OGH 2Ob2281/96x

OGH2Ob2281/96x4.9.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Günter K*****, vertreten durch Dr.Otto Holter und andere Rechtsanwälte in Grieskirchen, wider die beklagten Parteien 1. Manfred M*****, und 2. O*****Versicherungs-AG, ***** beide vertreten durch Dr.Maria Weidlinger, Rechtsanwältin in Schärding, wegen S 60.482 sA, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Wels als Berufungsgericht vom 10.April 1996, GZ 23 R 97/96w-10, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Haag vom 5.Februar 1996, GZ C 613/95 -6, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Streitgegenständlich ist die Frage, ob der Erstbeklagte gegenüber dem Kläger im Vorrang war. Der Kläger fuhr auf einem 5,4 m breiten Ortschaftsweg, um nach links in eine Bezirksstraße einzubiegen. 16 m vor der Fluchtlinie dieser Bezirksstraße beginnt links - in Fahrtrichtung des Klägers gesehen - die Öffnung des Einmündungstrichters des Ortschaftsweges, der insgesamt eine Breite von 17 m erreicht. Auf dieser Höhe ist auf dem Ortschaftsweg das Vorschriftszeichen " Vorrang geben" angebracht.

Der Kläger fuhr bei Annäherung an die Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von 25 bis 28 km/h an der Fahrbahnmitte. Der Erstbeklagte fuhr mit einer Geschwindigkeit von 20 km/h auf der Bezirksstraße, um nach rechts in den Ortschaftsweg einzubiegen. Er überragte dabei die Mitte des Einmündungstrichters um 40 cm. Die Kollision ereignete sich - in Fahrtrichtung des Klägers gesehen - 11 m vor der Fluchtlinie der Bezirksstraße (und sohin 5 m nach dem Vorschriftszeichen "Vorrang geben"). Beide Fahrzeuge hielten im Zeitpunkt der Kollision noch ihre Ausgangsgeschwindigkeit ein. Die Lenker hatten gegenseitig weniger als eine Sekunde Sicht aufeinander und konnten keine unfallverhindernde Reaktion mehr setzen.

Der Kläger begehrt Schadenersatz von S 60.482 sA. Der Erstbeklagte habe im Zuge des Einbiegens wegen überhöhter Geschwindigkeit die Fahrbahnmitte überfahren. Er habe sich nicht mehr im Vorrang befunden, weil sich der Unfall 11 m vor der Fluchtlinie der Bezirksstraße ereignet habe.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung, der Kläger habe den Vorrang des Erstbeklagten verletzt. Aufrechnungsweise wendeten sie die Schadenersatzforderung des Erstbeklagten ein.

Das Erstgericht hat ausgehend vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt die Klagsforderung als zu Recht und die eingewendete Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend festgestellt und die beklagten Parteien zur Zahlung von S 60.482 sA verurteilt.

Es erörterte rechtlich, daß sich die Kollision außerhalb des Kreuzungsbereiches ereignet habe, weil an der Kollisionsstelle die Erweiterung des Einmündungstrichters des Ortschaftsweges nur ganz geringfügig sei. Dem Kläger sei nicht zumutbar, sich bis zur Höhe der Unfallsstelle vorzutasten.

Mit dem angefochtenen Beschluß hob das Berufungsgericht infolge Berufung der beklagten Parteien dieses Urteil zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es gab die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes wieder, wonach zum Kreuzungsbereich auch dessen Beginn und dessen Ende und daher die gesamte innerhalb des Mündungstrichters liegende Fläche zu rechnen sei. Der Beginn des Kreuzungsbereiches sei dort anzunehmen, wo die durch die Einmündung bedingte Verbreiterung der Fahrbahn deutlich sichtbar werde (ZVR 1992/102; ZVR 1990/155; ZVR 1989/81 ua). Die Fahrweise des Klägers habe keinesfall dem ebenfalls von der Rechtsprechung geforderten "Vortasten" entsprochen. Es komme daher darauf an, ob sich die Kollision noch außerhalb bzw bereits im Kreuzungsbereich ereignet habe.

Das Berufungsgericht erachtete noch ergänzende Feststellungen über die genaue Unfallsörtlichkeit sowie die Kollisionsposition beider Fahrzeuge für erforderlich. Erst dann werde verläßlich beurteilt werden können, ob sich der Unfall noch im Kreuzungsbereich oder bereits im Begegnungsverkehr (auf dem Ortschaftsweg) ereignet habe.

