OGH 7Ob150/97b

OGH7Ob150/97b23.7.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Christian N*****, vertreten durch Dr.Josef Kehrer, Rechtsanwalt in Traun, gegen die beklagte Partei Notburga O*****, vertreten durch ihren Sachwalter Dr.Klaus H*****, wegen Unterlassung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 5.März 1997, GZ 4 R 23/97y-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 28.Juni 1995, GZ 8 Cg 61/94f-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Urteil lautet:

Das Klagebegehren des Inhaltes, die beklagte Partei sei schuldig, jegliche Kontaktaufnahme zum Kläger sowohl brieflich, telefonisch als auch körperlich sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich des Klägers zu unterlassen und es weiters zu unterlassen, den Kläger in seiner jeweiligen Ordination und privaten Unterkunft aufzusuchen und auf den Kläger vor der Ordination und vor dem Privathaus zu warten, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die in allen Instanzen mit insgesamt S 84.462,80 (darin enthalten S 9.689,30 USt und S 26.327,-- Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte lernte den Kläger anläßlich eines von ihm veranstalteten Seminars kennen und faßte in weiterer Folge eine Zuneigung zu ihm. Sie hat bereits vorher wiederholt an paranoiden Psychosen in Form von akustischen Halluzinationen gelitten; kontinuierlich treten diese seit etwa 15 Jahren (einmalig auch schon in der Kindheit) auf. Seit einigen Jahren identifziert die Beklagte diese "innere Stimme" als jene des Klägers. Sie meint, von der Stimme des Klägers gelenkt zu werden. Sie verarbeitet nun die Halluzinationen paranoid, wobei sie einen Liebeswahn bezüglich des Klägers entwickelte und hinsichtlich dieses Wahnthemas in chaotische Handlungsweisen verfiel. Mehrere stationäre Aufenthalte in der oberösterreichischen Landesnervenklinik führten zu keiner anhaltenden Besserung ihres Zustandes. Im Lauf der Jahre 1993 und 1994 führten die von der Beklagten im Rahmen ihres Liebeswahns entwickelten Verhaltensweisen zu gravierenden Störungen und Beeinträchtigungen sowohl der beruflichen als auch der privaten Sphäre des Klägers. Die Beklagte belästigte den Kläger wiederholt durch Telefonanrufe, suchte ihn trotz Verbotes immer wieder in seiner Ordination auf, wobei es auch zu Belästigungen der anwesenden Patienten kam, und überhäufte ihn mit Liebesschwüren. Sie wartete oft stundenlang vor dem Privathaus des Klägers oder blockierte mit ihrem Fahrzeug die Zufahrt und verfolgte ihn zum Teil auf Schritt und Tritt. Nachdem auch Anzeigen des Klägers bei der Gendarmerie sowie Ersuchen an die Verwandten, auf die Beklagte einzuwirken, die Beklagte nicht von derartigen Handlungen abhalten konnten, unterfertigte sie schließlich im Jänner 1994 über Aufforderung des nunmehrigen Klagevertreters eine Erklärung, worin sie sich verpflichtete, ab 27.1.1994 jegliche Kontaktaufnahme mit dem Kläger zu unterlassen. Seit Mai 1994 kam es aber wiederum zu zahlreichen Vorfällen, die den Kläger sowohl beruflich als auch privat gravierend beeinträchtigten. Die Beklagte wartete beispielsweise wiederum mehrere Male stundenlang vor dem Privathaus des Klägers, blockierte die Zufahrt, drang in sein Haus ein und beschimpfte ihn. Weiters entleerte sie den Mülleimer vor der Haustür, blockierte das Telefon in der Ordination, versuchte mehrmals in das Privathaus einzudringen oder klopfte an den Fenstern und rüttelte an der Haustür. Aufgrund dieser Verhaltensweisen der Beklagten war es für den Kläger unmöglich, ein geordnetes und ungestörtes Berufs- und Privatleben zu führen.

Die Beklagte war zumindest von Anfang 1993 an bis Mitte 1994, also auch zum Zeitpunkt der Unterzeichnung ihrer Unterlassungsverpflichtung, in allen ihr Wahnthema berührenden Belangen durch eine in höchstem Maß eingeschränkte Urteils- und Kritikfähigkeit nicht geschäfts- und deliktsfähig.

