OGH 10ObS127/97t

OGH10ObS127/97t22.5.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Ehmayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Karlheinz Kux (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ing.Hugo Jandl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mathilde N*****, vertreten durch Dr.Arnulf Summer und Dr.Nikolaus Schertler, Rechtsanwälte in Bregenz, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21.Jänner 1997, GZ 25 Rs 5/97i-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 3.September 1996, GZ 34 Cgs 80/96s-8, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, daß das Urteil des Erstgerichtes mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, daß der erste Absatz des Spruches unter Einbeziehung des rechtskräftig erfolgten Zuspruches insgesamt zu lauten hat:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei anstelle des bisher gewährten Pflegegeldes der Stufe 2 im Betrag von zuletzt 3.688 S ab 1.12.1995 ein Pflegegeld der Stufe 5 im Betrag von 11.275 S zu gewähren."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.058,88 S bestimmten Kosten des Revisions- verfahrens (darin enthalten 676,48 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 18.1.1916 geborene Klägerin lebt im Familienverband in einem städtischen Einfamilienhaus, das mit modernen Sanitäranlagen ausgestattet ist und über Zentralheizung und eine elektrische Kochstelle verfügt. Die erforderliche Pflege wird von den Töchtern und der Schwiegertochter erbracht. Bei der Klägerin besteht ein Zustand nach Unterschenkelamputation links bei arterieller Durchblutungsstörung und diabetischer Angiopathie infolge eines langjährigen insulinpflichtigen Diabetes, Verdacht auf Karpaltunnelsyndrom beiderseits und diabetischer Polyneuropathie der Hände, chronische Rückenbeschwerden und Rundrückenbildung bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, Coxarthrose rechts und inzipiente Gonarthrose rechts sowie eine medikamentös kompensierte latente Herzinsuffizienz. Seit der Amputation des linken Unterschenkels im Dezember 1995 ist der Klägerin eine selbständige Fortbewegung nicht mehr möglich. Eine Unterschenkelprothese wird wegen Wundheilungsstörungen nicht vertragen. Bei vorgeschädigtem Bewegungsapparat und dem Alter entsprechender Kraftverminderung der oberen Extremitäten sowie der deutlichen Defizite im Bereich der Fingermotorik kann die Klägerin keine Krücken verwenden. Sie ist zur Fortbewegung überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen, kann jedoch auch mit dem Rollstuhl ihren Bewegungsradius nicht selbständig erweitern. Es besteht ein Ausfall der oberen Extremitäten derart, daß die Kraft der Hände zur Betätigung der Räder des Rollstuhles nicht ausreicht. Auch der selbständige Transfer in und aus dem Rollstuhl ist der Klägerin wegen des Ausfalles der oberen Extremitäten nicht möglich. In diesem Umfang ist die Behinderung seit Dezember 1995 gegeben.

Die Klägerin benötigt ständige Betreuung und Hilfe bei der täglichen Körperpflege (25 Stunden), dem Zubereiten von Mahlzeiten (30 Stunden), der Verrichtung der Notdurft (30 Stunden), beim An- und Auskleiden (20 Stunden), der Einnahme der Medikamente (5 Stunden), bei der Herbeischaffung der Nahrungsmittel und Medikamente (10 Stunden), der Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände (10 Stunden), der Pflege der Leib- und Bettwäsche (10 Stunden) und Mobilitätshilfe im engeren (15 Stunden) und im weiteren Sinne (10 Stunden). Insgesamt ergibt sich sohin ein Pflegeaufwand von 165 Stunden.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 4.5.1994 wurde der Klägerin ab 1.1.1994 Pflegegeld der Stufe 2 im Betrag von 3.588 S gewährt. Am 28.9.1995 (bei der beklagten Partei eingelangt am 3.10.1995) beantragte die Klägerin die Gewährung eines Pflegegeldes einer höheren Stufe, weil sie zufolge verschiedener Leidenszustände vermehrter Pflege bedürfe.

Mit Bescheid vom 12.3.1996 gewährte die beklagte Partei der Klägerin ab 1.10.1995 Pflegegeld der Stufe 3 im Betrag von 5.990 S.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage mit dem Begehren, die beklagte Partei zur Leistung eines Pflegegeldes der Stufe 5 zu verpflichten.

