OGH 8Ob2039/96b

OGH8Ob2039/96b27.3.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer, Dr.Rohrer, Dr.Adamovic und Dr.Spenling als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz M*****, vertreten durch Dr.Markus Orgler und Dr.Josef Purtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1.) Gemeindeverband Bezirkskrankenhaus H*****, zu Handen des Vereinsobmannes ***** Dr.Günther S*****, und 2.) Dr.Hansjörg H*****, beide vertreten durch Dr.Heinz Bauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 320.000,-- sA und Feststellung (Streitwert S 15.000,--) (Revisionsinteresse der klagenden Partei S 15.000,--, der beklagten Parteien S 211.564,80), infolge außerordentlicher Revisionen beider Teile gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 25.Jänner 1996, GZ 2 R 1053/95k-24, mit dem infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 12.September 1995, GZ 9 Cg 228/94a-19, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird der Revision der beklagten Parteien Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung unter Einschluß des mangels Anfechtung unberührt gebliebenen und des bestätigten Teiles lautet:

"Das Klagebegehren, die beklagten Parteien seien schuldig, der klagenden Partei S 320.000,-- samt 4 % Zinsen seit 30.September 1994 binnen 14 Tagen zu bezahlen, sowie es werde festgestellt, daß diese der klagenden Partei zur ungeteilten Hand für jeden der klagenden Partei zukünftig aus der Behandlung der klagenden Partei aufgrund des Vorfalles vom 17.September 1991 im Bezirkskrankenhaus H***** entstehenden Schaden haften, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 83.594,40 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin S 18.360,-- Barauslagen und S 10.872,40 Umsatzsteuer) sowie die mit S 32.954,20 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 10.600,-- Barauslagen und S 3.725,70 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Die klagende Partei ist weiters schuldig, den beklagten Parteien die mit S 28.555,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 13.250,-- Barauslagen und S 2.520,83 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erlitt am 17.9.1991 einen Arbeitsunfall, bei der er in eine Glasscheibe fiel, die zu Bruch ging. Dadurch erlitt er beugeseitig am rechten Handgelenk eine unregelmäßig begrenzte, etwa 10 cm lange stark blutende Verletzung. Es wurden beide Aorten, zwei oberflächliche Beugesehnen und der Nervus Medianus durchtrennt. Der Kläger wurde in das von der Erstbeklagten gehaltene und betriebene Bezirkskrankenhaus eingeliefert. Dort wurde er zunächst von Primarius Dr.E***** untersucht, der ein herabgesetztes Hautgefühl im Medianus-Bereich feststellte und den Kläger dem im Bezirkskrankenhaus angestellten Zweitbeklagten zur chirurgischen Versorgung zuwies. Er informierte den Zweitbeklagten, daß das Hautgefühl herabgesetzt sei. Der Zweitbeklagte versorgte die Wunde mikrochirurgisch, in dem er die beiden Aorten und die Beugesehnen kunstgerecht vernähte, sodaß die Erhaltung der Hand gelang. Die Durchtrennung des Medianus-Nerves wurde vom Zweitbeklagten nicht entdeckt. In der offenen Wunde konnte dieser den in diesem Bereich unverletzten Nervus Medianus sehen. Tatsächlich aber war dieser näher zum Handgelenk hin außerhalb des Bereiches, den der Beklagte durch die bestehende Wundöffnung einsehen konnte, durchtrennt. Vom Zweitbeklagten wurde im Operationsbericht festgehalten, daß der Nervus Medianus ebenso wie der Nervus Radialis und Ulnaris in Ordnung seien. Die Medianus-Verletzung, die sich nicht im Bereich der offenen Wunde befand, hätte nur erkannt werden können, wenn das Wundbett erweitert worden wäre.

