OGH 3Ob2414/96p

OGH3Ob2414/96p28.8.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Pimmer, Dr.Zechner und Dr.Hradil als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Ernst G*****, wider die beklagte Partei Barbara G*****, wegen Wiederaufnahme infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 29.Oktober 1996, GZ 43 R 913/96z-3, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und die Wiederaufnahmsklage an das zuständige Bezirksgericht Innere Stadt Wien überwiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Ehe zwischen den Streitteilen wurde am 22.3.1991 geschlossen. Bereits am 7.5.1991 brachte der Kläger beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien eine Klage auf Aufhebung und Scheidung der Ehe ein, die er am 24.5.1991 ohne Anspruchsverzicht zurückzog. Am 11.6.1991 erhob der Kläger neuerlich beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien eine Klage auf Aufhebung und Scheidung (§ 49 EheG) der Ehe (4 C 52/91i). Die Beklagte brachte eine auf § 49 EheG gestützte Wiederklage ein (4 C 89/91f des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien). Mit Teilurteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 1.April 1992, 4 C 52/91i-85, wurde die Eheaufhebungsklage abgewiesen. Der vom Kläger dagegen erhobenen Berufung wurde mit Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgericht vom 28.September 1993, GZ 43 R 3039/93-132, nicht Folge gegeben, diese Entscheidung blieb unangefochten. Über die von den Streitteilen gegeneinander erhobenen Scheidungsklagen entschied das Bezirksgericht Innere Stadt Wien mit Endurteil vom 30. Mai 1994, GZ 4 C 52/91i-166, wobei die Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden beider Streitteile geschieden wurde. Gegen den Verschuldensausspruch erhoben beide Parteien Berufung. Mit seinem Endurteil vom 28.November 1994, GZ 43 R 3058/94, 43 R 3059/94-214, gab das Landesgericht für ZRS Wien als Berufungsgericht der vom Kläger und Widerbeklagten erhobenen Berufung nicht, jener der Beklagten und Widerklägerin jedoch teilweise Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß das überwiegende Verschulden des Klägers und Widerbeklagten festgestellt wurde. Eine dagegen vom Kläger erhobene außerordentliche Revivion wurde mit Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 13.September 1995, GZ 3 Ob 1550/95-270, mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Mit seiner an das Berufungsgericht gerichteten und dort am 23. September 1996 eingelangten, auf § 530 Abs 1 Z 7 gestützten Wiederaufnahmsklage begehrt der Kläger die Wiederaufnahme 1.) des Verfahrens über die Aufhebungsklage zu 4 C 52/91i des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien samt Beseitigung der Urteile des Erstgerichtes vom 1.4.1992 und des Berufungsgerichtes vom 28.9.1993 sowie hilfsweise 2.) des Verfahrens in der Rechtssache 4 C 52/91i des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien, verbunden mit dem Verfahren 4 C 89/91f desselben Gerichtes, einschließlich der Aufhebung der in den Urteilen des Erstgerichtes und des Berufungsgerichtes enthaltenen Verschuldensaussprüche. Der Kläger sei während der Gerichtsferien des Sommers 1996 in die Kenntnis neuer Tatsachen und Beweismittel gelangt, deren Vorbringung und Benützung im früheren Verfahren eine ihm günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte. Die Beklagte habe nämlich ein außergerichtliches Geständnis insofern abgelegt, als sie gegenüber zwei Verwandten ausdrücklich erklärt habe, warum sie keiner Arbeit nachgegangen sei und auch nicht nachgehen werde: "Wir sind Künstler und wohlhabend, bei uns arbeitet man nicht!". Für das Eheaufhebungsverfahren sei daraus abzuleiten, daß die Beklagte den Kläger über ihre Arbeitswilligkeit getäuscht habe und tatsächlich habituell verlogen sei, was Erst- und Berufungsgericht als nicht erwiesen erachtet hätten, sodaß diese Klage abgewiesen worden sei. Auch für das Scheidungsverfahren ergäben sich daraus wesentliche Konsequenzen: die Feststellung dieser Äußerung der Beklagten hätte dazu geführt, daß entgegen den unglaubwürdigen Angaben der Beklagten denjenigen des Klägers Glauben geschenkt und festgestellt worden wäre, daß nur die Beklagte Handlungen gesetzt habe, die zur Zerrüttung der Ehe geführt hätten.

Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Berufungsgericht die Wiederaufnahmsklage zurück. Nach § 532 Abs 2 ZPO müsse eine auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage beim Prozeßgericht erster Instanz, wenn aber nur eine in höherer Instanz erlassene Entscheidung von dem geltend gemachten Anfechtungsgrund getroffen werde, bei dem bezüglichen Gericht höherer Instanz eingebracht werden. Das Berufungsgericht sei nur dann zuständig, wenn es die für die Wiederaufnahmsklage relevanten Beweisaufnahmen wiederholt oder ergänzt, nicht aber, wenn es die vom Erstgericht festgestellten Tatsachen übernommen habe. Das Berufungsgericht habe in beiden Verfahren keine Beweiswiederholung durchgeführt und sei von Feststellungen des Erstgerichtes weder abgegangen, noch habe es solche ergänzt. Vielmehr sei im Berufungsurteil vom 28.November 1994 ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß die Berufung des Klägers keinen Anlaß gebe, von den Feststellungen des Erstgerichtes abzugehen. Das Berufungsgericht sei in Verarbeitung umfangreichster Rechtsmittelschriften wohl verhalten gewesen, sehr ausführlich und in großem Umfang auf Sachverhaltsfragen einzugehen, doch habe dies in keinem Fall zu Überschreitungen geführt, die zu einer Zuständigkeit des Berufungsgerichtes nach § 532 Abs 2 ZPO führen könnten.

