OGH 1Ob2316/96m

OGH1Ob2316/96m25.10.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Reinhard G*****, vertreten durch Dr.Gerald Seidl, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagten Parteien 1. Stadtgemeinde S*****, vertreten durch Dr.Michael Wonisch und Dr.Hansjörg Reiner, Rechtsanwälte in Salzburg, und 2. Land S*****, vertreten durch Dr.Wilhelm Traunwieser, Dr.Herbert Hübel und Dr.Karin Kovarbasic, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen S 68.186,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgerichts vom 9.Juli 1996, GZ 3 R 136/96-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 26.April 1996, GZ 8 Cg 5/96-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, an Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen der erstbeklagten Partei S 4.566,60 (darin enthalten S 761,10 USt) und der zweitbeklagten Partei S 5.358,14 (darin enthalten S 893,02 USt) zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 16.10.1994 ereignete sich in S***** im Bereich der Kreuzung A*****straße/S*****straße ein Verkehrsunfall. Der Kläger lenkte seinen PKW in der A*****straße in Richtung R*****straße. Zur gleichen Zeit fuhr - aus Sicht des Klägers rechts kommend - ein O-Bus der Städtischen Verkehrsbetriebe aus der S*****straße in die Kreuzung ein, um diese zu überqueren. Der Kläger war davon ausgegangen, bevorrangt zu sein, weil in der S*****straße, einer Gemeindestraße, vor der Kreuzung schon längere Zeit vor dem 16.10.1994 (mehrere Monate) das Verkehrszeichen "Vorrang geben" angebracht gewesen war. Eine Verordnung, derzufolge die A*****straße gegenüber der S*****straße bevorrangt wäre, besteht nicht. Im Unfallszeitpunkt befand sich kein Vorschriftszeichen "Vorrang geben" vor dem Kreuzungsbereich in der S*****straße. Es war kurz zuvor von unbekannten Tätern entfernt worden. Deshalb ging der Buslenker auch davon aus, daß ihm gegenüber dem Kläger der Rechtsvorrang zukomme. Nach dem Erkennen der vermeintlichen Vorrangverletzung durch den jeweils anderen Fahrzeuglenker war es keinem der Lenker möglich, die Kollision zu vermeiden. Sowohl am Fahrzeug des Klägers wie auch am Bus entstand Sachschaden.

Der Kläger begehrt von den beklagten Parteien zur ungeteilten Hand den der Höhe nach außer Streit stehenden Betrag von S 68.186,--. Der erstbeklagten Partei sei vorzuwerfen, daß sie ohne Vorliegen einer Verordnung in der S*****straße das Verkehrszeichen "Vorrang geben" angebracht habe, wodurch für die beteiligten Verkehrsteilnehmer der Eindruck entstanden sei, die A*****straße sei im Verhältnis zur S*****straße bevorrangt. Weiters sei ihr anzulasten, daß sie nicht für eine unverzügliche Wiederanbringung des von unbekannten Tätern entfernten Vorschriftszeichens gesorgt habe. Die erstbeklagte Partei sei diesbezüglich ihrer Überwachungspflicht nicht nachgekommen. Die zweitbeklagte Partei hafte für die Handlungen bzw. Unterlassungen der erstbeklagten Partei, weil sie für die Erlassung einer entsprechenden Verordnung und deren Kundmachung funktionell zuständig sei; das Verhalten der ihr untergeordneten Organe sei ihr zuzurechnen.

Die erstbeklagte Partei wendete ein, es habe mangels Bestehens einer Verordnung keine Verpflichtung zur Aufstellung des Vorschriftszeichens am Unfallstag bestanden. Der Kläger habe nicht darauf vertrauen dürfen, daß er bevorrangt sei. Ein Überwachungsverschulden sei ihr nicht anzulasten, weil sie kurzfristig auf die Entfernung des Verkehrszeichens reagiert und dieses am 21.10.1994 wieder angebracht habe.

Die zweitbeklagte Partei wendete ebenfalls ein, daß sich der Kläger nicht habe darauf verlassen dürfen, daß eine Änderung der Beschilderung nicht eingetreten sei. Es wäre ihm oblegen gewesen, den Querverkehr mit gebotener Sorgfalt zu beobachten. Ein Untätigbleiben oder die Nichterteilung entsprechender Aufträge sei ihr nicht anzulasten. Als Straßenpolizeibehörde sei die Bezirksverwaltungsbehörde anzusehen, sodaß mangelnde Passivlegitimation gegeben sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es habe mangels Verordnung keine Verpflichtung für die erstbeklagte Partei bestanden, das Vorschriftszeichen "Vorrang geben" wieder anzubringen und damit eine rechtswidrige Scheinverordnung zu schaffen. Die erstbeklagte Partei sei berechtigt gewesen, das Vorschriftszeichen ersatzlos zu entfernen, woraus aber folge, daß sie auch zur Aufrechterhaltung der Entfernung berechtigt sei, wenn diese von dritter Seite erfolgt sei. Der Schaden des Klägers sei nicht aufgrund der Kundmachung einer nicht existenten Verordnung entstanden, vielmehr dadurch, daß der Kläger ohne weitere Beachtung der Änderung der Beschilderung in die Kreuzung eingefahren sei.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Die beklagten Parteien seien nicht verpflichtet gewesen, eine nicht bestehende Verordnung kundzumachen bzw. zur Aufrechterhaltung der Kundmachung einer solchen "Verordnung" durch Verkehrszeichen zu sorgen. Selbst wenn man eine solche Verpflichtung annähme, läge kein Verschulden vor, weil nicht festgestellt werden könne, daß sich die Behörde bei der Wiederanbringung des Verkehrszeichens ungebührlich lange Zeit gelassen hätte. Eine lückenlose ständige Überprüfung aller Verkehrszeichen könne weder vom Straßenerhalter noch vom für die Agenden der Straßenpolizei zuständigen Land gefordert werden. Darauf, daß die beklagten Parteien die Änderung der faktischen Vorrangsituation durch Bodenmarkierungen oder Zusatztafeln hätten anzeigen müssen, habe sich der Kläger in erster Instanz nicht berufen. Wenngleich durch das Anbringen des Vorschriftszeichens nach § 52 Z 23 StVO eine Vertrauenssituation geschaffen worden sei, sei der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Aufstellung und dem Unfall zu verneinen. Niemand dürfe sich darauf verlassen, daß Änderung der Verkehrsregelung seit der letzten Fahrt nicht eingetreten sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Die erstbeklagte Partei hat in eigener Machtvollkommenheit, ohne durch eine Verordnung der hiefür zuständigen Behörde gedeckt zu sein, das Vorschriftszeichen "Vorrang geben" gemäß § 52 Z 23 StVO in der S*****straße vor der Kreuzung mit der A*****straße anbringen lassen. Damit hat sie nach außen den Anschein einer Amtshandlung erweckt und müßte jedenfalls den äußeren Anschein gegen sich gelten lassen (1 Ob 4/95 = ecolex 1996, 168; 1 Ob 25/94; vgl 1 Ob 5/90; SZ 54/80). Der von der erstbeklagten Partei geschaffene rechtswidrige Zustand wurde aber noch vor dem Zustandekommen des Unfalls vom 16.10.1994 beseitigt. Wenngleich nicht die erstbeklagte Partei selbst - allenfalls unter Eingestehen ihres Fehlers - die Beseitigung des Vorschriftszeichens anordnete, so haben doch unbekannte Dritte dieses entfernt und damit - allerdings ausschließlich in dieser Hinsicht - im Ergebnis den rechtmäßigen Zustand wiederhergestellt. Soweit sich der Verkehrsunfall in der Folge bei nun der Rechtslage entsprechender (Nicht-)Beschilderung ereignete, mangelt es am erforderlichen Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Entfernung bzw sofortigen Erneuerung des Vorschriftszeichens (§ 52 Z 23 StVO) und dem Unfallshergang. Es wäre vielmehr seinerseits ein rechtswidriges Verhalten gewesen, hätte die erstbeklagte Partei nach der Entfernung des Vorschriftszeichens "Vorrang geben" vor dem Unfallszeitpunkt wiederum die Anbringung dieses Verkehrszeichens veranlaßt hätte, sie dann doch erneut eine nicht bestehende Verordnung kundgemacht. In der Unterlassung der Wiederanbringung des - vorher rechtswidrigerweise aufgestellten - Verkehrszeichens kann daher weder eine rechtswidrige noch eine schuldhafte Handlung bzw Unterlassung der erstbeklagten Partei erblickt werden. Die zweitbeklagte Partei könnte aber - wenn überhaupt - nur für das schuldhaft rechtswidrige Verhalten von Organen der erstbeklagten Partei bzw für die schuldhaft rechtswidrige Unterlassung der erforderlichen Überwachung der von diesen getroffenen bzw. unterlassenen Vorkehrungen zur Haftung herangezogen werden. Ein derart haftungsbegründendes Verhalten kann der zweitbeklagten Partei schon deshalb nicht angelastet werden, weil das Vorschriftszeichen mangels einer entsprechenden Verordnung ohnehin nicht hätte wieder angebracht werden dürfen.

