OGH 14Os146/96

OGH14Os146/968.10.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.Oktober 1996 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Ebner, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Berger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Helmut K***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 3 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 14.Juni 1996, GZ 20 u Vr 11.926/93-129, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde der Angeklagte Helmut K***** im zweiten Rechtsgang abermals des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 3 zweiter und dritter Fall StGB (an Angela H*****) schuldig erkannt und unter Berücksichtigung des bereits im ersten Rechtsgang rechtskräftig gewordenen Schuldspruchs wegen eines weiteren Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 3 erster und zweiter Fall StGB (an Edeltraud P*****) zu vierzehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Ihm liegt (nunmehr) zur Last, am 16.Juni 1993 in Wien die Angela H***** mit schwerer, gegen sie gerichteter (Gewalt und durch gegen sie gerichtete) Drohung mit gegenwärtiger schwerer Gewalt (gemeint: Gefahr) für Leib oder Leben zur Vornahme bzw Duldung des Beischlafes und eines Oralverkehrs, sohin einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, genötigt zu haben, und zwar durch Einflößen von Medikamenten, Würgen, Versetzen von Schlägen, Niederdrücken eines Polsters im Gesichtsbereich und die Frage: "Leben oder Sterben ?", wobei die Genannte durch die Tat längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt und in besonderer Weise erniedrigt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde aus den Gründen der Z 4, 5, 10 a und 11 lit a des § 345 Abs 1 StPO sowie mit Berufung.

Die Beschwerde versagt.

Dem zunächst erhobenen Einwand (Z 4) ist zuzugestehen, daß es sich bei dem Bericht von Interpol Warschau vom 26.Feber 1996 über die (mit für den Angeklagten negativem Ergebnis verlaufenen) Alibierhebungen in Polen (ON 115, S 331/III) um ein amtliches Schriftstück handelt, in dem ua die Aussage des Zeugen Andrzej Jerzy P***** festgehalten worden ist, weshalb seine Verlesung nur unter der (hier allein in Betracht kommenden) Voraussetzung eines beiderseitigen Parteieneinverständnisses gemäß § 252 Abs 1 Z 4 StPO zulässig war.

Laut Hauptverhandlungsprotokoll hat der Vorsitzende des Geschworenengerichtes dem Angeklagten den Inhalt des Berichtes mehrfach vorgehalten (ON 125, S 364, 368 f, 370/III) und solcherart in die Hauptverhandlung eingebracht. Eine ausdrückliche Erklärung des Einverständnisses der Prozeßparteien hiezu ist allerdings nicht protokolliert. Da jedoch der Angeklagte die Vernehmung des Andrzej Jerzy P***** als Alibizeugen schon im ersten Rechtsgang (was zur teilweisen Urteilsaufhebung führte) und auch im zweiten Rechtsgang - wenn auch nur schriftlich (ON 87, S 174, Pkt 2 d) - selbst beantragt hatte, ist im wiederholten widerspruchslosen Hinnehmen der durch eingehende Erörterung in der Hauptverhandlung vorgenommenen Verlesung des Interpol-Berichtes nach Lage des Falles unzweideutig das konkludente Verlesungseinverständnis des Verteidigers anzunehmen (vgl 14 Os 15, 16/96), was nach den Umständen auch für den Staatsanwalt zu gelten hat. Die gerügte Verlesung war somit nach dem Gesetz (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO) zulässig.

Auch die weiteren Verfahrensrügen (Z 5) sind unbegründet.

Der schriftliche Antrag (ON 87, S 174/III, Pkt 2 d) auf Vernehmung des (zuvor genannten) Andrzej Jerzy P***** als Zeugen zum Beweis dafür, daß der Angeklagte vom 10. bis 20.Juni 1993 (sohin auch zur Tatzeit) ständig und ununterbrochen in Polen aufhältig war, wurde in der Hauptverhandlung nicht wiederholt (vgl ON 125, S 397 f/III, Pkt 9). Ungeachtet des Umstandes, daß der Schwurgerichtshof dennoch über diesen (bloß schriftlichen) Beweisantrag abgesprochen hat (ON 128, S 446/III, Pkt 4), fehlt es dem Beschwerdeführer daher an der Legitimation zur Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes, die jedenfalls eine entsprechende Antragstellung in der Hauptverhandlung zur Voraussetzung hat. In einem solchen Antrag hätte der Angeklagte im übrigen auch darlegen müssen, aus welchen Gründen vom Zeugen trotz des negativen Ergebnisses der Interpolerhebungen ein Alibinachweis zu erwarten gewesen wäre. Das diesbezügliche Vorbringen in der Beschwerde ist nicht nur verspätet, sondern auch keineswegs überzeugend, weil die behauptete Verwechslung der Person des Angeklagten im Hinblick auf die Bezugnahme auf dessen tatsächlich unternommene Urlaubsreise nach Spanien (vgl S 331 mit S 389) nicht anzunehmen ist.

Mangels mündlicher Wiederholung der weiteren, nur schriftlich gestellten Beweisanträge, nämlich:

a) auf Ausforschung und Vernehmung der im Tatzeitraum in der Zirkusbar anwesenden "Hostessen" zum Beweis dafür, daß sie keine Verletzungen an Angela H***** wahrgenommen haben (ON 123, S 354/III, Pkt 7);

b) auf Vernehmung der Brigitte A***** zum gleichen Beweisthema (ON 123, S 354/III, Pkt 8);

c) auf Vernehmung der Zimmermädchen im Hotel U*****, Ljubica J***** und Radmila N*****, zum Beweis dafür, daß die Darstellung der Zeugin Angela H***** über den Verunreinigungszustand des Hotelzimmers (Tatort) unrichtig ist (ON 123, S 354/III, Pkt 9); und

d) auf Ausforschung und Vernehmung von Besitzer und Personal des Cafe E***** als Zeugen zum Beweis dafür, daß Angela H***** am Tag nach der Tat keine Verletzungen aufgewiesen hat (ON 123, S 356/III, Pkt 19);

versagen auch die darauf bezogenen Verfahrensrügen schon aus formellen Gründen.

Dem Beweisantrag auf Vernehmung der Nachtportiere im Hotel U*****, Hussein und Hussam S***** (schriftlich: ON 123, S 354/III, Pkt 10; mündlich wiederholt lt ON 125, S 397/III, Pkt 4) wurde in Ansehung des in der Tatnacht diensthabenden Hussam S***** ohnedies stattgegeben (ON 127, S 405 f/III). Die Einvernahme des Hussein S***** wurde jedoch zu Recht abgelehnt, weil dieser in der Tatnacht nicht Dienst hatte und daher schon bei der Polizei keine zweckdienlichen Angaben machen konnte (S 481/I). Ob aber der Angeklagte auch sonst das Hotel "in Begleitung von Damen betreten hat und diese niemals verletzt waren", ist für den vorliegenden Fall ohne Relevanz.

Durch die Abweisung des Antrages auf Vernehmung des Steinmetzmeisters Andrzey M***** aus Siedlce/Polen als Zeugen zum Beweis für die dortige Anwesenheit des Angeklagten zur Tatzeit (16.Juni 1993) wurden Verteidigungsrechte (Z 5) nicht beeinträchtigt. Der Verteidiger hat zwar seinen darauf abzielenden schriftlichen Beweisantrag (ON 123, S 353/III, Pkt 4) in der Hauptverhandlung ordnungsgemäß mündlich wiederholt (ON 125, S 397/III, Pkt 1) und noch dahin ergänzt, daß Andrzej M***** in seinem Betrieb schriftliche Bestellunterlagen bzw Aufzeichnungen über Bestellgespräche bezüglich eines Grabsteines haben "soll", deren Vorlage ihm aufgetragen werden möge (ON 128, S 429 f/III). Dazu befragt hat der Angeklagte selbst jedoch angegeben, daß er anläßlich der Vorsprache in der Steinmetzwerkstatt des Andrzej M***** "nicht mit dem Chef, sondern mit einem Mitarbeiter gesprochen" und keine Bestellung aufgegeben habe, und daß ihm bedeutet worden sei, am 21.Juni 1993 wieder zu kommen, "wenn der Chef wieder da ist" (ON 104, S 264 f/III). Er habe am 16.Juni 1993 "keinerlei Auftrag gegeben, sondern nur Erkundigungen eingezogen" (ON 128, S 431/III).

Den Besprechungstermin 21.Juni 1993 habe er nicht mehr einhalten

können und daher auch später keinen Auftrag erteilt (ON 125, S

399/III). Allerdings habe seine Schwester Erika K***** anläßlich

einer eigens zu diesem Zweck unternommenen Erkundungsreise nach

Siedlce in Erfahrung gebracht, daß der Sohn des Andrzej M***** "eine

Notiz" habe, wonach er (der Angeklagte) "dort war ... wegen eines

Grabsteines .... mit ihm gesprochen habe .... und noch einmal

hinkommen sollte". Weitere Auskünfte seien ihr nicht erteilt worden (ON 128, S 431/III).

Daß aus der im Steinmetzbetrieb M***** angeblich vorhandenen Notiz das Datum der geschäftlichen Vorsprache des Angeklagten hervorginge, wird weder im Beweisantrag noch in der Beschwerde und auch vom Angeklagten selbst nicht behauptet. Durch die beantragte Beweisaufnahme sollte daher nur die Frage geklärt werden, ob überhaupt ein Beweismittel auffindbar ist, dessen Heranziehung der Wahrheitsfindung dienlich sein könnte bzw ob von der erwähnten Gesprächsnotiz - sollte sie tatsächlich vorhanden sein - eine Förderung der Wahrheitsfindung zu erwarten ist. Mithin zielte der Beweisantrag aber bloß auf einen Erkundungsbeweis ab, der dem Erfordernis genügender Konkretisierung der zu erwartenden positiven Ergebnisse nicht gerecht wird und daher unzulässig ist (vgl Mayerhofer/Rieder StPO3 E 88 ff zu § 281 Abs 1 Z 4).