Der Kläger stellte das aus dem Spruch ersichtliche Unterlassungsbegehren. Aufgrund der Belästigungen und Nachstellungen der Beklagten sei es ihm nahezu unmöglich, ein normales Privatleben mit seiner Lebensgefährtin und seinem minderjährigen Sohn zu führen. Er werde sowohl beruflich als auch privat in einem unerträglichen Maß beeinträchtigt. Inwieweit die Beklagte an einer partiellen Bewußtseinstörung leide, entziehe sich seiner Kenntnis. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte stehe ihm ungeachtet ihres Zustandes ein verschuldensunabhängiger Unterlassungsanspruch zu. Die Beklagte sei im übrigen durchaus geschäfts- und deliktsfähig.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Ihr Verhalten gegenüber dem Kläger basiere auf einer partiellen Bewußtseinstörung. Sie sei wegen ihrer Beziehungsprobleme zum Kläger längere Zeit in stationärer Behandlung gewesen, die jedoch keine Besserung gebracht habe. Sie sei partiell geschäfts- und deliktsunfähig. Die von ihr unterfertigte Unterlassungsverpflichtung sei ungültig. Sie leide an einer akuten paranoiden Psychose, sodaß sie für ihre Handlungen gegenüber dem Kläger nicht verantwortlich sei. Es fehle ihr das Bewußtsein des Eingriffes in ein Persönlichkeitsrecht des Klägers. Dem Kläger sei der Zustand der Beklagten bekannt.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Eine Haftung der Beklagten aus der im Jänner 1994 unterfertigten Unterlassungserklärung scheide wegen ihrer Geschäfts- und Deliktsunfähigkeit aus. Der Kläger werde aber aufgrund der krankhaften Verhaltensweisen der Beklagten in seinem Persönlichkeitsrecht (§ 16 ABGB) beeinträchtigt. Das Persönlichkeitsrecht sei ein absolutes Recht, das als solches den Schutz gegen Angriffe Dritter genieße und schon bei der Gefahr einer Verletzung einen Unterlassungsanspruch begründe, der verschuldensunabhängig sei.

Das Gericht zweiter Instanz verständigte nach Vorlage der Berufung der Beklagten das zuständige Pflegschaftsgericht gemäß § 6 a ZPO davon, daß bei der Beklagten Anzeichen für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB mit Beziehung auf diesen Rechtsstreit gegeben seien. Das Pflegschaftsgericht bestellte mit Beschluß vom 27.12.1996 Dr.Klaus H***** gemäß § 273 ABGB zum Sachwalter der Beklagten zur Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten im Zusammenhang mit dem Kläger, weil die Beklagte an einem Liebeswahn oder an einer wahnhaften Liebe per Distanz im Rahmen einer schizophrenen Psychose leide, die sie daran hindere, sich in diesem Zusammenhang selbst und ohne Gefahr eines Nachteiles ordentlich zu vertreten. Der Sachwalter erklärte, das bisherige Verfahren zu genehmigen.

Der Gericht zweiter Instanz bestätigte das Urteil des Erstgerichtes. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige und daß die ordentliche Revision zulässig sei. Bei dem hier zu bejahenden Eingriff in absolute Rechtsgüter gründe sich das Verteidigungsrecht bereits auf die Gefährdung des Rechtsgutes. Verhaltensunrecht sei nicht Klagsvoraussetzung. In welcher Weise der Unterlassungsanspruch im Fall künftiger Eingriffe durchsetzbar sei, sei hier nicht zu klären. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt.

Nach der Lehre und der neueren Rechtsprechung zu § 1330 ABGB setzt der zum Schutz des wirtschaftlichen Rufes einer Person zustehende Unterlassungsanspruch kein Verschulden voraus; es genügt, wenn die zu verbietende Handlung objektiv rechtswidrig ist (Böhm in ZAS 1982, 215 ff; Koziol, Haftpflichtrecht2 II, 177 Anm 29; Reischauer in Rummel2 II, Rz 23 zu § 1294 ABGB; MR 1990, 183 mwN; SZ 67/10 ua).

Ebenso hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, daß die Bestimmung des § 16 ABGB, wonach jeder Mensch angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte hat und daher als Person zu betrachten ist, nicht als bloßer Programmsatz, sondern als Zentralnorm unserer Rechtsordnung anzusehen ist. Diese Norm anerkennt die Persönlichkeit als Grundwert. Aus dieser Bestimmung wird - ebenso wie aus anderen sich aus der Rechtsordnung ergebenden Grundwerten (Art 8 MRK; § 1 DSG ua) - das Persönlichkeitsrecht jedes Menschen auf Achtung seines Privatbereiches und seiner Geheimsphäre abgeleitet. Zwar kann nicht jede Beeinträchtigung der Person rechtswidrig sein, bedeutet doch die Freiheit des einen jeweils die Unfreiheit eines anderen, sodaß es keine gleiche schrankenlose Freiheit geben kann. Entscheidend für den jeweiligen Schutz ist eine Güter- und Interessenabwägung (4 Ob 98/92 mwN).

Aus diesen Erwägungen wurden in der Rechtsprechung etwa bereits unerwünschte oder gehäufte anonyme Telefonanrufe (SZ 67/173 mwN), das Anbringen von Überwachungskameras (6 Ob 2401/96y; 7 Ob 89/97g) und die Überwachung, Verfolgung und andauernde Belästigung durch Telefonate des ehemaligen Partners nach einer nicht akzeptierten Beendigung einer Liebesbeziehung (4 Ob 98/92) als Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatbereiches und der Geheimsphäre beurteilt. Auch insoweit wurde ausgeführt, daß bei drohender Verletzung dieser Persönlichkeitsrechte ein verschuldensunabhängiger Unterlassungsanspruch zustehe (SZ 67/173; Reischauer aaO).

