EheG demnach nicht Voraussetzung; auch der bei bereits gänzlich zerrütteter Ehe oder der nach Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft begangene Ehebruch rechtfertige nach dieser Judikatur die Scheidung aus dem Verschulden des Ehebrechers. Sowohl die neuere Judikatur des Obersten Gerichtshofes (zur Verschuldensabwägung bei der Scheidung) als auch ein Teil der Lehre sei jedoch von der apodiktischen Aufrechterhaltung dieses Grundsatzes abgewichen; mehrfach sei festgehalten worden, daß einem Ehebruch, der nach der Ehezerrüttung begangen wurde, keine entscheidende Rolle mehr zukommen könne; auch beim Ehebruch als schwerster Eheverfehlung gegen die eheliche Treuepflicht solle es demnach darauf ankommen, ob und wie weit der Ehebruch zur Zerrüttung der Ehe beitrug. Voll zur Entfaltung gelange der Grundsatz der absoluten Wirkung des Scheidungsgrundes des Ehebruches demnach vor allem noch dort, wo es darum gehe, daß zB trotz einer gemäß § 59 Abs 2 EheG eingetretenen Verfristung noch auf den Ehebruch als Scheidungsgrund Bedacht genommen werden könne.

Sei der Ehebruch nicht Ursache, sondern Folge einer Ehezerrüttung gewesen, sei also die Ehe schon vor dem Ehebruch zerbrochen gewesen, möge dies auf Umstände, die keiner der beiden Gatten zu verantworten habe, oder aber auf das Verschulden des Ehebrechers oder des anderen Gatten zurückzuführen sein, so könne keiner der Ehegatten den Ehebruch in dem Sinn als ehezerstörend empfinden, daß dadurch die lebendige Gemeinschaft zerstört worden wäre, die ja schon vor dem Ehebruch nicht mehr bestanden habe. Nach Schwind (in ÖJZ 1983, 197 f) solle ein Verschulden, das sich in einem Zeitpunkt manifestiere, in dem die Ehe bereits unheilbar zerrüttet sei, begriffsmäßig weder Scheidungs- noch Zerrüttungsverschulden sein können. Auch der Oberste Gerichtshof habe in seiner Judikatur Tendenzen erkennen lassen, die Lehre vom Ehebruch als absoluten Scheidungsgrund aufzuweichen. Mehrfach sei bereits ausgesprochen worden, daß es auch beim Ehebruch als schwerster Eheverfehlung gegen die eheliche Treuepflicht darauf ankommen solle, ob und inwieweit er zur Zerrüttung der Ehe beigetragen habe und welches Gewicht ihm im Vergleich zu den Eheverfehlungen des anderen Ehegatten zukomme. Das Berufungsgericht verkenne dabei nicht, daß diesen Entscheidungen die Frage der Verschuldensaufteilung zweier schuldhaft handelnder Ehegatten zugrunde gelegen habe; in 3 Ob 540/93 habe der Oberste Gerichtshof die Frage, ob der Ehebruch gemäß § 47 EheG ein absoluter Scheidungsgrund sei, ausdrücklich dahingestellt bleiben lassen.

Die Rechtsprechung, die sohin eindeutige Tendenzen in Richtung einer Abkehr von der Lehre des Ehebruches als absolutem Scheidungsgrund erkennen lasse, finde sich dabei im Einklang mit Tendenzen der Gesetzgebung, die im Strafrechtsänderungsgesetz 1996 BGBl 1996/762 zum Ausdruck kämen, wo die gerichtliche Strafbarkeit des Ehebruches in Wegfall gebracht worden sei (früher: § 194 StGB).

