Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Das Stammkapital der im Firmenbuch des Handelsgerichtes Wien seit 17.12.1986 eingetragenen Gesellschaft mbH beträgt 600.000 S. Dr.Maria L***** ist Gesellschafterin mit einer Stammeinlage von 100.000 S. Seit 31.7.1992 ist Dkfm.Mag.Wolf-Dieter R***** Geschäftsführer der Gesellschaft.
Am 12.4.1996 begehrte die Gesellschafterin, der Gesellschaft aufzutragen, die fehlenden Jahresabschlüsse für die Jahre 1986 bis 1991 an sie auszufolgen. Der Geschäftsführer äußerte sich zu diesem Antrag dahin, daß er für die Zeit vor 1992 außerstande sei, Bilanzen zu erstellen, weil sein Vorgänger als Geschäftsführer lediglich ein Strohmann des vom Landesgericht für Strafsachen Graz wegen Betruges verurteilten "faktischen" Geschäftsführers der Gesellschaft (Sohn der Antragstellerin) gewesen sei und dem nunmehrigen Geschäftsführer keinerlei Unterlagen übergeben worden seien. Es habe weder eine Buchhaltung existiert noch seien Belege aufbewahrt worden. 1986 und 1987 seien noch Bilanzen im Auftrag des "faktischen" Geschäftsführers erstellt worden. Diese seien jedoch unrichtig gewesen. Mehr als 100 vom Sohn der Antragstellerin schwer geschädigte Anleger hätten den Geschäftsführer beauftragt, an der kostengünstigen Abwicklung der Beteiligungsmodelle mitzuwirken. Die Antragstellerin beabsichtige offensichtlich, durch wiederholte Inanspruchnahme des Geschäftsführers zusätzliche Kosten zu verursachen.
Die Antragstellerin brachte noch vor, daß eine Bilanzerstellung auch für die Jahre bis 1992 problemlos möglich sei.
Das Erstgericht trug der Gesellschaft auf, binnen 14 Tagen den Jahresabschluß für die Geschäftsjahre 1988 bis 1991 zu erstellen und der Antragstellerin zu übersenden. Das Mehrbegehren betreffend die Jahre 1986 und 1987 wurde unangefochten abgewiesen. Das Erstgericht vertrat die Auffassung, daß gemäß § 22 Abs 2 GmbHG jedem Gesellschafter ohne Verzug nach Aufstellung des Jahresabschlusses Abschriften zuzusenden seien. Die Frist zur Erstellung des Jahresabschlusses betrage gemäß § 222 Abs 1 HGB fünf Monate. Aus dem Informationsanspruch des Gesellschafters einer Gesellschaft mbH sei ein direkter Anspruch gegen die Gesellschaft auf Aufstellung und Übermittlung des Jahresabschlusses abzuleiten. Dieser Anspruch sei gemäß § 102 GmbHG im außerstreitigen Verfahren geltend zu machen. Die Jahresabschlüsse für 1986 und 1987 habe die Antragstellerin bereits erhalten.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Gesellschaft Folge und hob den angefochtenen Beschluß zur Verfahrensergänzung auf. Es vertrat die Auffassung, daß dem Antrag der Gesellschafterin auf Ausfolgung fehlender Jahresabschlüsse auch der Antrag innewohne, der Gesellschaft die Erstellung von Jahresabschlüssen aufzutragen. Ein solcher Anspruch stehe dem Gesellschafter zu, er sei im außerstreitigen Verfahren zu verfolgen. Eine Kapitalgesellschaft habe gemäß § 222 Abs 1 HGB in den ersten fünf Monaten des Geschäftsjahres für das vorangegangene Geschäftsjahr den um den Anhang erweiterten Jahresabschlusses sowie einen Lagebericht aufzustellen und den Mitgliedern des Aufsichtsrats vorzulegen. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung stünden dem Gesellschafter einer Gesellschaft mbH umfassende Informationsansprüche zu. Diese dienten der Geltendmachung der aus der Gesellschafterstellung erfließenden Herrschafts- und Vermögensrechte. Sie umfaßten auch unmittelbar gegen die Gesellschaft durchsetzbare Ansprüche auf Rechnungslegung. Es sei zu prüfen, ob die Gesellschaft diesen Anspruch abwehren könne, wenn seine Erfüllung unmöglich wäre oder einen Rechtsmißbrauch darstellen würde. Zur Frage, ob die Unmöglichkeit der Rechnungslegung aufgrund fehlender Belege bereits im (außerstreitigen) Titelverfahren zu berücksichtigen sei, existierten nur zwei oberstgerichtliche Entscheidungen. In SZ 36/74 habe der Oberste Gerichtshof zwar ausgesprochen, daß das Fehlen von Aufzeichnungen und Belegen den Rechnungspflichtigen nicht von der Rechnungslegungspflicht befreie, aus der Begründung sei jedoch erkennbar, daß eine endgültige Beantwortung dieser Rechtsfrage von weiteren Sachverhaltsfeststellungen abhängig sei. In WoBl 1992/141 habe der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, daß bei absoluter Unmöglichkeit der Rechnungslegung das Leistungsbegehren abzuweisen sei. Ob die Vernichtung von Belegen einer Hausverwaltung durch einen Wasserschaden schon die absolute Unmöglichkeit der Rechnungslegung begründe, habe der Oberste Gerichtshof von weiteren Sachverhaltserhebungen abhängig gemacht. Jedenfalls dürfe die Exekution zur Erwirkung unmöglicher unvertretbarer Handlungen nicht bewilligt werden. Selbst bei nachträglich verschuldeter Unmöglichkeit sei die Exekution einzustellen. Die Unmöglichkeit der Handlung im Sinne des § 354 EO müsse von Amts wegen berücksichtigt werden. Wenn feststehe, daß eine Rechnungslegung für den fraglichen Zeiraum nur unter Mitwirkung des Sohnes der Antragstellerin möglich sei und daß diese Mitwirkung auch in absehbarer Zukunft nicht erreicht werden könne, so wäre der Antrag der Gesellschafterin abzuweisen, weil andernfalls ein nicht exequierbarer Titel geschaffen würde. Das Erstgericht habe sich mit dem Vorbringen der Gesellschaft zur Unmöglichkeit der Rechnungslegung nicht befaßt. Zu diesem Thema reichten die Tatsachenfeststellungen nicht aus. Informationsansprüche dürften nicht rechtsmißbräuchlich erhoben werden. Dies habe der Oberste Gerichtshof in Fällen der vom Gesellschafter begehrten Bucheinsicht bereits ausgesprochen. Nichts anderes könne für den Anspruch auf Aufstellung des Jahresabschlusses gelten. Nach dem Vorbringen der Gesellschaft im Rekurs werde die Antragstellung als rechtsmißbräuchlich angesehen. Die Gesellschaft verfüge seit 1992 über kein Vermögen. Der Antragstellerin müßte bestens bekannt sein, daß die für die Bilanzerstellung benötigten Urkunden nicht existierten. Sie habe aus "unerfindlichen Gründen jahrelang (insbesondere während der faktischen Geschäftsführertätigkeit ihres Sohnes)" Rechnungslegungsansprüche nicht geltend gemacht. Nach Ansicht des Rekursgerichtes fehlten auch zum Thema der Rechtsmißbräuchlichkeit ausreichende Feststellungen über das wechselseitige Parteienvorbringen.
Das Rekursgericht sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil zur Frage der Unmöglichkeit der Aufstellung des Jahresabschlusses wegen fehlender Belege sowie zur Frage der Rechtsmißbräuchlichkeit der Ausübung des Rechnungslegungsanspruchs eine oberstgerichtliche Rechtsprechung nicht vorliege.
Mit ihrem Rekurs beantragt die Gesellschafterin, den Rekurs des Geschäftsführers (der Gesellschaft) als unzulässig zurückzuweisen (erkennbar wird auch beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben).
