OGH 4Ob4/98m

OGH4Ob4/98m27.1.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Jennifer K*****, geboren am *****, und der mj. Carina K*****, geboren am *****, beide vertreten durch die Mutter Sabine K*****, diese vertreten durch Dr. Hermann Tschiderer und andere Rechtsanwälte in Reutte, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Kinder gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 10. Oktober 1997, GZ 52 R 176/97g-19, mit dem der Beschluß des Bezirksgerichtes Reutte vom 28. August 1997, GZ 1 P 816/96a-15, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Die mj. Jennifer K***** und die mj. Carina K***** sind die ehelichen Kinder des Walter K***** und der Sabine K*****. Die Ehe der Eltern wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Reutte vom 13. Dezember 1994 rechtskräftig geschieden. In einem anläßlich der Scheidung geschlossenen Vergleich vereinbarten die Eltern, daß die Obsorge für beide Kinder künftig der Mutter allein zustehen sollte. Der Vater verpflichtete sich,

"ab 1. Dezember 1994 bis auf weiteres, längstens bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit der beiden Kinder, einen monatlichen Unterhaltsbeitrag in der Höhe des jeweiligen Regelbedarfes, derzeit je S 2.370,-- für die mj. Jennifer und Carina K***** zu Handen der Mutter Sabine K***** bei Exekution zu bezahlen. Im Falle wesentlicher Änderungen der Verhältnisse wird der gesetzliche Unterhalt gemäß § 140 ABGB geschuldet."

Walter K***** verpflichtete sich weiters, seiner geschiedenen Ehegattin monatlich S 6.500,-- an Unterhalt zu zahlen. Die die Kinder betreffenden Vereinbarungen wurden pflegschaftsbehördlich genehmigt.

Der Vater war bis 27.12.1993 bei der Firma S***** als Baupolier beschäftigt. In den Monaten April bis Dezember 1993 hat er durchschnittlich S 25.624,-- verdient. Die Eltern haben sich noch während aufrechter Ehe entschlossen, 1994 die O*****-Hütte des D***** zu pachten. Der Pachtvertrag wurde für die Zeit vom 1.4.1994 bis 31.4.1995 geschlossen. Nach Punkt 2.1 des Pachtvertrages verlängert sich das Pachtverhältnis jeweils um ein weiteres Jahr, wenn es nicht von einem der Vertragspartner unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum 15. Oktober mittels eingeschriebenem Brief gekündigt wird. Im November 1996 vereinbarte der Vater mit dem Verpächter, den Vertrag mit 30.4.2001 enden zu lassen. Die Hütte ist jeweils von Pfingsten bis zum letzten Oktoberwochenende und vom 26.12. bis zum 8.1. geöffnet.

1994 erzielte der Vater bei einem Umsatz von S 787.006,28 einen Gewinn von S 91.528,62; 1995 bei einem Umsatz von S 828.210,08 einen Verlust von S 28.670,74, 1996 bei einem Umsatz von S 776.336,08 einen Verlust von S 141.432,91. In der Bilanz für 1994 wurde der mit 10 % des Umsatzes vereinbarte Pachtzins noch nicht berücksichtigt, weil dieser erst am Jahresende zur Zahlung fällig war.

Das Erstgericht konnte nicht feststellen, daß der Vater ein Zusatzeinkommen hat. Er fährt Speedway-Rennen; 1996 kaufte er ein dafür geeignetes Motorrad; 1995 kaufte er von Doris P***** einen VW Porsche 924, Baujahr 1982, um S 70.000,--. 1996 verbrachte er mit seiner Freundin zwei Wochen in Bali und eine Woche in Teneriffa; eine Woche verbrachte er auf einem Segelschiff im ehemaligen Jugoslawien. Den Großteil der Urlaubskosten trug die Freundin des Vaters.

