OGH 15Os208/96

OGH15Os208/9620.3.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 20.März 1997 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Rouschal, Dr.Schmucker und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Brandstätter als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Habil Ibrahim U***** wegen des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 27.Juni 1996, GZ 12 Vr 1233/96-20, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generanwalt Dr.Tiegs, des Angeklagten und der Verteidigerin Mag.Griser zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen - allerdings prozessual verfehlten - Qualifikationsfreispruch vom Verbrechen der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 2 StGB enthält (vgl Mayerhofer StPO4 E 52, 54 ff; Foregger/Kodek StPO6 Anm IV jeweils zu § 259), wurde Halil Ibrahim U***** (abweichend von der wegen des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 2 StGB erhobenen Anklage - ON 10 - nur) des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Geld- und Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt, weil er am 5.Mai 1996 in Graz Bianca F***** am Körper mißhandelt und dadurch fahrlässig verletzt hat (Druckstellen mit Rötungen an den Handgelenken), indem er sie an den Handgelenken erfaßte, aufs Bett warf und dort an den Handgelenken festhielt.

Dieses Urteil bekämpft die Staatsanwaltschaft - nachdem sie eine im Anschluß an die Urteilsverkündung angemeldete Berufung (115) in der Beschwerdeschrift zurückgezogen hat (139) - nur mehr mit einer auf die Z 5, 9 lit b und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Der Angeklagte U***** hinwieder hat seine fristgerecht angemeldeten Rechtsmittel (ON 21) am 13.Dezember 1996 durch seinen Wahlverteidiger zurückgezogen (136 unten).

Soweit in der Mängelrüge (Z 5) eingewendet wird, die erstgerichtliche Feststellung, wonach dem Angeklagten das Verbrechen der versuchten Vergewaltigung nicht angelastet werden könne, weil er von Bianca F***** abgelassen habe, nachdem er erkannt habe, daß sie mit dem von ihm geplanten Geschlechtsverkehr nicht einverstanden sei, stehe mit dem Schuldspruch wegen § 83 Abs 2 StGB in einem nicht zu lösenden inneren Widerspruch, geht sie fehl; denn eine vorsätzliche Mißhandlung des Opfers mit fahrlässig verschuldeter Körperverletzung ist keineswegs zwingend und denknotwendig als Gewalt- oder Nötigungsmittel im Sinne des § 201 Abs 2 StGB anzusehen, vielmehr handelt es sich dabei um zwei eigenständige Straftatbestände.

Mit Recht reklamiert die Anklagebehörde jedoch (der Sache nach) Unvollständigkeit der Urteilsbegründung betreffend den Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte den Widerstand der Bianca F***** gegen den von ihm beabsichtigten Geschlechtsverkehr als ernstgemeint erkannte, weil das Schöffengericht entscheidende Umstände aus den Aussagen der genannten Zeugin bezüglich ihres Verhaltens und jenes des Angeklagten vor, bei und nach den urteilsgegenständlichen Mißhandlungen unberücksichtigt gelassen und mit Stillschweigen übergangen habe, die gerade für die Beurteilung der subjektiven Tatseite maßgebend sind und bei deren Berücksichtigung eine andere Lösung der Beweisfrage denkbar ist (Mayerhofer aaO § 281 Z 5 E 63).

Zwar trifft das Erstgericht - weitgehend den Schilderungen der Zeugin F***** folgend - die für die Erfüllung des in der Anklageschrift inkriminierten Vergewaltigungsversuchs erforderlichen Feststellungen (US 3 f); im Rahmen der Beweiswürdigung verneint es aber die Tatbestandsmäßigkeit mit einer von ihren Aussagen abweichenden und insoweit nicht nachvollziehbaren Argumentation, wonach die Tatsache, daß ihm ein fast fremdes Mädchen in die Wohnung seines Bruders gefolgt und dort mit ihm sogar allein geblieben sei, in Verbindung mit "sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten" (die in dieser Form allerdings der Aktenlage nirgends zu entnehmen sind), beim Angeklagten die Vorstellung habe entstehen lassen, F***** sei einem sexuellen Abenteuer nicht abgeneigt und ihr "Streuben" beim ersten Annäherungsversuch (auf dem Sofa) nicht ernstgemeint, sondern nur gespielt oder eine "Zierde" gewesen; als er zufolge ihres Schreiens, Strampelns mit den Beinen und eines Trittes in den Bauch ihren ernstgemeinten Widerstand gegen seinen (zweiten) sexuellen Angriff (auf dem Bett) erkannt habe, habe er aus freien Stücken von ihr abgelassen, obwohl sie wegen seiner körperlichen Überlegenheit allein in einer abgeschlossenen Wohnung gegen (allfällige) weitere Versuche, ihren Widerstand zu überwinden, keine Chance gehabt habe; zudem habe er ihr einen Sessel zum Sitzen angeboten, nach Vortäuschen von Herzschmerzen und einer Schwangerschaft einen Kaffee aufgewartet und ihr das Verlassen der Wohnung ermöglicht (US 5 ff).

