OGH 10ObS2455/96v

OGH10ObS2455/96v28.1.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Walter Benesch (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Nezir M*****, Pensionist, ***** bzw. *****, vertreten durch Dr.Dipl.Dolm.Johann Zivic, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen vorzeitiger Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit und Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23.August 1996, GZ 9 Rs 115/96i-34, womit infolge Berufung der klagenden Partei

das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 11.Dezember 1995, GZ 17 Cgs 84/95g-27, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird, soweit sie sich gegen die Abweisung

1. des Begehrens auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit ab 1.November 1994 und

2. des Begehrens auf Invaliditätspension ab 23.Februar 1996 wendet,

nicht Folge gegeben.

Im übrigen, hinsichtlich der Abweisung des Begehrens auf Invaliditätspension für die Zeit vom 1.November 1994 bis 25.April 1995, wird der Revision Folge gegeben, die Urteile der Vorinstanzen werden in diesem Umfang aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Gegen die Ablehnung des Antrages des Klägers vom 24.10.1994 auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit bzw Invaliditätspension richtet sich die Klage.

Der am 15.6.1933 geborene Kläger, der keinen Beruf erlernt hat, war in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1.11.1994) als Bauhilfsarbeiter tätig. Der Kläger hat in Österreich 114 Versicherungsmonate, davon 102 Monate in der Pflichtversicherung, 12 Ersatzmonate und 11 neutrale Monate erworben. Vor dem 1.11.1979 liegen 109 Monate der Pflichtversicherung und ein Ersatzmonat, nach dem 1.11.1979 fünf Pflichtversicherungsmonate, elf Ersatzmonate und elf neutrale Monate. Von 1957 bis 1976 erwarb der Kläger in Jugoslawien weitere 123 Versicherungsmonate. Seit 21.1.1981 bezieht er in Jugoslawien eine Invaliditätspension und hat dadurch seit diesem Zeitraum weitere neutrale Monate erworben.

Der Kläger ist aufgrund seiner Sehbehinderung nicht in der Lage, seit Antragstellung einer geregelten Beschäftigung nachzugehen. Der Zustand könnte durch eine Staroperation gebessert werden. Diese erfordert einen stationären Krankenhausaufenthalt von rund drei Tagen. Anschließend wäre der Kläger durch etwa sechs Wochen nicht arbeitsfähig. Ernstzunehmende Schmerzen sind bei der Operation nicht zu gewärtigen. Überdies ist es in der Augenheilkunde möglich, allfällige auftretende Schmerzzustände rasch und effektiv zu bekämpfen. Unabhängig davon, wie fortgeschritten der graue Star beim Kläger ist, betragen die Erfolgschancen einer Operation rund 100 %. Es handelt sich um einen Routineeingriff, der kein besonderes medizinisches Risiko darstellt. Nach der Operation wäre der Kläger nach Ablauf von sechs Wochen in der Lage, alle leichten und mittelschweren Arbeiten in der normalen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen zu verrichten. Nicht möglich wären ihm Arbeiten unter dauerndem besonderen Zeitdruck, wie Band- und Akkordarbeiten. Er wäre für einfache Arbeiten unterweisbar und könnte eingeordnet werden. Die Fingerfertigkeit wäre außer für Feinarbeiten erhalten, das Zurücklegen der Anmarschwege gewährleistet. Er könnte dann die Verweisungstätigkeiten eines Portiers, eines Museumsaufsehers, eines Billeteurs, eines Büroboten, einer Hilfskraft in der Parkpflege, eines Auspackers in großen Handelsbetrieben, eines Tischmontagearbeiters oder eines Abräumers in Selbstbedienungsrestaurants ausüben.

Das Erstgericht wies beide oben dargestellte Begehren ab. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß der Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gemäß § 253 d ASVG neben der allgemeinen Anspruchsvoraussetzung des § 253d Abs 1 Z 1 ASVG, nämlich der Erfüllung der Wartezeit im Sinne des § 236 ASVG auch kumulativ die Erfüllung der besonderen Wartezeit der Z 2 des § 253 d Abs 1 ASVG voraussetze. Eine Verlängerung des Rahmenzeitraumes um allfällige neutrale Monate sehe das Gesetz nur für die Rahmenzeiträume der allgemeinen Wartezeit nach § 236 Abs 2 ASVG vor. Der Rahmenzeitraum des § 253 d Abs 1Z 2 ASVG werde daher um die neutrale Zeit des Bezuges der jugoslawischen Pension nicht verlängert. Im Rahmen der Mitwirkungs- und Duldungspflicht sei es dem Kläger nicht unzumutbar, sich dem kalkülverbessernden operativen Eingriff zu unterziehen. Es seien damit weder nennenswerte Schmerzen noch ein besonderes medizinisches Risiko verbunden. Die Operation sei ein Routineeingriff. Er sei daher uneingeschränkt in der Lage, die Verweisungstätigkeiten auszuführen.

