OGH 7Ob65/97b

OGH7Ob65/97b26.2.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Schalich und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rudolf D*****, vertreten durch Dr.Rudolf Hein, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei W***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Günther Klepp und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen S 291.265,20 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 29.Oktober 1996, GZ 12 R 178/96z-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 27.März 1996, GZ 5 Cg 345/95w-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 13.725,-- (darin S 2.287,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat bei der beklagten Versicherung eine Arbeitsgerichts-Rechtsschutzversicherung im Sinne des Art 20 der ARB 1988 geschlossen. Nach Art 20. Pkt. 2.1. umfaßt der Versicherungsschutz die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeits- oder Lehrverhältnissen in Verfahren vor österreichischen Gerichten als Arbeitsgericht. Nach Art 20. Pkt.2.2. besteht darüber hinaus bei öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnissen auch Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen bezüglich dienst-, besoldungs- und pensionsrechtlicher Ansprüche sowie abweichend von Art 7.1.8. auch für Disziplinarverfahren. Art 6.

Pkt.4. der ARB 1988 lautet: "Der Versicherungsschutz erstreckt sich, soweit die Besonderen Bedingungen nichts anderes vorsehen (Art 20, 21, 24 und 25), auf die außergerichtliche Wahrnehmung rechtlicher Interessen durch den Versicherer oder durch den vom ihm beauftragten Rechtsanwalt und auf die Vertretung vor staatlichen Gerichten und Verwaltungsbehörden in allen Instanzen."

Der Kläger war am 1.1.1985 vom Magistrat der Stadt Linz als Vertragsbediensteter (Kraftfahrer) auf unbestimmte Zeit angestellt worden. Dabei handelte es sich um kein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis. Aufgrund eines Wirbelsäulenleidens wurde der Kläger ab 1988 als Wächter im Museum der Stadt Linz eingesetzt. Mit Antrag vom 28.7.1994 begehrte sein Dienstgeber beim Behindertenausschuß des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen Oberösterreich um die Zustimmung zur Kündigung des Klägers. Der Kläger wurde im folgenden Verfahren vor dem Behindertenausschuß von Rechtsanwalt Dr.Rudolf Hein vertreten. Der Antrag der Landeshauptstadt Linz wurde mit Bescheid vom 19.9.1995 abgewiesen. Diese Entscheidung wurde von der Berufungskommission beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales bestätigt. Durch die anwaltliche Vertretung sind dem Kläger S 291.265,20 an Kosten aufgelaufen. Die beklagte Partei hat eine Rechtsschutzdeckung für dieses Verfahren abgelehnt.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Bezahlung von letztlich S 291.265,20 an aufgewendetem Rechtsanwaltshonorar. Die Beklagte habe dem Kläger, der in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehe, zu Unrecht Rechtsschutzdeckung verweigert.

Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung und bestritt, daß der Kläger in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehe. Die vom Kläger gewählte Rechtsschutzdeckung umfasse nicht die Übernahme der Anwaltskosten in einem Verwaltungsverfahren, zudem sei kein Versicherungsfall im Sinne des Art.2. Pkt.3. der ARB 1988 eingetreten, weil keine Kündigung ausgesprochen worden sei. Die angesprochenen Rechtsanwaltskosten seien nicht erforderlich gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Mangels Ausspruches einer Kündigung sei gar kein Versicherungsfall im Sinne des Art 2. Pkt.3. der ARB 1988 eingetreten. Darüber hinaus handle es sich beim Verfahren vor dem Behindertenausschuß um ein nicht von der Versicherungsdeckung umfaßtes Verwaltungsverfahren.

Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil. Es erklärte die Erhebung der ordentlichen Revision für zulässig. Der Kläger habe von den ihm in den ARB angebotenen Rechtsschutzbausteinen ("Paketen") nur den nach Art 20 ausgewählt, mit dem, wie sich allein aus dem Wortsinn ergebe, nur für Verfahren vor dem Arbeitsgericht Versicherungsschutz, nicht aber auch für ein (davor gelagertes) Verwaltungsverfahren gewährt werde. Eine Ausnahme bestehe lediglich für die Gruppe der öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnisse laut Punkt 2.2. des Art.20. Das Arbeitsverhältnis des Klägers erfülle aber nicht diese Qualifikation. Gerade aus dieser Ausnahmeregelung ergebe sich, daß Verwaltungsverfahren über privatrechtliche Dienstverhältnisse nicht vom Versicherungsschutz umfaßt seien. Dem Kläger wäre nur im Rahmen des allgemeinen Teiles der ARB 1988 laut Art.6 Pkt.4 Versicherungsschutz für die außergerichtliche Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen durch einen Rechtsanwalt zugestanden. Eine derartige Fallkonstellation liege aber nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung vom Kläger erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Fraglich ist im Revisionsverfahren, ob der Kläger unter dem Begriff Arbeitsgerichts-Rechtsschutz den gesamten Arbeitsrechtsschutz verstehen durfte.

Gemäß § 8 Abs.2 BEinstG darf die Kündigung eines begünstigten Behinderten von einem Dienstgeber erst dann ausgesprochen werden, wenn der Behindertenausschuß nach Anhörung des Betriebsrates oder der Personalvertretung im Sinne des Bundespersonalvertretungsgesetzes bzw der entsprechenden landesgesetzlichen Vorschriften sowie nach Anhörung des zur Durchführung des Landesbehindertengesetzes jeweiligen zuständigen Amtes der Landesregierung zugestimmt hat. In diesem Verfahren kommt dem Dienstnehmer Parteistellung zu. Bei diesem Verfahren handelt es sich um ein Verwaltungsverfahren.

Es ist allgemein bekannt, daß Versicherer ihre Versicherungsverträge üblicherweise unter Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen abschließen (vgl SZ 63/54; VR 1990, 350). Nach der nunmehr in der Bundesrepublik Deutschland herrschenden Praxis ist die Auslegung aller nicht im Verordnungsweg erlassenen Versicherungsbedingungen am Maßstab eines verständigen durchschnittlichen Versicherungsnehmers vorzunehmen, weshalb die Unklarheitsregel des § 5 (des deutschen) Allgemeinen Geschäftsbedingungsgesetzes (AGBG) anzuwenden sei, wenn die objektive Auslegung zu keinem Ergebnis führe (vgl Prölss-Martin VVG25, 32 ff). Eine derartige Auslegungsregel nähert sich weitgehend der Regelung der §§ 914 f ABGB. Nach objektiven Gesichtspunkten als unklar aufzufassende Allgemeine Versicherungsbedingungen müssen daher so ausgelegt werden, wie sie der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer verstehen mußte, wobei Unklarheiten zu Lasten des Versicherers gehen. Zu berücksichtigen ist in allen Fällen der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (vgl Prölss-Martin aaO, EvBl 1982/94; VersE 1472 ua, zuletzt 7 Ob 4/94). Versicherungsbedingungen sind auch aus ihrem Zusammenhang heraus auszulegen (vgl Prölss-Martin aaO, 29). Dem Revisionswerber ist darin zuzustimmen, daß vor der Auslegung bzw. Beurteilung einer Vertragsbestimmung nach den §§ 914 f bzw 864a ABGB diese Bestimmung zunächst auf ihre Verständlichkeit zu untersuchen ist (§ 869 ABGB) und dann erst eine Inhalts- und Geltungskontrolle zu erfolgen hat. Verständlich ist eine Erklärung, wenn sie aus der Sicht eines redlichen Erklärungsempfängers, vermehrt um Sonderkenntnisse des Adressaten im Einzelfall, einen sinnvollen Rechtsfolgewillen erkennen läßt. Erfolgt die Annahme unter anderen Bestimmungen, als unter welchen das Versprechen geschehen ist, so entsteht im Regelfall kein Vertrag (Dissens). Konsens setzt also Erklärungen voraus, die nach den allgemeinen Auslegungsregeln der §§ 863, 914 f ABGB übereinstimmen (Rummel in Rummel, ABGB2 § 869 Rz 7 und 8). Bei der unbelesenen Unterfertigung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen kommt es jedoch hinsichtlich einzelner Bestimmungen zu keinen derartigen Erklärungen, der sich unterwerfende Teil geht vielmehr davon aus, daß er damit "das Übliche" in Kauf nimmt (vgl SZ 57/78). Was "ungewöhnlich" ist, ist nach herrschender Lehre (vgl. Rummel in Rummel ABGB2 § 864a Rz 5 mwN) mit der Einschränkung objektiv zu verstehen, daß eine Klausel nämlich auch dann nicht gilt, wenn sie im konkreten Zusammenhang gerade für diesen Vertragspartner aus der Sicht eines redlichen Aufstellers überraschend sein mußte, er also gerade mit dessen Unterwerfung nicht rechnen durfte. Nur wenn das feststeht, kommt es auf die objektive Ungewöhnlichkeit nicht an.

Die allgemeinen Rechtsschutzbedingungen decken wegen der schweren Überschaubarkeit und Kalkulierbarkeit sowie der Größe des Rechtskostenrisikos im gesamten Bereich des privaten wie auch öffentlichen Rechtes nur Teilgebiete ab (vgl Harbauer, Rechtsschutzversicherung5, 457 ff insbesondere 464, sowie Kronsteiner in VR 1994, 172 ff [176 f]). Eine universelle Gefahrenübernahme, bei der der Versicherer jeden beliebigen Bedarf des Versicherungsnehmers nach Rechtsschutz decken müßte, ist in Österreich nicht gebräuchlich (vgl. Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht3, 443 mwN). Dementsprechend wird im ersten Teil der ARB 1988, und zwar in den für alle Rechtsschutzversicherungsarten gemeinsamen Bestimmungen der Art 1 bis 16 die Grundlage des Rechtsschutzversicherungsvertrages sowie Fragen, die für alle versicherbaren Risken von Bedeutung sind, behandelt, wobei auf Abweichungen in den besonderen Bestimmungen jeweils hingewiesen wird (vgl. Kronsteiner aaO). Demgegenüber enthalten die besonderen Bestimmungen in den Art 17 bis 25 ARB die sogenannten "Rechtsschutzbausteine", die jeweils die Eigenschaften und Rechtsgebiete, für die Versicherungsschutz besteht, beschreiben. Ergänzt wird diese Bestimmung in den einzelnen Bausteinen durch spezifische Obliegenheiten, Risikoausschlüsse oder Wartefristen. Angeboten werden diese Rechtsschutzbausteine teils einzeln, teils in Form von Rechtsschutzkombinationen ("Paketen"), deren Zusammensetzung im Tarif geregelt ist. Der Versicherungsnehmer hat die Möglichkeit, das für ihn passende, typisierte Paket oder mehrere davon auszuwählen (vgl. Harbauer, aaO, 459 sowie Schauer aaO). Soweit der Revisionswerber einerseits releviert, daß ihm der Ausschluß von Verwaltungsverfahren bei der von ihm gewählten Rechtsschutzdeckung nicht erkennbar gewesen sei, ist er auf den klaren Wortsinn des Ausdruckes "Arbeitsgerichts-Rechtsschutz" zu verweisen, der keine Deckung außerhalb des gerichtlichen Verfahrens, sohin auch nicht in einem (vorgelagerten) Verwaltungsverfahren umfaßt. Einem verständigen durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist die Unterscheidung zwischen Arbeitsgerichts- und Arbeitsrechtsschutz ohneweiters zuzumuten. Soweit der Revisionswerber aus Art 6. Pkt.4 der ARB eine Deckung für den vorliegenden Honoraranspruch ableiten will, ist ihm entgegenzuhalten, daß diese Bestimmung nur so weit Gültigkeit hat, als die besonderen Bestimmungen, und darunter wird auch Art 20 aufgezählt, nichts anderes vorsehen. In Kombination mit Art 20 umfaßt der in Art 6.4. angebotene Rechtsschutz sohin nur die Beratung des Versicherungsnehmers im "außergerichtlichen" Bereich, der nach dem Wortsinn dort endet, wo der Versicherungsnehmer als Partei, sohin als in das Verfahren Einbezogener Rechtsschutz benötigt und eine Beratung allein keinen Sinn machen würde (vgl. Harbauer aaO 504 ff).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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