OGH 6Ob2200/96i

OGH6Ob2200/96i5.12.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der (früher mit dem Verfahren 1 C 882/94a des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien verbundenen) Rechtssache der klagenden Partei (1 C 1385/94x des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien) Muharrem C*****, vertreten durch Dr.Karl Hans Schaumüller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei R***** Eisenbahn AG, Zweigniederlassung in ***** vertreten durch Petsch, Frosch & Partner, Rechtsanwälte-KEG, Rechtsanwälte in Wien, wegen (eingeschränkt) 57.889,26 S, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 19.Dezember 1995, GZ 1 R 448/95 (neu: 1 R 211/96t)-31, womit der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 11.Juli 1995, GZ 1 C 882/94a-25, nicht Folge gegeben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Antrag der klagenden Partei auf Zuspruch von Kosten für die Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.

Text

Begründung

Der Kläger buchte (ebenso wie ein weiterer Reiseteilnehmer, über dessen Klage im vorliegenden Rechtsstreit gemeinsam verhandelt und entschieden wurde) bei einem Reisebüro eine Reise von Frauenkirchen nach Sofia und retour. Der Personenkraftwagen des Klägers wurde mitgeführt. Die Hinreise erfolgte am 1.7.1993, die Rückreise wurde am 14.8.1993 angetreten. Der Zug kam am 16.8.1993 verspätet in Frauenkirchen an.

Mit seiner am 12.8.1994 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte der Kläger Schadenersatz von insgesamt 64.746,25 S. Bei einem Einbruchsdiebstahl während der Fahrt seien Sachen aus dem Fahrzeug im Wert von zumindest 8.000 DM gestohlen worden. Am Fahrzeug sei ein Schaden von 941,28 DM entstanden. Infolge der Zugverspätung sei dem Kläger ein Verdienstentgang von 177,91 DM entstanden. In der Tagsatzung vom 3.5.1995 schränkte der Kläger sein Begehren um bezahlte Reparaturkosten auf 57.889,26 S ein. Das beklagte Eisenbahnunternehmen treffe ein grobes Verschulden. Das Zugpersonal habe die Personenkraftwagen nicht kontrolliert. Es seien bei früheren Fahrten schon mehrfach "Einbruchsaktionen" erfolgt (ON 4 in 1 C 1385/94).

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Der Kläger habe weder eine Originalfahrkarte noch eine Originalreparaturrechnung vorgelegt. Die angeblich entwendeten Gegenstände seien in der Tatbestandsaufnahme bei der Ankunft des Zuges in Österreich mit keinem Wort erwähnt worden. Der Diebstahl sei nicht nachgewiesen worden. Nach den Reisebestimmungen des Reiseveranstalters würden die von den Reisenden mitgeführten Gegenstände auf eigenes Risiko befördert werden.

Der Kläger replizierte, daß eine Haftung der Beklagten aufgrund gesetzlicher Bestimmungen, insbesondere der internationalen Übereinkommen bestehe. Der Diebstahl sei dem Personal der Beklagten bekanntgegeben worden. Die Bahnbediensteten hätten die Aufnahme der gestohlenen Gegenstände in das Protokoll verweigert.