Das Gericht der zweiten Instanz bestätigte die Abweisung des Begehrens auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit und die Abweisung des Begehrens auf Invaliditätspension für die Zeit vom 1.11.1994 bis 25.4.1995 und ab 23.2.1996 und erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger eine Invaliditätspension für die Zeit vom 26.4.1995 bis 22.2.1996 zu gewähren. Es trug der beklagten Partei die Leistung einer vorläufigen Zahlung von S 2.500 monatlich auf. Das Berufungsgericht teilte in rechtlicher Hinsicht die Rechtsmeinung des Erstgerichtes, daß eine Verlängerung des Rahmenzeitraumes des § 253 d Abs 1 Z 2 ASVG bei Vorliegen neutraler Monate nicht eintrete. Da durch die Operation eine wesentliche Besserung des Leistungszustandes des Klägers herbeigeführt würde, bestünde auch seine Verpflichtung, sich der zumutbaren Operation zu unterziehen. Diese Mitwirkungspflicht bestehe jedoch erst ab dem Zeitpunkt, zu dem er erstmals die Zweckmäßigkeit und Zumutbarkeit der Operation ernstlich in Betracht ziehen mußte, wobei ihm auch eine Überlegungs- und Vorbereitungsfrist einzuräumen sei. Nach der Rechtsprechung betrage diese Frist vier Wochen. Erst nach Ablauf derselben könne es dem Versicherten als Verschulden angelastet werden, sich einer zumutbaren Operation nicht zu unterziehen. Die Invalidität sei daher nur vorübergehend, weil sie durch die Operation beendet werden könne. Die Invaliditätspension sei bis zu jenem Zeitpunkt zuzuerkennen, für den mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit das Ende der Invalidität vorhergesagt werden könne. Der Kläger habe erst in der mündlichen Verhandlung vom 11.12.1995 über die Risiko- und Schmerzlosigkeit der Staroperation Informationen erhalten. Ausgehend von dem erforderlichen Krankenhausaufenthalt von drei Tagen sowie einer anschließenden Arbeitsunfähigkeit von sechs Wochen und der Berücksichtigung einer vierwöchigen Überlegungsfrist ergebe sich daraus ein Anspruch des Klägers auf eine befristete Invaliditätspension bis 22.2.1996. Der körperliche und geistige Zustand des Klägers bestehe seit der Antragstellung sohin dem 27.10.1994. Der Anspruch auf vorübergehende Invaliditätspension entstehe erst ab der 27. Woche ihres Bestandes, sodaß dem Kläger Invaliditätspension ab 26.4.1995 bis 22.2.1996 zustehe. Die mangelnden Mittel des Klägers zur Finanzierung der medizinisch indizierten Operation seien nicht zu berücksichtigen. Der Umstand, daß der Kläger sich nicht in Österreich aufhalte und an seinem Wohnort allenfalls keine entsprechende medizinische Versorgung möglich sei, könne keinen Anspruch auf dauernde Invaliditätspension begründen, weil dies zu einer Benachteiligung in Österreich wohnhafter Versicherter führen würde.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung durch Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit ab 1.11.1994; hilfsweise wird die Gewährung einer unbefristeten Invaliditätspension ab 1.11.1994 oder einer vorübergehenden Invaliditätspension ab 1.11.1994 bis 22.2.1996 beantragt. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Zutreffend haben die Vorinstanzen ausgesprochen, daß der Pensionswerber die Erfüllung der Bruchteilsdeckung des § 253 d Abs 1 Z 2 ASVG ohne Berücksichtigung neutraler Zeiten zusätzlich zur Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (§ 236 ASVG) nachweisen muß. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in dem vom Revisionswerber angeführten Parallelverfahren 10 ObS 2306/96g begründete, werden Rahmenzeiträume des § 253 d Abs 1 Z 2 ASVG, in denen eine Bruchteilsdeckung vorliegen muß, durch neutrale Zeiten nicht verlängert.