Auf einen lange nach der endgültigen und unheilbaren Zerrüttung der Ehe begangenen Ehebruch könne daher ein Verschuldensausspruch nicht gestützt werden, weil ein solcher Ehebruch weder Einfluß auf die Zerrüttung der Ehe gehabt haben könne noch in seinen Auswirkungen eine relevante Verletzung der Treuepflicht gegenüber dem Ehegatten darstellen könne.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob die vom Obersten Gerichtshof zum § 61 Abs 2 EheG entwickelten Grundsätze allenfalls auch dann anwendbar seien, wenn eine auf Verschulden des Klägers abzielende Widerklage der Beklagten vorliege, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle. Bei der Beurteilung der Frage, ob dem Ehebruch nach wie vor die Wirkung eines absoluten Ehescheidungsgrundes zukomme, könne sich das Berufungsgericht nur auf Teile der Lehre und auch in der Judikatur des Obersten Gerichtshofes erkennbare Tendenzen stützen, wobei der Lehre jedoch eine Vielzahl gegenteiliger Entscheidungen entgegenstünden.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der Beklagten wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Ehe gemäß § 50 bzw § 60 Abs 2 EheG aus dem (Allein-)Verschulden des Klägers geschieden werde; hilfsweise wird beantragt, der Widerklage unter Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers stattzugeben, im Falle der Abweisung der Widerklage den Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 2 EheG aufzunehmen, oder schließlich die Scheidung der Ehe gemäß § 55 EheG unter Stattgebung der Widerklage samt Verschuldensausspruch zu Lasten des Klägers vorzunehmen; schließlich werden hilfsweise auch Aufhebungsanträge gestellt. Ferner ist den Rechtsmittelausführungen zu entnehmen, daß sich die Beklagte auch durch die Zurückweisung ihrer Berufung gegen das erstgerichtliche Urteil beschwert erachtet, was als Rekurs gegen den Zurückweisungsbeschluß des Berufungsgerichts zu werten ist.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, und hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurecht mangels Beschwer zurückgewiesen. Die Beklagte strebte in ihrer Berufung den Ausspruch des alleinigen, jedenfalls des überwiegenden Verschuldens des Klägers an. Das Erstgericht hat bei der Scheidung der Ehe der Streitteile aber ohnehin ein Verschulden nur auf Seiten des Klägers, somit dessen Alleinverschulden, festgestellt. Der spruchmäßigen Anführung von Absätzen des § 61 EheG bedurfte es hiebei nicht. Auch die Rüge, über einen Verschuldensantrag sei von Amts wegen im Urteilstenor zu entscheiden, ist im Hinblick auf den Verschuldensausspruch des Erstgerichtes nicht verständlich.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht erstgenannten Grund zulässig, sie ist aber ebenfalls nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit und Mangelhaftigkeit liegen nicht vor, welche Beurteilung keiner Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO). Mit ihren Ausführungen unter diesen Revisionsgründen macht die Rechtsmittelwerberin im wesentlichen unrichtige rechtliche Beurteilung geltend.

In ihrer Rechtsrüge verweist die Rechtsmittelwerberin auf die behaupteten schweren Eheverfehlungen des Klägers, insbesondere den auch nach Zerrüttung der Ehe nicht zu vernachlässigenden Ehebruch, das ehewidrige Verhältnis, den mangelnden Beistand und die außer Streit gestellte Verletzung von Unterhaltspflichten, und bestreitet die Rechtsmißbräuchlichkeit der Widerklage.

Hiezu wurde erwogen:

Wird eine Ehe aufgrund einer Klage auf Scheidung aus anderen Gründen (hier: § 50 EheG) und einer Widerklage wegen Verschuldens geschieden und trifft nur einen Ehegatten ein Verschulden, so ist gemäß § 61 Abs 1 EheG dieses Alleinverschulden im Scheidungsurteil auszusprechen (Gruber in Schwimann2 § 61 EheG Rz 1). Auch ohne Erhebung einer Widerklage kann gemäß § 61 Abs 2 EheG im Falle einer Scheidung aufgrund der §§ 50 bis 52 EheG auf Antrag des Beklagten ausgesprochen werden, daß den Kläger ein Verschulden trifft. Träfe bei einer Scheidung aufgrund des § 50 EheG den geistig gestörten Beklagten - seine geistige Gesundheit vorausgesetzt - selbst ein Verschulden, so wäre es nach der Rechtsprechung unbillig, dieses Verhalten des Beklagten völlig außer acht zu lassen und auf seinen Antrag gemäß § 61 Abs 2 EheG das Alleinverschulden des Klägers auszusprechen. § 61 Abs 2 EheG ist daher so auszulegen, daß ein Verschuldensausspruch unterbleibt, wenn das Verhalten des Beklagten verglichen mit dem des Klägers zur Ehezerrüttung ebenso oder noch schwerer beigetragen hat und daher eine einseitige Schuldfeststellung gegen den Kläger der Billigkeit grob widerspricht. Der Verschuldensantrag des Beklagten ist in einem solchen Fall als Rechtsmißbrauch sittlich nicht gerechtfertigt, weshalb ein Verschuldensausspruch unterbleibt (SZ 44/66; EFSlg 54.480; RIS-Justiz RS0057233, RS0057224; Gruber aaO Rz 6).

