OGH 11Os19/97

OGH11Os19/9717.6.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.Juni 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Ebner, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Marte als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Josef F***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Schöffengericht vom 20. September 1996, GZ 7 Vr 679/96-52, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Tiegs, des Angeklagten und des Verteidigers Dr.Schaller zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Die Berufung wegen des Ausspruches über die Schuld wird zurückgewiesen.

Den Berufungen (wegen des Ausspruches über die Strafe) wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Josef F***** der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (Punkt I des Urteilssatzes), der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB (II) und des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (III) sowie des Vergehens des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (IV) schuldig erkannt.

Darnach hat er

(zu I) zu näher nicht feststellbaren Zeitpunkten unmündige Personen durch Betasten ihrer Geschlechtsteile, somit auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, und zwar

1) in Wien seine am 26.Juni 1978 geborene Stieftochter Alexandra W***** im Jahre 1987 in drei Angriffen und

2) in Holzschlag seine am 15.Oktober 1984 geborene Tochter Adelheid F***** einmal im Mai 1996;

(zu II) zwischen einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt im Jahre 1987 bis zum 17.Juni 1996 in Wien und Holzschlag Alexandra W***** außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Duldung des Beischlafes dadurch genötigt, daß er sie in einer Vielzahl von Angriffen im Bett festhielt, ihre Beine auseinanderdrückte und unter Ausnützung seines Körpergewichtes ihre Gegenwehr durchbrach;

(zu III) durch die zu II beschriebenen Tathandlungen zwischen 1987 und dem 26.Juni 1992 in Wien mit einer unmündigen Person den Beischlaf unternommen und

(zu IV) durch die zu

1) I 1), II und III beschriebenen Tathandlungen seine minderjährige Stieftochter Alexandra W***** und

2) I 2) beschriebene Tat seine minderjährige Tochter Adelheid F*****

zur Unzucht mißbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 4 und 9 lit a - der Sache nach Z 10 - des § 281 Abs 1 StPO gestützten (fälschlich als "Berufung wegen Nichtigkeit" bezeichneten) Nichtigkeitsbeschwerde, die jedoch unbegründet ist.

In seiner Verfahrensrüge (Z 4) remonstriert der Beschwerdeführer gegen die Abweisung mehrerer in der Hauptverhandlung vom 20.September 1996 gestellter Beweisanträge; indes zu Unrecht:

Das mit dem Antrag auf Vernehmung der Zeugin Sonja R*****, der Schwägerin des Angeklagten verbundene Beweisthema, daß keine Umstände aufgetaucht seien, die darauf schließen ließen, daß die beiden Mädchen vom Angeklagten mißbraucht worden wären, insbesondere daß keine der beiden Töchter dies der Mutter mitgeteilt hätte, keine verschmutzte Wäsche etc vorgelegen sei und bei Alexandra W***** niemals Verletzungen, wie sie derartige Handlungen üblicherweise nach sich ziehen, aufgetreten seien, ist unerheblich. Soweit nämlich das Gericht nicht ohnedies vom Fehlen solcher Umstände ausgegangen ist, verwies es zutreffend darauf, daß die vom Geschlechtsverkehr verschmutzte Wäsche von Alexandra W*****, die im Hinblick auf den angegriffenen Gesundheitszustand ihrer Mutter überwiegend die Hausarbeiten übernommen hatte, beseitigt wurde (US 9, S 217), und daß - was auch die gleichfalls gerügte Ablehnung des Antrages auf Einholung eines gynäkologischen Sachverständigengutachtens rechtfertigt - das Mädchen (in Übereinstimmung mit den forensischen Erfahrungen über Vergewaltigungen von Mädchen dieses Alters) angegeben hatte, nicht verletzt worden zu sein (US 14, 15).