Nur eine schuldhafte, also eine zumindest leicht fahrlässige Verletzung der Duldungs- oder Mitwirkungspflicht des Versicherten, der sich einer zumutbaren Operation zu unterziehen hat, führt zum Verlust des Anspruches (SSV-NF 4/23, 6/13, 6/14, 7/8). Die Duldungspflichten verlangen vom Versicherten, sich bestimmten ärztlichen Untersuchungen oder Heilbehandlungen zu unterziehen. Der Zweck besteht darin, das durch die Sozialversicherung zu tragende Risiko möglichst gering zu halten. Sie können als Ausdruck des auch im Sozialversicherungsrecht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben angesehen werden, der es dem Versicherten gebietet, die Interessen der anderen Versicherten in zumutbarer Weise zu wahren. Duldung kann daher vor allem nur verlangt werden, wenn dadurch die Chance besteht, ein von der Versichertengemeinschaft zu tragendes Risiko zu verringern und wenn ein ärztlicher Eingriff dem Versicherten zumutbar ist (SSV-NF 4/23). Der Versicherte hat sich demnach einer zumutbaren Operation zu unterziehen. Für die Zumutbarkeit hat die Judikatur Kriterien entwickelt (SSV-NF 4/23, 6/14 = SZ 65/18 ua), die aber hier deshalb nicht zu untersuchen sind, weil die Zumutbarkeit der Staroperation vom Revisionswerber nicht bestritten wird. Er meint lediglich, daß er finanziell nicht in der Lage sei, die Operationskosten zu tragen und er an seinem Aufenthaltsort in Bosnien nicht krankenversichert sei.

Darauf kommt es aber nicht an. Ein Versicherter, der österreichische Versicherungszeiten erwirbt, muß damit rechnen, bei Beurteilung der Frage der Invalidität, unter Berücksichtigung zwischenstaatlicher Abkommen, nach den Regelungen über die Invaliditätspension nach dem ASVG behandelt zu werden (vgl SSV-NF 1/22). Daß auf persönliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse abzustellen wäre, ist den Bestimmungen des ASVG über die Invaliditätspension nicht zu entnehmen, wo doch gerade die geminderte Arbeitsfähigkeit abstrakt und nicht abgestellt auf die konkreten individuellen Verhältnisse zu ermitteln ist (Teschner in Tomandl, System 7.ErgLfg 373). Persönliche Umstände, wie beispielsweise die Sprache (SSV-NF 1/22, 6/26), aber auch die persönlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder die Krankenversicherung müssen daher bei Beurteilung der dargestellten Fragen außer Betracht bleiben. Die Ursache für die geminderte Arbeitsfähigkeit muß nämlich der körperliche und geistige Zustand des Versicherten sein. Umstände, die mit dem Gesundheitsstand nicht im Zusammenhang stehen, sind bei Prüfung der Invalidität bzw der geminderten Arbeitsfähigkeit von vornherein nicht zu berücksichtigen. Eine andere Betrachtungsweise würde zu einer systemwidrigen Privilegierung nicht krankenversicherter oder einkommens- und vermögensloser Personen führen.

Die Abweisung des Begehrens auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit sowie auf Invaliditätspension ab 23.2.1996 erfolgten daher zu Recht.

Der Revision kommt aber soweit Berechtigung zu, als das Berufungsgericht zwar mit den Feststellungen konform von der Invalidität des Klägers ab Antragstag ausgeht, es aber unterläßt, zu prüfen, ob der Zustand des Klägers (was aufgrund seines Augenleidens und der Feststellungen nicht ausgeschlossen ist) doch bereits mehr als 26 Wochen vor dem Pensionsantrag bestand. Dann hätte ihm nämlich die Invaliditätspension bereits ab dem durch die Antragstellung ausgelösten Stichtag gebührt (SSV-NF 6/14, 9/92). Da nach § 254 Abs 1 Z 2 ASVG der Anspruch auf Invaliditätspension bei vorübergehender Invalidität ab der 27. Woche ihres Bestandes besteht, beginnen diese 27 Wochen nur dann mit dem Pensionsantrag, wenn dieser zugleich mit dem Eintritt des die vorübergehende Invalidität begründenden Sachverhaltes gestellt wird, was aber fast nie der Fall sein wird. Damit ist unabhängig eines darauf gerichteten Antrages im Falle einer vorübergehenden Invalidität der Beginn des Bestandes der Invalidität grundsätzlich zu prüfen.

In diesem Sinne wird im fortzusetzenden Verfahren der Beginn des Bestandes der Invalidität festzustellen sein.

Da die Sozialrechtssache noch nicht abschließend erledigt werden kann, kann auch über die Kosten noch nicht endgültig abgesprochen werden. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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