OGH 4Ob178/97y

OGH4Ob178/97y26.6.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek und Dr.Niederreiter sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** GmbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr.Bernhard Krause, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) S*****-GmbH & Co KG, 2.) *****GmbH, ***** 3.) V***** GmbH, ***** alle vertreten durch Ramsauer & Perner, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren S 460.000,--), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 2.Mai 1997, GZ 6 R 72/97v-8, womit der Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 21.Februar 1997, GZ 4 Cg 146/96a-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung wie folgt zu lauten hat:

"Der Antrag der klagenden Partei, den beklagten Parteien mit einstweiliger Verfügung zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr beim Vertrieb der periodischen Druckschriften "Salzburger Nachrichten" sowie "Lungauer Nachrichten", "Flachgauer Nachrichten", "Tennengauer Nachrichten", "Pongauer Nachrichten" und "Pinzgauer Nachrichten" - die fünf letztgenannten auch als "Salzburger Woche" bezeichnet -, zu behaupten, daß durch eine Inseratenkombischaltung in den "Salzburger Nachrichten" und der "Salzburger Woche" eine bestimmte Anzahl von Kontakten bewirkt werde, wenn nicht klargestellt ist, daß es sich hiebei nicht um verschiedene Leser handelt, sondern in dieser Zahl Doppelleser enthalten sind, insbesondere daß die erwähnte Kombischaltung am Wochenende zu 409.000 Kontakten führe, wenn die tatsächliche Nettoleserzahl erheblich niedriger, nämlich in der Größenordnung von 307.000, liegt, wird abgewiesen."

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien, die mit S 57.040,92 bestimmten Kosten des Proviorialverfahrens aller drei Instanzen (darin S 9.506,82 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Medieninhaberin der Tageszeitung "Neue Kronen Zeitung", die auch in einer Ausgabe für das Bundesland Salzburg erscheint. Die Erstbeklagte ist Medieninhaberin der Tageszeitung "Salzburger Nachrichten", die Zweitbeklagte ist persönlich haftende Gesellschafterin der Erstbeklagten; die Drittbeklagte ist Medieninhaberin der periodischen Druckschriften "Lungauer Nachrichten", Flachgauer Nachrichten", "Tennengauer Nachrichten", "Pongauer Nachrichten" und "Pinzgauer Nachrichten", die unter dem Sammelbegriff "Salzburger Woche" vereint sind.

Auf einer zwischen dem 5. und dem 8.11.1996 in Salzburg abgehaltenen werbewirtschaftlichen Tagung legten die Beklagten eine Werbeschrift mit der Bezeichnung "Die Erfolgskombination" zur freien Entnahme auf und ließen sie auch durch Hostessen verteilen. Auf Seite 3 wurde unter der Überschrift "Der Reichweitenerfolg im Bundesland Salzburg" die Nettoreichweite der von den Streitteilen vertriebenen Zeitungen wie folgt verglichen:

"Die Kombination Salzburger Nachrichten LpN und Salzburger Woche im Vergleich zur Salzburg-Krone LpN":

Im Bundesland SN LpN + Sbg. Woche 279.000

Salzburg-Krone LpN 188.000

"Die Kombination Salzburger Nachrichten Wochenende und Salzburger Woche im Vergleich zur Salzburg-Krone Sonntag":

SN WE + Salzburger Woche 307.000

Salzburg-Krone Sonntag 216.000

Als Quelle war die "MA 1995, Basis Bundesland Salzburg" angegeben.

Die Seite 4 der Werbeschrift hatte folgendes Aussehen:

Mit der Behauptung, daß diese Zahlenangaben insofern irreführend seien, als in den für die Medien der Beklagten angeführten Zahlen der Kontaktchancen sehr viele Doppelleser enthalten seien, begehrt die Klägerin zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, den Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr beim Vertrieb der periodischen Druckschriften "Salzburger Nachrichten" sowie "Lungauer Nachrichten", "Flachgauer Nachrichten", "Tennengauer Nachrichten", "Pongauer Nachrichten" und "Pinzgauer Nachrichten" - die fünf letztgenannten auch als "Salzburger Woche" bezeichnet -, zu behaupten, daß durch eine Inseratenkombischaltung in den "Salzburger Nachrichten" und der "Salzburger Woche" eine bestimmte Anzahl von Kontakten bewirkt werde, wenn nicht klargestellt ist, daß es sich hiebei nicht um verschiedene Leser handelt, sondern in dieser Zahl Doppelleser enthalten sind, insbesondere daß die erwähnte Kombischaltung am Wochenende zu 409.000 Kontakten führe, wenn die tatsächliche Nettoleserzahl erheblich niedriger, nämlich in der Größenordnung von 307.000, liegt.