All diese Entscheidungen setzen aber offenbar als selbstverständlich Handlungsfähigkeit des auf Unterlassung Belangten voraus.

Die von der Beklagten begehrten Unterlassungen sind unvertretbare Leistungen im weiteren Sinn, die gleich unvertretenen Handlungen, die nicht von einem Dritten vorgenommen werden können und deren Vornahme zugleich ausschließlich vom Willen des Verpflichteten abhängen, mit dem Exekutionsmittel der Geld- oder Haftstrafe in Exekution zu ziehen sind (§§ 354, 355 EO).

Im vorliegenden Fall steht fest, daß die Beklagte aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht in der Lage ist, dem vom Kläger begehrten Unterlassungsgebot willentlich Folge zu leisten. Sie kann sich zu einer solchen Verhaltensweise nicht wirksam selbst verpflichten und über den Klagsanspruch auch infolge ihrer Geschäfts- und Prozeßunfähigkeit nicht wirksam disponieren. Die Verpflichtung zu einer bestimmten Verhaltensweise durch Richterspruch, von der feststeht, daß gerade das auferlegte Handeln oder Unterlassen in den von der Handlungsunfähigkeit umfaßten Bereich fällt und von der Beklagten aufgrund ihr nicht vorwerfbaren Umständen nicht bewerkstelligt werden kann, kann von vorneherein nicht in Betracht kommen.

§ 21 Abs 1 ABGB stellt Minderjährige und Personen, die aus einem anderen Grund als jenem der Minderjährigkeit alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten nicht selbst gehörig besorgen können, unter den besonderen Schutz der Gesetze. Das Schutzinteresse der darin genannten nicht voll handlungsfähigen Personen hat im Konfliktfall gegenläufigen Interessen grundsätzlich vorzugehen (Aicher in Rummel2 I, Rz 1 zu § 21 ABGB). Wenn auch der aus dem Schutz der Persönlichkeitsrechte resultierende Unterlassungsanspruch verschuldenunabhängig ist, hat das Schutzinteresse Handlungsunfähiger im Rahmen des Unterlassungsbegehrens vor Schaffung eines mit Beugestrafe zu exequierenden Unterlassungstitels bei der jeweils vorzunehmenden Interessensabwägung Vorrang gegenüber dem Interesse am Schutz der Privatsphäre vor drohenden, dem Eingreifenden aber nicht zurechenbaren Belästigungen.

Nach SZ 68/151 könnte zwar die Beklagte im Fall einer Exekutionsführung aufgrund eines sie zur begehrten Unterlassung verpflichtenden Urteiles mit Impugnationsklage geltend machen, daß sie ohne jedes Verschulden der Unterlassungsverpflichtung zuwider handelte. Andererseits steht es aber auch dem Kläger frei, bei neuerlichen Belästigungen seitens der Beklagten eine Unterlassungsklage einzubringen, sollte die Klägerin in diesem Bereich ihre Handlungsfähigkeit wieder erlangen. Die Schaffung eines Unterlassungstitels gegen eine derzeit handlungsunfähige Person würde somit diese in die Klägerrolle drängen und dadurch gegenüber dem voll Handlungsfähigen entgegen dem Sinn des § 21 Abs 1 ABGB benachteiligen.

Die Strafverhängung nach § 355 Abs 1 EO soll zwar nicht den Verstoß des Verpflichteten gegen das gerichtliche Gebot oder Verbot vergelten. Es enthält somit keine Kriminalstrafen (SZ 54/115 mwN; EvBl 1993/27), sodaß der Hinweis der Revision auf die Straffreiheit Zurechnungsunfähiger (§ 11 StGB) nicht zwingend gegen die Schaffung des Unterlassungstitels spricht. Dennoch widerspricht die Verurteilung der Beklagten zur begehrten Unterlassung der Zielrichtung des § 355 Abs 1 EO, weil die Beugestrafe den Zweck hat, das Zuwiderhandeln gegen ein gerichtliches Gebot oder Verbot zu verhindern. Es soll der Wille des Verpflichteten auf Erfüllung ausgerichtet werden. Im vorliegenden Fall steht aber derzeit fest, daß ein solcher Wille bei der Beklagten mangels deren Einsichtsfähigkeit weder durch Gerichtsurteil noch durch Beugestrafen hervorgerufen oder beeinflußt werden kann und daß das Zuwiderhandeln gegen einen Unterlassungstitel auch durch Beugestrafen nicht verhindert werden könnte.

Es war daher das Unterlassungsbegehren in Abänderung der Vorentscheidungen abzuweisen.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten erster Instanz gründet sich auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte