OGH 11Os69/97

OGH11Os69/975.8.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 5.August 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner, Dr.Schmucker, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Schillhammer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dr.Werner B***** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall StGB und des Vergehens der Kurpfuscherei nach § 184 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Schöffengericht vom 2.Juli 1996, GZ 12 Vr 496/93-136, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Dr.Werner B***** wurde des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall StGB und des Vergehens der Kurpfuscherei nach § 184 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Steyr

A) gewerbsmäßig mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Patienten seiner zahnärztlichen Ordination sowie ihre Krankenkassen durch Täuschung über Tatsachen, indem er Ärzten vorbehaltene Behandlungen von zwei rumänischen Ordinationsgehilfinnen durchführen ließ und verrechnete, wobei er den Anschein erweckte, es handle sich um in Österreich zugelassene Zahnärztinnen, welche berechtigt seien, derartige Leistungen in seiner Ordination zu erbringen, wodurch er die Patienten und ihre Krankenkassen zu Handlungen verleitete, nämlich zur Bezahlung bzw Refun- dierung dieser Behandlungen nach den Entlohnungssätzen für Zahnärzte, wodurch er bewirkte, daß die Krankenkassen der Patienten die Behandlungen nach den für Zahnärzte geltenden Honorarrichtlinien vergüteten und die Patienten bzw ihre Krankenkassen in einem 500.000 S übersteigenden Betrag am Vermögen geschädigt wurden, und zwar

1.) von Alunita Marinela D***** vorgenommene Behandlungen in der Zeit vom 2.Juni 1993 bis 29.September 1994 vorgenommene Behandlungen laut Patientenkartei 2 j, S 1 bis 349/IV, im Gesamtbetrag von 2,775.972,80

S und in der Zeit vom 14.Dezember 1993 bis 9.Jänner 1995 laut Patientenkartei, S 107 bis 195/III, im Gesamtbetrag von 669.716,40 S;

2.) von Anca Mihaela T***** vorgenommene Behandlungen in der Zeit vom 29. Juli 1993 bis 29.September 1994 laut Patientenkartei 2 j, S 351 bis 659/IV, im Gesamtbetrag von 2,256.150,80 S und in der Zeit vom 21. Dezember 1993 bis 9.Jänner 1995 laut Patientenkartei, S 197 bis 275/III, im Gesamtbetrag von 538.986 S;

B) durch die oben beschriebenen Tathandlungen andere (nämlich Alunita Marinela D***** und Anca Mihaela T*****) bestimmt, gewerbsmäßig in bezug auf eine größere Zahl von Menschen eine Tätigkeit auszuüben, die den Ärzten vorbehalten ist, ohne die zur Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Ausbildung erhalten zu haben.

Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die auf Z 1, 3, 4 und 5 (der Sache nach auch Z 9 lit a) des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Bereits der unter Geltendmachung der Z 1 erhobene Beschwerdeeinwand ist insoweit berechtigt, als der Schöffensenatsvorsitzende am 4.Juni 1996 (sogar gegen den Widerspruch des damals unvertretenen Angeklagten - S 138/V) 51 Zeugen außerhalb der Hauptverhandlung vernommen (ON 75 - 125) und damit eine dem Untersuchungsrichter vorbehaltene Tätigkeit ausgeübt hat (SSt 34/66 = EvBl 1964/177; Mayerhofer StPO4 § 224 Anm 4). Gemäß § 68 Abs 2 StPO ist er dadurch von der Mitwirkung und Entscheidung in der Hauptverhandlung ausgeschlossen (11 Os 51/95 = EvBl 1996/75).

Dieser Nichtigkeit des nachfolgenden Verfahrens begründende Umstand wurde vom Beschwerdeführer auch rechtzeitig geltend gemacht (S 275/V), sodaß die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Verfahrenserneuerung in erster Instanz unausweichlich war. Ein Eingehen auf die weiteren Beschwerdepunkte erübrigt sich daher.

Der Vollständigkeit halber sei aber noch auf die (zutreffenden) Beschwerdeausführungen zu § 281 Abs 1 Z 3 StPO hingewiesen, wonach sich die Zeugin Alunita D***** in der Hauptverhandlung vom 18.April 1996 der Aussage gemäß §§ 152 Abs 1 Z 1, 153 StPO entschlagen habe (S 59/V) und die Zeugin Anca T***** nach dem Protokoll über dieselbe Hauptverhandlung nur diesbezüglich belehrt worden sei, nicht aber (ausdrücklich) auf ihr Entschlagungsrecht verzichtet habe (S 63/V). Dennoch seien deren Angaben unter anderem (zumindest teilweise) in der Urteilsbegründung (zum Nachteil des Angeklagten) verwertet worden (US 7 und 8).

