OGH 10Ob77/97i

OGH10Ob77/97i7.3.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer, Dr.Ehmayr, Dr.Steinbauer und Dr.Danzl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen Chiara V*****, geboren am 4.März 1993, ***** infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des ehelichen Vaters Andre V*****, Student, ***** vertreten durch Dr.Herbert Laimböck, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 11.Dezember 1996, GZ 45 R 828/96i-27, womit infolge Rekurses der Minderjährigen der Beschluß des Bezirksgerichtes Döbling vom 2.August 1996, GZ 2 P 1291/95z-24 abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs des ehelichen Vaters wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes zur Gänze wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Mit dem aus Anlaß der Ehescheidung am 13.6.1995 geschlossenen gerichtlichen Vergleich verpflichtete sich der eheliche Vater, für seine am 4.3.1993 geborene, also damals erst zwei Jahre alte Tochter Chiara einen monatlichen Unterhaltsbetrag von S 16.000,-- zu zahlen. Ferner verzichtete er ausdrücklich auf die Stellung eines Herabsetzungsantrages, auch für den Fall Hervorkommens neuer Unterhaltsverpflichtungen, verminderter Bezüge und geänderter Verhältnisse. Die Minderjährige verzichtete umgekehrt auf eine Erhöhung dieses Unterhaltes aus welchen Gründen auch immer. Der Betrag von S 16.000,-- wurde nach dem Verbraucherpreisindex wertgesichert. Mit Beschluß vom selben Tag wurde die Ehe gemäß § 55a EheG geschieden. Der Unterhaltsvergleich wurde in der Folge pflegschaftsgerichtlich genehmigt.

Das Erstgericht setzte in Stattgebung eines vom ehelichen Vater gestellten Antrages den Unterhalt ab 1.7.1995 auf monatlich S 4.000,-- herab. Es stellt dazu folgenden Sachverhalt fest:

