OGH 4Ob2391/96p

OGH4Ob2391/96p14.1.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek und Dr.Niederreiter sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein *****, vertreten durch Dr.Bernhard Krause, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei T***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Schuppich, Sporn & Winischhofer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren S 450.000,--), infolge Rekurses des Klägers gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 4. Oktober 1996, GZ 1 R 166/96f-10, mit dem das Verfahren 39 Cg 34/96k-5 des Handelsgerichtes Wien unterbrochen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird ersatzlos aufgehoben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Vereinszweck des Klägers ist es (ua), unlauteren Wettbewerb zu bekämpfen. Ihm gehören nur Unternehmen als Mitglieder an. Zu seinen Mitgliedern zählen auch Verlage.

Die Beklagte ist Medieninhaberin des Magazins "T*****", das auch in Wien verkauft wird. Auf der Titelseite der Ausgabe Nr.7/96 kündigte die Beklagte ein Gewinnspiel an, bei dem zwei Autos der Type Renault Megane plus und zwei Reisen zum Filmfestival in Cannes zu gewinnen waren. Auf der Titelseite der Ausgabe Nr.10/96 kündigte die Beklagte ein weiteres Gewinnspiel an, bei dem eine "New York-Reise zu den drei Tenören" gewonnen werden konnte. Jeweils auf Seite 3 wurde die Preisfrage gestellt und es wurden die Teilnahmebedingungen erläutert.

Der Kläger begehrt zur Sicherung seines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr beim Vertrieb des Magazins "T*****" in Österreich ein Gewinnspiel auf der Titelseite anzukündigen, bei dem Preise nicht unerheblichen Wertes, insbesondere zwei Renault Megane und Reisen zum Filmfest in Cannes zu gewinnen sind, wenn zur Teilnahme der Erwerb eines Heftes des "T*****" notwendig oder zumindest förderlich ist, insbesondere wenn die Teilnahmebedingungen und die Gewinnfrage im Blattinnern veröffentlicht werden.

Vereinszweck des Klägers sei es, alle Erscheinungsformen unlauteren Wettbewerbs zu bekämpfen. Ihm gehörten ausschließlich Unternehmen als Mitglieder an; unter seinen Mitgliedern seien auch Verlage, die Tageszeitungen und Monatsmagazine herausgeben.

Die Beklagte beantragt in ihrer verspäteten Äußerung, den Sicherungsantrag abzuweisen. Hilfsweise wird beantragt, die Erlassung der einstweiligen Verfügung von einer Sicherheitsleistung von S 20,000.000,-- abhängig zu machen.

Der Kläger sei nicht aktiv legitimiert, weil der Beklagten weder der Kläger noch dessen Mitgliederstruktur bekannt sei. Die Vorlage der Vereinsstatuten reiche nicht aus, die Klagebefugnis zu bescheinigen.

Das Erstgericht wies die Äußerung der Beklagten als verspätet zurück; den Sicherungsantrag wies es ab.

Der Kläger habe nicht bescheinigt, auch derzeit nur Unternehmen als Mitglieder zu haben, die Tageszeitungen und Monatsmagazine herausgeben. Der Kläger habe kein schützenswertes Interesse, die Namen seiner Mitglieder nicht preiszugeben. Der Kläger behaupte nicht einmal, daß und welche Tätigkeiten er entfalte, um seine satzungsmäßigen Zwecke zu erreichen.

Das Rekursgericht unterbrach das Verfahren bis zum Vorliegen der Entscheidung des EuGH in dem über Antrag des Handelsgerichtes Wien vom 15.9.1995 im Verfahren 24 Cg 88/95i in einem vergleichbaren Fall eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahren.

Der Kläger habe durch Vorlage des Protokolls vom 10.8.1989 bescheinigt, daß ihm zum Stichtag 31.7.1989 118 Mitglieder angehörten, welche ausschließlich öffentlich-rechtliche Körperschaften oder Unternehmer, darunter auch Verlage, seien. Er habe schlüssig behauptet, daß sich seine Mitgliederstruktur nicht geändert habe. Es sei nicht notwendig, die Namen der Mitglieder zu nennen. Ob der Kläger im Interesse der Wirtschaft und nicht nur in seinem eigenen oder im Anwaltsinteresse tätig werde, brauche angesichts der Mitgliederstruktur nicht weiter geprüft zu werden.

Das zu 24 Cg 88/95i des Handelsgerichtes Wien eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren sei für das vorliegende Verfahren präjudiziell. Die dort zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage, ob Art 30 EGV dahin auszulegen ist, daß er der Anwendung der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates A entgegensteht, die es einem im Mitgliedstaat B ansässigen Unternehmen untersagt, die dort hergestellte periodisch erscheinende Zeitschrift auch im Mitgliedstaat A zu vertreiben, wenn darin Preisrätsel oder Gewinnspiele enthalten sind, die im Mitgliedstaat B rechtmäßig veranstaltet werden, sei auch im vorliegenden Verfahren entscheidungsrelevant. In beiden Verfahren sei ein in Deutschland ansässiges Unternehmen Beklagter; in beiden Fällen werde in Österreich eine Wochenzeitschrift mit einer Gewinnspielankündigung vertrieben, die gegen § 9a Abs 2 Z 8 UWG verstoße. Da das deutsche UWG keine entsprechende Norm enthalte, berühre das Verkaufsverbot den zwischenstaatlichen Handel. Die Unterbrechung des Verfahrens sei trotz fehlender Parteienidentität gerechtfertigt, weil die Vorabentscheidung des EuGH alle Gerichte binde.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Rekurs des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Das Gesetz enthält keine ausdrückliche Regelung für Rechtsmittel gegen Beschlüsse, die das Rekursgericht aus Anlaß eines Rekursverfahrens oder im Zusammenhang damit faßt. Eine dem § 519 ZPO entsprechende Regelung besteht für das Rekursverfahren nicht (s Kodek in Rechberger, ZPO § 528 Rz 1). Die Vorschriften über die Anfechtbarkeit von Beschlüssen des Berufungsgerichtes, mit denen über die Zurückweisung der Klage entschieden wurde, werden analog angewendet, wenn über ein Rechtsschutzbegehren, das auf die abschließende Erledigung des Verfahrens gerichtet ist, durch ein Rekursgericht abweisend entschieden wurde (EvBl 1996/20 = RZ 1996/33 = JUSExtra OGH-Z 1950). Beschlüsse, für die eine gesetzliche Grundlage fehlt, sind aber jedenfalls anfechtbar. Zu prüfen ist daher, ob ein Verfahren über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 190 ZPO unterbrochen werden kann:

Gemäß § 402 Abs 4 EO sind die Bestimmungen über das Exekutionsverfahren im Provisorialverfahren sinngemäß anzuwenden, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Nach § 78 EO sind auch im Exekutionsverfahren die allgemeinen Bestimmungen der Zivilprozeßordnung (ua) über das Verfahren und die mündliche Verhandlung anzuwenden, soweit die Exekutionsordnung nichts anderes anordnet. Nach dem Wortlaut des Gesetzes haben daher auch die Bestimmungen über die Unterbrechung des Verfahrens für die Exekution zu gelten; sie sind jedoch unanwendbar, soweit die Exekutionsordnung besondere Regelungen trifft (Heller/Berger/Stix, Kommentar zur Exekutionsordnung4, 760 f). Auch soweit gegenteilige Regelungen fehlen, können diese Bestimmungen aber nur insoweit auch für das Provisorialverfahren gelten, als sie mit dessen Wesen vereinbar sind (§ 402 Abs 4 EO: "sinngemäß").

Eine Unterbrechung des Verfahrens wegen Präjudizialität eines anderen Rechtsstreites (§ 190 ZPO) ist mit dem Zweck des Provisorialverfahrens, einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren, unvereinbar. Das Sicherungsverfahren wird zwar ex lege unterbrochen, wenn über das Vermögen einer Partei das Konkursverfahren eröffnet wird (stRsp ua ÖBl 1988, 30; ÖBl 1995, 280, jeweils mwN); es kann aber nicht wegen Präjudizialität eines anderen Rechtsstreites unterbrochen werden. § 190 ZPO kann daher auch nicht sinngemäß angewandt werden, wenn über eine im Provisorialverfahren zu entscheidende Frage ein Vorabentscheidungsverfahren anhängig ist. Für einen solchen Fall ist die Unterbrechung des Verfahrens nicht im Gesetz vorgesehen. § 90a GOG trifft nur eine Regelung für das Ausgangsverfahren: Hat ein Gericht ein Vorabentscheidungsersuchen gestellt, so darf es bis zum Einlangen der Vorabentscheidung nur solche Handlungen vornehmen oder Entscheidungen und Verfügungen treffen, die durch die Vorabentscheidung nicht beeinflußt werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten (§ 90a GOG idF BGBl 1995/349; vgl auch §§ 57, 62 VfGG). Es ist daher gar nicht zu prüfen, ob die Unterbrechung wegen eines anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens zweckmäßig ist. Gegen eine solche Unterbrechung sprächen aber folgende Erwägungen:

