OGH 11Os117/97

OGH11Os117/9711.11.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.Novem- ber 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichts- hofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Ebner, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Grems als Schriftführer, in der Strafsache gegen Gerhard O***** wegen des Vergehens der Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens AZ 9 b E Vr 4555/91 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Antrag des Gerhard O***** auf Erneuerung des Strafverfahrens AZ 9 b E Vr 4555/91 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wird teilweise Folge gegeben; die Urteile des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23.Mai 1991 (ON 5) und des Oberlandesgerichtes Wien vom 25.März 1992 (ON 23) werden aufgehoben und die Strafsache in diesem Umfang an das Landesgericht für Strafsachen Wien zur Erneuerung des Verfahrens verwiesen.

Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Gegenstand des Strafverfahrens 9 b E Vr 4555/91 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien war eine Privatanklage des Dr.Jörg H***** gegen Gerhard O*****, weil dieser ihn in einem Artikel der Zeitschrift FORUM vom 19.März 1991 sowohl in der Überschrift als auch im Text als "Trottel" bezeichnet und hiedurch das Vergehen der Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB begangen habe. Zugleich beantragte Dr.Jörg H***** die Veröffentlichung einer Mitteilung über das anhängig gewordene Verfahren gemäß § 37 MedienG (ON 1).

Mit Beschluß vom 30.April 1991 trug das Landesgericht für Strafsachen Wien Gerhard O***** als Medieninhaber die begehrte Veröffentlichung auf. Es vertrat die Ansicht, die Bezeichnung eines anderen als "Trottel" stelle eine Beschimpfung im Sinn des § 115 Abs 1 StGB dar (ON 2).

Nach Durchführung einer Hauptverhandlung erkannte das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Urteil vom 23.Mai 1991 Gerhard O***** des Vergehens der Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB schuldig, weil er den auf Seite 24 der Ausgabe der Zeitschrift FORUM vom (richtig:) 19.März 1991 unter der Überschrift PS: "Trottel" statt "Nazi" erschienenen Artikel verfaßt und in diesem den Privatankläger Dr.Jörg H***** öffentlich beschimpft hatte; es verhängte über ihn eine Geldstrafe (ON 5, 15).

Die Beschwerde des Beschuldigten und Medien- inhabers Gerhard O***** gegen den erwähnten Beschluß auf Veröffentlichung lehnte das Oberlandesgericht Wien mit Entscheidung vom 18.März 1992 ab, seiner gegen das Urteil erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruches über die Schuld gab es nach teilweiser Wiederholung und Ergänzung des Beweisverfahrens mit Urteil vom 25.März 1992 nicht Folge; in Stattgebung der Strafberufung setzte es die Tagessatzhöhe herab (ON 23, 25).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im folgenden kurz EGMR) stellte im Urteil vom 1.Juli 1997, Nr 47/1996/666/852, im Fall O***** gegen Österreich (Nr. 2) mit sieben gegen zwei Stimmen fest, daß durch die angeführte Verurteilung des Gerhard O***** Artikel 10 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verletzt wurde. Nach Ansicht des Gerichtshofes war die Bezeichnung des Politikers Dr.Jörg H***** als "Trottel" unter Berücksichtigung der Umstände, unter denen der Artikel geschrieben wurde, nicht unverhältnismäßig (§§ 31 bis 35 der Entscheidung).

Gestützt auf diese Entscheidung des EGMR stellt der Verurteilte den Antrag auf Erneuerung des Strafver- fahrens, in welchem er die Aufhebung der erwähnten Beschlüsse des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30.April 1991 (ON 2) und des Oberlandesgerichtes Wien vom 18.März 1992 (ON 25), der angeführten Urteile beider Gerichte (ON 5 und 23) sowie des "gesamten vorange- gangenen Verfahrens bis einschließlich der Verfügung über die Anordnung der Hauptverhandlung" und die Verweisung der Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien "zur neuerlichen Prüfung der Anträge des Privatanklägers und allfälligen Einholung der Entscheidung der Ratskammer gemäß § 485 Abs 1 Z 4 StPO" anstrebt.

Dieser Antrag ist teilweise begründet.

Rechtliche Beurteilung

Mit dem am 1.März 1997 in Kraft getretenen Strafrechtsänderungsgesetz 1996, BGBl. Nr.762, wurde zur Transformation von Urteilen des EGMR in die innerstaatliche Rechtsordnung das Institut der Erneuerung des Strafverfah- rens in die Strafprozeßordnung eingeführt: Wird in einem Urteil des EGMR eine Verletzung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung des Strafgerichtes festgestellt, so ist das Verfahren auf Antrag insoweit zu erneuern, als nicht auszuschließen ist, daß die Verletzung einen für den hievon betroffenen nachteiligen Einfluß auf den Inhalt einer strafgerichtlichen Entscheidung ausüben konnte (§ 363 a Abs 1 StPO).

Die Anordnung einer Verfahrenserneuerung durch den Obersten Gerichtshof setzt demnach ein (gemäß Art 52 MRK stets endgültiges) Urteil des EGMR voraus, welches die Feststellung einer Konventionsverletzung durch eine richterliche Entscheidung oder Verfügung im Strafver- fahren beinhaltet. Außerdem muß denkbar sein, daß ohne die Konventionsverletzung eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung gefällt worden wäre. Bei Beurteilung dieser Möglichkeit ist von der Rechtsansicht des EGMR auszugehen, mag sie auch nicht geteilt werden (EBRV 33 BlgNR 20.GP 65).

Aus der demgemäß nicht zu erörternden Sicht des EGMR, der die Verurteilung des Gerhard O***** wegen des Vergehens der Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB als Verletzung des Art 10 MRK betrachtet, muß nach Lage des Falles die Möglichkeit einer nachteiligen Auswirkung auf die Urteilsfindung in erster und zweiter Instanz bejaht werden, betrifft doch der festgestellte Konventionsverstoß direkt die Frage der Strafbarkeit des inkriminierten Verhaltens.

Daher waren gemäß §§ 363 b Abs 3, 490 Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung die Urteile erster und zweiter Instanz aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zur Verfahrenerneuerung an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu verweisen. Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht (EBRV 66).

Soweit der Antrag des Verurteilten darüber hinausgeht, ist er unbegründet.

Weder die Anordnung und Durchführung der Hauptverhandlung noch die Beschlüsse über die Veröffent- lichung einer Mitteilung gemäß § 37 MedienG waren Gegenstand des zitierten Urteils des EGMR. Eine Konventionsverletzung ist insoweit nicht festgestellt (§ 363 a Abs 1 StPO).

Auch der Sache nach werden die Hauptver- handlung und die Entscheidung über die Veröffentlichung nicht von der Argumentation des EGMR erfaßt. Das Vorbringen in der Privatanklage wies auf ein Verhalten des Beschuldigten hin, das keineswegs schon vor Erhebung des gesamten Sachverhaltes unter allen in einer Hauptverhandlung möglicherweise hervorkommenden Umständen des Falles (vgl auch §§ 27 und 31 der Entscheidung des EGMR) als straflos zu bewerten war.

Für eine Veröffentlichung nach § 37 MedienG, der eine Verfahrensbeendigung ohne Schuldspruch, Ein- ziehung oder Urteilsveröffentlichung folgt, sieht zudem § 39 Abs 2 MedienG eine Entschädigung durch eine vom Bund zu vergütende Veröffentlichung über den Sachausgang und die Verpflichtung des Bundes vor, für die frühere Veröf- fentlichung ein Einschaltentgelt zu leisten.

In diesem Umfang war der Antrag daher gemäß § 363 b Abs 2 Z 3 StPO als offenbar unbegründet bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte