OGH 10ObS36/97k

OGH10ObS36/97k6.3.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Jörg Krainhöfner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Prenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz W*****, vertreten durch Dr.Karl Preslmayr, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 26.Juli 1996, GZ 9 Rs 191/96s-68, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 17. Jänner 1996, GZ 4 Cgs 207/93x-61, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 28.3.1948 geborene Kläger hat die Lehrabschlußprüfung als Schmied erfolgreich abgelegt. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1.2.1992) war er überwiegend im angelernten Beruf als Schlosser bzw Bauschlosser tätig.

Aufgrund des medizinischen Leistungskalküls ist er für alle leichten und mittelschweren Arbeiten, in wechselnder Körperhaltung, bei normaler Arbeitszeit und üblichen Unterbrechungen geeignet. Nach spätestens 30 bis 45 Minuten muß ihm kurzfristig ein Haltungswechsel möglich sein, und zwar vom Sitzen und Stehen ins Gehen und vom Gehen und Stehen ins Sitzen. Ausgeschlossen sind Tätigkeiten, die mit gehäuftem Bücken verbunden sind (mehr als fünfmal pro Stunde), sowie auf Leitern und Gerüsten. Ebenso sind dem Kläger Arbeiten unter dauerndem besonderen Zeitdruck (Band- und Akkordarbeiten) nicht möglich. Dieser Zustand besteht mindestens seit 1.1.1995 ohne gegenseitige Leidensbeeinflussung.

Aus berufskundlicher Sicht ist der Kläger weiter in der Lage, als Schlosser in der Industrie (Reparatur/Wartung von Maschinen, in der Serienfertigung, Überwachung und Kontrolle von verschiedenen Metallarbeitungsmaschinen) zu arbeiten. Tätigkeiten in der Montage, im Stahlbau, als Schmied sowie als Bauschlosser sind ihm nicht mehr möglich, weil hiedurch das medizinische Kalkül überschritten würde. Der Beruf des Schmiedes ist mit dem Beruf des Bauschlossers und Stahlbauschlossers nicht verwandt, jedoch mit dem Beruf des Schlossers. Die Grundkenntnisse bei einem Schlosser sind mit denen eines Maschinenschlossers ident. Insbesondere bei computergesteuerten Maschinen sind die Kenntnisse gleich. Bei Tätigkeit an computergesteuerten vollautomatischen Maschinen handelt es sich um keine Computertätigkeit, sondern um Eingabe von Daten mittels einer Tastatur, wobei das Programm vorgegeben ist. Die Hauptaufgabe besteht bei solchen Maschinen in der Überwachungs- und Kontrolltätigkeit des Produktionsvorganges.

Für die Anlernung des Klägers als Schlosser in der Industrie mit dem aufgezeigten Tätigkeitsfeld sind einige Wochen, maximal acht Wochen, erforderlich.

Mit dem bekämpften Bescheid vom 4.4.1992 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer Invaliditätspension mangels Invalidität ab.

Sowohl das Erst- als auch das Berufungsgericht wiesen das auf Gewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab dem Stichtag gerichtete Klagebegehren ab. Beide Instanzen gingen dabei - unter Zugrundelegung der eingangs zusammengefaßt wiedergegebenen und vom Berufungsgericht im Rahmen einer Beweisergänzung erweiterten Feststellungsgrundlage - in rechtlicher Hinsicht davon aus, daß dem Kläger zwar Berufsschutz nach § 255 Abs 1 ASVG zukomme, er jedoch seine bisherige Tätigkeit als Schlosser weiterhin ausüben könne und durch die festgestellten Verweisungstätigkeiten als Industrieschlosser diesen Berufsschutz nicht verliere; die erforderliche Anlernung von maximal acht Wochen stelle keine unzumutbare Umschulung dar.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Berufungsurteil erhobene, auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte, gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige und von der beklagten Partei nicht beantwortete Revision des Klägers ist im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Der Senat hat zwar zunächst - in den Entscheidungen SSV-NF 3/119 und 4/140 - bei einem Stahlbauschlosser bzw einem auch als Schlosser ausgebildeten Drahtzieher ausgesprochen, daß die Verweisungstätigkeit als einfacher Kontrollschlosser (sog Zwischen- und Endkontrollor sowie Fertigungsprüfer) zur Erhaltung des Berufsschutzes schlechthin zulässig sei, die dort vorgenommene Gleichsetzung von Zwischen- und Endkontrolloren jedoch in der späteren Entscheidung SSV-NF 6/67 nicht mehr aufrechterhalten. In der letztgenannten Entscheidung wurde nämlich hervorgehoben, daß sich die Tätigkeit eines Zwischenkontrollors qualitativ - im Gegensatz zur Tätigkeit des Endkontrollors oder Fertigungsprüfers - nicht wesentlich von Hilfsarbeitern hervorhebe und bloß untergeordnet sei, wodurch aber der Berufsschutz des Bauschlossers verlorenginge. Während allerdings in dem der letztgenannten Entscheidung zugrunde liegenden Fall die Tätigkeit eines solchen Zwischenkontrollors nach den Feststellungen die einzige in Betracht kommende Verweisungstätigkeit war, ist dem Kläger hier auch die (nicht berufsschutzbeeinträchtigende) Tätigkeit eines Endkontrollors sowie Fertigungsprüfers zumutbar. Aus der Entscheidung SSV-NF 6/67 ist damit insoweit für den Standpunkt des Klägers nichts zu gewinnen. Daß ein Versicherter, der überwiegend in einem erlernten oder angelernten Beruf tätig war, auch auf Teiltätigkeiten seiner Berufsgruppe verwiesen werden darf, durch die er den bereits erworbenen Berufsschutz nicht verliert, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SSV-NF 3/119, 3/122, 5/40, 7/6, ARD 4440/15/93 uam; vgl hiezu auch SSV-NF 8/59 zur Zulässigkeit der Verweisung eines bisher vorwiegend im Freien tätigen Bauspenglers auf in Werkstätten - also im Innendienst - zu verrichtende Spenglertätigkeiten). Ob es sich allerdings bei der Verweisungstätigkeit um eine Teiltätigkeit des bisher ausgeübten erlernten oder angelernten Berufes handelt, ist - sofern nicht offenkundig - in jedem Einzelfall besonders zu prüfen. Daher werden - anknüpfend an das oben Ausgeführte zur Qualifikationsabgrenzung der in der Praxis vorkommenden unterschiedlichen Berufsarten von Industriekontrolloren - genaue Feststellungen dazu zu treffen sein, welche exakten Anforderungsprofile an diese (Verweisungs-)Berufe eines Zwischen- und/oder Endkontrollors zu stellen sind, inwieweit diese sich nur auf Hilfsarbeiten (-verrichtungen) beschränken und inwieweit deren berufliches Wissen als (Industrie-)Schlosser verwertet werden kann, wobei auch auf die nach den - unstrittigen - Feststellungen des Erstgerichtes beim Kläger bereits vorhandenen bzw durch zumutbare Nachschulung erlernbaren Computerbedienungskenntnisse in diesem Verweisungsfeld einzugehen sein wird.

Zutreffend verweist der Revisionswerber darüber hinaus aber auch darauf, daß von den Vorinstanzen unerhoben geblieben ist die Zahl der auf dem österreichischen Arbeitsmarkt vorhandenen Arbeitsplätze für derartige und in Frage kommende Industrieschlosser. Mangels Offenkundigkeit steht diese Zahl auch nicht annäherungsfähig fest. Dies ist jedoch für eine Verweisung unabdingbare Voraussetzung, wobei als Mindestzahl grundsätzlich (österreichweit) 100 derartige Arbeitsplätze in einem Verweisungsberuf zur Verfügung stehen müssen (SSV-NF 7/37). Dazu liegen derzeit ebenfalls keine Beweisergebnisse vor.

Da diese für die abschließende Beurteilung wesentlichen Fragen ungeklärt blieben, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Ergänzung des Verfahrens in diesem Punkt aufzuheben (vgl auch 10 ObS 2088/96y, 10 ObS 2339/96k).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

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