Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens über die Wiederaufnahmsklage aufgetragen.
Die Kosten des Rekurses und des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der Wiederaufnahmskläger begehrte mit seiner am 9.11.1993 beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien eingebrachten Klage (nach Einschränkung) 71.000 S. Er habe vom Beklagten Ersatzteile für einen gebrauchten PKW "Jaguar J" gekauft und ihm den Kaufpreis von 74.000 S übergeben. Die gekauften Ersatzteile, seien nicht übergeben worden. Der Beklagte habe nur einige Ersatzteile nicht jedoch den Motor und das Getriebe des Fahrzeuges geliefert. Nach Setzung einer Nachfrist sei der Kläger vom Vertrag zurückgetreten.
Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Er habe dem Kläger lediglich einen Gefälligkeitsdienst erwiesen und die Anschaffung der Ersatzteile vermittelt. Er sei ihm bei Ankauf und Transport der Ersatzteile aus den Vereinigten Staaten behilflich gewesen und habe den übergebenen Kaufpreis auf das Konto des Verkäufers überwiesen. Der Kläger hätte sich selbst um den Transport und deren Waren aus den Vereinigten Staaten kümmern müssen.
Mit Urteil vom 11.8.1994 wies das Erstgericht die Klage ab. Nach den Urteilsfeststellungen hatte der Beklagte den Kläger "quasi als Freundschaftsdienst" nur eine Kaufmöglichkeit über ein Paket von Ersatzteilen eines Fahrzeugs mitgeteilt, aber keinen Kaufvertrag abgeschlossen. Es sei ausgemacht worden, daß der Kläger dem Beklagten 74.000 S auf dessen Konto überweise, damit der Beklagte das Geld an den Verkäufer weiterüberweise, was geschehen sei. Der Kläger habe nur einen Teil der Ware erhalten. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, daß kein Kaufvertrag zustande gekommen sei. Es habe sich um einen Gefälligkeitsdienst des Beklagten gehandelt.
Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Schwerpunkt des Berufungsverfahrens war die Erledigung der Beweisrüge des Klägers.
Die Berufungsentscheidung wurde dem Kläger am 11.4.1995 zugestellt.
Am 23.3.1995 langte beim Erstgericht die Wiederaufnahmsklage ein. Der Wiederaufnahmskläger habe Anfang März 1995 erfahren, daß der Beklagte auch mit zahlreichen anderen Personen Kauf- und Tauschverträge geschlossen habe. Auch dabei sei es dazu gekommen, daß die Käufer den Kaufpreis bezahlt, vom Beklagten in der Folge aber die gekauften Gegenstände nicht erhalten hätten. Insgesamt hätten sich sechs Geschäftsfälle ereignet, bei denen der Beklagte in ähnlicher Weise vorgegangen sei wie beim Kläger. Die Wiederaufnahmsklage wurde dem Beklagten am 30.3.1995 durch Hinterlegung beim zuständigen Postamt und am 19.6.1995 seinem Rechtsvertreter zugestellt.
Das Erstgericht wies die Wiederaufnahmsklage zurück. Die vorgebrachten neuen Tatsachen stünden nicht im Zusammenhang mit der Forderung des Klägers. Es sei nicht behauptet worden, daß die Zeugen irgend etwas über den Abschluß des vom Kläger behaupteten Kaufvertrages wüßten. Bei der Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen im Vorprüfungsverfahren über die Wiederaufnahmsklage sei davon auszugehen, daß die neuen Tatsachen und Beweismittel auch nicht abstrakt geeignet seien, eine Änderung der Entscheidung herbeizuführen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Wiederaufnahmsklägers nicht Folge. Gemäß § 530 Abs 2 ZPO sei die Wiederaufnahme des Verfahrens nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande gewesen sei, die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz geltend zu machen. Hiefür sei der Wiederaufnahmskläger behauptungs- und beweispflichtig. Wenn er seiner Behauptungspflicht nicht nachkomme, so stehe § 530 Abs 2 ZPO der Bewilligung der Wiederaufnahme entgegen. Der Kläger habe nur vorgebracht, Kenntnis über die in der Wiederaufnahmsklage behaupteten Tatsachen im März 1995 durch Recherchen erlangt zu haben, habe aber nicht dargelegt, warum es ihm erst im März 1995 möglich gewesen sei, diese Recherchen durchzuführen. Er habe somit keine Behauptung darüber aufgestellt, daß er ohne Verschulden von den Tatsachen oder Beweismitteln im Vorprozeß keinen Gebrauch habe machen können. Die Frage der abstrakten Eignung der neuen Tatsachen und Beweismittel, eine Änderung der Entscheidung herbeizuführen, könne ungeprüft bleiben.
Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Mit seinem außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Wiederaufnahmskläger, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und den Vorinstanzen die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.
In der ihm freigestellten Revisionsrekursbeantwortung beantragt der Beklagte, den Revisionsrekurs zurückzuweisen; hilfsweise wird beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.
Es ist keine a limine-Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage zu beurteilen, sondern (wegen Zustellung der Klage an den Beklagten) eine solche nach Streitanhängigkeit. In diesem Fall ist das Rekursverfahren gemäß § 521a Abs 1 Z 3 ZPO zweiseitig. Der Rekurs des Wiederaufnahmsklägers wurde dem Beklagten zugestellt, dies allerdings mit dem Beisatz: "Keine Rekursbeantwortung, da Rekurs nur einseitig". Diese Rechtsbelehrung war zwar unrichtig, den anwaltlich vertretenen Beklagten stand es aber dennoch offen, sich am Rekursverfahren zu beteiligen. Wegen dieser Möglichkeit liegt keine im Revisionsrekursverfahren wahrzunehmende Verletzung des Parteiengehörs vor.
In der Sache selbst kann die Meinung des Rekursgerichtes über fehlende Parteibehauptungen des Wiederaufnahmsklägers zum mangelnden Verschulden an der Geltendmachung der Wiederaufnahmsgründe nicht geteilt werden. Im Vorprüfungsverfahren (§ 538 ZPO) ist in aller Regel nicht darüber zu entscheiden, ob der Wiederaufnahmskläger ohne sein Verschulden außer Stande war, Beweismittel im Vorprozeß zu verwenden (9 ObA 236/91 mwN). Die Frage, ob die Klage gemäß § 530 Abs 2 ZPO unzulässig ist, kann nur dann schon im Vorverfahren erledigt werden, wenn Angaben des Wiederaufnahmsklägers darüber, daß die Geltendmachung der neuen Tatsachen und Beweismittel im Vorprozeß ohne sein Verschulden unmöglich gewesen sei, gänzlich fehlen oder sich aus den Parteiangaben ein Verschulden ergibt (EvBl 1973/163; JBl 1979, 268). Diese Fälle liegen hier im Gegensatz zur Auffassung des Gerichtes zweiter Instanz nicht vor. Ein Verschulden liegt dann nicht vor, wenn die Partei ein Beweismittel, mit dessen Vorhandensein sie nicht rechnen mußte, im Hauptprozeß nicht angeboten hat (JBl 1976, 439). Der Wiederaufnahmskläger hat eine erstmalige Kenntnis (nach Schluß der Verhandlung erster Instanz) der neuen Tatsachen und Beweismittel über andere Geschäftsfälle, in denen der Beklagte in ähnlicher rechtswidriger Weise vorgegangen sein soll wie anläßlich des Rechtsgeschäftes mit dem Kläger, behauptet. In diesem Vorbringen liegt klar ersichtlich auch die Behauptung, daß ihn an der Kenntnis dieser Umstände kein Verschulden treffe. Es gehört zwar zur prozessualen Diligenzpflicht der Partei, im Prozeß alle für ihren Standpunkt günstigen Tatsachen und Beweismittel geltend zu machen. Dies setzt aber die Kenntnis darüber voraus. Die Diligenzpflicht wäre überspannt, wenn man vom Wiederaufnahmskläger forderte, daß er Nachforschungen darüber anzustellen hätte, ob der Prozeßgegner auch in anderen Geschäftsfällen rechtswidrig gehandelt hat, damit diese Hilfstatsachen zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit des Gegners vorgebracht werden können.
Im Gegensatz zur Auffassung des Erstgerichtes fehlt dem Klagevorbringen auch nicht die abstrakte Eignung, eine Änderung der Entscheidung im Hauptprozeß herbeizuführen. Die neuen Tatsachen oder Beweismittel, auf die das Wiederaufnahmsbegehren im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützt wird, muß sich nicht unmittelbar auf die rechtliche Beurteilung auswirken. Es genügt, wenn sie geeignet sind, eine wesentliche Änderung der Beweiswürdigung herbeizuführen. Sie müssen aber so wichtig sein, daß ihre Berücksichtigung zu einer anderen Entscheidung des Hauptprozesses führen kann (9 ObA 236/91 mwN). Diese Voraussetzungen erfüllt die vorliegende Wiederaufnahmsklage. Dem Revisionsrekurs ist daher stattzugeben.
Die Entscheidung über die Kosten des Rekurses und des Revisionsrekursverfahrens beruht auf § 52 ZPO.
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