Der Antrag auf Psychiatrierung des Angeklagten, den sein Verteidiger (lediglich) "im Hinblick auf einen offensichtlich übernormal ausgeprägten Sexualtrieb, der möglicherweise nur eine teilweise Schuldfähigkeit mit sich bringt", gestellt hatte (S 223), wurde vom Schöffensenat mit der gleichfalls zutreffenden Begründung S 229 f, vgl US 16) als unerheblich abgewiesen, daß sich im Zuge des Verfahrens keinerlei Hinweise auf derartige psychische Besonderheiten des Angeklagten ergeben haben (vgl Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 121), dieser vielmehr selbst geäußert hat, keinen besonderen Geschlechtstrieb und "vielleicht (...) dreimal im Monat Lust darauf" zu haben (S 201).

Dem - als Subsumtionsrüge (Z 10) anzusehenden - Beschwerdevorbringen, die unter II des Schuldspruches beschriebenen, nach § 201 Abs 2 StGB zu beurteilenden Tathandlungen dürften nicht auch dem Tatbestand des § 206 (zu ergänzen: Abs 1) StGB unterstellt werden ist zu erwidern, daß nach herrschender Lehre und Rechtsprechung angesichts der Verschiedenheit der geschützten Rechtsgüter echte Idealkonkurrenz dieser Tatbestände anzunehmen ist, weil nur dadurch der gesamte Unrechtsgehalt der Tat erfaßt werden kann (Leukauf/Steininger Komm3 § 206 RN 13; Mayerhofer/Rieder StGB4 § 201 E 49).

Aber auch die auf Z 9 lit a (der Sache nach auf Z 10) des § 281 Abs 1 StPO gestützte weitere Rüge, mit der der Beschwerdeführer die rechtliche Beurteilung der in I bis III des Urteilssatzes angeführten Taten auch als Mißbrauch eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (IV) als rechtsirrig bekämpft, geht fehl.

Eintätiges Zusammentreffen zwischen dem Vergehen des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 StGB und dem Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 StGB (oder dem Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 StGB) ist denkbar, wenn der Täter mit Gewalt oder gefährlicher Drohung handelt und diese Mittel in einem Zusammenhang mit der Ausnützung seiner Stellung als Autoritätsperson stehen. Begrifflich ausgeschlossen ist Idealkonkurrenz nur mit den in den jeweils letzten Deliktsfällen der Abs 1 und 2 des § 212 StGB umschriebenen Begehungsformen, weil das dort tatbildliche Verleiten im Sinne einer unter Einsatz der autoritären Stellung des Täters vorgenommenen Einwirkung auf den Willen des Opfers die letztlich freiwillige Ausführung der unzüchtigen Handlungen zum Ziele hat.

In den Fällen des Mißbrauches des eigenen Kindes, Wahlkindes etc wird der Tatbestand des § 212 Abs 1 StGB bereits aufgrund der besonderen Objektsqualität der Opfer verwirklicht, ohne daß hiezu, wie in den übrigen Fällen des § 212 StGB, der Nachweis der Ausnützung einer Autoritätsstellung zu erbringen ist, weil der Mißbrauch des Subordinationsverhältnisses in den zuerst genannten Fällen als typisch angesehen werden kann (vgl Dokumentation zum StGB 195, Pallin in WK § 212 Rz 17, Fegerl, Das neue Sexualstrafrecht, Orac-Verlag, Schriften zum Strafrecht 1995, S 210 f, EvBl 1979/72).

Im Gegensatz zu jener Judikatur, die zwar echte Konkurrenz zwischen den Deliktsfällen des § 212 StGB, in denen das Opfer zur Unzucht mißbraucht wird und Sexualdelikten, welche unter Beugung des dem sexuellen Mißbrauch entgegenstehenden Willens des Opfers begangen werden, bejaht, im Falle der Willensbrechung aber ausschließt (EvBl 1979/72, 1987/86, 1996/16 ua), ist der Oberste Gerichtshof der Auffassung, daß auch im letzteren Falle Idealkonkurrenz immer dann anzunehmen ist, wenn die Autorität des Täters für das Entstehen der Tatsituation oder die Ausführung der Tat zumindest mitbestimmend ist. Kann doch nicht zweifelhaft sein, daß die Widerstandskraft einer minderjährigen oder gar unmündigen Person, die in einem besonderen Naheverhältnis mit dem Täter verbunden ist, diesem gegenüber in der Regel schon aus psychologischen Gründen eher erlahmen und damit ihr Wille leichter gebrochen wird als die eines Opfers, das außerhalb einer solchen Beziehung steht (vgl RZ 1993/53). Zum anderen stellt der Mißbrauch des durch besonderes Vertrauen und Verantwortung gekennzeichneten natürlichen oder rechtsge- schäftlichen Autoritätsverhältnisses ein zusätzliches Un- rechtselement dar, das durch einen Schuldspruch allein wegen des Gewaltdeliktes nicht zur Gänze erfaßt werden kann.

Soweit § 212 StGB daher nicht - wie in Abs 1 aE - das "Verleiten" des Tatopfers zur Vornahme einer geschlechtlichen Handlung an sich selbst pönalisiert, ist bei Sittlichkeitsdelikten, die vom Täter unter bewußtem oder unbewußtem Einsatz seiner Stellung als Autoritätsperson an seinen Kindern etc begangen werden, auch dann, wenn deren Wille ausgeschaltet wurde, Idealkonkurrenz mit § 212 Abs 1 StGB möglich, weil nur dadurch der im Mißbrauch dieser besonderen Täter-Opferbeziehung gelegene (erhöhte) Unrechtsgehalt abgegolten wird.

Der erkennende Senat hat erwogen, daß die Befassung eines verstärkten Senates gemäß § 8 Abs 1 OGHG mit der Frage der Idealkonkurrenz zwischen §§ 201 und 202 StGB einerseits und § 212 StGB andrerseits nicht geboten ist; fallbezogen wird nämlich nicht von einer ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgegangen, sondern lediglich in einem Teilbereich dieser Problematik die Judikatur im Sinne einer kontinuierlichen Rechtsentwicklung den Erfordernissen der Zeit angepaßt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Die Berufung wegen des Ausspruches über die Schuld war zurückzuweisen, weil ein solches Rechtsmittel gegen Urteile eines Kollegialgerichtes im Gesetz nicht vorgesehen ist.

Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach §§ 28, 206 Abs 1 StGB eine fünfjährige Freiheitsstrafe, wobei der lange Deliktszeitraum, das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen und der Umstand, daß zwei Minderjährige mißbraucht worden waren, als erschwerend, als mildernd hingegen nichts gewertet wurde.

Auch der Beschwerdeführer konnte in seiner Berufung, mit der er neben dem nicht überzeugenden Versuch, die Bedeutung der Generalprävention für die aktuelle Straffestsetzung zu relativieren, unter bloß allgemein gehaltenem Hinweis auf seine Persönlichkeit, die soziale Situation, Labilität, Stimmungsschwankungen und Triebstruktur eine Herabsetzung des Strafmaßes anstrebt, keine beachtenswerten Milderungsgründe aufzeigen.

Hingegen konnte die von der Anklagebehörde mit ihrer auf eine Straferhöhung gerichteten Berufung relevierte mehrfache Vorverurteilung wegen Gewaltdelikten (vier Geldstrafen in den Jahren 1987 bis 1990, deren Ersatzfreiheitsstrafen jeweils einen Monat nicht übersteigen) keine Berücksichtigung finden, weil sie seit dem 7. Februar 1997 getilgt sind (S 21; §§ 3 Abs 1 Z 2, 4 Abs 1, Abs 3 und Abs 4 TilgG, 15 Os 204, 205/96).

Demnach erweist sich das vom Schöffensenat gefundene Strafmaß als tat- und schuldgerecht, weshalb beiden Berufungen ein Erfolg zu versagen war.

Die Kostenentscheidung ist in § 390 a StPO begründet.

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