OGH 8ObA133/97k

OGH8ObA133/97k7.8.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer und Dr.Rohrer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Johann Meisterhofer und Mag.Christa Marischka als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Hannes G*****, vertreten durch Dr.Wilhelm Klade, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Arbeiterbetriebsrat der G***** AG *****, vertreten durch Dr.Robert Krepp, Rechtsanwalt in Wien, wegen Anfechtung einer Betriebsratswahl, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20.Dezember 1996, GZ 9 Ra 142/96k-52, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 12.Jänner 1996, GZ 5 Cga 62/95p-19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 13.725,-- (darin S 2.287,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 23.2.1995 fand in dem Unternehmen, dessen Arbeitnehmer unter anderem der Kläger ist, die Wahl des Beklagten statt. Im Hinblick auf die betrieblichen Besonderheiten - alle Wahlberechtigten leisten ihre Dienste außerhalb der Betriebsstätte des Arbeitgebers - wurde die Wahl durch Briefwahl vorgenommen. Zur Vermeidung von Kosten wurden die Wahlkarten den Wahlberechtigten nicht mittels eingeschriebener Briefsendung zugesandt. Die Verlautbarung des (berichtigten) Ergebnisses der Betriebsratswahl erfolgte am 28.2.1995 durch Anschlag auf dem sogenannten "Schwarzen Brett" des Betriebsrates, welches von diesem auch sonst für alle Kundmachungen verwendet wird.

Mit seiner am 30.3.1995 zur Post gegebenen Klage beantragt der Kläger, die Wahl des Beklagten für ungültig zu erklären und brachte neben anderen Anfechtungsgründen vor, der Wahlvorstand habe entgegen der Bestimmung des § 22 Abs 5 BRWO die Wahlkarten nicht mittels eingeschriebenen Briefes an die Stimmberechtigten zugestellt.

Der Beklagte beantragte die Zurückweisung der Klage wegen Verspätung, weil die einmonatige Frist des § 59 Abs 1 ArbVG versäumt worden sei. In der Sache selbst brachte er vor, daß die Übersendung der Wahlkarten an die Wahlberechtigten aus Zeit- und Kostenersparnisgründen nicht eingeschrieben erfolgt sei. Alle Wahlkarten seien aber sorgfältig kuvertiert und an die 1002 Wahlberechtigten versendet worden. Es bestehe kein Anhaltspunkt dafür, daß durch die gewählte Versendungsart das Wahlergebnis habe beeinflußt werden können.

Das Erstgericht wies die Einwendung der verspäteten Klagserhebung mit Beschluß zurück und gab in der Sache selbst dem Klagebegehren mit Urteil Folge. Es traf die - soweit für das Revisionsverfahren noch erheblich - eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, daß die Frist des § 59 Abs 1 ArbVG ab dem Tag der ordnungsgemäßen Kundmachung, somit dem 28.2.1995, zu berechnen sei. Von diesem letzten Tag des Monats an gerechnet sei die Frist somit bis zum letzten Tag des Monates März gelaufen, sodaß die Klage unter Ausklammerung des Postlaufes als rechtzeitig eingebracht anzusehen sei. Der von der Beklagten zugestandene Verstoß gegen § 22 Abs 5 BRWO sei ein solcher gegen leitende Wahlgrundsätze, weshalb dem Klagebegehren Berechtigung zukomme.