Dagegen richtet sich der "Revisions"-Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den Beschluß des Berufungsgerichtes dahin abzuändern, daß "der Wiederaufnahmsklage insofern stattgegeben werde", als dem Berufungsgericht oder dem Erstgericht die Durchführung des wiederaufgenommenen Verfahrens aufgetragen werde (offenbar gemeint:

den angefochtenen Beschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht die Durchführung des gesetzlichen Verfahrens über die Wiederaufnahmsklage aufzutragen).

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist teilweise berechtigt.

Der Rekurswerber bringt vor, daß die individuelle Zuständigkeit des Berufungsgerichtes für die Wiederaufnahmsklage deswegen gegeben sei, weil dieses - wenngleich ohne Beweiswiederholung oder -ergänzung - eine Reihe Feststellungen getroffen habe, die über diejenigen des Erstgerichtes hinausgegangen seien. Diese ergänzenden Feststellungen seien aber auch für den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers wesentlich gewesen.

Gemäß § 532 Abs 2 ZPO ist eine auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage immer bei derjenigen Tatsacheninstanz des Vorprozesses einzubringen, die die von dem Anfechtungsgrund getroffenen Feststellungen getroffen hat (EF 44.135 uva). Im Regelfall wird das Prozeßgericht individuell zuständig sein, das Berufungsgericht nur, wenn es die für die Wiederaufnahmsklage relevanten Beweisaufnahmen wiederholt oder ergänzt hat. Übernahm es die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen, ist dieses zuständig (Fasching, Lehrbuch2 Rz 2078). Die hier maßgeblichen Feststellungen im Teilurteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 1.4.1992, ON 85 lauteten:

"Die Beklagte wollte mit dem Kläger eine Familie gründen, nach der Eheschließung stellte sie sich eine Erwerbstätigkeit im vereinbarten Ausmaß vor und den Abschluß ihrer Ausbildung auf einer Hochschule. Nach der Ausbildung beabsichtigte die Beklagte eine ganztägige Berufsausübung, soweit dies von der Kinderbetreuung her möglich gewesen wäre."

Dazu führte das Berufungsgericht in seinem Urteil vom 28.9.1993, 43 R 3039/93-132, aus, daß der Kläger in erster Instanz die in der Berufung geltend gemachten Tatsachen in erster Instanz nicht vorgebracht habe, sodaß es sich hier insgesamt um unbeachtliche Neuerungen handle. Neue Tatsachen stellte somit das Berufungsgericht nicht fest.

Im das Scheidungsverfahren betreffenden Endurteil stellte das Erstgericht im Urteil vom 30.5.1994, ON 166, ua folgenden Sachverhalt fest:

"Während der Zeit der Schwangerschaft noch bis etwa Anfang September 1991 unternahm die Beklagte - unter anderem auch wegen wiederholten diesbezüglichen Drängens seitens des Klägers - verschiedene Anläufe zu Überlegungen, ob und allenfalls welche Berufsrichtung sie einschlagen könnte oder wollte. So z.B. führte sie ein Gespräch mit Stefan G***** über eine Tätigkeit durch Verkauf von Süßwaren in der Hotellerie, führte ein Kontaktgespräch mit Dr.M***** für einen eventuellen Maklerberuf, dachte an eine Tätigkeit als ORF-Sprecherin und besuchte schließlich einen Maschinschreibkurs Anfang September 1991. Ein einziges Mal versuchte sie auch, einen Klienten an den Kläger zu vermitteln, wobei das Mandat jedoch dann in weiterer Folge nicht zustande kam. Nachdem einerseits der Kläger erwartete, daß sie ihre akademische Ausbildung beenden sollte - sie bezeichnet sich nach wie vor als Studentin - andererseits die bestehende Schwangerschaft mit ärztlicherseits bestätigten Risken behaftet war, ließ die Beklagte allfällige Berufstätigkeitsvorstellungen jeweils auf sich beruhen, unternahm jedenfalls nichts Konkretes." In seinem Urteil vom 28.11.1994, 43 R 3058,3059/94-214 führte das Berufungsgericht aus, daß die Berufung des Klägers keinen Anlaß gebe, von den Feststellungen des Erstgerichtes abzugehen. Eine Wiederholung oder Ergänzung des Beweisverfahrens führte es nicht durch. Mangels Antrages auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung entschied es in nichtöffentlicher Sitzung. Es unterzog nur den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt einer anderen rechtlichen Beurteilung.

Daraus folgt, daß sämtliche vom Wiederaufnahmsgrund betroffenen Feststellungen vom Erstgericht getroffen wurden, das dann aber gemäß § 532 Abs 2 ZPO zur Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage individuell zuständig ist. War das Berufungsgericht aber zur Entscheidung nicht zuständig, war ihm auch die Schlüssigkeitsprüfung versagt.

Dennoch kommt dem Rechtsmittel des Klägers ein teilweiser Erfolg zu. Wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung SZ 66/10 unter Berufung auf Fasching aaO Rz 2076 ausführte, ist die beim unzuständigen Rechtsmittelgericht eingebrachte Wiederaufnahmsklage nicht zurückzuweisen, sondern dem allgemeinen Grundsatz des § 474 Abs 1 ZPO folgend von Amts wegen an das zuständige Gericht zu überweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 52 ZPO.

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