Das Erstgericht sprach aus, daß die beklagte Partei verpflichtet sei, der Klägerin ab 1.12.1995 das Pflegegeld der Stufe 5 zu gewähren und wies das Begehren auf Gewährung des Pflegegeldes der Stufe 5 bereits ab 1.10.1995 ab. Sowohl das BPGG als auch die EinstV gingen grundsätzlich vom Konzept der funktionsbezogenen Beurteilung des Pflegebedarfes aus, was bedeute, daß die individuell erforderliche Betreuung und Hilfe maßgeblich sei. Nach § 4 Abs 3 Z 4 BPGG könnten jedoch für bestimmte Behindertengruppen mit weitgehend gleichartigem Pflege- bedarf - insoweit also diagnosebezogen - Mindesteinstufungen im Verordnungsweg vorgenommen werden. Die EinstV sehe solche ua für Personen vor, die zur Fortbewegung überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen seien. Die "Richtlinien für die einheitliche Anwendung des BPGG" sähen dazu vor, daß die diagnosebezogene Einstufung für Menschen, die zur Fortbewegung auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen seien, dann zu erfolgen habe, wenn der Betroffene weitgehend selbständig in der Lage sei, mit dem Rollstuhl seinen Bewegungsradius zu erweitern und seinen Lebensablauf möglichst eigenständig zu gestalten. Diese enge Definition sei jedoch aus dem Gesetzeswortlaut nicht ableitbar. Der EinstV (§ 8) sei nicht zu entnehmen, daß die diagnosebezogene Einstufung nicht erfolgen dürfe, wenn der Rollstuhl wegen zunehmender Gebrechlichkeit oder ähnlicher Leidenszustände angeschafft werde, um den Betroffenen durch andere Menschen fortzubewegen. Überdies seien die Richtlinien diesbezüglich widersprüchlich, zumal gemäß § 4 Z 3 von einem Pflegebedarf von durchschnittlich mehr als 180 Stunden und einem außergewöhnlichen Pflegebedarf auszugehen sei, wenn der selbständige Transfer in den und aus dem Rollstuhl wegen eines deutlichen Ausfalles der Funktionen der oberen Extremitäten nicht mehr möglich sei, bei einem deutlichen Ausfall der oberen Extremitäten aber davon ausgegangen werden müsse, daß der Betroffene nicht in der Lage sei, mit dem Rollstuhl seinen Bewegungsradius selbständig zu erweitern. Die Regelung der Richtlinien würde zu dem unakzeptablen Ergebnis führen, daß der Betroffene bei einem gänzlichen Ausfall der oberen Extremitäten schlechtergestellt wäre als jemand, bei dem ein solcher Ausfall nicht bestehe. Zu folgen sei daher der Ansicht Pfeils (Komm zum BPGG 100) wonach es nicht ausschlaggebend sei, ob sich der Betreffende mit dem Rollstuhl (weitgehend) selbständig bewegen könne. Bei der Klägerin sei daher von der diagnosebezogenen Einstufung (§ 8 Z 3 EinstV) auszugehen, woraus sich ab 1.12.1995 ein Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 5 ergebe. Da die Voraussetzungen für die diagnosebezogene Einstufung bis 1.12.1995 nicht gegeben gewesen sei, sei ihr Begehren auf ein höheres als das der Stufe 3 entsprechende Pflegegeld für die Zeit bis dahin nicht berechtigt.

Der den Anspruch der Klägerin auf ein die Stufe 3 übersteigendes Pflegegeld für die Zeit bis 30.11.1995 abweisende Teil erwuchs mangels Anfechtung in Rechtskraft.

Das Berufungsgericht hob über Berufung der beklagten Partei dieses Urteil in seinem klagestattgebenden Teil auf und verwies die Sache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Durch § 8 EinstV werde ein Personenkreis angesprochen, der weitgehend selbständig in der Lage sei, seinen Bewegungsradius zu erweitern und den Lebensalltag möglichst eigenständig zu bewerkstelligen. Die Fortbewegung mittels Rollstuhles umfasse eine selbständige Mobilität außerhalb des Wohnbereiches, der Gebrauch eines Rollstuhles bedeute, daß der Rollstuhlbenützer weitgehend selbständig mobil sei; bei bettlägrigen Patienten, die mit einem Rollstuhl fortbewegt würden, handle es sich hingegen um eine pflegerische Maßnahme, weil sie vor allem eine Lagerungsmaßnahme sei, um Komplikationen zu verhindern. Könne sich jemand mit dem Rollstuhl nicht selbst fortbewegen, so lägen die Voraussetzungen für die diagnosebezogene Einstufung im Sinne des § 8 EinstV nicht vor. Dennoch sei die Sache nicht spruchreif. Aufgrund der Feststellung ergebe sich nur, daß die Klägerin nicht in der Lage sei, sich mit einem mechanischen Rollstuhl fortzubewegen; zu klären sei jedoch die Frage, ob sie imstande sei, einen elektrisch betriebenen Rollstuhl noch selbständig zu betätigen und damit der Kreis ihrer Fortbewegung selbständig zu bestimmen.

