Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 22.347,-- (darin S 3.724,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Der in Liechtenstein lebende widerbeklagte Zahnarzt begehrte mit seiner am 13.4.1994 beim Erstgericht zu 3 C ***** eingebrachten Klage von seiner Patientin, der beklagten Widerklägerin ein Honorar von S 8.803,-- sA. für erfolgte Behandlungen. Dieses Verfahren ist bis zur rechtskräftigen Beendigung eines in Liechtenstein gegen den klagenden Widerbeklagten eingeleiteten Strafverfahrens unterbrochen worden. Die in diesem zuvor erwähnten Zivilverfahren beklagte Widerklägerin hat bereits 1994 gegenüber der gegen sie erhobenen Klagsforderung ihr durch die zahnärztliche Behandlung durch den klagenden Widerbeklagten verursachte Schäden in der Höhe von vorläufig S 700.000,-- compensando eingewendet. Im vorliegenden Verfahren begehrt die Widerklägerin an Schäden aus diesen Zahnbehandlungen mit am 11.5.1995 beim Erstgericht eingelangter Klage vom beklagten Widerkläger die Bezahlung von S 700.000,-- an Schmerzengeld und von S 53.000,-- für Pflegekosten und schadensbedingte Aufwendungen sowie die ihr gegenüber zu treffende Feststellung, daß der beklagte Widerkläger für alle künftigen Schadensfolgen und Nachteile aus der zahnärztlichen Behandlung vom 4.1.1991 zu haften habe. Nach Aufhebung eines Zurückweisungsbeschlusses des Erstgerichtes unter gleichzeitigem Auftrag zur Verfahrensfortsetzung wurde diese Klage dem Widerbeklagten am 18.7.1995 eigenhändig zugestellt. Zuvor schon hatte die Widerklägerin eine das gleiche Leistungs- und Feststellungsbegehren umfassende Klage gegen den Widerbeklagten beim Fürstlich-Liechtenstein'schen Landgericht in Vaduz eingebracht, die dem Widerbeklagten bereits am 6.7.1995 zu eigenen Handen zugestellt worden war. Schon am 6.6.1995 war dem Widerbeklagten in dieser Rechtssache eine Ladung zu einer vom Liechtenstein'schen Gericht für den 19.6.1995 anberaumten Vermittlungsverhandlung zugestellt worden.
Das Erstgericht wies die vorliegende Klage wegen Streitanhängigkeit als unzulässig zurück. Entscheidungen Liechtenstein'scher Gerichte seien in Österreich vollstreckbar. Das in Liechtenstein angestrengte Verfahren bewirke daher in Österreich Streitanhängigkeit.
Das Rekursgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung diesen Beschluß. Die im Verfahren 3 C ***** des Erstgerichtes von der beklagten Widerklägerin erhobene Kompensandoforderung begründe nach ständiger Rechtsprechung keine Streitanhängigkeit. Liechtenstein sei kein Vertragsstaat des Luganer Abkommens (LGVÜ). Nach dem der Beurteilung hier alleine zugrundeliegenden Bestimmung des Art.10 Abs.1 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein vom 5.7.1973 (BGBl 1975/114), das die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüchen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden regle, habe das Gericht eines Vertragsstaates die Durchführung eines Verfahrens abzulehnen, wenn über denselben Anspruch im anderen Vertragsstaat zwischen denselben Parteien bereits ein Verfahren anhängig sei. Als zuerst befaßtes Gericht sei jenes anzusehen, bei dem die Voraussetzungen für die Annahme einer "endgültigen Rechtsanhängigkeit" zuerst vorlägen. Für diese Auslegung spreche zum einen, daß Art.10 des zitierten Abkommens von "Verfahren" und nicht von "Klage" spreche; zum anderen sprächen hiefür Praktikabilitätserwägungen, weil das zuerst angerufene Gericht vorerst nichts vom ausländischen Parallelprozeß erfahre und auf die Einrede des Beklagten angewiesen sei. Wiewohl die Widerklage zuerst in Österreich gerichtshängig gemacht worden sei, sei zufolge der zuerst in Liechtenstein erfolgten Zustellung der Klage an den Widerbeklagten davon auszugehen, daß damit die Voraussetzungen für eine endgültige Rechtsanhängigkeit bewirkt worden seien, weil die Liechtenstein'schen Zivilprozeßgesetze dieselben Wirkungen für die Zustellung der Klage wie die österreichische ZPO vorsähen.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diese Entscheidung von der Widerklägerin erhobene Revisionsrekurs ist nicht berechtigt. Zunächst hat das Rekursgericht zutreffend erkannt, daß nach ständiger Rechtsprechung die zur Abwehr einer Klagsforderung geltend gemachte Kompensandoforderung zu keiner Streitanhängigkeit führt, sondern daß jene Forderung in einem weiteren Verfahren selbständig geltend gemacht werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO). Mangels eines Beitritts Liechtensteins zum Luganer Abkommen (LGVÜ) ist das Abkommen zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein BGBl 1975/114 alleinige Beurteilungsgrundlage für die Lösung des vorliegenden Rechtsfalles. Nach Art 1 leg cit sind in einem der beiden Vertragsstaaten gefällte gerichtliche Entscheidungen vom anderen Vertragsstaat, abgesehen von hier nicht vorliegenden Ausnahmen, und zwar, wie Art 3 leg cit normiert, ohne Nachprüfung anzuerkennen. Laut Art 10 Abs 1 leg cit hat ein später befaßtes Gericht eines anderen Vertragsstaates die Durchführung eines Verfahrens über denselben Anspruch zwischen denselben Parteien abzulehnen, wenn vor dem Gericht des anderen Vertragsstaates bereits ein Verfahren darüber anhängig ist und die Entscheidung über den Gegenstand dieses Verfahrens im anderen Vertragsstaat voraussichtlich anzuerkennen sein wird.
Unstrittig ist, daß die von der Widerklägerin in Österreich und in Liechtenstein gegen den Widerbeklagten erhobenen Leistungs- und Feststellungsbegehren ident sind und sohin das gleiche Rechtsschutzziel anstreben.
Die Streitanhängigkeit ist der Vorläufer der Einmaligkeitswirkung (ne bis in idem) der materiellen Rechtskraft und deckt sich in ihren Auswirkungen mit dieser vollständig. So wie das Gesetz den Parteien ein Rechtsschutzbedürfnis für einen neuen Zivilprozeß über einen entschiedenen Anspruch versagt, billigt es ihnen auch kein Rechtsschutzbedürfnis an einem weiteren Prozeß über einen Anspruch zu, der bereits Gegenstand eines Rechtsstreites ist. Die Streitanhängigkeit ist von Amts wegen wahrzunehmen und führt zur Zurückweisung der zweiten Klage (vgl SZ 19/74; SZ 44/81). Daß ein in Liechtenstein aufgrund ihrer dortigen Klagsführung ergehendes Erkenntnis in Österreich anzuerkennen und vollstreckbar ist, bezweifelt die Klägerin nicht. Sie meint lediglich, daß die in Art 10 des Abkommens genannte "Anhängigkeit" eines "Verfahrens" in einem der beiden Staaten, die zur Folge hat, daß ein "später befaßtes Gericht" des anderen Staates die Duchführung eines Verfahrens über denselben Anspruch und zwischen denselben Parteien abzulehnen hat, schon mit der Gerichtshängigkeit und nicht erst mit der durch die Zustellung der Klageschrift an den Beklagten, demnach mit der Streitanhängigkeit, eintritt. Gleich dem Gericht zweiter Instanz vertritt aber auch der erkennende Senat die Ansicht, daß ein "Verfahren" erst mit der Zustellung der Klageschrift an den Beklagten begründet wird; ein "dreiseitiges Prozeßrechtsverhältnis" (Gericht-Kläger-Beklagter) wird erst zu diesem Zeitpunkt begründet (Rechberger in Rechberger, Rz 5 zu § 233 ZPO). Das bloße Einlangen einer Klage bei Gericht (Gerichtsanhängigkeit) dagegen bewirkt nur ein vorerst "zweiseitiges Prozeßrechtsverhältnis" (Gericht-Kläger; Rechberger aaO Rz 2); der Richter hat zu diesem Zeitpunkt die Klage einer Vorprüfung hinsichtlich der Prozeßvoraussetzungen zu unterziehen und allenfalls mangels einer Prozeßvoraussetzung a limine zurückzuweisen. Von einem "Verfahren" iS des Art 10 Abs 1 des Abkommens kann daher zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesprochen werden.
Die Zustellung der Klage an den Beklagten durch das Fürst Liechtenstein'sche Landgericht Vaduz aber erfolgte ungeachtet dessen, daß die Klage bei diesem Gericht später als beim Erstgericht eingelangt ist, bereits am 6.7.1995, jene durch das Erstgericht dagegen erst am 18.7.1995. In zutreffender Weise haben daher die Vorinstanzen hinsichtlich des beim Erstgericht anhängig gemachten Verfahrens Streitanhängigkeit angenommen.
Es kann daher auch dahingestellt bleiben, ob die Streitanhängigkeit im Liechtenstein'schen Rechtsbereich zufolge der Bestimmung des § 37 Abs 4 des Vermittleramtsgesetzes (VAG) bereits mit der Zustellung der Vorladung an den Beklagten zum Vermittlungsversuch und damit schon vor der Gerichtsanhängigkeit der gegenständlichen Klage eingetreten ist. Damit erweist sich aber die Entscheidung des Rekursgerichtes als zutreffend und war dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)