Die Mutter beantragt, den Unterhaltsbeitrag ab 1.7.1996 auf S 3.100,-- je Kind zu erhöhen. Die Bedürfnisse der Kinder seien stark gestiegen. Der Vater sei als Hüttenwirt in der Lage, Unterhalt in der Höhe des Regelbedarfssatzes zu leisten. Er habe ein Zusatzeinkommen als Schilehrer; im Winter 1996 habe er das H*****buffet an der Talstation bewirtschaftet. Der Vater sei aber jedenfalls auf jenes Einkommen anzuspannen, das er als Baupolier bei der Firma S***** erzielt hatte.

Der Vater spricht sich gegen die Unterhaltserhöhung aus. Er habe kein Zusatzeinkommen. Sein Einkommen sei derart gering, daß er nicht einmal den derzeitigen Unterhalt zahlen könne. Die Hütte sei jedes Jahr drei Monate lang geschlossen. Während dieser Zeit müsse er jedoch fallweise Nachschau halten.

Das Erstgericht gab dem Erhöhungsantrag statt. Der im Vergleich vereinbarte Unterhalt könne erhöht werden, weil sich die Verhältnisse wesentlich geändert hätten. Die Kinder seien zwei Jahre älter, sie gingen nunmehr in die Schule. Das Einkommen des Vaters sei zwar nicht gestiegen; er sei aber auf jenes Einkommen anzuspannen, das er als Baupolier erzielt hatte. Bei Verlängerung des Pachtvertrages habe er seine Verdienstmöglichkeiten als Hüttenwirt bereits gekannt; er könne sich daher nicht auf die zeitliche Bindung des Pachtvertrages berufen.

Das Rekursgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es den Erhöhungsantrag abwies. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Dem Vater könne nicht vorgeworfen werden, seine Tätigkeit als Baupolier aufgegeben zu haben. Einerseits müsse ihm ein Berufswechsel durchaus zugebilligt werden, andererseits habe er sich im Einvernehmen mit seiner damaligen Ehefrau und Mutter der Kinder entschlossen, die Hütte zu pachten. Bei der Unterhaltsvereinbarung sei offenbar von einem durchschnittlichen Monatseinkommen von S 14.000,-- ausgegangen worden. Die Verhältnisse hätten sich seither keineswegs verbessert; der Vater könne nur auf das dem Vergleich zugrundegelegte Durchschnittseinkommen von S 14.000,-- angespannt werden.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil die angefochtene Entscheidung der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes widerspricht; der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

Die Kinder verweisen darauf, daß die Vereinbarung der Eltern über den Berufswechsel ihnen gegenüber nicht maßgebend sei. Der Vater habe seinen Arbeitsplatz grundlos aufgegeben. Maßgebend sei das Einkommen, das er als Baupolier erzielt habe. Ein pflichtbewußter Familienvater würde sich um ein Zusatzeinkommen bemühen. Das Rekursgericht habe übersehen, daß sich der Vater im Vergleich auch verpflichtet habe, der Mutter Unterhalt zu zahlen; der im Vergleich vereinbarte Unterhalt setze ein Einkommen von S 19.750,-- voraus.

Gemäß § 140 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Den Unterhaltspflichtigen trifft die Obliegenheit, im Interesse seiner Kinder alle persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft, so gut wie möglich einzusetzen. Tut er dies nicht, so wird er so behandelt, als bezöge er Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit hätte erzielen können (SZ 63/74 mwN; Schwimann/Schwimann, ABGB**2 I § 140 Rz 59ff mwN). Der Unterhaltspflichtige darf Änderungen seiner Lebensverhältnisse, die mit Einschränkungen seiner Unterhaltspflichten verbunden wären, nur insoweit vornehmen, als dies bei gleicher Sachlage ein pflichtbewußter Familienvater in aufrechter Ehe getan hätte (stRsp ua SZ 63/74 mwN). Ein unselbständig Erwerbstätiger darf sich daher nur dann selbständig machen, wenn er damit rechnen kann, nach einer gewissen Anlaufphase wieder ein zumindest gleich hohes Einkommen wie als unselbständig Erwerbstätiger zu erzielen. Stellt sich heraus, daß in absehbarer Zeit nicht mit entsprechenden Einkünften zu rechnen ist, so muß der Unterhaltspflichtige entweder eine zumutbare Nebenbeschäftigung annehmen oder wieder unselbständig tätig werden. Der unterhaltspflichtige Unternehmer ist zunächst auf das Einkommen aus einer zumutbaren Nebenbeschäftigung und in weiterer Folge auf das Einkommen anzuspannen, das er aus einer zumutbaren selbständigen Erwerbstätigkeit erzielen könnte (6 Ob 2319/96i; 3 Ob 89/97b; RIS-Justiz RS0105668; s auch EFSlg 64.658 mwN).

