OGH 4Ob2291/96g

OGH4Ob2291/96g15.10.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek und Dr.Niederreiter sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Jürgen F*****, Lehrling, infolge des außerordentlichen Revisionsrekurses des Minderjährigen, vertreten durch seine Mutter Lilli S*****, diese vertreten durch Dr.Reinhold Nachbaur, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgericht vom 18.Juli 1996, GZ 1 R 308/96v-50, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 25.Juni 1996, GZ 19 P 1299/95s-47, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

Mit Beschluß vom 22.November 1993, ON 33, trug das Erstgericht dem Vater des Minderjährigen auf, ab 1.November 1993 zum Unterhalt seines Sohnes einen erhöhten monatlichen Beitrag von S 2.800 zu zahlen. Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß (Beschluß vom 20.Dezember 1993, ON 36) und ging dabei - in Abweichung vom Erstgericht - von einem monatlichen Nettodurchschnittseinkommen des Vaters in der Höhe von S 16.100 aus. Der Vater hatte damals noch für seine nicht berufstätige Ehegattin sowie ein weiteres Kind aus der zweiten Ehe zu sorgen.

Mit der Behauptung, daß sich die Verhältnisse auf seiten des Minderjährigen geändert hätten, weil dieser nun als Konditorlehrling eine monatliche Lehrlingsentschädigung von netto rund S 5.700 bei freier Unterkunft und Verpflegung beziehe, begehrt der Vater ab 1. Februar 1996 eine Herabsetzung seiner monatlichen Unterhaltsleistung - letztlich (S. 126) - auf S 1.500.

Der durch seine Mutter vertretene Minderjährige spricht sich gegen den Antrag aus. Seine monatliche Lehrlingsentschädigung betrage netto (14mal jährlich) DM 623. Seit 1.Mai 1996 könne er nicht mehr unentgeltlich beim Lehrherrn wohnen; vielmehr zahle er für ein Untermietzimmer DM 300. Er bekomme beim Lehrherrn kostenlos Frühstück und Mittagessen, das Abendessen jedoch nur fallweise. An den freien Tagen (Sonntag/Montag) müsse er sich selbst verpflegen. Jedes zweite Wochenende fahre er zur Mutter. Da er die Lehrstelle im Kleinen Walsertal habe, bekomme er keine Vergütung der Fahrtkosten nach Hause und zur Berufsschule in Innsbruck. Die Heimfahrt (Hin- und Rückfahrt) koste DM 44. Die Kosten der Berufsschule hätten im Herbst 1995 rund S

9.500 ausgemacht und werden 1996 wiederum fast S 10.000 betragen (ON 39).

Das Erstgericht wies den Herabsetzungsantrag ab. Es stellte fest, daß der Minderjährige seit 1.Mai 1996 für ein Zimmer monatlich DM 300 zu zahlen habe, daß er keinen vertraglichen Anspruch gegen den Lehrherrn auf Unterkunft und Verköstigung habe, aber dennoch weiterhin im Betrieb des Lehrherrn kostenlos verköstigt werde. Eine Fahrtkostenvergütung durch den Lehrherrn sei nicht vorgesehen. Von dem monatlichen Durchschnittseinkommen des Lehrlings in der Höhe von DM 755 = S 5.285 sei der Mietzins abzuziehen, so daß S 3.185 verbleiben.

Rechtlich meinte das Erstgericht, daß dieses Eigeneinkommen des Minderjährigen noch nicht den Richtsatz für die Ausgleichszulage von monatlich S 9.200 erreiche. Die verbleibende Differenz von S 6.015 hätte der Vater zur Hälfte zu tragen. Da er ohnehin nur zu einer Unterhaltsleistung von S 2.800 verpflichtet sei, habe er keinen Anspruch auf Herabsetzung seiner Unterhaltsleistung, auch wenn man den außergewöhnlichen berufsbedingten Mehraufwand, der durch die Fahrten nach Hause und durch die Berufsschulaufenthalte entstehe, noch nicht berücksichtige. Auf finanzielle Leistungsunfähigkeit habe sich der Vater nie berufen.