Der Ansicht der beklagten Partei, daß eine diagnosebezogene Einstufung nach § 8 Z 3 EinstV nur zu erfolgen habe, wenn bereits die Erfordernisse nach Z 1 und 2 vorliegen, sei allerdings nicht beizutreten. Die beklagte Partei führe dazu aus, die Unterscheidung in die Z 1, 2 und 3 des § 8 EinstV entspreche dem Modell der Querschnittssymptomatik. Aus der Logik dieser Bestimmung ergebe sich, daß zunächst eine Lähmung der unter Extremitäten sowie eine Blasen- und Mastdarmlähmung sowie eine wesentliche Funktionseinschränkung der oberen Extremitäten vorliegen müsse, so daß der Transfer in und aus dem Rollstuhl nicht selbständig bewerkstelligt werden könne. Es widerspreche dem medizinischen Verständnis, daß allein durch den Funktionsausfall der oberen Extremitäten ein Pflegebedarf der Stufe 5 resultieren könne. Die EinstV ziele auf Querschnittsläsionen unterschiedlicher Höhe ab. Richtigerweise habe eine diagnosebezogene Einstufung nicht stattzufinden und es wäre über das Begehren ausgehend von einem Betreuungs- und Hilfsaufwand von 165 Stunden zu entscheiden.

Dieses Ergebnis lasse sich aus dem Gesetz nicht ableiten. Hätte der Gesetzgeber (bzw Verordnungsgeber) eine Regelung in diesem Sinne treffen wollen, so wäre es an ihm gelegen, § 8 Z 3 EinstV dahin zu formulieren, daß ein Pflegebedarf von 180 Stunden monatlich und ein außergewöhnlicher Pflegeaufwand nur dann anzunehmen sei, wenn zu den Erfordernissen des § 8 Z 1 und 2 EinstV noch ein deutlicher Ausfall von Funktionen der oberen Extremitäten hinzutrete. Überdies ergebe sich aus § 8 EinstV kein Hinweis darauf, daß die diagnosebezogene Einstufung nach dieser Bestimmung nur für Querschnittslähmungen zu gelten habe.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der vom Berufungsgericht für zulässig erklärte Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die beklagte Partei hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Nach § 4 Abs 5 (nunmehr Abs 3) BPGG ist der Bundesminister für Arbeit und Soziales unter anderem ermächtigt, Mindesteinstufungen für bestimmte Gruppen von behinderten Personen mit einem weitgehend gleichartigen Pflegebedarf vorzunehmen. Nach § 8 der Einstufungsverordnung zum BPGG, BGBl 1993/314 (EinstV) ist bei Personen, die zur Fortbewegung überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen sind, mindestens folgender Pflegebedarf ohne weitere Prüfung nach § 4 BPGG anzunehmen: 1. Pflegebedarf von durchschnittlich mehr als 120 Stunden monatlich, wenn kein deutlicher Ausfall von Funktionen der oberen Extremitäten und weder eine Stuhl- oder Harninkontinenz noch eine Blasen- oder Mastdarmlähmung vorliegen (entspricht Stufe 3); 2. Pflegebedarf von durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich, wenn kein deutlicher Ausfall von Funktionen der oberen Extremitäten, jedoch eine Stuhl- oder Harninkontinenz bzw eine Blasen- oder Mastdarmlähmung vorliegen (entspricht Stufe 4); 3. Pflegebedarf von durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich und ein außergewöhnlicher Pflegeaufwand, wenn ein deutlicher Ausfall von Funktionen der oberen Extremitäten gegeben ist (entspricht Stufe 5). Während das BPGG und die EinstV grundsätzlich vom Konzept der funktionsbezogenen Beurteilung des Pflegebedarfs ausgehen, dh von der individuell erforderlichen Betreuung und Hilfe, so werden für bestimmte Behindertengruppen mit weitgehend gleichartigem Pflegebedarf - insoweit also diagnosebezogen - Mindesteinstufungen im Verordnungsweg vorgenommen (Gruber/Pallinger, BPGG Rz 59 zu § 4; Pfeil, BPGG 99; 10 ObS 2349/96f uva).