Das Gericht zweiter Instanz behob infolge Rekurses der Beklagten den die Einwendung der verspäteten Klagserhebung zurückweisenden Beschluß ersatzlos und gab im übrigen der Berufung des Beklagten Folge. Es änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß das Klagebegehren abgewiesen wurde. Die Rechtzeitigkeit der Anfechtungsklage sei keine Prozeßvoraussetzung, sondern eine inhaltliche Frage, weshalb darüber nicht mit eigenem Beschluß, sondern mit der in der Sache ergehenden Entscheidung zu entscheiden sei. Die Frist des § 59 Abs 1 ArbVG beginne mit dem Tag der Mitteilung des Wahlergebnisses. Trotz der großen Anzahl von Arbeitnehmern und der Tatsache, daß diese ihre Dienste ausschließlich außerhalb der Betriebsstätte des Arbeitgebers erbringen, sei eine andere Bekanntgabe des Wahlergebnisses als durch Anschlag im Betrieb des Arbeitgebers im Sinne des § 11 Abs 1 BWRO nicht geboten gewesen. Der Anschlag habe derart zu erfolgen, daß die Arbeitnehmer des Betriebes ehestens von seinem Inhalt Kenntnis nehmen könnten. Dies sei dadurch gewährleistet gewesen, daß die Arbeitnehmer die Möglichkeit gehabt hätten, durch Aufsuchen des Betriebsgebäudes sich vom Inhalt des Aushanges am "Schwarzen Brett" Kenntnis zu verschaffen. Eine Versendung des Wahlergebnisses an alle Dienstnehmer sei nach § 33 BRWO iVm § 11 Abs 1 BRWO nicht vorgesehen. Daß örtlich getrennte Arbeitsstätten vorlägen, die einen separaten Anschlag erforderlich machten, habe der Kläger nicht behauptet. Das Erbringen der Dienstleistung für ein Überwachungsunternehmen außerhalb der Betriebsstätte bedeute nicht notwendig das Vorliegen einer Arbeitsstätte am jeweiligen Dienstort. In der postalen Übermittlung des Wahlergebnisses an die Wahlberechtigten sei lediglich eine Serviceleistung des Betriebsrates zu sehen, nicht hingegen ein fristauslösendes Ereignis im Sinn des § 34 Abs 1 BWRO.

Dem Erstgericht sei somit zwar hinsichtlich des Beginnes des Fristenlaufes zuzustimmen, nicht jedoch in Ansehung der Fristberechnung. Gemäß § 169 ArbVG gälten für die Berechnung von Fristen die Bestimmungen der §§ 32 und 33 AVG, welche sich inhaltlich mit § 125 ZPO deckten. Danach ende eine Monatsfrist, falls der sie anordnende Beschluß am letzten Tage eines weniger als 31 Tage zählenden Monats zugestellt wurde, mit dem Ablauf des durch seine Zahl entsprechenden Tages des folgenden Monats. Die am 28.2.1995 begonnene einmonatige Frist habe daher bis 28.3.1995 gewährt, weshalb die am 30.3.1995 zur Post gegebene Klage verspätet sei.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobenen Revision des Klägers kommt keine Berechtigung zu.

Vorerst ist auf den Einwand in der Revisionsbeantwortung einzugehen, daß die Revision verspätet erstattet worden sei. Es ist zutreffend, daß dem Kläger mit Beschluß des Erstgerichtes vom 17.9.1996 (ON 47) die Verfahrenshilfe in vollem Umfang einschließlich der Bestellung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer für die Teilnahme am Rechtsmittelverfahren gewährt und somit der Tätigkeitsbereich des Verfahrenshelfers nicht nur auf das Berufungsverfahren eingeschränkt wurde. Dennoch hat der Kläger innerhalb der ihm gegen die Entscheidung der zweiten Instanz offenstehenden Rechtsmittelfrist neuerlich um Verfahrenshilfe "für den Revisionsrekurs beim OGH" angesucht (ON 54). Diesen Antrag hat das Erstgericht bewilligt und wurde dem Kläger in der Folge ein anderer Rechtsanwalt für das Revisionsverfahren beigegeben (ON 57). Nach ständiger Rechtsprechung war die erste Beigebung des Rechtsanwaltes mangels Einschränkung auf das Berufungsverfahren auch für das Revisionsverfahren wirksam (EvBl 1963/364; RZ 1968, 109). Der Oberste Gerichtshof vertritt allerdings nunmehr in einheitlicher Rechtsprechung unter Abkehr von der Entscheidung RZ 1968, 109 die Auffassung, daß die Bestellung eines neuen Vertreters für das Revisionsverfahren dann zwar nicht dem Gesetz entspreche, sie jedoch "als Tatsache" hingenommen werden müsse, weshalb die Rechtsmittelfrist gemäß § 464 Abs 3 ZPO mit der Zustellung der Entscheidung an den neuen Rechtsanwalt zu laufen beginne. Dies ergebe sich schon daraus, daß aus der genannten Gesetzesstelle abzuleiten sei, daß grundsätzlich jedem Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwaltes die Wirkung der Unterbrechung der Rechtsmittelfrist zukomme. Werde daher einer Partei im Rahmen der Verfahrenshilfe neuerlich ein Rechtsanwalt beigegeben, obgleich der früher beigegebene Rechtsanwalt noch zur Vertretung der Partei befugt sei, beginne die Rechtsmittelfrist dennoch erst ab Zustellung der Entscheidung an den neuen Rechtsanwalt zu laufen (8 Ob 182/70; 8 Ob 14/71; 1 Ob 194-196/71; SSV-NF 5/32; SSV-NF 7/50; 9 ObA 1509/94). Diese Rechtsansicht ist aus den dargestellten Erwägungen auch weiterhin aufrecht zu halten. Ausgehend von der an den zuletzt bestellten Rechtsanwalt bewirkten Zustellung ist die Revision des Klägers aber rechtzeitig.

Gemäß § 161 Abs 1 Z 1 ArbVG ist das Bundesministerium für soziale Verwaltung (nunmehr: für Arbeit, Gesundheit und Soziales) ermächtigt, durch Verordnung, die Vorbereitung und Durchführung der Wahl zum Betriebsrat, Zentralbetriebsrat und Jugendvertrauensrat näher zu regeln. Dies ist mit der Verordnung vom 22.5.1974 BGBl 1974/319 (Betriebsrats-Wahlordnung 1974-BRWO 1974) in der geltenden Fassung geschehen. Zweck der Durchführungsverordnung im Sinne des Art 18 Abs 2 B-VG ist es, innerhalb der Determinierung durch das Gesetz die gesetzliche Regelung zu präzisieren (RdW 1991, 241). Eine derartige in ihrem Umfang verfassungskonforme Präzisierung des § 57 ArbVG sowie des darauf aufbauenden § 59 ArbVG nimmt § 33 BRWO vor. Gemäß § 57 ArbVG ist das Ergebnis der Wahl im Betrieb kundzumachen und dem Betriebsinhaber, dem zuständigen Arbeitsinspektorat und den zuständigen freiwilligen Berufsvereinigungen und gesetzlichen Interessenvertretungen der Arbeitnehmer mitzuteilen. Gemäß § 59 Abs 1 ArbVG berechnet sich die Monatsfrist für die Anfechtung des Wahlergebnisses vom Tag dieser Mitteilung des Wahlergebnisses. Gemäß § 33 BRWO hat der Wahlvorstand das Ergebnis der Wahl im Betrieb durch Anschlag (§ 11 Abs 1 BRWO) kundzumachen und den bereits im § 57 ArbVG genannten Personen und Institutionen mitzuteilen. Die Kundmachung hat gemäß § 11 Abs 1 BRWO durch Anschlag derart zu erfolgen, daß die Arbeitnehmer des Betriebes (Arbeitnehmergruppe) ehestens vom Inhalt des Anschlages Kenntnis nehmen können. In größeren Betrieben ist der Anschlag, wenn es die Beschaffenheit des Betriebes erfordert, an mehreren Stellen durchzuführen. Bei örtlich getrennten Arbeitsstätten soll der Anschlag in jeder Arbeitsstätte erfolgen. Aus dem Normzusammenhalt ergibt sich, daß das Wort "soll" im § 11 Abs 1 vorletzter Satz BRWO ebenso eine verbindliche Anordnung der Kundmachung in jeder einzelnen Betriebsstätte zum Ausdruck bringt wie die Anordnung mehrfacher Kundmachungen bei größeren Betrieben. Eine unterschiedliche Gewichtung der Anordnungen für größere Betriebe und getrennte Betriebsstätten ist nicht erkennbar (VwGH ZfVB 1984/920). Es ist also keineswegs dem Belieben des Wahlvorstandes überlassen, ob er Kundmachungen in örtlich getrennten Arbeitsstätten vornimmt. Das Vorliegen örtlich getrennter Arbeitsstätten ist immer dann anzunehmen, wenn ein gewisses Element der Dauerhaftigkeit hinzutritt, wie etwa beim Vorliegen mehrerer von einem Baubetrieb betreuter Baustellen oder längere Zeit hindurch unterhaltener Montagestellen, deren Arbeiter nicht täglich in den Hauptbetrieb zurückkehren (Strasser, Die Betriebsratswahl, 99). Die gleichen Überlegungen könnten auch hinsichtlich Arbeitnehmern gelten, die ihre Arbeit durch längere Zeit in der eigenen Wohnung verrichten (vgl. Trost, Der Arbeitnehmer in eigener Wohnung, ZAS 1991, 181 ff). Der Beginn der Monatsfrist des § 59 Abs 1 ArbVG richtet sich nach jenem Zeitpunkt, zu welchem hinsichtlich sämtlicher Arbeitnehmer eine ordnungsgemäße Kundmachung im Sinne des § 11 Abs 1 BRWO erfolgt ist.

Auch wenn man davon ausgeht, daß die Anfechtungsfrist des § 59 Abs 1 ArbVG ebenso wie jene des § 105 Abs 4 ArbVG eine prozessuale ist (EvBl 1990/75), erscheint ein Vergleich mit den Fristen des § 534 ZPO zur Einbringung der Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage, die ebenfalls prozessualer Natur sind (SZ 54/105; SZ 68/31; 3 Ob 2360/96x) angebracht. Hier wie dort liegt es daher im Zweifelsfalle am Kläger, Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, glaubhaft zu machen (vgl § 538 Abs 2 ZPO). Handelte es sich hingegen um eine materielle Frist, hätte der Kläger - im Falle eines entsprechenden Einwandes des Beklagten - jedenfalls die Einhaltung der Frist zu beweisen.

Nach dem Akteninhalt hat der Beklagte auf das Klagebegehren unter anderem damit erwidert, daß die Klage unter Berücksichtigung des Datums des Anschlages des Wahlergebnisses im Betrieb verspätet sei. Der Kläger hat darauf in der Verhandlung vom 26.6.1995 lediglich insoweit repliziert (AS 27), als er ausführte, ein Anschlag in der Zentrale des Unternehmens habe keine Publizitätswirkung, da die Dienstnehmer zur Gänze im Außendienst beschäftigt seien. Dieses Vorbringen hat das Erstgericht in seine Feststellung übernommen, wonach die betriebliche Besonderheit darin liege, daß alle Wahlberechtigten ihren Dienst außerhalb der Betriebsstätte des Arbeitgebers verrichteten. Damit hat der Kläger aber im erstinstanzlichen Verfahren weder behauptet noch glaubhaft gemacht, daß örtlich getrennte Arbeitsstätten im Sinne des § 11 Abs 1 BRWO vorlägen. In Anbetracht der ausdrücklichen Bestreitung bedurfte es einer darüber hinausgehenden Anleitung durch das Gericht nicht. Für den in der Revision eingenommenen Rechtsstandpunkt, daß unabhängig von der Gegebenheit örtlich getrennter Arbeitsstätten nur aus der Tatsache der auswärtigen Dienstverrichtung heraus in jedem Falle jedem wahlberechtigten Arbeitnehmer die Ergebnisse der Betriebsratswahl persönlich zuzustellen wären, bietet das Gesetz keinen Anhaltspunkt, zumal im Verfahren gar nicht vorgebracht wurde, die einzelnen Arbeitnehmer würden die Betriebszentrale nicht täglich zumindest kurzfristig aufsuchen. Für die gewünschte teleologische Auslegung des § 59 Abs 1 ArbVG ist bei dem gegebenen Sachverhalt schon deshalb kein Raum, weil nicht ersichtlich ist, inwieweit die der genannten Bestimmung in Verbindung mit § 11 Abs 1 BRWO immanente Zielsetzung der raschen Kenntnisnahme der Arbeitnehmer vom Inhalt der Kundmachung durch den in der üblichen Form vorgenommenen Anschlag im Betrieb gefährdet sein könnte.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Der Kläger hat im Verfahren den Streitgegenstand nicht bewertet. Da keine vermögensrechtliche Streitigkeit im Sinne des § 56 Abs 2 JN vorliegt, ist der Zweifelsstreitwert des § 14 lit a RATG heranzuziehen und sind die Kosten auf der dort genannten Bemessungsgrundlage zuzusprechen.

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