Das Erstgericht gab der Klage im Umfang von 56.626,10 S statt und wies das Mehrbegehren ab. Es stellte fest, daß das in einem "Autoreisezug" beförderte Fahrzeug des Klägers von unbekannten Tätern während einer Fahrtunterbrechung aufgebrochen und dem Kläger Gegenstände im Wert von 8.590 DM gestohlen worden seien. Der Beklagten sei bekannt gewesen, daß auf der von ihr betriebenen Eisenbahnstrecke immer wieder während Fahrtunterbrechungen mitgeführte Fahrzeuge beschädigt und aufgebrochen und daß immer wieder Diebstähle an den in den Fahrzeugen mitgeführten Gegenständen verübt worden seien. Besondere Vorsichtsmaßnahmen habe die Beklagte aufgrund dieser Kenntnisse jedoch nicht getroffen. Bei der am Bahnhof Frauenkirchen am 16.8.1993 durchgeführten Tatbestandsaufnahme habe der Kläger dem bei der Beklagten beschäftigten Fahrdienstleiter die Diebstähle angegeben. Der Fahrdienstleiter habe jedoch behauptet, daß er für die Aufnahme der Diebstähle nicht zuständig sei.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß der Sachverhalt nach den Einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck (CIV 1980) zu beurteilen sei. Gemäß Art 41 § 4 CIV hafte die Eisenbahn für Schäden an den im Fahrzeug belassenen Gegenständen, wenn dies auf Verschulden zurückzuführen sei. Da der Beklagten bekannt gewesen sei, daß auf ihre Züge immer wieder Angriffe verübt worden seien und sie es unterlassen habe, Sicherheitsvorkehrungen zu ergreifen, sei ihr ein Verschulden vorzuwerfen. Die Beklagte hafte für ihre Bediensteten, daher auch für die Unterlassung der Protokollierung der Diebstähle. Gemäß Art 54 § 2 lit a Z 2 CIV seien die Ansprüche des Klägers nicht erloschen. Der Kläger habe den Verspätungsschaden (Verdienstentgang) nicht nachgewiesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht statt (die Bestätigung der Stattgebung der Klage des Erstklägers in den verbundenen Rechtsstreitigkeiten sowie die Abweisung des Mehrbegehrens des Klägers erwuchsen in Rechtskraft). Es bejahte die inländische Gerichtsbarkeit und beurteilte den grenzüberschreitenden Eisenbahntransport nach den Einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck (CIV). Daß nicht die Beklagte, sondern das Reisebüro den Transport durchgeführt hätte, sei von der Beklagten im Verfahren erster Instanz nicht behauptet worden. Lediglich die Buchung der Reise bei dem Reisebüro durch den Kläger sei außer Streit gestellt worden. Für einen vereinbarten Haftungsausschluß (in einer Vereinbarung zwischen dem Kläger und dem Reisebüro) habe die Beklagte nicht einmal Beweise angeboten. Die Aktivlegitimation sei auch ohne Vorlage des Originalfahrausweises zu bejahen. Die Beklagte habe die Ansprüche des Klägers aus dem Beförderungsvertrag auch gar nicht bestritten und sogar Teilzahlungen geleistet.

Der Kläger sei gemäß Art 51 § 3 CIV berechtigt, neben dem Reiseveranstalter seine Ansprüche auch direkt gegenüber dem Eisenbahnunternehmer geltend zu machen. Das Reisebüro habe sich nicht im eigenen Namen zur Erbringung der Transportleistungen verpflichtet. Es sei von der typischen und branchenüblichen Vorgangsweise auszugehen, daß das Reisebüro dem Kläger die Leistungen der Eisenbahn nur vermittelt habe. Für Ansprüche nach den CIV müßte lediglich eine internationale Beförderung vorliegen. Da die Streckenführung des beklagten Eisenbahnunternehmenss zum Teil auch in Österreich liege, hafte die Beklagte nach den Bestimmungen der CIV.

Bei der erstmals in der Berufung angezogenen Haftungsbeschränkung gemäß Art 41 § 4 CIV übersehe die Beklagte, daß es nach herrschender Auffassung Sache des Schädigers sei, Haftungsbefreiungstatbestände bzw die Voraussetzungen für das Vorliegen von Haftungsgrenzen substantiiert darzulegen. Das erstmalige Aufgreifen von Haftungshöchstgrenzen in der Berufung sei eine unzulässige Neuerung. Die Beklagte habe im Verfahren erster Instanz nicht behauptet, daß der eingeklagte Betrag die im Art 41 § 4 CIV genannten 1000 Rechnungseinheiten übersteige. Darüber hinaus komme der genannte Haftungshöchstbetrag deshalb nicht zur Anwendung, weil der Eisenbahn grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Die Beklagte habe dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit keine konkreten Umstände entgegengesetzt, die zur Beurteilung des Verschuldensgrades erforderlich gewesen wären. Der Grundsatz von Treu und Glauben gebiete es, daß die Beklagte die der Aufklärung der Verschuldensfrage dienenden Umstände darlegen hätte müssen. Sie habe sich vom Vorwurf eines grob fahrlässigen Verhaltens nicht entlasten können und könne sich daher auch nicht auf die Haftungsbeschränkung des Art 41 § 4 CIV berufen.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil eine Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu den behandelten Fragen der CIV nicht vorliege.

Mit ihrer Revision beantragt die Beklagte die Abänderung dahin, daß die Klage (zur Gänze) abgewiesen werde; hilfsweise wird die Abänderung beantragt, daß dem Kläger nur 16.526,60 S zugesprochen und das Mehrbegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig.

