OGH 11Os164/97 (11Os165/97)

OGH11Os164/97 (11Os165/97)11.11.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.November 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner, Dr.Schmucker, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Grems als Schriftführer, in der Strafsache gegen Jochen Wu***** wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1 und Abs 2 erster Fall SGG und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Schöffengericht vom 30.April 1997, GZ 15 Vr 1141/96-13, sowie über seine Beschwerde gegen den zugleich mit dem Urteil gemäß § 494 a StPO gefaßten Widerrufsbeschluß nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte hierauf verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unangefochten gebliebenen Teilfreispruch enthält, wurde Jochen Wu***** (I 1) des Verbrechens nach § 12 Abs 1 und Abs 2 erster Fall SGG und (I 2) des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG schuldig erkannt.

Danach hat er (zu I) in Neufeld in der Zeit von Anfang 1995 bis Herbst 1995 den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift, nämlich Heroin

(1) in einer großen Menge gewerbsmäßig in Verkehr gesetzt, indem er wiederholt insgesamt ca 250 Gramm (7,5 Gramm Reinsubstanz) an Roland T***** und 10 Gramm (0,3 Gramm Reinsubstanz) an Gustav Wo***** weitergab;

(2) erworben und besessen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 3, 4, 5 und 5 a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der im Ergebnis Berechtigung zukommt. Zutreffend macht die Beschwerde (Z 3, richtig Z 5) geltend, daß in den Urteilsgründen Aktenstücke als Beweismittel berücksichtigt wurden, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung waren. Denn das Schöffengericht stützte seine Feststellungen zur Täterschaft des Angeklagten ausdrücklich auf die - von den den Angeklagten entlastenden Depositionen in der Hauptverhandlung vor dem erkennenden Gericht abweichenden - Aussagen des Roland T***** und des Gustav Wo***** vor der Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos Burgenland und in der Hauptverhandlung gegen Herbert E*****. Dabei verwies es bei Würdigung der Aussage des Roland T***** mehrfach auf die im Verfahren zum AZ 12 Vr 809/96, Hv 7/96 (gemeint wohl des Landesgerichtes Eisenstadt) abgelegte Aussage des Letztgenannten in der Hauptverhandlung vom 18.Dezember 1996 (Protokoll ON 40, S 277), ebenso wie auf die dort gemachten Angaben des Zeugen Wo*****, die tatsächlich nicht verlesen wurden. Nach dem Wortlaut des Protokolles über die Hauptverhandlung vom 30.April 1997 (S 89) wurden gemäß § 252 Abs 2 StPO "die beantragten Verlesungen, samt den angeschlossenen Vorstrafakten" vorgenommen. Im Akt finden sich jedoch weder die im Urteil zitierte ON 40 des Verfahrens zum AZ 12 Vr 809/96, Hv 7/96 (offensichtlich gemeint das Hauptverhandlungsprotokoll vom 18.Dezember 1996 in der Strafsache gegen Herbert E*****) noch sonstige Aktenteile aus diesem Verfahren, noch ist der genannte Strafakt gegen Herbert E***** angeschlossen oder angeschlossen gewesen. Damit konnte aber - mangels vorhandener Unterlagen - eine Verlesung der im Urteil erwähnten Vernehmungen nicht stattfinden.

Gemäß § 258 Abs 1 StPO hat das Gericht bei der Urteilsfällung ausnahmslos nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in der Hauptverhandlung vorgekommen ist. Dies gilt insbesondere für die nach dem zweiten Absatz des § 258 StPO gebotene sorgfältige und gewissenhafte Prüfung aller für und wider den Angeklagten (in der Hauptverhandlung) vorge- brachten Beweismittel, die es seiner (von gesetzlichen Beweisregeln freien) Überzeugungsbildung zugrunde zu legen hat, auf ihre Glaubwürdigkeit und Beweiskraft. Wie bereits dargelegt, hat das Erstgericht gegen dieses Verwertungsverbot betreffend nicht in der Hauptverhandlung vorgekommener (unmittelbarer oder mittelbarer) Beweisumstände bei der Sachverhaltsermittlung verstoßen. Da das Schöffengericht sohin den bekämpften Schuldspruch unter Ablehnung der Verantwortung des Angeklagten in wesentlichen Punkten auf in der Hauptverhandlung nicht verlesene Aktenstücke und damit nicht zu deren Gegenstand gemachte Beweismittel stützte, ist das Urteil insoweit im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 StPO offenbar unzureichend begründet (vgl ÖJZ-LSK 1979/303; SSt 31/2, 32/80; Foregger/Kodek StPO6 Anm zu § 281 Z 5, Mayerhofer StPO4 § 281 Z 5 E 118 f, § 258 E 8, 11 Os 47/95).

Im Hinblick auf den engen beweismäßigen Zusammenhang zwischen dem Faktenkomplex des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG mit dem Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG erschien die Aufhebung auch des Schuldspruches wegen des Vergehens geboten, um den Erkenntnisrichtern im erneuerten Verfahren eine umfassende tatsächliche und rechtliche Beurteilung des gesamten Tatgeschehens zu ermöglichen und ihre Beweiswürdigung nicht zu behindern oder in einer der Sache abträglichen Weise zu beeinflussen (Mayerhofer aaO § 289 E 8 a, 8 d, 8 dd).

Damit erübrigt sich aber ein gesondertes Eingehen auf die weiteren Beschwerdeausführungen des Angeklagten.

Mit seiner Berufung und der Beschwerde war er auf diese Entscheidung zu verweisen.

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