Eine nähere Umschreibung der in § 8 EinstV geregelten Einstufungsvoraussetzungen versucht § 22 der vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger erlassenen Richtlinien für die einheitliche Anwendung des BPGG nach § 31 Abs 5 Z 23 ASVG, veröffentlicht in SozSi 1994, 686 ff - Amtliche Verlautbarung Nr 120/1994. Danach kann die diagnosebezogene Einstufung bei Menschen, die zur Fortbewegung überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhls angewiesen sind, dann erfolgen, wenn der Betroffene weitgehend selbständig in der Lage ist, seinen Bewegungsradius zu erweitern und seinen Lebenslauf möglichst eigenständig zu gestalten (Abs 2). Dies gelte jedoch nicht, wenn der Rollstuhl wegen zunehmender Gebrechlichkeit oder ähnlicher Leidenszustände angeschafft wurde, um den Betroffenen durch andere Menschen fortzubewegen (Abs 3). Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt mit ausführlicher Begründung dargelegt, daß diese Richtlinien des Hauptverbandes zwar im Hinblick auf den einheitlichen Vollzug des BPGG von den davon erfaßten Entscheidungsträgern anzuwenden sind, jedoch keine verbindliche Kraft für die in Sozialrechtssachen berufenen Gerichte beanspruchen können (10 ObS 2349/96f, 10 ObS 2396/96t, 10 ObS 2474/96p ua). An dieser Auffassung ist festzuhalten. Es ist zwar richtig, daß § 8 EinstV vor allem jene Personen zu unterstellen sind, die mit Hilfe des Rollstuhles ihren Bewegungsradius erweitern können und dadurch in die Lage versetzt werden, Verrichtungen, wie sie in §§ 1 und 2 EinstV vorgesehen sind (weitgehend), eigenständig vorzunehmen. Gerade im Hinblick auf § 8 Z 3 EinstV, wo von einem deutlichen Ausfall von Funktionen der oberen Extremitäten die Rede ist, aber auch unter Berücksichtigung des Zweckes des Pflegegeldes (§ 1 BPGG) kann es nach Meinung des Obersten Gerichtshofs nicht ausschlaggebend sein, ob der Betreffende sich mit dem Rollstuhl (weitgehend) selbständig bewegen kann oder ob er durch andere Menschen fortbewegt werden muß. Der Unterscheidung zwischen sogenannten "aktiven" und "passiven" Rollstuhlfahrern wurde daher für die Einstufung nach § 8 EinstV keine rechtserhebliche Relevanz zuerkannt (10 ObS 2349/96f ua). Im vorliegenden Fall ist die Klägerin nach den Feststellungen auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen, mit dem sie sich allerdings nicht alleine fortbewegen kann. Abgesehen von der Frage, ob sie sich mit einem elektrischen Rollstuhl alleine fortbewegen könnte, kommt wie eben ausgeführt der Frage, ob sie den Rollstuhl selbst bewegen kann oder ob er durch andere Menschen fortbewegt werden muß, keine entscheidende Bedeutung zu. Zu prüfen ist lediglich, ob die Klägerin nach § 8 Z 3 EinstV einzustufen ist, ob also bei ihr ein "deutlicher Ausfall von Funktionen der oberen Extremitäten gegeben ist." Dies ist hier der Fall; die Klägerin ist zufolge ihres angegriffenen Gesundheitszustandes und als Folge ihrer körperlichen Schwäche nicht in der Lage, die oberen Extremitäten so einzusetzen, daß es ihr möglich wäre, sich allein vom Bett aus in den Rollstuhl zu setzen bzw sich vom Rollstuhl aus wieder in das Bett zu begeben. Dies ist aber ausschlaggebend.