Zur Vorlage einer Auslegungs- oder Gültigkeitsfrage an den EuGH sind alle Gerichte der Mitgliedstaaten berechtigt; dazu verpflichtet sind nur die Gerichte letzter Instanz. Auch sie können jedoch von der Vorlage absehen, wenn die Frage in einem gleichgelagerten Fall bereits Gegenstand einer Vorabentscheidung war oder wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt (Gamerith, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art 177 EGV in Wettbewerbssachen, ÖBl 1995, 51 [57] mwN; SZ 68/168 = ÖBl 1996, 88 - Knoblauch-Kapseln [Krüger] mwN). Von der Vorlage kann aber nicht schon dann abgesehen werden, wenn die Frage Gegenstand eines anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens ist. In einem solchen Fall ist - allenfalls unter Hinweis auf das bereits anhängige Verfahren - ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen zu stellen (s Kohlegger, Einwirkungen des "Vorabentscheidungsverfahrens" auf das österreichische Zivilverfahren, ÖJZ 1995, 761, 811 [818] mwN). Der EuGH entscheidet über mehrere Vorabentscheidungsersuchen zur gleichen Frage in einer Entscheidung; ist bereits eine Entscheidung ergangen und wird in der Folge die entschiedene Frage (in einem anderen Verfahren) erneut zur Vorabentscheidung vorgelegt, so beschränkt sich der EuGH darauf, auf die frühere Entscheidung zu verweisen (Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art 177 EG-Vertrag2, 154 mwN).

Vor Entscheidung der Vorlagefrage ist nur durch ein im jeweiligen Verfahren gestelltes Vorabentscheidungsersuchen gewährleistet, daß die Vorlagefrage auch tatsächlich mit Wirkung für jedes dieser Verfahren entschieden wird. Einerseits kann das vorlegende Gericht das Vorabentscheidungsersuchen jederzeit zurückziehen (s § 90a Abs 2 GOG), andererseits ist durch die Vorlage die bindende Wirkung des Vorabentscheidungsurteils sichergestellt. Das Vorabentscheidungsurteil bindet im Ausgangsverfahren das vorlegende Gericht und auch jedes andere Gericht, das in demselben Rechtsstreit zu entscheiden hat ("inter-partes"-Wirkung). Noch nicht endgültig geklärt ist die Frage, ob das Vorabentscheidungsurteil Bindungswirkung auch außerhalb des Ausgangsverfahrens entfalten kann ("erga-omnes"-Wirkung). Das gilt vor allem für Auslegungsurteile des EuGH; ihre Präjudizwirkung ähnelt der von höchstrichterlichen Urteilen im nationalen Recht. Ausnahmsweise kann der EuGH einem Vorabentscheidungsurteil auch nur Wirkung ex nunc zuerkennen, wenn (zB) eine Gemeinschaftsregelung in einer von dem bisherigen Verständnis und der bisherigen Praxis abweichenden Weise ausgelegt wird und dadurch weitreichende Folgen entstehen (Borchardt in Lenz, Kommentar zum EG-Vertrag, Art 177 Rz 37 ff; Wohlfahrt in Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art 177 Rz 71 ff; Krück in Groeben/Tiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag4, Art 177 Rz 85 ff; Dauses aaO 148 ff, jeweils mwN).

Daß eine bindende Vorlageentscheidung ergeht, ist daher nur für das Ausgangsverfahren sichergestellt. Dazu kommt, daß sich der EuGH in der Regel auf die Prüfung der vorgetragenen Argumente und gewisser von Amts wegen zu beachtender Gründe beschränkt (Dauses aaO 156). Im Vorlagebeschluß soll daher möglichst detailliert auf alle Sachverhaltselemente eingegangen werden, die geeignet erscheinen, die Voraussetzungen für eine sachdienliche Antwort des EuGH zu schaffen (Dauses aaO 126). Auch aus diesem Grund wäre es unzweckmäßig, wegen eines anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens davon abzusehen, dem EuGH vorlagepflichtige Fragen zur Entscheidung vorzulegen.

Dem Rekurs war Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 402 Abs 4 EO; § 52 Abs 1 ZPO.

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