Das Rekursgericht setzte die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters ab 1.Februar 1996 auf S 2.000 herab und wies das Mehrbegehren von weiteren S 500 ab; es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Berechnungsart des Erstgerichtes entspreche der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtsgerichtes und des Rekursgerichtes. Zu berücksichtigen sei aber, daß der Richtsatz für die Gewährung der Ausgleichszulage nur eine Richtschnur für die Annahme der Selbsterhaltungsfähigkeit bilde. Bei relativ geringem Einkommen des Unterhaltspflichtigen oder weiteren Sorgepflichten könne auch ein geringerer Betrag als die halbe Differenz zwischen dem Ausgleichszulagenrichtsatz und dem Einkommen des Minderjährigen zugesprochen werden, zumal bei der Unterhaltsbemessung stets von den Umständen des Einzelfalles auszugehen sei und eine rechnerische Ermittlung des Unterhaltsbetrages nicht stattzufinden habe. Der sich nach der Berechnung des Erstgerichtes ergebende Betrag könne bei der Unterhaltsbemessung vor allem dann nicht voll ausgeschöpft werden, wenn der Vater und die anderen Unterhaltsberechtigten ihre Bedürfnisse nicht mehr in gleicher Weise wie der Unterhaltsberechtigte decken könnten. Nach den Angaben des Vaters erhalte er einschließlich Sonderzahlungen ein monatliches Nettoeinkommen von rund S 15.800. Dieser Betrag entspreche auch in etwa dem vom Erstgericht angenommenen Einkommen des Vaters, der noch für ein weiteres Kind und für seine teilzeitbeschäftigte Ehegattin sorgepflichtig sei. Angesichts dieser unterdurchschnittlichen Einkommenslage des Vaters und der weiteren Unterhaltspflichten sei es nicht gerechtfertigt, die Selbsterhaltungsfähigkeitsgrenze des Minderjährigen fiktiv mit über S 9.000 anzusetzen. Es sei erforderlich, diese Grenze den Lebensverhältnissen des Vaters entsprechend herabzusetzen. Das Rekursgericht erachte einen Unterhaltsbeitrag des Vaters von S 2.000 für ausreichend, um den Minderjährigen angemessen an den Lebensverhältnissen des Vaters teilhaben zu lassen. Neben den Betreuungsleistungen der Mutter stünden dem Minderjährigen sohin über S 5.100 monatlich zur Verfügung, wobei der Mietzins schon abgezogen sei. Außerdem werde der Unterhaltsberechtigte großteils im Betrieb des Lehrherrn unentgeltlich verköstigt.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß erhobene Revisionsrekurs des Minderjährigen ist zulässig und berechtigt.

Soweit der Minderjährige meint, das Rekursgericht hätte das Rechtsmittel seines Vaters mangels Beschwer zurückweisen müssen, kann ihm freilich nicht gefolgt werden. Da mit dem Beschluß des Erstgerichtes der Herabsetzungsantrag des Vaters abgewiesen wurde, war er jedenfalls formell beschwert. Damit wurde aber auch seine Rechtsstellung im Vergleich zu der angestrebten Stattgebung - einer Herabsetzung der monatlichen Unterhaltsleistung auf S 1.500 - verschlechtert, so daß auch die materielle Beschwer zu bejahen ist. Die Argumentation des Minderjährigen, der Vater wäre deshalb, weil er in seinem Rekurs davon ausgegangen sei, daß er zusätzlich noch die Unkosten der Berufsschule zu zahlen haben werde, durch den Beschluß des Erstgerichtes bessergestellt als im Falle eines Rechtsmittelerfolges, ist nicht nachvollziehbar.