Bei einer von Prim.Dr.E***** durchgeführten Kontrolluntersuchung nach der Operation wurde festgestellt, daß das Hautgefühl im Medianus-Bereich nach wie vor herabgesetzt war. Weil auch eine Bewegungstherapie keine Besserung der Gefühlsstörung und der bestehenden Schmerzen erbrachte, suchte der Kläger am 6.11.1991 die plastisch-chirurgische Ambulanz der Universitätsklinik auf. Dort wurde eine Sensibilitätsstörung in den medianus-abhängigen Fingern festgestellt, wobei eine EMG-Untersuchung die Vermutung, daß der Nerv durchtrennt war, bestätigte. Es wurde vorerst noch zugewartet, ob eine natürliche Remission eintrete. Weil es zu keiner Regeneration der Beeinträchtigung des Nervus Medianus kam, wurde der Kläger am 30.3.1992 neuerlich operiert, wobei die erfolgte Durchtrennung des Nervus Medianus endgültig festgestellt und eine Naht mit vom Unterschenkel entnommenen Transplantaten durchgeführt wurde. Trotz des sehr günstigen Ergebnisses konnte eine volle Wiederherstellung nicht erreicht werden. Es verblieb eine mäßiggradige Medianus-Schädigung, wobei hauptsächlich sensible Hautfunktionen betroffen waren; eine Beeinträchtigung der motorischen Fähigkeiten besteht nicht. Eine Besserung der sensiblen Hautfunktion ist noch möglich; es besteht jedoch eine Beeinträchtigung der Greiffunktion und der Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand. Neurologisch ist eine Teilinvalidität im Ausmaß von 15 bis 20 % v.H. gegeben.

Wie bereits erwähnt, hätte die Medianus-Verletzung, die sich nicht im Bereich der offenen Wunde befand, nur erkannt werden können, wenn das Wundbett erweitert worden wäre. In diesem Zusammenhang stellte das Erstgericht fest, daß bei einer so schweren Verletzung im blutgetränkten Gewebe das volle Ausmaß seiner Verletzung oft nur schwer feststellbar ist, weshalb es immer wieder vorkommt, daß Nervendurchtrennungen nicht voll erkannt werden. Bei derartigen Schnittverletzungen wird der Nervus Medianus häufig mitverletzt, wobei dies, wenn der Fremdkörper schräg in das Gewebe eindringt, im offenen Wundbett nicht unbedingt sichtbar sein muß. Daß eine Nervverletzung vorliegt, die in der offenen Wunde nicht sichtbar ist, ist also keineswegs außergewöhnlich. Es hätte daher - sei es im Rahmen der Erstuntersuchung, sei es im Rahmen der Operation - im Wundbett weiter nachgeforscht werden müssen, ob nicht doch eine Nervverletzung vorliegt. Aus dem Umstand allein, daß das Hautgefühl herabgesetzt war, mußte nicht zwingend der Schluß einer Medianus-Verletzung gezogen werden; ein herabgesetztes Gefühl ist bei Verletzungen dieser Größe üblich. Bei Mehrfachverletzungen mit Nervendurchtrennung, wie sie der Kläger erlitt, kann der Nerv entweder durch eine Primär-Naht, also im Zuge der Sanierung der Aorten- und Sehnenbeschädigungen versorgt werden, oder auch durch eine zu einem späteren Zeitpunkt durchzuführende Sekundär-Naht, welche aber, wenn eine (Nichtsofort-)Versorgung geplant und nicht wie im gegenständlichen Fall vom Zweitbeklagten unbeabsichtigt erfolgt, wesentlich früher als im gegenständlichen Fall durchgeführt wird. Ob eine Primär- oder Sekundär-Versorgung des Nerves erfolgt, hängt vom Einzelfall, insbesondere von der Schwere und Art der Verletzungen und auch vom Können des Chirurgen ab. Hätte der Zweitbeklagte die Nervdurchtrennung (in der offenen Wunde) entdeckt, hätte er eine Primär-Naht angelegt. Bei schweren Verletzungen, wie es die des Klägers war, bringt eine Primär-Versorgung aber Risken, weil häufig die Nervenenden nicht so ideal adaptiert werden können, wie dies bei einer späteren Versorgung der Fall ist.

Der Kläger war bis 23.11.1992 im Krankenstand. Auf den Umstand, daß die Durchtrennung des Nerves vorerst unentdeckt blieb und seine Versorgung erst am 30.3.1992 erfolgte, entfiel eine Verzögerung des Heilungsverlaufes und Verlängerung des Krankenstandes in der Dauer eines halben Jahres. Unter Berücksichtigung des plastisch-chirurgischen Zweiteingriffes und des verzögerten Heilungsverlaufes mußte der Kläger zwei Tage schwere Schmerzen, zwei bis drei Wochen mittlere Schmerzen und acht bis zehn Wochen leichte Schmerzen erleiden, welche ihm im Fall einer sofortigen Entdeckung (und Versorgung) der Nervverletzung erspart geblieben wären.

