OGH 7Ob2280/96m

OGH7Ob2280/96m23.10.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Graf, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Natascha L*****, infolge Revisionsrekurses des Landes Oberösterreich gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 5. Juni 1996, GZ 13 R 239/96z-9, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 3. Mai 1996, GZ 4 P 17/96a-3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Das Erstgericht übertrug die Obsorge für die Minderjährige vorläufig zur Gänze dem Land Oberösterreich als Jugendwohlfahrtsträger. Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs im Hinblick auf eine Differenz in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zulässig sei.

Der dagegen vom Land Oberösterreich erhobene Revisionsrekurs ist ungeachtet des nicht bindenden Zulässigkeitsausspruches unzulässig im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG.

Gemäß Art 12 Abs 1 B-VG ist in Angelegenheiten der Jugendfürsorge der Bund zur Erlassung von Grundsatzbestimmungen, das jeweilige Land hingegen zur Erlassung von Ausführungsgesetzen und zur Vollziehung berufen. Dementsprechend hat der Bund mit § 4 des Grundsätze über die Jugendfürsorge enthaltenden JWG 1989 BGBl 1989/161 bestimmt, daß Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt (Jugendwohlfahrtsträger) das Land ist (Abs 1) und daß die Landesgesetzgebung bestimmt, welche Organisationseinheiten die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt zu besorgen haben (Abs 2). Damit wird klar zwischen der juristischen Person Land als Rechtsträger und den für den Rechtsträger Land handelnden Organen bzw Organisationseinheiten unterschieden.

Das oö JWG LGBl 1991/111 bezeichnet in § 4 "Aufgabenverteilung und Zuständigkeit" nicht nur das Land sowie die Städte mit eigenem Statut und Sozialhilfeverbände, sondern auch Landesregierung und die Bezirksverwaltungsbehörden als "Jugendwohlfahrtsträger".

Ein Ausführungsgesetz ist verfassungswidrig, wenn es einem Grundsatzgesetz widerspricht (Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts7 Rz 266 und 1157). Bei der Auslegung von Gesetzen sind interpretative Widersprüche zum Verfassungsrecht zu vermeiden; verfassungskonforme Auslegung ist daher, soweit sie nach den sonstigen Auslegungskriterien möglich ist, geboten; auch teleologische Reduktion ist zur Erreichung eines verfassungskonformen Ergebnisses möglich (Bydlinski in Rummel, ABGB**2, Rz 21 zu § 6). Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrmals ausgesprochen (9 Ob 514/95 = RZ 1996/32; 1 Ob 2148/96f), daß § 4 oö JWG zwar in der Terminologie von § 4 JWG 1989 dadurch erheblich abweicht, daß dort nicht nur das Land sowie Städte mit eigenem Statut und Sozialhilfeverbände, sondern auch die Landesregierung und die Bezirksverwaltungsbehörden als "Jugendwohlfahrtsträger" bezeichnet werden und damit nicht zwischen Rechtsträgern und Organen unterschieden wird. Da aber nicht anzunehmen ist, daß der Landesgesetzgeber mit der Bezeichnung auch der zur Ausführung der Jugendwohlfahrtsmaßnahmen berufenen Organe als "Jugendwohlfahrtsträger" bewußt gegen die Grundsätze des JWG 1989 verstoßen wollte, ist im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung davon auszugehen, daß die Bezirksverwaltungsbehörden und die Landesregierung ungeachtet ihrer Bezeichnung als "Jugendwohlfahrtsträger" im oö JWG nicht als "Jugendwohlfahrtsträger" im Sinne des § 4 Abs 1 JWG 1989 und des diesen Begriff im Sinne dieser Bestimmung zu verwendenden § 176a ABGB anzusehen sind. In beiden Entscheidungen wurde dabei auch zum Ausdruck gebracht, daß es nicht sachgerecht erscheint, die Gerichte damit zu befassen, welches der nach den landesgesetzlichen Vorschriften in Frage kommenden Organe ein und desselben Rechtsträgers jeweils zur Durchführung einer diesem Rechtsträger obliegenden Jugendwohlfahrtsmaßnahme berufen ist.

Auch in den Entscheidungen 6 Ob 524/95, EvBl 1993/191 sowie ÖA 1992, 155 wurde klar ausgesprochen, daß Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt gemäß Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG, § 4 Abs 1 JWG stets das Land und der Landesgesetzegeber lediglich ermächtigt ist, die Organisationseinheiten zu bestimmen, die die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt zu besorgen haben. Auch die Entscheidung EvBl 1994/141 geht davon aus, daß das JugendwohlfahrtsG in § 4 Abs 1 als Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt das jeweilige Land bestimmt und nach Abs 2 dieser Bestimmung durch die Landesgesetzgebung (nur) festzulegen ist, welche konkreten Organisationseinheiten die Aufgabe der öffentlichen Jugendwohlfahrt zu besorgen haben. Soweit darin aus der Diktion in den §§ 4 und 40 oö JWG gefolgert wird, daß die oö Landesregierung unter den in dieser Bestimmung genannten Vorraussetzungen als Jugendwohlfahrtsträger anzusehen sei, wurde dem nicht verfassungskonformen Ergebnis in den Entscheidungen RZ 1996/32 und 1 Ob 2148/96f ausdrücklich entgegengetreten. Auch der erkennende Senat ist der Ansicht, daß der Entscheidung insoweit wegen der gebotenen verfassungskonformen Auslegung der Bestimmungen oö JWG nicht gefolgt werden kann. Der Befassung eines verstärkten Senats bedurfte es im Hinblick auf die einhellige Judikatur, wer in den Ländern als Jugendwohlfahrtsträger anzusehen ist, nicht. Wegen des Vorhandensein bloß einer abweichenden Entscheidung liegt aber auch keine uneinheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor.

In die Organisation der Verwaltung der Länder, welche seit der B-VG-Novelle 1974 nicht mehr in die Kompetenz des Bundes gemäß Art 12 B-VG fällt, greift § 4 JWG 1989 nicht ein, wenn er das (jeweilige) Land als Jugendwohlfahrtsträger bestimmt und die Bestimmung der für einzelne Aufgaben zuständigen Organisationseinheit dem Landesgesetzgeber überläßt. Damit wird nämlich nicht - wie früher in § 3 Abs 2 JWG 1954 - für die von den Bezirksverwaltungsbehörden zu besorgenden Angelegenheiten als eine Organisationshoheit eine eigene Abteilung (Jugendamt) gefordert. Nur derartige Eingriffe in die Organisation der Verwaltung in den Ländern sind dem Bundesgesetzgeber nunmehr verwehrt. § 4 JWG 1989 wahrt durch seine Festlegungen in Abs 2 vielmehr die Organisationseinheit der Länder (vgl RV 171 BeilNr 17. GP 11 f). Die Kompetenz, Jugendwohlfahrtsträger zu bestimmen, kommt dem Landesgesetzgeber aber nicht zu. Der Hinweis im Revisionsrekurs auf die B-VG-Novelle 1974 ist daher nicht geeignet, Zweifel an der herschenden Auffassung zu § 4 JWG 1989 iVm §§ 4, 40 oö JWG zu erwecken.

Verfassungsmäßige Bedenken gegen die genannten Bestimmungen des oö JWG bestehen bei verfassungskonformer Auslegung nicht.

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG war der ordentliche Revisionsrekurs daher zurückzuweisen.

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