OGH 15Os51/97 (15Os52/97)

OGH15Os51/97 (15Os52/97)24.4.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 24.April 1997 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Rouschal, Dr.Schmucker und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Brandstätter als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Klaus W***** wegen des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Schöffengericht vom 21.November 1996, GZ 12 Vr 574/94-47, sowie über die Beschwerde gegen den zugleich mit dem Urteil gefaßten Widerrufsbeschluß (§ 494 a Abs 1 Z 4 StPO) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und über die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Klaus W***** wurde - im zweiten Rechtsgang abermals - des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür gemäß § 43 a Abs 3 StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe sowie gemäß "§ 365" (gemeint: §§ 366 Abs 2, 369 Abs 1) StPO zur Zahlung eines Schmerzengeldteilbetrages von 10.000 S an den Privatbeteiligten David H***** verurteilt, weil er am 3.August 1994 in Zwerndorf David H***** eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich dadurch zugefügt hat, daß er ihn mit einem beidseitig geschliffenen, spitzen Messer mit 16 cm Klingenlänge in den Bauch stach, wodurch H***** eine Durchtrennung der Bauchspeicheldrüse und der Milzarterie sowie eine Verletzung des Magens, sohin eine an sich schwere Körperverletzung, verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung (und Berufsunfähigkeit - vgl US 5 oben) erlitten hat.

Zugleich mit dem Urteil wurde gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO der Beschluß gefaßt, die dem Angeklagten mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Liesing vom 16.Juni 1992, GZ U 447/92-2, wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (zum Nachteil seiner Ehefrau Milada) gewährte bedingte Nachsicht einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen, im Fall der Uneinbringlichkeit 15 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, zu widerrufen.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf Z 5, 5 a, 9 lit a, 9 lit b und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Die Strafhöhe sowie den Privatbeteiligtenzuspruch ficht er mit Berufung an, den Widerrufsbeschluß mit Beschwerde.

Soweit die Mängelrüge (Z 5) in ihrem ersten Teil mit Bezugnahme auf die kassatorische Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 15. Februar 1996, GZ 15 Os 7,8/96-6 (ON 29 des Vr-Aktes), "einen Widerspruch des Urteils in sich selbst" darin erblickt, daß das Schöffengericht im ersten Rechtsgang festgestellt hat, David H***** habe sich (vor dem inkriminierten Messerstich) in den Wohnraum begeben, wo es "wiederum zu Tätlichkeiten in nicht mehr feststellbarem Ausmaß" gekommen sei, während die Erkenntnisrichter im Gegensatz dazu im erneuterten Verfahren (mehrfach) konstatierten, es sei zwischen H***** und dem Angeklagten (vor dem Messerstich) bloß zu einer "wörtlichen Auseinandersetzung", aber zu keinen tätlichen Attacken gekommen (US 4, 7, 14), und - davon ausgehend - fordert, das Erstgericht hätte unter Berücksichtigung des lediglich teilweise aufgehobenen Urteils sowie auf Grund des Akteninhaltes auch im zweiten Rechtsgang insoweit zu identen Feststellungen über unmittelbar vorangegangene "Tätlichkeiten" gelangen müssen, wird der relevierte formelle Begründungsmangel nicht dargetan.

Der Rechtsmittelwerber scheint zu verkennen, daß der Oberste Gerichtshof mit dem zitierten Urteil den gesamten erstgerichtlichen Schuldspruch (und demzufolge den Sanktionenausspruch) aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen hat und sich die - vom Beschwerdeführer augenscheinlich mißverstandene - Einschränkung, daß das Urteil im übrigen unberührt bleibt, selbstverständlich nur auf den in Rechtskraft erwachsenen Freispruch bezieht, nicht aber auf einzelne Feststellungen zum kassierten Schuldspruch. Die vom Angeklagten erhobene Forderung, das Schöffengericht hätte im zweiten Verfahrensgang seinem Urteil zwingend die Feststellung von "Tätlichkeiten" zwischen H***** und ihm zugrunde zu legen gehabt, widerstreitet der Bestimmung des § 258 Abs 1 StPO, wonach (auch im zweiten Verfahrensgang) nur auf das Rücksicht zu nehmen ist, was in der (erneuerten) Hauptverhandlung vorgekommen ist, in der sich einerseits Neuerungen gegenüber den bisherigen Verfahrensergebnissen einstellen könnten, und andrerseits das Gericht erneut gemäß § 258 Abs 2 StPO über die Frage, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen sei, nur nach seiner freien, aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnenen Überzeugung zu entscheiden hat.

Da somit entgegen der Meinung des Angeklagten dem österreichischen Strafprozeßrecht eine Bindung des im erneuerten Verfahren erkennenden Gerichtes an Tatsachenfeststellungen aus dem im ersten Verfahrensgang erflossenen, jedoch kassierten Urteil fremd ist, war es keineswegs gehalten, abermals - und gegen seine Überzeugung - "Tätlichkeiten" festzustellen.

Im zweiten Verfahrensgang hat das Schöffengericht indes in einer ausführlichen und kritischen Gesamtschau aller Verfahrensergebnisse, insbesonders unter Bezugnahme auf die für glaubwürdig beurteilten Aussagen der Zeugen David H***** und Milada W*****, formal einwandfrei Konstatierungen getroffen, daß und aus welchen Gründen für den Angeklagten keine Notwehrsituation im Sinne des § 3 StGB bestand und - im Zusammenhang mit dem gesamten Tatsachensubstrat gesehen - auch keine Anhaltspunkte für die Annahme einer Notwehrüberschreitung gegeben waren (US 4 ff, 10 f, 14).

Entgegen einem weiteren Beschwerdeeinwand ist die erstgerichtliche Urteilsfeststellung, wonach der Angeklagte selbst keine Verletzungen angegeben hat (US 5 zweiter Absatz letzter Satz), keineswegs mit dem Akteninhalt, konkret mit der Aussage des Zeugen Gerald W***** in der Hauptverhandlung vom 21.November (richtig) 1996 (342) in Widerspruch. Eine Aktenwidrigkeit läge nämlich fallbezogen nur dann vor, wenn im Urteil der eine entscheidende Tatsache betreffende Inhalt einer Aussage in ihren wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergegeben wäre (EvBl 1972/17); nicht aber, wenn die Tatrichter wie vorliegend - im Gegensatz zur prozeßordnungswidrigen Vorgangsweise des Nichtigkeitswerbers, der lediglich anhand eines einzigen Satzes mit bloß unbestimmten Inhalt aus den Depositionen des genannten Zeugen eine ihm genehme Tatsache abzuleiten trachtet - aus einer Mehrzahl erörterter Beweisergebnisse in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) zum Schluß gelangten, der Angeklagte sei beim aktuellen Vorfall durch H***** nicht verletzt worden (insb. US 10 dritter Absatz). Nur der Vollständigkeit halber sei in diesem Zusammenhang ergänzend hinzugefügt, daß der Gemeindearzt Dr.K***** den Angeklagten W***** am Vormittag des 4.August 1994 untersucht und dabei keine Verletzungen festgestellt hat (33).

Die Konstatierung hinwieder, daß zur Durchtrennung der Haut ein Kraftaufwand erforderlich ist, der nur durch aktives Zustechen erreicht werden kann (US 5 oben), stützt sich ausdrücklich und aktenkonform auf das schriftliche Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr.D***** (US 8 letzter Absatz iVm S 194 f), welches im übrigen auch die Sachverständige Dr.Elisabeth F***** (im Hauptverhandlungsprotokoll irrtümlich wiederholt mit dem Vornamen "Max" bezeichnet) voll aufrechterhalten hat (307). Demgegenüber nimmt die in der Beschwerde zu ihren Gunsten ins Treffen geführte Passage aus der in der Hauptverhandlung vom 29.September 1995 mündlich erstatteten Expertise lediglich zu einer vom Schöffengericht als unglaubwürdig verworfenen Tatversion des Angeklagten Stellung, das Opfer sei ihm förmlich in das Messer gelaufen oder gefallen (abermals US 8 f), sodaß auch die insoweit behauptete Aktenwidrigkeit gar nicht vorliegen kann.

Die vermißte Antwort auf die (ohnehin keinen entscheidenden Umstand berührende) Frage hinwieder, "wie" der Angreifer den Messerstich geführt hat, findet sich - der Beschwerde zuwider - sehr wohl in den Entscheidungsgründen (US 5 oben).

Demnach haftet dem bekämpften Urteil kein formeller Begründungsfehler an. In Wahrheit läuft das gesamte Vorbringen nur auf eine im Nichtigkeitsverfahren unzulässige Kritik an der tatrichterlichen sachgerechten Lösung der Schuldfrage hinaus.

Gleiches gilt für die Tatsachenrüge (Z 5 a), in der schon einleitend deklariert wird, daß die Beweiswürdigung des Erstgerichtes angefochten werde, was auch unter dem angerufenen Nichtigkeitsgrund unzulässig ist (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 5 a E 3, 4, 4 a) und mit der unter Wiederholung einzelner bereits zum Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5 StPO vorgebrachter Argumente mit dem Hinweis auf die (ihrer Meinung nach) "schlüssige und widerspruchsfreie" Verantwortung des Angeklagten, H***** habe ihn tätlich angegriffen, bevor er ihm in das Messer gelaufen bzw gerannt sei, ausschließlich die Beweiswürdigung des Erstgerichtes angezweifelt wird. Dabei versucht der Rechtsmittelwerber erneut - nach Art einer gegen kollegialgerichtliche Urteile in den Verfahrensgesetzen nicht vorgesehenen Schuldberufung - die Glaubwürdigkeit der Zeugen David H***** und Milada W***** zu erschüttern, indem er auf (in den Entscheidungsgründen ohnehin ausführlich erörterte) Umstände Bezug nimmt (so etwa: Neigung der zwei Belastungszeugen zum Alkoholgenuß; das enge finanzielle Band zwischen Mutter und Sohn; dessen Bestreben, sich selbst zu entlasten; Zweifel, daß die Ehegattin das wesentliche Tatgeschehen unmittelbar beobachtet hat - vgl hiezu US 8 oben, 12 dritter Absatz) und er spekulative urteilsfremde Überlegungen darüber anstellt, warum H***** dem Angeklagten nur in das Messer gelaufen sein könnte.

Solcherart werden aber keine sich aus den Akten ergebende Bedenken (geschweige denn erheblicher Art) gegen die empirisch einwandfreie und plausible Begründung des Schöffengerichtes zur Schuldfrage erweckt.

Die Rechtsrügen entbehren zur Gänze einer gesetzmäßigen Ausführung. Die erfolgreiche Geltendmachung materiellrechtlicher Nichtigkeitsgründe verlangt nämlich unabdingbar ein Festhalten am gesamten Urteilssachverhalt, dessen Vergleichung mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und den Nachweis, daß dem Erstgericht bei Beurteilung dieses Tatsachensubstrates ein Rechtsfehler oder/und ein beweismäßig indizierter Feststellungsmangel für die verläßliche Beurteilung der Tat unterlaufen ist. Eine Nichtigkeitsbeschwerde ist daher nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt, wenn sie eine im Urteil festgestellte Tatsache bestreitet, sich auf Tatsachen stützt, die im Urteil nicht festgestellt ist, oder wenn sie einen im Urteil konstatierten Umstand verschweigt.

Soweit der Beschwerdeführer daher unter undifferenzierter Berufung auf die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 9 lit a und 9 lit b (der Sache nach Z 9 lit b und 10) StPO die Feststellung vermißt, daß es zwischen ihm und seinem Stiefsohn David H***** schon vorher "des öfteren zu körperlichen Auseinandersetzungen" gekommen ist, übergeht er gerade jene Urteilspassagen, in denen davon unmißverständlich die Rede ist (US 3 Mitte iVm 13 fünfter Absatz).