Der Vater hat sich in dem anläßlich der Scheidung geschlossenen Vergleich verpflichtet, den Kindern Unterhalt in der Höhe des jeweiligen Regelbedarfes zu zahlen. Für die Bemessung des Kindesunterhaltes war demnach in erster Linie der Regelbedarfssatz und nicht das Einkommen des Vaters maßgebend. Schon aus diesem Grund kann aus der Höhe des vereinbarten Kindesunterhalts nicht auf ein bestimmtes, dem Vergleich zugrunde gelegtes Einkommen des Vaters geschlossen werden. In Berechnungen, wie sie das Rekursgericht anstellt, wäre aber jedenfalls auch der im selben Vergleich vereinbarte Unterhalt für die Mutter einzubeziehen.

Der Vater hat sich für die Aufgabe seiner Beschäftigung bei der Firma S***** und die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Hüttenwirt zwar im Einvernehmen mit seiner damaligen Ehegattin und Mutter der Kinder entschieden; daraus folgt aber nicht, daß sich die Kinder nicht auf das Einkommen berufen könnten, das der Vater als unselbständig Beschäftigter erzielt hat. Auch bei einem im Einvernehmen durchgeführten Berufswechsel müssen die weiteren Verfügungen des Unterhaltspflichtigen daran gemessen werden, was ein pflichtbewußter Familienvater in aufrechter Ehe bei gleicher Sachlage getan hätte.

Der Vater hat sich im November 1996 zu einer Verlängerung des Pachtvertrages bis 30.4.2001 entschlossen, obwohl schon das Wirtschaftsjahr 1995 mit Verlust abgeschlossen hatte und im November 1996 absehbar sein mußte, daß der Verlust in diesem Jahr noch höher sein würde. Er hat auch seine private Lebensgestaltung in keiner Weise den schlechten finanziellen Verhältnissen angepaßt. Insbesondere hat er es unterlassen, sich in den Monaten, in denen die Hütte gesperrt ist, um eine (Neben-)Beschäftigung zu bemühen. Daß seine Erklärung, nur theoretisch als Schilehrer arbeiten zu können, weil er die Hütte in der Hauptsaison von Weihnachten bis Dreikönig offenhalten müsse, nicht überzeugt, und daß es ihm auch trotz einer solchen Beschäftigung möglich wäre, fallweise in der Hütte Nachschau zu halten, bedarf keiner weiteren Begründung.

Ein pflichtbewußter Familienvater würde die Zeit, in der die Hütte geschlossen ist, dafür nützen, ein Zusatzeinkommen zu erzielen. Soweit ihn ein solches Einkommen nicht in die Lage versetzte, den Kindern entsprechenden Unterhalt zu leisten, hätte er den Pachtvertrag nicht bis 2001 verlängert, sondern sich wieder um eine Beschäftigung als Baupolier bemüht. Als Baupolier hat der Vater schon 1993 durchschnittlich S 25.000,-- monatlich verdient; er wäre daher jedenfalls in der Lage, rund S 22.000,-- monatlich zu verdienen. Ein Einkommen in dieser Höhe reichte aus, um den Kindern den begehrten Unterhalt zu zahlen.

Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben.

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