Die Beklagten beantragen die Abweisung des Sicherungsbegehrens. Da sich die Werbeschrift an ein Fachpublikum gewandt habe, das zwischen "Kontakten" und "Lesern" sowie "Brutto- und Nettoreichweiten" unterscheiden könne, liege keine Irreführung vor. Für einen kommerziellen Interessenten seien im übrigen "Kontakte" ebenso wichtig wie die Anzahl der angesprochenen Personen, weil sich ein Inserat, das mehrfach gelesen werde, erheblich stärker einpräge. Das zeige gerade das mehrfache Schalten von Inseraten in aufeinanderfolgenden Ausgaben von Printmedien. Die Nettoreichweite gebe keinen Aufschluß darüber, wie oft ein Leser mit einem Inserat in "Kontakt" komme. Nur aus der Kontaktzahl sei ersichtlich, wie oft Angehörige einer Zielgruppe mit der Werbebotschaft in Verbindung kämen.

Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag statt. Es sei zulässig, die - um die Doppelleser bereinigte - Reichweite zweier Zeitungen gegenüberzustellen. Werde durch das Verschweigen wesentlicher Umstände ein falscher Gesamteindruck hervorgerufen und dadurch das Publikum in relevanter Weise irregeführt, liege ein Verstoß gegen § 2 UWG vor. Selbst wenn man unterstelle, daß die Werbefachleute, die die beanstandete Werbeschrift erhalten hätten, genau zwischen den Begriffen "Leser" und "Kontakt" unterscheiden könnten, würden hier doch zwei unterschiedliche Dinge miteinander verglichen. Dem Inserenten komme es wesentlich darauf an, möglichst viele Personen zu erreichen. Die Beklagten unterschieden aber nicht zwischen Lesern und Kontakten. Die dadurch entstehenden Unklarheiten gingen zu Lasten der Beklagten.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Auch wenn die beanstandete Broschüre auf einer werbewirtschaftlichen Tagung aufgelegt und verteilt worden sei und das Publikum die darin verwendeten Begriffe kenne, könne bei einem Leser mit durchschnittlicher Aufmerksamkeit ein unrichtiger Eindruck darüber entstanden sein, wie viele verschiedene Leser tatsächlich mit einer Werbung in den "Salzburger Nachrichten" und der "Salzburger Woche" erreicht würden. Auf Seite 1 der Broschüre werde darauf hingewiesen, daß man mit der Erfolgskombination "100.000 Leser mehr erreicht". Daß es sich auf Seite 3 um die Netto- und auf Seite 4 um die Bruttoreichweite handle, werde nicht verdeutlicht. Grundsätzlich seien potentielle Inserenten daran interessiert, möglichst viele verschiedene Zeitungsleser und nicht Doppelleser anzusprechen, um dadurch Kunden zu werben. Nur aus dem in der Überschrift auf Seite 4 enthaltenen Begriff "Kontakte" könne geschlossen werden, daß es sich bei der dort angeführten Leserzahl nicht um die Nettoreichweite, sondern um die Bruttoreichweite handle, wobei fraglich erscheine, ob die Bruttoreichweite mit Kontakten gleichgesetzt werden könne. Aus der grafischen Darstellung, auf die sich der Blick des Lesers der Broschüre in erster Linie richte, auch wenn er der Werbewirtschaft angehöre, sei derartiges nicht zu entnehmen. In Verbindung mit der auf Seite 1 enthaltenen Aussage, daß 100.000 Leser mehr erreicht werden könnten und der auf Seite 4 hervorgehobenen Balken über die Leserzahlen "SN LpN + Sbg. Woche" könne der Leser bei der für die Beklagten ungünstigsten Auslegung jedenfalls den unrichtigen Eindruck gewinnen, daß durch die Kombischaltung während der Woche 365.000 und am Wochenende 409.000 verschiedene Leser mit einem Werbeinserat erreicht würden. Zu dieser Irreführung trage bei, daß die Bruttoleserzahl der Zeitschriften der Beklagten der Leserzahl der "Salzburg-Krone" gegenübergestellt werde und es sich bei letzterer immer um die Nettoleserzahl handle, wenn auch dieser Vergleich durch das Unterlassungsbegehren nicht umfaßt sei. Die Beklagten hätten daher gegen § 2 UWG verstoßen.