Zutreffend verweist aber der Rekurswerber darauf, daß das Gericht zweiter Instanz nicht ohne weiteres von den Angaben des Vaters ausgehen durfte, wonach er monatlich (nur) S 15.800 beziehe. Nach den Feststellungen des Rekursgerichtes in seinem Beschluß vom 20.Dezember 1993, ON 36, verdiente der Vater zwischen Mai und September 1993 durchschnittlich monatlich S 16.100. Der Vater hat seinen Herabsetzungsantrag mit geänderten Verhältnissen auf seiten des Minderjährigen begründet, nicht aber damit, daß auch sein Einkommen gesunken wäre.

Aber auch über die Einkommensverhältnisse des Minderjährigen fehlen ausreichende Feststellungen. Geht man von dem festgestellten Einkommen als Lehrling aus, ist davon der berufsbedingte Mehraufwand für die Berufsausbildung und Berufsausübung abzuziehen (SZ 63/101; EvBl 1990/134; ÖA 1991, 41 U 4; EF 65.839; RZ 1992/3; SZ 65/114 uva). Dazu gehören nicht nur die Kosten einer Unterbringung außerhalb des Elternhauses (vgl EvBl 1990/134, wonach die Kosten der Internatsunterbringung abzuziehen sind), sondern auch Berufsschulkosten (ÖA 1992, 146 U 60; EFSlg 68.564) sowie die Fahrtkosten zur Ausbildungsstelle (EFSlg 65.861; 68.562 ua). Zu den Kosten der Berufsschule und den Fahrtkosten des Minderjährigen von dem Ort seiner Ausbildung nach Hause (angeblich ungefähr alle 14 Tage) liegen zwar Behauptungen, aber keine Feststellungen vor; das gleiche gilt vom Umfang seiner Verpflegung durch den Lehrherrn.

Geht man - wie das Erstgericht - von der Richtwertformel des Obersten Gerichtshofes seit der Entscheidung des verstärkten Senates (SZ 65/114; EFSlg 68.517 mwN; ÖA 1995, 121 U 80 ua; Schwimann, Unterhaltsrecht 67) aus, dann wäre freilich der Herabsetzungsantrag des Vaters auf jeden Fall abzuweisen. Zieht man nämlich von dem derzeit gültigen Richtsatz für die Ausgleichszulage (Kdm BGBl 1995/808) von - umgerechnet auf zwölf Monate - S 9.200 das mit rund S

3.200 angenommene Einkommen des Minderjährigen ab und multipliziert dies mit dem Verhältnis von Regelbedarf (S 4.210) zu Mindestpension (S 9.200), so ergäbe das rund S 2.745. Dem Rekursgericht ist aber darin zuzustimmen, daß diese Formel nur eine erste Orientierungshilfe bildet, die nach den besonderen Umständen des Einzelfalles nach oben oder unten korrigiert werden kann (Schwimann aaO 67; EvBl 1990/134; ÖA 1992, 146 U 60).

Eine solche Abweichung setzt aber die Kenntnis der einzelnen maßgeblichen Faktoren voraus. Entgegen der Meinung des Rekursgerichtes kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß dem Minderjährigen bei einer Unterhaltszahlung des Vaters von S 2.000 monatlich neben den Betreuungsleistungen der Mutter mehr als S

5.100 zur Verfügung stünden, weil dabei die behaupteten Auslagen für Fahrten und berufsschulbedingte Aufenthalte in Innsbruck völlig unberücksichtigt bleiben. Andererseits fehlen auch Grundlagen dafür, das Einkommen des Vaters mit nur S 15.800 anzunehmen.

Aus diesen Gründen war in Stattgebung des Revisionsrekurses mit einer Aufhebung vorzugehen. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren die erforderlichen Feststellungen über das Einkommen des Vaters und die berufsbedingten Aufwendungen des Minderjährigen und den Umfang seiner Naturalverpflegung durch den Lehrherrn zu treffen haben. Bei der Entscheidung über den Herabsetzungsantrag wird dann aber auch der Umstand zu berücksichtigen sein, daß der Minderjährige nach der bisherigen Aktenlage in der Zeit vom 1.Februar bis zum 1.Mai 1996 noch kostenlos bei seinem Lehrherrn gewohnt hat.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte