OGH 6Ob89/97z

OGH6Ob89/97z10.4.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Sailer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am 17. Dezember 1978 geborenen mj Birgit M*****, Lehrling, *****, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Amstetten als Unterhaltssachwalter, infolge Revisionsrekurses der Minderjährigen gegen den Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgerichtes vom 8.Jänner 1997, GZ 10 R 412/96g-79, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Amstetten vom 26.September 1996, GZ 1 P 1150/95a-75 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die der Minderjährigen gewährten Unterhaltsvorschüsse vom 1.Mai 1995 bis 30.April 1996 auf 2.300 S monatlich und ab 1.Mai 1996 bis auf weiteres auf 1.300 S herabgesetzt werden. Die Anordnung der Einbehaltung zuviel gezahlter Vorschüsse von künftig fälligen Auszahlungsbeträgen bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

Text

Begründung

Der Vater der Minderjährigen befindet sich wegen Mordes in Strafhaft. Die Minderjährige bezieht seit 1980 Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG.

Mit Eingabe vom 28.7.1995 teilte der Unterhaltssachwalter gemäß § 21 UVG dem Erstgericht mit, daß die Minderjährige am 1.5.1995 eine Lehre als Fotokauffrau begonnen habe und legte einen Auszahlungsbeleg, in dem für Mai eine Nettolehrlingsentschädigung (samt Entgeltfortzahlung) von 3.769,50 S aufscheint, vor.

Mit Beschluß vom 13.9.1995 setzte das Erstgericht die Unterhaltsvorschüsse gemäß den §§ 7 und 19 UVG ab 1.5.1995 auf 2.300 S monatlich herab und ordnete die Einbehaltung der aufgrund der rückwirkenden Herabsetzung zu Unrecht ausgezahlten Beträge in monatlichen Raten von 500 S von den künftig fällig werdenden Vorschüssen an. In der Begründung führte es aus, die Minderjährige beziehe, aufgewertet um die anteiligen Sonderzahlungen ein anrechenbares Eigeneinkommen von 4.357,75 S. Damit sei sie teilweise selbsterhaltungsfähig. Ihr Bedarf sei in Höhe des (aufgewerteten) Richtsatzes für Ausgleichszulagenbezieher mit derzeit 8.995 S anzusetzen. Nach Abzug des Eigeneinkommens verbleibe ein ungedeckter Bedarf von 4.597,25 S, der vom Vater (fiktiv) zu leistende Unterhaltsbeitrag sei daher mit 2.300 S zu bemessen. Auf diesen Betrag seien die Vorschüsse herabzusetzen.

Gegen diesen Beschluß, der auch dem Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien zugestellt wurde, erhob nur der Unterhaltssachwalter namens der Minderjährigen Rekurs mit dem Vorbringen, bei der Berechnung des Eigeneinkommens seien die Kosten der Berufsschulausbildung von (monatlich aufgeteilt) 520,80 S nicht berücksichtigt worden, der restliche Unterhaltsanspruch betrage daher monatlich 2.560 S. Es wurde beantragt, die Vorschüsse ab 1.5.1995 nur auf monatlich 2.560 S herabzusetzen.

Das Rekursgericht hob den Beschluß insoweit auf, als der Unterhaltsvorschuß auf weniger als 2.560 S ab 1.5.1995 herabgesetzt wurde und trug dem Erstgericht in diesem Umfang die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es ging dabei lediglich auf die im Rekurs aufgeworfene Frage der berufsbedingten Aufwendungen ein, die vom Eigeneinkommen der Minderjährigen in Abzug zu bringen seien.

Im zweiten Rechtsgang hat das Erstgericht die gewährten Unterhaltsvorschüsse vom 1.5.1995 bis 30.4.1996 auf monatlich 1.900 S und ab 1.5.1996 auf monatlich 1.300 S herabgesetzt und die Einbehaltung zuviel ausgezahlter Vorschüsse von künftig fälligen Auszahlungsbeträgen verfügt. Die Minderjährige habe einschließlich Sonderzahlungen und abzüglich der von ihr selbst zu tragenden Berufsschulkosten im ersten Lehrjahr ein monatliches Nettoeinkommen von 3.876,91 S und im zweiten Lehrjahr von 5.176,66 S bezogen. Die Hälfte dieser Beträge sei von dem gemäß § 6 Abs 2 Z 3 UVG festgesetzten Richtsatz abzuziehen, sodaß sich die im Spruch genannten Beträge ergäben.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Minderjährigen keine Folge. Es verneinte das Vorliegen einer Teilrechtskraft, soweit das Erstgericht die Unterhaltsvorschüsse unter den im ersten Rechtsgang festgesetzten Betrag von 2.300 S weiter herabgesetzt habe. Die Herabsetzung sei nicht aufgrund eines Antrages, sondern von Amts wegen erfolgt. Das Rekursgericht habe sich in seinem Aufhebungsbeschluß auch nicht damit auseinandergesetzt, wie die Vorschußberechnung zu erfolgen habe, wenn der über Eigeneinkommen verfügenden Minderjährigen ein Haftvorschuß nach § 4 Z 3 UVG gewährt werde, sondern sei lediglich auf die allein im Rekurs aufgeworfene Frage eingegangen, ob berufsbedingte Aufwendungen vom Eigeneinkommen der Minderjährigen in Abzug zu bringen seien. Das Erstgericht sei daher weder durch eine bindende Rechtsmeinung des Rekursgerichtes noch durch die Teilrechtskraft seines Beschlusses im ersten Rechtsgang eingeengt gewesen. Soweit die Herabsetzung auf einen monatlichen Betrag von weniger als 2.560 S erfolgen sollte, sei es ihm auch offen gestanden, die im ersten Rechtsgang nicht in Einklang mit der Judikatur gewählte Berechnungsmethode nunmehr zu korrigieren. Das Erstgericht habe nämlich offensichtlich übersehen, daß nicht ein Titelvorschuß nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG, sondern ein Haftvorschuß nach § 4 Z 3 UVG herabzusetzen sei. Nach § 6 Abs 2 Z 3 UVG betrage hiefür aber der Richtsatz für 1995 3.837 S und für 1996 3.925 S. Ziehe man von diesen Richtsatzbeträgen die Hälfte des um die Berufsschulkosten geminderten Eigeneinkommens ab, so seien die vom Erstgericht herabgesetzten Vorschußbeträge richtig berechnet.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil, soweit überprüfbar, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Teilrechtskraft bei Herabsetzung von Unterhaltsvorschüssen fehle, wenn der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien einen im ersten Rechtsgang - unrichtig zu wenig herabgesetzten - Vorschußbetrag nicht bekämpft habe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs, in dem beantragt wird, die Unterhaltsvorschüsse für die Zeit vom 1.5.1995 bis 30.4.1996 mit monatlich 2.560 S und ab 1.5.1996 bis 30.4.1997 mit 2.000 S festzusetzen, ist zulässig und teilweise berechtigt.

Das Erstgericht hat im ersten Rechtsgang die Unterhaltsherabsetzung auf 2.300 S aufgrund einer Mitteilung des Unterhaltssachwalters gemäß § 21 UVG vom Amts wegen vorgenommen und ist dabei offenbar aus einem Irrtum davon ausgegangen, es liege ein Titelvorschuß und nicht ein Haftvorschuß nach § 4 Z 3 UVG vor, dessen Höhe (nach dem Alter der Minderjährigen) im § 6 Abs 1 Z 3 UVG festgelegt ist. Es trifft zwar zu, daß im Außerstreitverfahren das Verbot der reformatio in peius in Fällen, in denen nicht nur auf Antrag, sondern auch von Amts wegen einzuschreiten ist, nicht uneingeschränkt gilt, doch darf dabei in bereits begründete Rechte Dritter nicht eingegriffen werden. Von dieser Problematik ist der Grundsatz der Wahrung der (Teil-)Rechtskraft zu unterscheiden. Auch das Außerstreitgesetz kennt in seinem § 18 grundsätzlich die materielle Rechtskraft der Verfügungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit an. Die (Teil-)Rechtskraft einer Entscheidung ist daher auch in diesem Verfahren in jeder Lage von Amts wegen zu beachten. Der Grundsatz der Wahrung der Teilrechtskraft kommt nur dann nicht zur Geltung, wenn der unangefochten gebliebene Teil höchstens scheinbar formell, inhaltlich aber nicht selbständig in Rechtskraft erwachsen konnte, sondern in einem untrennbaren Sachzusammenhang mit der noch überprüfbaren Entscheidung steht. Davon kann nicht gesprochen werden, wenn wenigstens eine quantitative Scheidung des unangefochten gebliebenen und des angefochtenen Teiles der Entscheidung möglich ist. Der unangefochtene Teil kann hier trotz des Widerspruches mit der Gesetzlage nicht mehr überprüft oder abgeändert werden (6 Ob 632/79 mwN; 1 Ob 641/94 ua).

Im vorliegenden Fall hat der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien, dem die Entscheidung des Erstgerichtes im ersten Rechtsgang zugestellt wurde und der die Interessen der Republik wahrzunehmen hatte, die aus der Begründung der Entscheidung klar erkennbare unrichtige Zugrundelegung des Richtsatzbetrages nach § 6 Abs 1 anstatt richtig nach Abs 2 Z 3 leg cit und die Herabsetzung des Vorschusses auf (nur) 2.300 S monatlich ab 1.5.1995 nicht bekämpft. Lediglich die Minderjährige begehrt in ihrem Rekurs zu ihren Gunsten - ebenfalls unter Zugrundelegung des unrichtigen Richtsatzes - wegen nicht berücksichtigter eigeneinkommensmindernder Berufsausbildungskosten die Zuerkennung höherer Unterhaltsvorschüsse als der tatsächlich bewilligten, nämlich von 2.560 S. Nur in diesem Umfang durfte das Rekursgericht prüfen und hat es auch tatsächlich geprüft und nur in diesem Umfang erfolgte eine Aufhebung zur Verfahrensergänzung. Nicht nur die Zuerkennung monatlicher Vorschüsse in einem 2.560 S übersteigenden Ausmaß waren, wie auch das Rekursgericht erkannte, aufgrund des bis zu diesem Betrag eingeschränkten Rekursantrages der Minderjährigen ausgeschlossen, auch die durch den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien unangefochten gebliebene Mindestfestsetzung der Vorschüsse mit 2.300 S monatlich durfte wegen eingetretener Teilrechtskraft nicht mehr unterschritten werden. Eine quantitative Scheidung dieses unangefochten gebliebenen Teiles vom angefochtenen Teil, der nur die zu geringe Bemessung betraf, war ohne weiteres möglich.

Die Rechtskraft hält allerdings nachträglichen Änderungen des rechtserzeugenden Sachverhaltes nicht stand. Ergeben sich im Zuge des Verfahrens neue Anhaltspunkte, daß sich das Eigeneinkommen verändert (hier erhöht) hat und daher eine weitere Herabsetzung oder gar Einstellung von Vorschüssen auch von Amts wegen (§§ 7 und 19 UVG) vorzunehmen ist, hat eine Neubemessung zu erfolgen. Anläßlich einer solchen Neubemessung ist aber das Gericht nicht an eine frühere, unrichtige Rechtsansicht, die nur wegen Eintrittes der Teilrechtskraft nicht mehr saniert werden konnte, gebunden. Ab Beginn des zweiten Lehrjahres und der dadurch bedingten weiteren Erhöhung des Eigeneinkommens hatte daher eine Neubemessung des (fiktiven) Unterhaltes und eine dem Gesetz entsprechende Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse stattzufinden. Diese Herabsetzung seit 1.5.1996 auf monatlich 1.900 S erfolgte daher zu Recht.

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