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der Gesellschafterin ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.
Gemäß § 22 Abs 2 GmbHG sind jedem Gesellschafter ohne Verzug nach Aufstellung des Jahresabschlusses samt Lagebericht Abschriften zuzusenden. Zur Aufstellung des Jahresabschlusses ist die Gesellschaft durch ihren gesetzlichen Vertreter (Geschäftsführer) in den ersten fünf Monaten des Geschäftsjahres für das vorangegangene Geschäftsjahr verpflichtet (§ 222 Abs 1 HGB idF des RLG, BGBl 1990/475). Das Rekursgericht hat zutreffend einen Anspruch des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft auf Erstellung des Jahresabschlusses (EvBl 1991/47; 6 Ob 1039/95; Reich-Rohrwig, GmbHRecht I2 Rz 3/218 f) und die Durchsetzung dieses Anspruchs, der Ausfluß des allgemeinen Informationsanspruchs des Gesellschafters ist, im außerstreitigen Verfahren bejaht (NZ 1990, 232; RdW 1991, 14 = SZ 63/115; EvBl 1991/85 = SZ 62/160; NZ 1997, 96; Reich-Rohrwig aaO Rz 3/220; Koppensteiner, GmbHG Rz 18 zu § 22). Die Rechtsfrage, ob die Gesellschaft dem Anspruch auf Aufstellung des Jahresabschlusses die Einwendung entgegenhalten kann, daß die Aufstellung faktisch oder rechtlich unmöglich wäre, wurde vom Obersten Gerichtshof noch nicht behandelt.
Die Anordnung des Firmenbuchgerichtes, den Jahresabschluß aufzustellen, bedeutet eine durchsetzbare Titelschöpfung. Die Verpflichtung der Gesellschaft muß im Exekutionsverfahren durchsetzbar sein. Dies setzt voraus, daß der Vertreter der Gesellschaft auch in der Lage ist, seiner Verpflichtung zur Aufstellung des Jahresabschlusses nachzukommen. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich dabei um zwangsweise durchzusetzende vertretbare oder unvertretbare Handlungen handelt; in beiden Fällen muß die zu erzwingende Handlung jedenfalls durchführbar sein. Die Zwangsmaßnahmen im Vollstreckungsverfahren (hier nach § 19 AußStrG) sind keine Strafsanktion, sie dienen ausschließlich der Erzwingung des betriebenen Anspruchs. Zu den Rechtsfolgen des Umstandes, daß die Erfüllung des Anspruchs faktisch oder rechtlich unmöglich ist, kann auf die Judikatur zur Unmöglichkeit der Erfüllung rechtsgeschäftlicher Verpflichtungen zurückgegriffen werden. Wenn die Erfüllung durch Verschulden des Verpflichteten oder durch einen von ihm zu vertretenden Zufall vereitelt wird, hat der andere Teil Anspruch auf Schadenersatz. Er kann vom Vertrag zurücktreten (§ 920 erster Satz ABGB). Aus dieser Gesetzesstelle hat die Judikatur gefolgert, daß bei Vereitelung der Leistung zu dieser nicht verurteilt werden könne. Vor allem in den Fällen der Doppelveräußerung oder der Doppelvermietung wurden die Grundsätze entwickelt, daß der Erfüllungsanspruch nicht zusteht, wenn der Schuldner nachweist, daß keine ernstzunehmende Chance auf Erbringung der Leistung besteht, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Unmöglichkeit der Leistung anzunehmen ist. Zweifel gehen zu Lasten des Schuldners (JBl 1985, 742; JBl 1996, 521 uva; Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 10 zu § 920 mwN). Bei offenkundiger Unmöglichkeit ist nicht auf Leistung zu verurteilen, genauso wie dies bei nicht zu vertretender Unmöglichkeit der Fall ist (§§ 880, 1447 ABGB). Der aus dem Gesetz ableitbare Anspruch des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft mbH auf Aufstellung des Jahresabschlusses ist am ehesten - wie das Rekursgericht erkannte - einem vertraglichen Rechnungslegungsanspruch vergleichbar. In der vom Rekursgericht zitierten Entscheidung WoBl 1992/141 war der Anspruch eines Wohnungseigentümers gegenüber dem Hausverwalter auf ordnungsgemäße Jahresabrechnung zu beurteilen. Die Abrechnungsunterlagen waren bei einem Wasserschaden vernichtet worden. Der Oberste Gerichtshof vertrat die Auffassung, daß der Gläubiger dann nicht auf seinem Leistungsanspruch beharren könne, wenn diesem eine absolute, gegen jedermann wirkende rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit entgegenstehe. Bei Zweifeln über die Unmöglichkeit habe der Gläubiger aber einen Anspruch auf Schaffung eines Exekutionstitels, auch wenn dieser nicht sofort vollstreckt werden könne. Es komme auf die Rekonstruierbarkeit der fehlenden Abrechnungsunterlagen an. Diese Grundsätze sind auch auf den vorliegenden Fall anwendbar, in dem der Geschäftsführer der Gesellschaft sich auf eine Unmöglichkeit der Aufstellung der beantragten Jahresabschlüsse wegen fehlender Buchführung beruft. Wenn das Rekursgericht zur Unmöglichkeit der Leistung den Sachverhalt für noch nicht ausreichend festgestellt erachtete, so kann dem der Oberste Gerichtshof nicht entgegentreten, weil das Rekursgericht nicht von einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache ausging. Die Rekurswerberin bekämpft auch nicht die dargelegten Rechtsansichten. Sie behauptet zum relevanten Thema nur, daß für eine "Bilanzerstellung lediglich die Offenlegung der Konten notwendig" sei. Die Existenz derartiger Konten steht keineswegs fest. Ob für die Aufstellung der Jahresabschlüsse die allenfalls vorhandenen Kontounterlagen ausreichen, wird im zu ergänzenden Verfahren genauso zu klären sein wie die Frage der Rekonstruierbarkeit der wirtschaftlichen Vorgänge in den betreffenden Geschäftsjahren, für die die Jahresabschlüsse erstellt werden sollen.
Das Rekursgericht hielt das Verfahren noch in einem zweiten Punkt für ergänzungsbedürftig. Das erst 1996 gestellte Begehren der Gesellschafterin auf Erstellung von Jahresabschlüssen für die Jahre 1988 bis 1991 könnte schikanös, also rechtsmißbräuchlich sein. Auch hier ging das Rekursgericht nicht von einer unrichtigen Rechtsauffassung aus. Grundsätzlich kann auch die Geltendmachung von Informationsansprüchen durch den Gesellschafter einer Gesellschaft mbH rechtsmißbräuchlich sein. Es wurde schon ausgesprochen, daß die Inanspruchnahme des Individualrechtes des Gesellschafters auf Information dann rechtsmißbräuchlich ist, wenn damit gesellschaftsfremde, die Gesellschaft schädigende Interessen verfolgt werden (NZ 1990, 232; RdW 1992, 173 = SZ 65/11; NZ 1997, 96). Ein Leistungsbegehren zum offenbaren Zweck, den Schuldner zu schädigen (§ 1295 Abs 2 ABGB), ist abzuweisen. Die Rechtsausübung ist aber grundsätzlich nur bei zumindest überwiegenden unlauteren Motiven rechtsmißbräuchlich (Reischauer aaO Rz 58 f zu § 1295 mwN aus der Judikatur). Gegen die vom Rekursgericht zu diesem Thema für notwendig erachtete Ergänzung der Feststellungen zu den kontroversiellen Parteivorbringen vermag der Oberste Gerichtshof aus rechtlichen Gründen nicht entgegenzutreten. Dem Rekurs der Gesellschafterin gegen den Aufhebungsbeschluß ist daher insgesamt nicht Folge zu geben.
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