Das Berufungsgericht sprach ferner aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Es habe sich zwar in seiner Entscheidung an der höchstgerichtlichen Judikatur zur Frage des Vorranges im Kreuzungsbereich orientiert, erachte jedoch die Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf einen Fall wie den vorliegenden für überprüfungswürdig, weil es nicht Zweck der Bestimmung des § 19 Abs 7 StVO sein könne, einem das Rechtsfahrgebot nicht beachtenden Fahrzeuglenker das kollisionsfreie Überfahren der Fahrbahnmitte zu ermöglichen. Das Höchstgericht habe auch in mehreren Entscheidungen (ZVR 1995/142 ua) ausgesprochen, daß der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, der Vorrang beziehe sich auf die ganze Fahrbahn der bevorrangten Straße und gehe auch dann nicht verloren, wenn sich der im Vorrang befindliche Verkehrsteilnehmer verkehrswidrig verhalte, dann seine Wirkung verliere, wenn auch der auf der Vorrangstraße fahrende Verkehrsteilnehmer vom Wartepflichtigen nicht oder nicht aus dieser Annäherungsrichtung erwartet werden könne, also mit einer derartigen Fahrweise nicht gerechnet werden habe können.

Dagegen richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahingehend abzuändern, daß der Berufung nicht Folge gegeben und somit dem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagten Parteien beantragten in der Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben und in der Sache im Sinn der Abweisung des Klagebegehrens zu entscheiden.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Wenn das Berufungsgericht der Ansicht ist, daß der Sachverhalt in der von ihm dargestellten Richtung noch nicht genügend geklärt ist, dann kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten, eine richtige rechtliche Beurteilung der Sache vorausgesetzt (vgl RIS Justiz RS0042179).

Zum Kreuzungsbereich gehört nach der ständigen Rechtsprechung die gesamte innerhalb eines Mündungstrichters liegende Fläche. Der Bereich beginnt daher in der Regel dort, wo die durch die Einmündung bedingte Verbreiterung der Straße deutlich sichtbar wird (vgl RIS Justiz RS0073438 mit 31 Nachweisen, davon 16 veröffentlichen Entscheidungen, zuletzt ZVR 1990/155). Der Vorrang erstreckt sich auf den gesamten Kreuzungsbereich (ZVR 1982/234 ua). Von dieser Rechtsprechung abzugehen besteht kein Anlaß. Sie gilt auch für den hier zu entscheidenden Fall.

Der Rekurswerber erkennt selbst, daß der Vorrang durch ein vorschriftswidriges Verhalten des bevorrangten Verkehrsteilnehmers nicht verloren geht (ZVR 1982/239; ZVR 1990/155 ua). Das von ihm im Rekurs vorgetragene und auch vom Berufungsgericht als überlegenswert und die Zulässigkeit des Rekurses begründend angesehene Argument, es könne nicht Zweck der Bestimmung des § 19 Abs 7 StVO sein, einem das Rechtsfahrgebot nicht beachtenden Fahrzeuglenker das kollisionsfreie Überfahren der Fahrbahnmitte zu ermöglichen, trifft nicht das Wesentliche, weil der Vorrang dem Verkehrsteilnehmer nicht gestattet, sich auf der bevorrangten Verkehrsfläche vorschriftswidrig zu verhalten. Insbesondere ist auch dort beim Einbiegen § 13 Abs 1 StVO zu beachten. Verletzt der bevorrangte Verkehrsteilnehmer solche Vorschriften, begründet dies ein Mitverschulden.

Der Rekurswerber beruft sich zu Unrecht auf die Entscheidung 2 Ob 49/93 (= ZVR 1995/142; im Rekurs unrichtig ZVR 1995/92), weil sie einen anderen Sachverhalt betraf. Der bevorrangte Verkehrsteilnehmer überfuhr nämlich damals eine Sperrlinie. Damit ist aber das hier festgestellte Überfahren der - nicht durch eine Sperrlinie gekennzeichneten - Fahrbahnmitte nicht vergleichbar. Hiefür kann nicht gesagt werden, daß der Kläger mit einer derartigen Fahrweise nicht rechnen konnte und mußte.

Da somit die Rechtsansicht des Rekursgerichtes nicht zu bemängeln ist, mußte dem Rekurs der Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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