Die Revisionswerberin wendet sich nicht gegen die zutreffende Bejahung der inländischen Gerichtsbarkeit und die Anwendung der CIV. Die Haftung des beklagten Eisenbahnunternehmens für Schäden an "begleiteten Kraftfahrzeugen" ("Huckepackverfahren") sowie für Diebstähle aus den Fahrzeugen ist nur bei Verschulden gegeben. Der Gesamtbetrag der Entschädigung darf 1000 Rechnungseinheiten nicht übersteigen (Art 41 § 4 CIV). Darunter sind die vom internationalen Währungsfonds definierten Sonderziehungsrechte zu verstehen (Art 6 § 1 CIV). Die angeführte Haftungsbegrenzung gilt bei grober Fahrlässigkeit der Eisenbahn nicht (Art 42 erster Satz CIV). Nach den Feststellungen des Erstgerichtes war der Beklagten die Tatsache bekannt, daß es in der Vergangenheit während Fahrtunterbrechungen immer wieder zu Einbruchsdiebstählen an den mitgeführten Fahrzeugen gekommen war. Dennoch hat sie keine Vorsichtsmaßnahmen getroffen. In der Qualifizierung dieses Verhaltens der Beklagten als grob fahrlässig liegt keine rechtliche Fehlbeurteilung. Unter grobem Verschulden wird eine auffallende Sorglosigkeit verstanden, die einem ordentlichen Menschen in der gegebenen Situation keinesfalls unterläuft (SZ 56/166; Koziol-Welser, Grundriß10 456 mwN). Die Unterlassung jeglicher Schadensverhütungsmaßnahmen ist grob fahrlässig. Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf verwiesen, daß die Beklagte zum Vorwurf des Klägers über ein grobes Verschulden nichts vorbrachte, obwohl sie hier eine Darlegungsobliegenheit traf, weil dem Geschädigten (den an sich die Behauptungs- und Beweislast zum Thema des groben Verschuldens trifft) die besondere Situation beim Schädiger (dessen Organisation) nicht bekannt sein kann und es daher dem Transportunternehmer möglich und zumutbar ist, über diese in seine Sphäre fallenden Umstände Aufklärung zu geben. Dieser für den Frachtführer (zu Art 29 CMR) entwickelte Grundsatz (HS 24.105 = WBl 1993, 403 mwN; Schütz in Straube, HGB2 Rz 2 zu § 51 AÖSp § 415 Anh I AÖSp; Thume in VersR 1993, 937 f) ist wegen durchaus vergleichbaren Sachverhalts auch auf Eisenbahntransportunternehmen anwendbar. Es wird damit dem Umstand Rechnung getragen, daß der Geschädigte sich in einem Beweisnotstand befindet und es nur dem Transportunternehmer möglich ist, die Umstände zu nennen, nach denen die Verschuldensfrage überhaupt erst beurteilt werden kann.

Wegen nachgewiesenen groben Verschuldens des beklagten Eisenbahnunternehmens kommt eine Haftungsbegrenzung nicht in Frage. Es ist daher nicht mehr zu untersuchen, ob sich die Beklagte schon im Verfahren erster Instanz auf die Haftungsbegrenzung nach Art 41 § 4 CIV hätte berufen müssen (wie dies für die Haftungsbegrenzung nach Art 23 CMR in der Rechtsprechung vertreten wird: SZ 52/19; TransportR 1988, 273) oder ob dies - wie die Revisionswerberin meint - im Bereich der CIV entbehrlich ist, weil die Umrechnung nach den Sonderziehungsrechten vom Gericht jederzeit und leicht durchgeführt werden kann und es weiterer Tatsachenbehauptungen (der Beklagten) dazu - im Gegensatz zu den notwendigen Angaben über das Gewicht der beschädigten Ware nach Art 23 CMR - nicht bedarf.

Insoweit die Revisionswerberin gegen die Bejahung ihrer Haftung auf den Umstand verweist, daß der Kläger die Reise bei einem Reisebüro gebucht habe, sind ihr die zutreffenden Erwägungen des Berufungsgerichtes entgegenzuhalten. Die Revision geht zu diesem Punkt nicht von den erstinstanzlichen Feststellungen aus und macht in unzulässiger Weise Neuerungen geltend. Aus der Buchung (bei einem Reisebüro) allein kann noch nicht ein Verzicht auf Ansprüche (nach den Bestimmungen der CIV) gegenüber dem Transportunternehmen abgeleitet werden. Derartiges wurde im Verfahren erster Instanz auch nicht behauptet.

Mangels erheblicher Rechtsfragen ist die Revision zurückzuweisen (§ 502 Abs 1 ZPO).

Da der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen hat, sind ihm für die Rechtsmittelgegenschrift keine Kosten zuzusprechen.

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