Der am 24.9.1968 geborene eheliche Vater studiert Betriebswirtschaft und Informatik an der Universität Zürich. Er erhält Unterhalt von seinem Vater, dem Großvater des Kindes, der vor 1992 monatlich sfr 3.000,-- von 1992 bis 1994 monatlich sfr 1.000,-- und seit 1995 monatlich sfr 2.500,-- beträgt. Von seiner Mutter (der Großmutter des Kindes) erhält er monatlich sfr 500,--, sodaß sich ein Einkommen des ehelichen Vaters von monatlich sfr 3.000,--, das sind rund öS 25.900,-- ergibt. Andere Sorgepflichten treffen den Vater nicht; er muß aber für seine Mietwohnung sfr 2.056,-- monatlich zahlen. Die eheliche Mutter verfügt über ein eigenes Einkommen von monatlich S 14.000,--. Der Großvater ist finanziell weder in der Lage noch willens, auch noch für den Unterhalt der minderjährigen Chiara aufzukommen. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, zufolge der jeder Unterhaltsbemessung stillschweigend innewohnenden Umstandsklausel könne das Gericht bei einer wesentlichen Änderung der für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen Verhältnisse eine andere Entscheidung treffen. Ein Abgehen von der früheren Unterhaltsregelung sei schon zulässig, sobald die wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei, ohne daß es etwa einer Anfechtung des früher geschlossenen Vergleichs bedürfte. Nach ständiger Rechtsprechung komme die Umstandsklausel auch dann zum Tragen, wenn die wahren Einkommensverhältnisse bei Abschluß der Unterhaltsvereinbarung unbekannt gewesen und daher irrtümlich vom falschen Bemessungsvoraussetzungen ausgegangen worden sei. Das Beharren auf einem ursprünglich nicht sittenwidrigen Unterhaltsvergleich unter geänderten Umständen könne sittenwidrig sein, wenn etwa dem Unterhaltspflichtigen durch die Erfüllung des Vergleiches im Hinblick auf die geänderten Umstände geradezu die Existenzgrundlage entzogen würde oder wenn ein krasses Mißverhältnis zwischen den dem Verpflichteten verbleibenden Einkommen und dem nunmehrigen Unterhalt des Berechtigten entstünde und der Verpflichtete hiedurch in seiner Lebenshaltung extrem eingeschränkt würde. Insoweit Sittenwidrigkeit vorliege, könne sich der Unterhaltsberechtigte auf den Ausschluß der Umstandsklausel nicht berufen. Der eheliche Vater habe sich trotz Rechtsbelehrung durch den Scheidungsrichter im seinerzeitigen Vergleich zu einem derartig hohen Unterhalt unter der Annahme verpflichtet, daß für diesen Unterhalt der väterliche Großvater aufkommen würde. Dieser sei jedoch weder in der Lage noch willens und auch gesetzlich nicht verpflichtet, für die von seinem Sohn eingegangene Unterhaltsverpflichtung aufzukommen. Weiters habe der Vater nach der Scheidung aus der ehelichen Wohnung ausziehen und sich eine eigene Wohnung suchen müssen, für die ihm Kosten in Höhe von monatlich sfr 2.056,-- (öS 17.777,--) erwachsen würden. Seit Abschluß des Scheidungsvergleiches seien also geänderte Umstände eingetreten, mit denen er nicht habe rechnen können, da er zunächst unentgeltlich im Haus seines Vaters gewohnt habe. Der Ausschluß der Umstandsklausel in dem Vergleich sei insofern sittenwidrig, als im Hinblick auf die geänderten Umstände dem Vater bei Erfüllung des Vergleiches die Existenzgrundlage entzogen würde und ein krasses Mißverhältnis zwischen dem ihm zur Deckung seiner Bedürfnisse verbleibenden Unterhalt und dem Unterhalt für die Minderjährige entstünde. Der im Vergleich festgesetzte Unterhalt entspreche dem 8-fachen Durchschnittsbedarf gleichaltriger Kinder und stehe in krassem Mißverhältnis zu dem nur durchschnittlichen Eigeneinkommen der Mutter. Eine derartige Unausgewogenheit der Lebensverhältnisse von Mutter und Kind könne auch die Entwicklung des im Haushalt der Mutter lebenden Kindes negativ beeinträchtigen und erscheine pädagogisch nicht gerechtfertigt.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Minderjährigen, vertreten durch die Mutter, Folge und wies den Herabsetzungsantrag des Vaters ab. Soweit er sich darauf berufe, er habe bei Abschluß des Vergleiches mit Unterhaltszahlungen seines Vaters gerechnet, mache er erkennbar Willensmängel, nämlich Irrtum, geltend. Solche Willensmängel könnten aber nicht im Wege dieser Einwendung im Rahmen des Unterhaltsverfahrens geltend gemacht werden, sondern seien im Rechtsweg in Form einer Anfechtung des abgeschlossenen Vergleiches geltend zu machen. Dasselbe gelte für den Einwand der Sittenwidrigkeit der Berufung auf den Ausschluß der Umstandsklausel. Der Vater habe sich im Vergleich zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 16.000,-- verpflichtet und auf die Stellung eines Herabsetzungsantrages auch für den Fall geänderter Verhältnisse verzichtet. Eine Anfechtung dieses Vergleiches habe im streitigen Verfahren zu erfolgen.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG nicht zulässig sei.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des ehelichen Vaters mit dem Antrag auf Abänderung dahin, daß die erstgerichtliche Entscheidung wiederhergestellt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nach § 14 Abs 1 AußStrG zulässig, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist; er ist auch berechtigt.

Der Ansicht des Rekursgerichtes, daß - um eine Neubemessung für die Vergangenheit zu ermöglichen - der vorliegende Vergleich wegen Irrtums im streitigen Verfahren angefochten und demnach rechtsgestaltend beseitigt werden müßte, kann nicht gefolgt werden; diese Ansicht widerspricht der neueren Judikatur des Obersten Gerichtshofs. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung kann die in einem Unterhaltsvergleich innewohnende Umstandsklausel für die Zukunft auch dann zum Tragen kommen, wenn die wahren Einkommensverhältnisse zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung unbekannt waren und daher irrtümlich von falschen Bemessungsvoraussetzungen ausgegangen wurde. Dies gilt - nach Änderung der Rechtsprechung durch die Entscheidung des verstärkten Senates (SZ 61/143) - aber auch dann, wenn für die Vergangenheit eine Unterhaltsfestsetzung oder Unterhaltserhöhung nach Abschluß eines denselben Zeitraum regelnden Unterhaltsvergleiches deshalb beantragt wird, weil der Unterhaltberechtigte behauptet, daß der Unterhaltsverpflichtete bei Abschluß der Unterhaltsvereinbarung ein höheres als von ihm angegebenes Einkommen bezogen hat. Es bedarf daher in einem solchen Fall nicht einer Anfechtung des Unterhaltsvergleiches im streitigen Verfahren, um eine Neubemessung des Unterhalts für bereits verstrichene Zeiträume zu ermöglichen (1 Ob 524/90 = RZ 1990/117 mwN; Purtscheller/Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 302 Punkt 3; ebenso muß nunmehr Schwimann, Unterhaltsrecht [1996] 84 mwN). Dasselbe muß umgekehrt für einen Herabsetzungsantrag des Unterhaltsverpflichteten gelten, wenn irrtümlich von falschen Bemessungsvoraussetzungen ausgegangen wurde. Von dieser nunmehr ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, die auch in der Lehre gebilligt wird, ist das Rekursgericht ohne Begründung abgegangen.