Beweiswürdigend beschränkt sich das Schöffengericht im Kern überhaupt nur auf das allgemein gehaltene Resümee, die leugnende, einen gänzlich anderen Verlauf des Tatgeschehens schildernde Verantwortung des Angeklagten werde durch die vor Polizei, Untersuchungsrichter und in der Hauptverhandlung im wesentlichen widerspruchsfreie, lebensnahe und nachvollziehbare Darstellung der Zeugin Bianca F***** widerlegt, von der es auf Grund der persönlichen Einvernahme einen überaus guten und glaubwürdigen Eindruck gewann (US 5). Dabei ließ es jedoch alle näheren Details, unter welchen Umständen es zum Besuch in der Wohnung kam, was sich dort im einzelnen zugetragen und warum U***** - nach Ansicht der Zeugin - letztlich von seinem Vorhaben abgelassen hatte (vgl 21 f, 53 ff, 101 ff), gänzlich unerörtert und ungewürdigt.

In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung hält der Oberste Gerichtshof weiter daran fest, daß das Gericht nach § 258 Abs 2 StPO in der Beweiswürdigung zwar freie Hand hat und gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO die Urteilsbegründung bloß in gedrängter Darstellung abzufassen hat, demnach in der Regel nicht verpflichtet ist, in den Entscheidungsgründen den vollständigen Inhalt von Zeugenaussagen wie überhaupt alle Verfahrensergebnisse im einzelnen in extenso zu erörtern und darauf zu untersuchen, wieweit sie für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen (EvBl 1972/17); doch muß es bei seinen Feststellungen stets in formell richtiger Weise vorgehen (vgl Mayerhofer aaO E 57). Dies ist vorliegend nicht geschehen.

Wenn nämlich - wie im konkreten Fall - der Angeklagte sich mit einer völlig anderen Geschehensvariante verantwortet und allein die ihn massiv belastende, von den Erkenntnisrichtern in ihrer Gesamtheit als glaubwürdig beurteilte Zeugenaussage des Tatopfers vorliegt, aus der sich gravierende Hinweise für die Erfüllung (auch) der subjektiven Tatseite des angeklagten Verbrechens ergeben, hätte der Gerichtshof dem Vorwurf formaler Begründungsmängel im Sinne des relevierten Nichtigkeitsgrundes nur dann entgehen können, wenn er - fallbezogen in erster Linie - alle bedeutsamen Aussageteile der einzigen Belastungszeugin Bianca F***** ausführlich erörtert, kritisch gewürdigt, zureichend und nachvollziehbar dargelegt hätte, warum er trotz ihrer von Anfang an eindeutig dokumentierten Zurückweisung der vom Angeklagten vorgenommenen sexuellen Annäherung - mag auch in dieser Phase noch keine Gewalt eingesetzt worden sein - zur Feststellung gelangte, U***** habe erst "nach" (im Widerspruch dazu US 4: "während") einem Tritt in den Bauch anläßlich seines (zweiten) sexuellen Angriffs die Ernsthaftigkeit ihres Widerstrebens gegen einen Geschlechtsverkehr erkannt (US 6 mitte und 7 mitte), weshalb - nach der weiteren Konstatierung - "gewaltsames Überwinden des Widerstandes der Bianca F***** zur Herbeiführung eines Geschlechtsverkehrs nicht vom Vorsatz des Angeklagten umfaßt war" (US 7 dritter Absatz).

Zur rechtlichen Eventualbegründung des Freispruchs (US 7 vierter Absatz) sei angemerkt, daß der Gerichtshof - wie bereits die Beschwerdeführerin zutreffend hervorhebt - bei (neuerlicher) rechtlicher Beurteilung der Abstandnahme des Angeklagten von einem (allenfalls festgestellten) Vergewaltigungsversuch zu berücksichtigen haben wird, daß Freiwilligkeit des Rücktritts vom Versuch die bei einem Täter zu diesem Zeitpunkt gleichwohl noch erhaltene Vorstellung voraussetzt, eine seinem Tatplan entsprechende Tatvollendung wäre noch möglich (vgl Leukauf/Steininger Komm3 RN 2 zu § 16). An dieser essentiellen Prämisse für die Aufhebung der Strafbarkeit fehlt es unter anderem bei jenem Täter, der sich nicht dazu entschließen kann, den vorerst erfolgreichen Widerstand des Opfers durch brutaleres Vorgehen zu überwinden (Mayerhofer/Rieder StGB4 § 16 E 20).

Demnach war das - wie dargelegt - fehlerhaft begründete Urteil in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft schon aus diesem Grund aufzuheben und die Verfahrenserneuerung anzuordnen, ohne daß es ein Eingehen auch auf das weitere (der Sache nach ausschließlich auf § 281 Abs 1 Z 10 StPO gestützte, indes - prozeßordnungswidrig - nicht am erstgerichtlichen Tatsachensubstrat zur subjektiven Tatseite festhaltende) Vorbringen in den Rechtsrügen bedurfte.

Im erneuerten Verfahren wird das Erstgericht den vom öffentlichen Ankläger inkriminierten Sachverhalt abschließend zu klären und seine Entscheidung - insbesonders unter zureichender Erörterung und Würdigung aller bedeutsamen Aussagedetails der Zeugin Bianca F***** im einzelnen und in ihren Zusammenhang - mängelfrei zu begründen haben.

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