Der Kläger, der über eine Glaser- und eine kaufmännische Ausbildung verfügt, arbeitete zum Unfallszeitpunkt schon langjährig bei der Firma A*****, wo er im handwerklichen und kaufmännischen Bereich eingesetzt war. Er verdiente monatlich netto S 15.000,-- zuzüglich Sonderzahlungen. Zum 30.6.1992 wurde er von seinem Arbeitgeber gekündigt, weil diesem der Krankenstand des Klägers zulange dauerte und er dringend eine Ersatzkraft benötigte.

Vorerst bezog der Kläger Taggeld. Nach Beendigung des Krankenstandes im November 1992 erhielt er bis Juni 1993 die Arbeitslosenunterstützung mit einer kurzen Unterbrechung im März 1993, während der er bei einer Baubedarfsfirma arbeitete. Weil er mit der geschädigten Hand keine schweren Lasten heben konnte, mußte er diese Tätigkeit nach kürzester Zeit wieder aufgeben. Von Juni 1993 bis Februar 1994 bezog er Notstandshilfe. In der Zeit ab Beendigung des Krankenstandes bemühte sich der Kläger intensiv, eine neue Arbeitsstelle zu finden; seit März 1994 arbeitet er in seinem erlernten Beruf als kaufmännischer Angestellter. An Arbeitslosenunterstützung bezog der Kläger in der Zeit vom März bis Juni 1993 S 35.544,--; sein Nettoverdienst im März 1993 betrug S 6.788,44; an Notstandshilfe für die Zeit von Juli 1993 bis Februar 1994 erhielt der Kläger S 55.970,--.

Der Kläger begehrte Schmerzengeld in Höhe von S 200.000,-- und den Ersatz von Verdienstentgang in Höhe von S 120.000,-- sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien zur ungeteilten Hand für alle künftigen aus der Behandlung entstehenden Schäden. Dem Zweitbeklagten, der die Durchtrennung des Nervus Medianus übersehen habe, obwohl sie ihm hätte auffallen müssen, sei ein Kunstfehler vorzuwerfen, durch den sich der Heilungsverlauf zumindest um ein Jahr verzögert habe. Der Kläger habe sich einer weiteren Operation unterziehen müssen; eine dauernde Invalidität sei nicht auszuschließen. Aufgrund seiner langdauernden Arbeitsunfähigkeit sei er von seinem Dienstgeber gekündigt worden und in der Folge arbeitslos gewesen. Ihm sei ein monatlicher Nettoverdienst von mindestens S 10.000,-- entgangen, sodaß sein Verdienstentgang mindestens S 120.000,-- betrage. Hätten die Beklagten rechtzeitig den Kunstfehler zugestanden, so hätte die Korrekturoperation früher durchgeführt werden können. Auch wenn man davon ausgehe, daß eine zweite Operation notwendig gewesen wäre und der gegenwärtige Endzustand genauso vorläge, so wäre der Heilungsverlauf früher abgeschlossen gewesen; seine Schmerzen wären geringer, seine Arbeitsunfähigkeit wesentlich kürzer gewesen. Das Feststellungsinteresse sei gegeben, weil Dauerfolgen nicht auszuschließen seien. Auch müsse der Kläger aus dem zuzusprechenden Nettoverdienstentgang noch abzuwartende Steuern entrichten, sodaß er dadurch einen weiteren Schaden erleiden werde.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wandten insbesondere ein, für den Zweitbeklagten habe kein Anlaß bestanden, an eine Durchtrennung des Nervus Medianus zu denken, weil nur eine herabgesetzte Empfindung festgestellt worden sei. Der Kläger sei mit einer lebensbedrohlichen Verletzung eingeliefert worden; es sei eine sofortige Wundversorgung notwendig gewesen. Unter diesen Umständen sei eine genaue Diagnose sehr schwierig gewesen. Das untere Ende des Nervs habe gar nicht gesehen werden können, sodaß dem Zweitbeklagten kein Kunstfehler unterstellt werden könne. Mit höchster Wahrscheinlichkeit wäre ohnedies eine Nachoperation erforderlich gewesen. Dem Zweitbeklagten als Allgemeinchirurgen sei es nicht möglich gewesen, den Operationserfolg zu überprüfen; der erste Zeitraum nach der Operation habe keine Auffälligkeiten gezeigt. Bis zur zweiten Operation sei ein Zeitraum von vielen Monaten vergangen, der den Operationserfolg in Frage gestellt habe. Für diese Zwischenursache könnten die Beklagten nicht haftbar gemacht werden.

Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren mit S 241.698,-- sA und dem Feststellungsbegehren statt. Das Leistungsmehrbegehren von S 78.302,-- wies es unbekämpft ab. Dem Zweitbeklagten sei unter Anwendung des strengen Sorgfaltsmaßstabes des § 1299 ABGB Fahrlässigkeit vorzuwerfen, weil er eine mögliche Durchtrennung des Nervus Medianus durch eine schräg eingedrungene Glasscherbe außerhalb seines Gesichtsfeldes nicht bedacht und das Wundbett nicht erweitert habe, obwohl bei derartigen Verletzungen mit einer Nervenschädigung gerechnet werden müsse. Die Erstbeklagte hafte gemäß § 1313a ABGB für ein Verschulden des Zweitbeklagten als Erfüllungsgehilfen. Es hielt ein Schmerzengeld in Höhe von S 130.000,-- für angemessen und sprach dem Kläger einen Verdienstentgang von S 111.698,-- zu.

Infolge Berufung der Beklagten änderte das Berufungsgericht das Ersturteil dahingehend teilweise ab, daß es dem Leistungsbegehren mit nur S 211.564,80 stattgab, das noch strittige Leistungsmehrbegehren und das Feststellungsbegehren abwies. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu, weil zu den den Ärzten obliegenden Sorgfaltspflichten, zum Begriff des Verdienstentgangs und zur Möglichkeit, mit der Leistungsklage den Nettoschaden geltend zu machen, einheitliche oberstgerichtliche Judikatur vorliege.

In rechtlicher Hinsicht bejahte das Berufungsgericht das Vorliegen eines schuldhaften Behandlungsfehlers durch den Zweitbeklagten. Auch wenn es diesem primär darum gegangen sei, dem Kläger die Hand zu erhalten, stehe fest, daß bei Schnittverletzungen, wie vom Kläger erlitten, der Nervus Medianus häufig mitverletzt werde, wobei dies, wenn ein Fremdkörper schräg in das Gewebe eindringe, im offenen Wundbett nicht sichtbar sein müsse. Auch sei es keineswegs außergewöhnlich, daß eine Nervenverletzung vorliege, die in der offenen Wunde nicht sichtbar sei. Dem Zweitbeklagten sei als Sorgfaltswidrigkeit vorzuwerfen, daß er eine Erweiterung des Wundbettes zur Abklärung einer Nervenverletzung unterlassen habe. Es hielt ein Schmerzengeld in Höhe von S 100.000,-- für angemessen. Der Verdienstentgang betrage nur S 111.564,80. Das Feststellungsbegehren sei abzuweisen, weil die Tatsache, daß der Kläger aus der ihm zukommenden Entschädigung für Verdienstentgang allenfalls Einkommensteuer zu bezahlen habe, kein rechtliches Interesse begründe, welches das vom Kläger erhobene Feststellungsbegehren rechtfertige. Nach ständiger Rechtsprechung seien bei Bemessung des aus dem Titel des Verdienstentganges zu leistenden Schadensersatzes jene Steuern und Abgaben, die durch die Schadenersatzleistung selbst entstehen, zu berücksichtigen; die Schadenersatzleistung sei so zu bemessen, daß sie unter Berücksichtigung der durch sie wieder entstehenden Abzüge dem Nettoschaden entspreche. Diese Berechnung wäre dem Kläger bereits bei Klagseinbringung möglich gewesen.

Gegen das Berufungsurteil erheben beide Seiten eine außerordentliche Revision.

Der Kläger bekämpft die Abweisung seines Feststellungsbegehrens wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt, die Entscheidung dahingehend abzuändern, daß diesem Folge gegeben werde; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagten bekämpfen den klagsstattgebenden Teil des Berufungsurteils wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragen die Abänderung der Entscheidung im Sinn der gänzlichen Klagsabweisung; hilfsweise stellen auch sie einen Aufhebungsantrag.

Die Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben. Die Beklagten beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, der außerordentlichen Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide außerordentlichen Revisionen sind zulässig. Die der Beklagten ist auch berechtigt. Hingegen muß der außerordentliche Revision des Klägers ein Erfolg versagt bleiben.