Grundsätzlich ist die einer Unterhaltsvereinbarung innewohnende Umstandsklausel nicht anzuwenden, wenn die Parteien ausdrücklich und in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise auf eine Änderung der Unterhaltsvereinbarung auch für den Fall einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse verzichtet haben oder wenn bei Vergleichsabschluß beide Teile von der Erwartung der Änderung ausgegangen sind. Ob ein Ausschluß der Umstandsklausel zum Nachteil eines Kindes zulässig ist, braucht hier nicht erörtert zu werden, weil es um den Verzicht des Vaters geht, auch bei geänderten Verhältnissen eine Herabsetzung seiner Unterhaltsleistung zu begehren. Dieser Ausschluß der Umstandsklausel erfolgte zum Vorteil des unterhaltsberechtigten Kindes. Es ist gleichwohl anerkannt, daß unter besonderen Umständen das Beharren des Unterhaltsberechtigten auf dem vereinbarten Ausschluß der Umstandsklausel sittenwidrig und deshalb unbeachtlich ist; dies wird insbesondere für den Fall angenommen, daß ohne Berücksichtigung der veränderten Umstände die Existenz des Verpflichteten oder der Unterhalt Dritter gefährdet wäre oder ein krasses Mißverhältnis zwischen Unterhaltsleistung und Einkommensrest bestünde (Purtscheller/Salzmann aaO Rz 299; Schwimann aaO 128f jeweils mwN; 5 Ob 529/84; 1 Ob 507/92 = EFSlg 69.303 [1]; 10 Ob 501/96 ua). Auch insoweit ist die Auffassung des Rekursgerichtes, die Sittenwidrigkeit des Ausschlusses der Umstandsklausel könne nur im streitigen Verfahren geltend gemacht werden, mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht im Einklang (die oben zitierte Entscheidung RZ 1990/117 betraf den Unterhaltsanspruch eines minderjährigen Kindes). Die vom Rekursgericht zur Stützung seiner Rechtsansicht ins Treffen geführten Argumente sind daher nicht stichhältig.

Berücksichtigt man nun, daß die Erwartung des ehelichen Vaters, sein Vater (der Großvater des Kindes) werde ihm die Mittel für die Unterhaltszahlungen in beträchtlicher Höhe zur Verfügung stellen, nach der Ehescheidung nicht eingetroffen ist, er also irrtümlich von falschen Bemessungsvoraussetzungen ausging, ihm aber andererseits durch die Notwendigkeit gesonderter Wohnungnahme erhebliche finanzielle Belastungen treffen, er selbst als Student ohne eigenes Einkommen ist und von Unterhaltszahlungen seiner Eltern lebt, dann erweist sich sein Herabsetzungsantrag als berechtigt. Das Beharren des Kindes auf dem Ausschluß der Umstandsklausel wäre sittenwidrig und unbeachtlich, weil bei Zahlung des Unterhalts von monatlich S 16.000,-- die Existenz des ehelichen Vaters gefährdet wäre und überdies ein krasses Mißverhältnis zwischen der Unterhaltsleistung und seinem Einkommensrest bestünde, andererseits aber auch ein krasses Mißverhältnis zu den Bedürfnissen des bei Vergleichsabschluß erst zwei Jahre alten Kindes bestehen bliebe. Die Herabsetzung des Unterhaltes auf S 4.000,-- monatlich, die vom Erstgericht eingehend und zutreffend begründet wurde, ist daher zu billigen.

In Stattgebung des außerordentlichen Revisionsrekurses war daher die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

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