OGH 10ObS155/97k

OGH10ObS155/97k22.5.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Karlheinz Kux (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ing.Hugo Jandl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gottfried H*****, Kraftfahrzeugmechaniker, derzeit ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr.Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen vorzeitiger Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27.Februar 1997, GZ 7 Rs 277/96a-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 11.September 1996, GZ 33 Cgs 71/96d-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 4.058,88 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 676,48 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 14.10.1938 geborene Kläger hat den Beruf eines Kraftfahrzeugmechanikers erlernt und war zunächst als solcher bis 1963 erwerbstätig. In der Folge war er drei Jahre lang als Taxilenker und dann bis 1975 im Betrieb seiner Ehefrau beschäftigt. Zuletzt stand er von Jänner 1976 bis Dezember 1994, also 19 Jahre lang, als Berufskraftfahrer für einen Automobilclub (den ÖAMTC) in Beschäftigung, wobei er mit schweren Lastkraftfahrzeugen Abschleppfahrten in ganz Europa durchführen mußte. Seit Jänner 1995 geht er keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung mehr nach.

Aufgrund verschiedener krankheitsbedingter Veränderungen sind dem Kläger nur noch leichte und bis zur Hälfte eines Arbeitstages mittelschwere Arbeiten zumutbar, die im Gehen, Stehen und Sitzen geleistet werden können. Bück- und Hebearbeiten sind um die Hälfte eines Arbeitstages, Überkopfarbeiten um ein Drittel des Arbeitstages einzuschränken. Schwere Arbeiten sind ihm überhaupt nicht mehr zumutbar. Die körperliche Belastung eines Berufskraftfahrers ist im wesentlichen von der Kategorie des Fahrzeuges abhängig. Das Lenken von Schwerfahrzeugen wie Last- und Tankwagen, Sattelschleppern, Silofahrzeugen usw erfordert auch eine schwere körperliche Arbeit, wobei diese bis an ein Viertel der täglichen Arbeitszeit heranreicht. Vergleicht man das Leistungskalkül des Klägers mit dem Anforderungsprofil der Berufsaufgaben eines Berufskraftfahrers, so kann er diese Erwerbstätigkeit ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht mehr universell ausüben. Beim Lenken von Lastkraftwagen sind nämlich körperlich schwere Arbeiten berufstypisch. Der Kläger kann die Tätigkeit, die er in den letzten 15 Jahren ausgeübt hat, nämlich die eines Abschleppfahrers, nicht mehr bewältigen, da diese Tätigkeit mit dem Lenken eines Lastkraftwagens, der Notwendigkeit des Anlegens von Schneeketten und der Benützung von Auffahrtshilfen verbunden war, insgesamt also auch schwere Arbeiten verrichtet werden mußten. Das Lenken von kleinen Lastkraftwagen und die Tätigkeit als Dienstwagenfahrer wäre aber dem Kläger noch zumutbar.

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 5.3.1996 wurde der Antrag des Klägers vom 17.8.1995 auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit abgelehnt.