1. Zur außerordentlichen Revision der Beklagten:

Die Beklagten bringen zur Zulässigkeit ihrer außerordentlichen Revision vor, daß es zwar Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu den Sorgfaltspflichten des Arztes gäbe, jedoch keine zu solchen Grenzfällen, in denen die Erhaltung der Hand vorrangig und die Versorgung eines Nervs als zweitrangig angesehen werden müsse, sodaß geklärt werden müsse, ab wann in solchen Fällen der Nachrangigkeit dem behandelnden Arzt keine Fahrlässigkeit und somit kein Verschulden zu Last gelegt werden könne.

An sich handelt es sich bei derartigen Haftungsprozessen zwar meist um einen Einzelfall; dem vorliegenden Fall muß aber eine darüberhinausgehende generelle Bedeutung zuerkannt werden, weil keine oberstgerichtliche Judikatur zum vorliegenden Problem aufgefunden werden konnte, wann bei einer lebensgefährlichen Verletzung, die eine schwierige und langwierige Notoperation zur Erhaltung von Gliedmaßen erfordert, der operierende Arzt Zusatzuntersuchungen nach möglichen, aber weniger gravierenden Verletzungen vorerst hintanstellen darf, ohne daß ihm hieraus ein Vorwurf gemacht werden kann.

Die Revision ist daher zulässig. Sie aber auch berechtigt.

Sowohl die Frage, ob den behandelnden Arzt ein haftungsbegründender Vorwurf zu machen ist, als auch die Frage, inwieweit eine Handlung oder Unterlassung des Arztes für den Schaden des Klägers kausal ist, ist eine Frage, die das Gericht im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung zu lösen hat und daher revisibel ist.

Auszugehen ist von den Feststellungen, daß der Zweitbeklagte durch die kunstgerecht in mikrochirurgischer Technik durchgeführten Versorgung der durchtrennten Aorten dem Kläger die Hand gerettet hat, was der Sachverständige als ein überaus günstiges Ergebnis beurteilt hat. Diese Versorgung war vordringlich, weil anderenfalls, wenn die Blutversorgung der Hand nicht in kürzester Zeit wieder hätte hergestellt werden können, die Hand "abgestorben" und in der Folge amputiert hätte werden müssen. Ob bei Mehrfachverletzungen mit Nervendurchtrennung, wie sie der Kläger erlitt, bei der ersten Notoperation beschädigte Nerven gleich chirurgisch mitversorgt werden oder diese Versorgung erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt, hängt von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere der Schwere und Art der Verletzung - und auch vom Können des Chirurgen - ab. Bei schweren Verletzungen, wie sie der Kläger erlitt, erweist sich eine Zweitversorgung oft als günstiger, weil die Nervenenden dann, wenn sie nicht im stark blutverschwollenen und daher schlecht einsehbaren Gewebe, sondern in den bereits abgeheilten genäht werden, häufig besser adaptiert werden können. Aus dem Umstand, daß der Nerv nicht in der Primär-Notoperation mitversorgt wurde, kann daher dem Zweitbeklagten kein Vorwurf gemacht werden. Die Zweitoperation hat auch - wie der Sachverständige ausführt und der Kläger zugesteht - einen Endzustand gebracht, der jedenfalls nicht ungünstiger ist, als wenn der Nervus Medianus primär mitversorgt worden wäre.

Der einzige Vorwurf, der dem Zweitbeklagten gemacht wird, liegt darin, daß er anläßlich der schwierigen und langwierigen, aber äußerst dringlichen Erstversorgung insbesondere durch die mikrochirurgisch erfolgte "Verknüpfung" der durchtrennten Aorten nicht auch noch durch Erweiterung der Wundöffnung geprüft hat, ob der Nervus Medianus nicht in einem Bereich außerhalb der offenen Wunde verletzt ist, sodaß man bereits damals gewußt hätte, daß auch dieser durchtrennt ist.

Es kann dahingestellt bleiben, ob unter den gegebenen Notumständen auch bei Anlegung eines strengen Maßstabes an die ärztliche Sorgfaltspflicht des alleinoperierenden Zweitbeklagten diesem - auch wenn er eine solche Verletzung außerhalb des eigentlichen Wundbereiches bis zu einem gewissen Grad ins Kalkül ziehen mußte - wirklich eine schuldhafte Unterlassung vorzuwerfen ist, wie die Vorinstanzen - dem Sachverständigengutachten folgend - meinen. Wie bereits ausgeführt, liegt in der Aufschiebung der Nervversorgung auf eine Sekundäroperation nach der Wundverheilung kein ärztlicher Kunstfehler. Schmerzengeld für die durch die Zweitoperation hervorgerufenen Zusatzschmerzen kann der Kläger daher nicht begehren.