Ähnlich verhält es sich mit dem Antrag der Verteidigung auf Beischaffung "der polnischen Polizei-, Rettungs- und Feuerwehrakten" betreffend einen vom Angeklagten in einer am 30.Juli 1994 erstatteten "Selbstanzeige an die Staatsanwaltschaft Wien" geschilderten Vorfall vom 18.Juni 1993 (zwei Tage nach der Tat) am Bahnhof in Warschau, bei dem er angeblich einen Betrunkenen in Notwehr verletzt hat (schriftlicher Antrag: ON 87, S 175, Pkt 2 e und ON 123, S 355, Pkt 17; mündlich wiederholt lt ON 125, S 397, Pkt 7). Auch dazu hat der Angeklagte selbst angegeben, daß "in Polen nichts festgehalten worden ist" und er "in Polen nicht vernommen wurde" (ON 125, S 375/III), weshalb der Antrag ebenfalls auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinausläuft, durch dessen Abweisung Verteidigungsrechte nicht hintangesetzt worden sind. Im übrigen würde eine Anwesenheit des Angeklagten am 18.Juni 1993 in Warschau nach der Tatzeit (16.Juni 1993) seine Täterschaft keineswegs ausschließen.

Dem Antrag auf Ergänzung des (schon im ersten Rechtsgang erstatteten) Gutachtens des psychiatrisch-neurologischen Sachverständigen Dr.Pfolz (schriftlicher Antrag: ON 102/III; mündlich präzisiert lt ON 104, S 267 und 269/III) wurde ohnedies entsprochen und vom Genannten ein schriftliches Ergänzungsgutachten erstattet (ON 112), das er in der Hauptverhandlung auch mündlich erläutert hat (ON 127, S 410 ff/III). Im daraufhin gestellten Antrag auf Befundergänzung und zusätzlicher Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychologie (ON 127, S 425/III) wurden keine solchen Widersprüche oder Mängel in Befund und Gutachten Dris.Pfolz dargetan, die der Sachverständige nicht hätte befriedigend aufklären können und die daher diesen Beweisantrag zu rechtfertigen vermöchten (§§ 125, 126 StPO), zumal auch der Sachverständige Dr.Quatember nach den ihm bekannten relevanten bisherigen Befundungen und sonstigen Verfahrensergebnissen eine weitere Untersuchung und Begutachtung zum Zwecke der Abklärung der Dispositions- und Diskretionsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit für überflüssig hielt (ON 127, S 426/III). Diese Expertenmeinung ist - der Beschwerde zuwider - keineswegs deshalb anzuzweifeln, weil Dr.Quatember den Angeklagten (zufolge dessen Weigerung) nicht selbst explorieren konnte.

Schließlich hat der Schwurgerichtshof auch den Antrag auf Beischaffung eines Ordnungsstrafaktes der Justizanstalt Josefstadt betreffend eine tätliche Auseinandersetzung des Angeklagten mit dem Mitgefangenen Dariusz G***** (schriftlich: ON 87, S 174/III, Pkt 1; mündlich wiederholt lt ON 125, S 398/III, Pkt 9) zu Recht abgewiesen. Dieser Beweisantrag zielte darauf ab, die Glaubwürdigkeit der in der Hauptverhandlung verlesenen und ausführlich erörterten, den Angeklagten schwer belastenden kontradiktorischen Aussage des Zeugen Dariusz G***** (ON 84 iVm ON 76, 125, S 392 und ON 104, S 266/III) zu erschüttern, wozu aber die Einsichtnahme in die angebotenen Akten von vornherein nicht geeignet ist. Eine insoweit allein zielführende unmittelbare Vernehmung des Genannten vor dem erkennenden Geschworenengericht wurde aber nicht beantragt. Im übrigen haben sich die Geschworenen durch die Aussage des Zeugen Raymond R***** (ON 125, S 394 ff/III) ein ausreichendes Bild über das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und Dariusz G***** verschaffen können. Das Beschwerdevorbringen beschränkt sich in diesem Punkte darauf, unter dem Prätext, die Relevanz des Beweisantrages (nachträglich) zu begründen, die Beweiswürdigung der Geschworenen zu kritisieren.

Nach Prüfung des Beschwerdevorbringens anhand der Akten bestehen für den Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken (Z 10 a) gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen.

Die Rechtsrüge (Z 11 lit a) ist schon im Ansatz verfehlt, weil der Beschwerdeführer mit dem Hinweis auf den Zweifelsgrundsatz verkennt, daß der Nachweis eines Rechtsirrtums nur durch den Vergleich des im Verdikt festgestellten Sachverhalts mit dem darauf angewendeten Gesetz und nicht mit der Behauptung geführt werden kann, die Verfahrensergebnisse hätten auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlußfolgerungen zugelassen.

Die zum Teil offenbar unbegründete, im übrigen aber nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285 d Abs 1, 344 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Wien zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285 i, 344 StPO).

Der Ausspruch über die Kostenersatzpflicht des Angeklagten ist in § 390a StPO begründet.

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