Trotz dieser Tatsache hat das Schöffengericht aber - wie erwähnt - in einer kritischen Gesamtschau aller erhobenen Zeugen- und Sachbeweise einschließlich der als widerspruchsvoll und wechselhaft beurteilten Verantwortung des Angeklagten sowie unter Verwertung des persönlich gewonnenen Eindrucks in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) ausführlich und mängelfrei dargelegt, warum es unter den konkreten Umständen - ungeachtet der vom Angeklagten in einem Gespräch mit einem Gendarmen behaupteten Äußerung H***** "Stich her, traust di eh net" (US 5 dritter Absatz) - dennoch zur Ansicht gelangte, der Beschwerdeführer habe sich zur Tatzeit in keiner tatsächlichen Notwehrsituation befunden, noch habe er durch den Messerstich das gerechtfertigte Maß der Notwehr überschritten oder in "Initiativer Notwehr" fahrlässig gehandelt (US 3 ff).

Indem die Beschwerde an diesen Konstatierungen vorbei argumentiert, bringt sie die geltend gemachten materiellen Nichtigkeitsgründe nicht zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung.

Eine Feststellung in Richtung einer Putativnotwehr war hingegen nicht einmal durch die verschiedenen Verantwortungsvarianten des Angeklagten indiziert; weder durch die Variante H***** habe auf ihn eingeschlagen, noch durch die Variante, mit der eben erwähnten Äußerung. Mit bloß hypothetischen Möglichkeiten mußte sich das Schöffengericht nicht befassen und mußte demnach auch keine Feststellungen dazu treffen.

Ebensowenig prozeßordnungsgemäß verfährt der Rechtsmittelwerber, wenn er unter dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 10 StPO eine Feststellung darüber reklamiert, welchen Blutalkoholgehalt der Angeklagte zum Zeitpunkt der inkriminierten Tathandlung aufwies, während im Urteil ausdrücklich festgehalten wird, sein Blutalkohol habe im Zeitpunkt der Tat 1,65 %o betragen (US 7 erster Absatz), wenngleich im bezughabenden Bericht des Institutes für gerichtliche Medizin der Universität Wien angeführt ist, dieser Wert beziehe sich auf den Zeitpunkt der Blutabnahme (34). Dieser formelle Begründungsmangel kann aber mangels Anfechtung durch den Beschwerdeführer durch den Obersten Gerichtshof nicht aufgegriffen werden.

Soweit darüber hinaus eingewendet wird, das Erstgericht habe sich in diesem Zusammenhang in keiner Weise mit der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt auseinandergesetzt und es hätte ihn unter Berücksichtigung dieses Umstandes nach "§ 287 StGB" verurteilen müssen, bringt der Beschwerdeführer damit bloß eine im Nichtigkeitsverfahren unzulässige und demnach unbeachtliche Neuerung ins Spiel, die in dieser Form im Verfahren erster Instanz niemals ernstlich behauptet worden und durch das Beweisverfahren auch nicht indiziert ist (vgl Mayerhofer aaO § 281 E 15 a f, 19).

Aus den dargelegten Erwägungen war daher die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten teils als offenbar unbegründet, teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt gemäß § 285 d Abs 1 Z 1 und Z 2 iVm § 285 a Z 2 StPO schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Daraus folgt, daß zur Entscheidung über die Berufung wegen der Aussprüche über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche sowie über die Beschwerde das Oberlandesgericht Wien zu entscheiden hat (§§ 285 i, 498 Abs 3 StPO), das allerdings vorerst die Nachholung der Zustellung der Berufung gegen das Adhäsionserkenntnis an den Privatbeteiligten(vertreter) als Berufungsgegner zu veranlassen haben wird.

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