Dem Berufungsgericht ist zuzustimmen, daß diese Grundsätze auch dann Anwendung finden können, wenn der beklagte Ehegatte nicht einen Verschuldensantrag gemäß § 61 Abs 2 EheG stellt, sondern eine Widerklage erhebt. Für eine unterschiedliche Behandlung besteht kein Grund. Auch im Falle einer Widerklage wäre es grob unbillig, das für die Zerrüttung der Ehe wesentliche Verhalten des mit einer geistigen Störung behafteten Ehegatten völlig außer acht zu lassen und die Ehe auf eine Art zu scheiden, die den Kläger als allein Schuldigen hinstellt. Nicht nur ein Verschuldensantrag, sondern auch eine Widerklage kann daher rechtsmißbräuchlich sein, wenn das Verhalten des beklagten Ehegatten zur Zerrüttung der Ehe ebenso oder noch schwerer beigetragen hat wie das Verhalten des Klägers. In einem solchen Fall wäre die Ehe gemäß § 50 EheG (ohne Verschuldensausspruch) zu scheiden und die Widerklage abzuweisen.

Dies bedeutet für den vorliegenden Fall zunächst, daß das festgestellte, die Ehe zerrüttende Verhalten der Beklagten, das nur deshalb nicht als Eheverfehlung zu werten ist, weil es auf einer geistigen Störung beruht, in die Betrachtung einzubeziehen und dem Verhalten des Klägers gegenüberzustellen ist. Was dessen Eheverfehlungen anlangt, so muß der vom Berufungsgericht ebenfalls als erheblich bezeichneten Frage, ob dem Ehebruch die Wirkung eines "absoluten Ehescheidungsgrundes" zukommt (vgl Schwimann in Schwimann2 § 47 EheG Rz 2 mwN), nicht weiter nachgegangen werden, weil sich die Berufungsentscheidung schon dann als zutreffend erweisen würde, wenn der Beitrag des Klägers zur Ehezerrüttung nicht schwerer wiegt als der Beitrag der Beklagten. Nach der jüngeren Rechtsprechung spielt ein - wie hier - nach völliger Zerrüttung der Ehe begangener Ehebruch bei der Gewichtung des Verschuldens jedenfalls keine entscheidende Rolle (RIS-Justiz RS0057338, vgl Gruber aaO § 60 EheG Rz 10). Was die außer Streit gestellte Verletzung der Unterhaltspflicht anlangt, so wäre nur eine schwere Verletzung scheidungsrelevant (Schwimann aaO § 49 EheG Rz 13 mwN). Dies kann hier nicht angenommen werden, weil nur außer Streit steht, daß der Kläger seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht voll nachgekommen ist, und weil die Beklagte die finanziellen Schwierigkeiten des Klägers - wenn auch aufgrund geistiger Störung - selbst durch ihre überzogenen Wohnvorstellungen und ungenügende Haushaltsführung jedenfalls mitverursacht hat.

Insgesamt ergibt sich bei der Gesamtwürdigung des von den Vorinstanzen festgestellten Verlaufes der Ehe und des Verhaltens beider Ehegatten vor und nach der Zerrüttung der Ehe, daß das Verhalten der Beklagten zur Zerrüttung der Ehe zumindest ebenso beigetragen hat wie das hiedurch erst ausgelöste Verhalten des Klägers. Das Berufungsgericht hat daher zutreffend von einer einseitigen Schuldfestsetzung zu Lasten des Klägers Abstand genommen, die Ehe gemäß § 50 EheG ohne Verschuldensausspruch geschieden und die auf Verschulden des Klägers gestützte Widerklage abgewiesen.

Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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