Der gegen diesen Beschluß erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig, weil die angefochtene Entscheidung mit den Grundsätzen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu § 2 UWG teilweise in Widerspruch steht; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes wird die Beurteilung der Wirkung einer Werbung auf die angesprochenen Verkehrskreise (nur) dann als Rechtsfrage angesehen, wenn dazu die Erfahrungssätze des täglichen Lebens genügen (ÖBl 1979, 73 - Der Kleinste bei Preisen; ÖBl 1985, 105 - C & A mwN; ecolex 1995, 497 - PM-Privatmarkt uva; ablehnend Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht3 527f § 24 Rz 27). Wo hingegen dem Richter die erforderliche Erfahrung fehlt, sieht es die Rechtsprechung als notwendig an, daß zur Beurteilung der Frage, welche Wirkung eine bestimmte Werbung auf die interessierten Verkehrskreise hat, Beweise aufgenommen werden (ÖBl 1974, 82 - Molkerei-Einmalpackungen; ÖBl 1985, 105 - C & A; SZ 59/101 = ÖBl 1987, 78 - Wärmeabgabentabellen; ÖBl 1995, 272 - Kanalverbaugeräte; igS BGH Gruber 1986, 676 - Bekleidungswerk mwN). Ganz allgemein steht es im übrigen den Parteien frei, selbst Erfahrungssätze zu behaupten und unter Beweis zu stellen oder den Beweis der Unrichtigkeit der vom Obersten Gerichtshof zugrunde gelegten Erfahrungssätze anzutreten (ÖBl 1985, 105 - C & A; ÖBl 1992, 114 - Prioflor; MR 1994, 209 - Bedeutendste Tageszeitung Oberösterreichs; MR 1995, 189 - Österreichs größte Qualitätszeitung).

Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin wurde die beanstandete Werbeschrift auf einer werbewirtschaftlichen Tagung verbreitet, war also an Werbefachleute gerichtet.

Wie die angesprochenen Fachleute aus der Werbewirtschaft die beanstandeten Aussagen verstehen, kann nicht aufgrund der dem Gericht bekannten Erfahrungssätze des täglichen Lebens beurteilt werden. Die Auffassung dieser Fachkreise ist dem Gericht nicht bekannt und muß daher durch Beweisaufnahme ermittelt werden (vgl SZ 59/101 = ÖBl 1987, 78 - Wärmeabgabetabellen; ÖBl 1995, 272 - Kanalverbaugeräte).

Die Klägerin hat nur die Seite 4 der Werbebroschüre beanstandet. Auf die übrigen Angaben, insbesondere auf Seite 1, war entgegen der Meinung der Vorinstanzen nicht Bedacht zu nehmen. Maßgeblich ist daher allein, ob die Werbeaussage über "mehr als 400.000 Kontakte mit einer einzigen Kombischaltung" von Werbefachleuten dahin mißverstanden werden kann, daß sie die "Kontakte" mit einem mittels "Kombischaltung" veröffentlichten Inserat den Kontakten mit einem Inserat in der "Salzburg-Krone" gleichhalten, also das Phänomen von Doppellesern übersehen.

Der hier zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich demnach von demjenigen, der den Entscheidungen 4 Ob 1051/95 und 4 Ob 2394/96d zugrunde gelegen war. In der Entscheidung 4 Ob 1051/95 wurde ausdrücklich offen gelassen, ob der Begriff des "Leserkontaktes" allenfalls für Marketing-Fachleute eine klare Bedeutung habe (wie die dortigen Beklagten erst im Rechtsmittelverfahren zu beweisen versucht hatten), weil damit nichts über das Verständnis der angesprochenen Verkehrskreise - das waren Inserenten, die selbst nicht der Werbewirtschaft angehörten - ausgesagt würde. Auch in 4 Ob 2394/96d war es nur um die Wirkung der beanstandeten Werbung auf die angesprochenen Inserenten gegangen.

Ist aber nicht bescheinigt, welche Vorstellung die angesprochenen Fachleute mit der beanstandeten Werbebehauptung der Beklagten verbinden, so kann auch nicht der Schluß gezogen werden, daß diese Werbebehauptung zur Irreführung geeignet sei (§ 2 UWG). Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist somit im Provisorialverfahren zu verneinen.

Aus diesen Erwägungen war in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen der Sicherungsantrag abzuweisen.

Der Ausspruch über die Kosten des Provisorialverfahrens gründet sich auf §§ 78, 402 Abs 4 EO, §§ 41, 52 ZPO, für das Rechtsmittelverfahren in Verbindung mit § 50 Abs 1 ZPO.

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