Das Erstgericht gab dem dagegen erhobenen Klagebegehren statt. Es sprach aus, daß das Klagebegehren auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit in der gesetzlichen Höhe ab dem 1.9.1995 dem Grunde nach zu Recht besteht und trug der Beklagten auf, dem Kläger ab diesem Datum vorläufige monatliche Zahlungen von S 8.000 zu erbringen. Vergleiche man das Leistungskalkül des Klägers mit dem Anforderungsprofil seiner Berufsaufgaben als Abschleppfahrer eines Autobomilclubs, dann zeige sich, daß er dieser Tätigkeit ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht weiterhin nachgehen könne. Daß ihm die Bedienung von Kleinlastkraftwagen und insbesondere die Tätigkeit als Dienstwagenfahrer noch zumutbar wäre, habe außer Betracht zu bleiben, weil er vor dem Stichtag ausschließlich eine Tätigkeit verrichtet habe, die notwendigerweise immer mit körperlicher Schwerarbeit verbunden gewesen und ihm nicht mehr zumutbar sei. Die Voraussetzungen nach § 253 d ASVG seien daher erfüllt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Es sei nicht strittig, daß der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit im Sinne des § 253 d Abs 1 Z 3 ASVG als Berufskraftfahrer für einen Automobilclub (LKW-Fahrer mit Abschleppwagen) ausgeübt habe und diese Tätigkeit sein medizinisches Leistungskalkül überschreite. Nach Z 4 der genannten Gesetzesstelle - nur diese Voraussetzung sei strittig - liege der Pensionsanspruch vor, wenn der Versicherte nicht mehr imstande sei, durch diese Tätigkeit wenigstens die Lohnhälfte zu erzielen. Strittig sei hier lediglich, was den Kernbereich seiner Tätigkeit ausgemacht habe, nämlich allgemein das Lenken von Fahrzeugen mit der Folge, daß er auch auf die Tätigkeit eines Fahrers von Klein-LKWs oder eines Dienstwagenfahrers verwiesen werden könne, oder ob das Lenken von schweren LKWs einzubeziehen sei. Nach der Rechtsprechung seien gleichartige Tätigkeiten solche, die im Kernbereich der Tätigkeit im wesentlichen ähnliche Anforderungen stellten; lediglich unterschiedliche Anforderungen im Randbereich der Tätigkeit stünden der Annahme der Gleichartigkeit nicht entgegen. Ob der Versicherte die überwiegend ausgeübte Tätigkeit weiter ausüben könne, richte sich nur nach der Haupttätigkeit. Diese sei aber im Fall des Klägers das Lenken von Kraftfahrzeugen, so daß er auf die seine medizinischen Leistungskalkül noch entsprechenden Tätigkeiten eines Fahrers von Klein-LKWs oder eines Dienstwagenfahrers verwiesen werden könne.

Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach § 253 d Abs 1 ASVG hat der Versicherte unter anderem dann, wenn er in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hat (Z 3) und infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch diese Tätigkeit (Z 3) wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt (Z 4). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes sind gleichartige Tätigkeiten im Sinne des § 253 d Abs 1 Z 3 ASVG solche, die in ihrem Kernbereich im wesentlichen ähnliche physische und psychische Anforderungen unter anderem an Intelligenz, Kenntnisse, Umsicht, Verantwortungsbewußtsein, Handfertigkeit, Körperkraft, Körperhaltung, Durchhaltevermögen und Konzentrationsfähigkeit stellen. Der Kernbereich einer Tätigkeit ergibt sich aus den Umständen, die ihr Wesen ausmachen und die sie von anderen Tätigkeiten unterscheiden. Unterschiedliche Anforderungen im Randbereich der Tätigkeit stehen der Annahme der Gleichartigkeit nicht entgegen; umgekehrt führen Übereinstimmungen im Randbereich nicht zur Bejahung der Gleichartigkeit (10 ObS 145/95 - unveröffentlicht; 10 ObS 2061/96b = SSV-NF 10/42; 10 ObS 104/97k; 10 ObS 30/97b; ähnlich bereits SSV-NF 2/53 = SZ 61/138 ua zu den vergleichbaren, inzwischen aufgehobenen Bestimmungen der §§ 255 Abs 4 lit c und 273 Abs 3 lit c ASVG). Es ist demnach zulässig, den Versicherten auf Arbeiten zu verweisen, die zwar im Kernbereich völlig mit der bisher geleisteten Tätigkeit übereinstimmen, bei denen jedoch Nebentätigkeiten wegfallen, die am Arbeitsmarkt mit der Haupttätigkeit nicht typischerweise verbunden sind (SSV-NF 3/130 uva). In der Entscheidung SSV-NF 6/35 wurde ausgesprochen, daß insbesondere das Tragen und Vorzeigen von Stoffballen und die Tätigkeit bei der Dekoration von Schaufenstern im Kernbereich der Tätigkeit einer Stoffverkäuferin liegen, weshalb es zur Berufsunfähigkeit führt, wenn ihr das Tragen und Vorzeigen von Stoffballen und die Tätigkeit bei der Dekoration von Schaufenstern nach dem medizinischen Leistungskalkül nicht mehr zumutbar sind. Die Entscheidung 10 ObS 30/97b betraf einen Versicherten, der in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag ausschließlich als Mechanikermeister im Baumaschinenbereich tätig war, mit welcher Tätigkeit das Arbeiten in exponierten Lagen geradezu berufstypisch verbunden ist. Das Arbeiten in exponierten Lagen, insbesondere auf Baukränen wurde damit dem Kernbereich einer solchen Tätigkeit zugerechnet, weil dies Umstände sind, die das Wesen dieser Tätigkeit ausmachen und sie von anderen Tätigkeiten eines Kfz-Mechanikers unterscheiden. Hingegen wurde in der Entscheidung SSV-NF 10/42 ausgesprochen, daß ein Versicherter, der die Tätigkeit eines Kfz-Meisters und Werkstättenleiters ausübte, nicht von diesem Beruf ausgeschlossen ist, wenn er die dabei anfallenden gelegentlichen schweren körperlichen Tätigkeiten nicht mehr verrichten kann, weil das Verrichten schwerer Arbeiten (Heben von 30 kg und mehr) nicht dem üblichen Berufsbild eines Kfz-Meisters und Werkstättenleiters entsprechend befunden wurde. Von Bedeutung ist in allen diesen Fällen, daß der Gesetzgeber im Fall des § 253 d Abs 1 Z 4 ASVG wie schon in den früheren Fällen der §§ 255 Abs 4 und 273 Abs 3 ASVG nicht nur von einem Berufsschutz im Sinne einer Verweisbarkeit innerhalb der Berufsgruppe, sondern von einem "Tätigkeitsschutz" ausging (932 BlgNR 18.GP, 49, zitiert in ASVG MGA 61.ErgLfg Anm 1 zu § 253 d; vgl auch SSV-NF 10/42 und neuerlich 10 ObS 30/97b).

Der vorliegende Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, daß der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag ausschließlich als Berufskraftfahrer für einen Automobilclub in Beschäftigung stand, wobei er Abschleppfahrten mittels (schwererer) Lastkraftwagen in ganz Europa durchführte. Dieses Lenken von Abschleppfahrzeugen und auch die damit verbundenen Tätigkeiten wie das Anlegen von Schneeketten, das Benützen von Auffahrtshilfen und das Arbeiten an exponierten Stellen gehörten damit zum Kernbereich einer solchen Tätigkeit, weil dies Umstände sind, die das Wesen dieser Tätigkeit ausmachen und sie von anderen Tätigkeiten eines Kraftfahrers unterscheiden. Da für den Kläger nach seinem medizinischen Leistungskalkül schwere Arbeiten und Arbeiten in exponierten Lagen ausscheiden, ist er infolge seines körperlichen Zustandes nicht mehr imstande, durch diese Tätigkeit wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt. Das Abstellen auf die Arbeitsfähigkeit eines Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht zwar dem Begriff der Berufsunfähigkeit nach § 273 Abs 1 ASVG, nicht aber dem der geminderten Arbeitsfähigkeit im Sinne des § 253 d Abs 1 Z 4 ASVG. Im Falle des Klägers ist nicht ein Berufsschutz, sondern ein Tätigkeitsschutz (arg: "durch diese Tätigkeit" in § 253 d Abs 1 Z 4 ASVG) ausschlaggebend. Die Auffassung des Berufungsgerichtes, der Kläger müsse sich auf Tätigkeiten eines Fahrers von Klein-LKWs oder eines Dienstwagenfahrers verweisen lassen, vernachlässigt den Unterschied zwischen dem Berufsschutz und dem Tätigkeitsschutz im Sinne der oben zitierten Normen. Ob der Kläger nicht nur als Abschleppfahrer, sondern auch als Pannenfahrer (vgl dazu Berufslexikon Band 2, Ausgewählte Berufe, Stand April 1989 Seite 413) tätig war, wie er dies in seiner Revision darlegt, braucht nicht weiter untersucht zu werden.

In Stattgebung der vom Kläger erhobenen Revision war daher das der Klage stattgebende Urteil des Erstgerichtes zur Gänze wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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