Bleibt noch zu prüfen, ob dem Beklagten der Verdienstentgang des Klägers anzulasten ist. Durch die Unterlassung der Wunderweiterung anläßlich der Erstoperation zwecks Diagnostizierung einer allfälligen Verletzung des Nervus Medianus wurde der Zeitpunkt der möglichen Zweitoperation nur unwesentlich hinausgeschoben. Die Verletzung des Nervus Medianus wurde am 6.11.1991, also sieben Wochen nach dem Unfall durch die EMG-Untersuchung in der Universitätsklinik endgültig festgestellt. Bei Feststellung der Verletzung dieses Nervs anläßlich der Erstoperation hätte eine Sekundäroperation zwar einige Wochen früher - bei günstigstem Heilungsverlauf jedoch bestenfalls ein Monat früher - erfolgen können. Der Kläger hat sich nach Erkennung der Nervverletzung am 6.11.1991 zu der Sekundäroperation jedoch erst am 30.3.1992, also nahezu fünf Monate später entschlossen, wodurch es zu einer Gesamtverzögerung des Heilungsverlaufes von etwa einem halben Jahr gekommen ist. Der hiefür beweispflichtige Kläger hat den Beweis dafür, daß er sich bei früherer Kenntnis der Nervschädigung, nämlich unmittelbar nach der Primäroperation, zu einer Sekundäroperation sobald als möglich entschlossen hätte, nicht erbracht; aus seinem Verhalten nach Kenntnis der Nervschädigung - Zuwarten durch viele Monate - ist zu schließen, daß er sich auch bei früherer Kenntnis nicht unmittelbar zu einer Zweitoperation entschlossen hätte, sondern auch dann zugewartet hätte, ob nicht eine natürliche Remission eintrete.

Diese der Sphäre des Klägers zuzuordnende monatelange Verzögerung, die nichts mit der Unterlassung der Diagnoseerstellung des Zustandes des Nervus Medianus anläßlich der Erstoperation zutun hat und die schließlich zur Kündigung durch den Arbeitgeber zum 30.6.1992 geführt hat, weil dieser nicht noch länger zuwarten wollte, kann nicht dem Zweitbeklagten - und damit natürlich auch nicht der Erstbeklagten - zur Last gelegt werden. Hätte sich der Kläger nach Kenntnis der Nervschädigung gleich zur Zweitoperation entschlossen, muß aus den getroffenen Feststellungen der Schluß gezogen werden, daß er seinen Arbeitsplatz nicht verloren hätte: Seine Wiederherstellung wäre zum Zeitpunkt der Kündigung durch den Arbeitgeber in naher Zukunft zu erwarten und er wäre zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits wieder arbeitsfähig gewesen, sodaß daraus gefolgert werden muß, daß sein Dienstgeber unter diesen Umständen eine Kündigung gar nicht ausgesprochen hätte. Die Unterlassung der Diagnoseuntersuchung des Nervus Medianus durch Wunderweiterung anläßlich der Erstoperation war daher für den Verdienstentgang des Klägers nicht kausal, sodaß er den Ersatz des Verdienstentganges von den Beklagten nicht begehren kann.

Die Entscheidung ist daher im Sinne der gänzlichen Klagsabweisung abzuändern.

2.) Zur außerordentlichen Revision des Klägers:

Es trifft zwar zu, daß der Verdienstentgang nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung so zu berechnen ist, daß zum entgangenen Nettoverdienstentgang noch die davon zu entrichtenden Abzüge (Steuer, Sozialversicherung usw) hinzuzurechnen sind (SZ 33/50 uva), und daß oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob ein Feststellungsbegehren betreffend die Haftung für künftige Schäden darauf gestützt werden kann, daß die Vorschreibung der Höhe der Einkommenssteuer für den zugesprochenen Verdienstentgang bei Klagseinbringung noch nicht berechenbar ist, nicht auffindbar ist, und daher die Revision aus diesem Grund an sich theoretisch zulässig ist. Da sich das Klagebegehren aber infolge der berechtigten Revision der beklagten Parteien aber zur Gänze als unberechtigt erwiesen hat - der Kläger wird diesbezüglich auf die Erledigung der Revision der Beklagten verwiesen -, erübrigt sich im vorliegenden Fall eine Auseinandersetzung mit diesem Rechtsproblem.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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