Grundsätzlich sind nach § 152 Abs 1 Z 1 StPO Personen, die sich durch ihre Aussage der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung aussetzen würden oder die im Zusammenhang mit einem gegen sie geführten Strafverfahren Gefahr liefen, sich selbst zu belasten, auch wenn sie bereits verurteilt worden sind, von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses befreit. Dieses seit dem Strafprozeßänderungsgesetz 1993, BGBl 1993/526, (zum Unterschied von der früheren Regelung des § 153 StPO) absolut geltende Entschla- gungsrecht stand den genannten Zeuginnen auf Grund des gegen sie bevorstehenden oder bereits anhängigen Strafverfahrens wegen § 184 StGB, aber auch durch die naheliegende Möglichkeit strafgerichtlicher Verfolgung wegen Mit- oder Beitragstäterschaft an den dem Angeklagten vorgeworfenen Betrugshandlungen unzweifelhaft zu (vgl 14 Os 82/94).

Ungeachtet dessen, daß sich Alunita D***** in der Hauptverhandlung vom 18.April 1996 berechtigt ihrer Zeugenaussage entschlug und sich das Beweisthema nur auf einen Sachverhaltsbereich bezog, wurden ihr mehrfach Fragen gestellt und auf ihre neuerlichen Antwortverweigerungen sogar mit Antrag auf Beugestrafeverhängung und Belehrung über deren Rechtsfolgen reagiert (S 61 f/V). Da bei Anca T***** ein ausdrücklicher Entschlagungsverzicht nicht protokolliert wurde, ist deren Aussage gemäß § 152 Abs 5 StPO als nichtig zu werten. Schließlich wurden am Ende der Hauptverhandlung vom 2.Juli 1996 auch die Angaben beider Zeuginnen vor der Sicherheitsbehörde (ON 5) verlesen (S 344/V).

Nach dem angefochtenen Urteil stützten die Tatrichter die Feststellungen unter anderem auf die Erhebungen der Sicherheitsbehörden sowie auf die Zeugenaussagen der Alunita D***** und Anca T***** (US 7). Neben dieser allgemeinen Erwähnung als Grundlage zur Sachverhaltsermittlung werden die beiden Ordinationsgehilfinnen (in Übereinstimmung mit der Verantwortung des Angeklagten) für die Konstatierung über die Zuordnung von Leistungen nach Behandlungskennzeichen konkret genannt (US 8). In der Folge vermeint zwar das Erstgericht, aus deren Aussagen nichts gewinnen zu können, weil sie von ihrem Entschlagungsrecht Gebrauch gemacht hätten (US 12), zieht aber gleich darauf ihre dennoch getätigten Depositionen als zusätzliche Begründung für die getroffenen, dem Schuldspruch des Angeklagten zugrundeliegenden Feststellungen heran (US 12 und 13).

Aus der Gesamtheit der Entscheidungsbegründung läßt sich sohin nicht unzweifelhaft erkennen, daß die aufgezeigten Formverletzungen auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluß üben konnten (§ 281 Abs 3 StPO), weshalb auch nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO in Verbindung mit § 152 Abs 1 Z 1 StPO Nichtigkeit des bekämpften Urteils vorliegt.

Schließlich sei noch angemerkt, daß die vom Erstgericht vertretene Rechtsansicht, die ausgestellten Honorarnoten seien als echte Urkunden mit unwahrem Inhalt nicht geeignet, die Qualifikation des § 147 Abs 1 Z 1 StGB zu begründen (US 14), die jüngste Rechtsprechung zu dieser Problematik (vgl Entscheidung des verstärkten Senates vom 5. Oktober 1994, 13 Os 81/93 = EvBl 1995/21 = RZ 1995/11) außer acht läßt. Der Annahme dieser Qualifikation im zweiten Rechtsgang stünde das nur auf den Sanktionenbereich beschränkte Verschlimmerungsverbot nicht entgegen (vgl Mayerhofer StPO4 § 293 E 24 ff).

Es war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung wie im Spruche zu erkennen (§ 285 e StPO).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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