Der Umstand, daß die Aufstellung des Verkehrszeichens an sich rechtswidrig war, schadet den beklagten Parteien nicht. Wie schon die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, darf sich nämlich niemand darauf verlassen, daß sich seit der letzten Beobachtungsmöglichkeit die Verhältnisse, insbesondere auch die aufgestellten Verkehrszeichen, nicht geändert haben (ZVR 1981/263; ZVR 1980/59; ZVR 1977/284; ZVR 1976/45; ZVR 1974/87 uva). Es wäre also Sache des Klägers gewesen, auf den zum Zeitpunkt des Unfalls unzweifelhaft gegebenen Vorrang des Buslenkers (§ 19 Abs 1 StVO) zu achten. Daß die erstbeklagte Partei der Meinung war, das Verkehrszeichen hätte wieder angebracht werden müssen, ist für den Streitausgang ebenso bedeutungslos wie die Tatsache, daß das Vorschriftszeichen "Vorrang geben" fünf Tage nach dem Unfall tatsächlich wieder angebracht wurde. Diese Anbringung war nämlich für den Unfall ohne Relevanz. Vom Rechtsträger kann die Herstellung eines rechtswidrigen Zustands, nämlich die Aufstellung eines Vorschriftszeichens ohne Haftung durch eine entsprechende Verordnung nicht eingefordert werden.

Der Forderung nach der vom Kläger begehrten "Warnung" vor der geänderten Rechtslage (Beseitigung des Vorrangs), ist zu erwidern, daß sich eine derartige Verpflichtung aus der Rechtsordnung nicht ableiten läßt. Durch die Aufstellung eines Vorschriftszeichens wird eine entsprechende Verordnung gehörig kundgemacht, durch dessen Beseitigung erlischt die Kundmachung. Es mag ein Service der Straßenverwaltung darstellen, mehr oder weniger häufig auf geänderte Vorrangsituationen hinzuweisen und entsprechende Warnungen auch optisch darzubieten. Die Unterlassung solcher "Begleitmaßnahme" kann aber weder dem Straßenerhalter, noch dem für die Straßenaufsicht zuständigen Rechtsträger als Verschulden angelastet werden, insbesondere wenn man - wie im vorliegenden Fall - bedenkt, daß das Vorschriftszeichen von unbekannten Dritten entfernt wurde und eine ständige ununterbrochene Überwachung sämtlicher Verkehrsleiteinrichtungen weder dem Rechtsträger noch dem Straßenerhalter zumutbar ist.

Der Revision ist nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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