§ 22 Abs 4 der bereits genannten Richtlinien des Hauptverbandes hält einen Pflegebedarf von durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich und einen außergewöhnlichen Pflegeaufwand (also die Pflegegeldstufe 5) dann für gegeben, wenn "der selbständige Transfer in und aus dem Rollstuhl wegen eines deutlichen Ausfalles der Funktionen der oberen Extremitäten nicht mehr möglich ist". Der Oberste Gerichtshof hält diese Umschreibung für sachgerecht und legt daher § 8 Z 3 EinstV ebenfalls dahin aus, daß ein deutlicher Ausfall von Funktionen der oberen Extremitäten dann anzunehmen ist, wenn dem Betroffenen ein selbständiger Transfer in und aus dem Rollstuhl nicht mehr möglich ist. Nach den Feststellungen ist die Klägerin nicht mehr in der Lage, den Transfer vom Bett in ihren Rollstuhl und umgekehrt selbständig, dh ohne fremde Hilfe vorzunehmen. Nach § 8 Z 3 EinstV iVm § 4 Abs 2 BPGG hat daher die Klägerin Anspruch auf Pflegegeld in Höhe der Stufe 5.

Das Erstgericht ist somit zutreffend zum Ergebnis gelangt, daß der Anspruch der Klägerin auf Pflegegeld der Stufe 5 ab 1.12.1995 zu Recht besteht; der vom Berufungsgericht aufgetragenen Verfahrensergänzung bedarf es aus den angeführten Gründen nicht.

Der Spruch des erstgerichtlichen Urteiles entspricht allerdings nicht dem Gesetz. Gemäß § 89 Abs 2 ASGG kann das Gericht dann, wenn sich in einer Rechtsstreitigkeit nach § 65 Abs 1 Z 1, 6 oder 8 ASGG, in der das Klagebegehren auf eine Geldleistung gerichtet und dem Grunde und der Höhe nach bestritten ist, ergibt, daß das Klagebegehren in einer zahlenmäßig noch nicht bestimmten Höhe gerechtfertigt ist, die Rechtsstreitigkeit dadurch erledigen, daß es das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkennt und dem Versicherungsträger aufträgt, dem Kläger bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung zu erbringen. Voraussetzung für eine Erledigung des Klagebegehrens in diesem Sinne ist daher ua, daß die zahlenmäßige Höhe der auf eine Geldleistung gerichteten Leistung nicht feststeht. Dies ist aber in Pflegegeldsachen nicht der Fall. Da der zahlenmäßige Anspruch für eine bestimmte Pflegegeldstufe durch das Gesetz als Fixbetrag bestimmt ist, liegen die Voraussetzungen für eine Entscheidung dem Grunde nach im Sinne des § 89 Abs 2 ASGG nicht vor, es ist der klagenden Partei vielmehr im Urteil der Betrag zuzusprechen, der der Pflegegeldstufe entspricht, in der die Einstufung erfolgt; dabei war, zu verdeutlichen, daß es sich nicht um die erstmalige Festsetzung, sondern um die Erhöhung eines Pflegegeld- anspruchs handelt.

Wird mit einem Bescheid eine Leistung (wie hier Pflegegeld der Stufe 3 anstelle des bisher erbrachten Pflegegeldes der Stufe 2) zuerkannt, so tritt der Bescheid durch die Erhebung der Klage zur Gänze, also auch in seinem stattgebenden Teil, außer Kraft. Das Gericht hat daher über den von der klagenden Partei beim Versicherungsträger zur Gänze neu zu entscheiden (SSV-NF 4/153 mwN; SSV-NF 9/104). Das Erstgericht hätte sich daher hinsichtlich des Zeitraumes vom 1.10.1995 bis 30.11.1995 nicht auf die Abweisung des die Stufe 3 übersteigenden Pflegegeldes beschränken dürfen, sondern hätte der Klägerin für diese Zeit Pflegegeld der Stufe 3 anstelle des bis 30.9.1995 geleisteten Pflegegeldes der Stufe 2 zuzuerkennen gehabt; zufolge des Außerkrafttretens des Bescheides auch in diesem Umfang, war auch dieser Anspruch Gegenstand des Verfahrens. Daß die Sachanträge durch das erstgerichtliche Urteil nicht vollständig erledigt wurden, hätte das Berufungsgericht aber nur wahrnehmen können, wenn die Klägerin diesen Mangel im Berufungsverfahren gerügt hätte (SSV-NF 5/37 mwH); dies ist jedoch nicht erfolgt. Im Revisionsverfahren kann dieser Verstoß nicht mehr aufgegriffen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG; der Einheitssatz für den Revisionsschriftsatz gebührt allerdings nur in einfacher Höhe.

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