OGH 10Ob2348/96h

OGH10Ob2348/96h3.9.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr, Dr.Steinbauer, Dr.Pimmer und Dr.Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gertrude F*****, Buchhalterin, ***** vertreten durch Dr.Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Kurzentrum *****, vertreten durch Mag.Dr.Michael Michor, Rechtsanwalt in Villach, wegen S 113.449,24 sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 5.April 1995, GZ 1 R 28/95‑47, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 14.November 1994, GZ 23 Cg 174/93z‑33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1996:0100OB02348.96H.0903.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 7.605 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.267,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Am 12.11.1991 wurde das obere und untere Sprunggelenk am linken Bein der Klägerin operativ versteift. Im April 1992 ordnete ihr Hausarzt Dr.M***** eine "physikalische Therapie mit Muskelaufbautraining" bei einem Zustand nach einer "Sprunggelenksarthrothese (richtig geschrieben: "Sprunggelenksarthrodese") im Umfang von 15 Lymphdrainagen, 15mal Heilgymnastik und 15mal Heilmassage an. Die Klägerin beauftragte die Beklagte, die eine private Kur‑ und Rehabilitationsanstalt betreibt, mit der Durchführung dieser Therapie. Der dort erstellte Therapieplan enthielt die Fehldiagnose "Sprunggelenksarthrose" (statt richtig: Sprunggelenksarthrodese). Die in der Anstalt der Beklagten tätige Therapeutin Dorothea S***** bestimmte neben anderen Behandlungsmethoden auch isometrische Stabilisationsübungen mit einem Schaukelbrett. Am 26.5.1992 trat infolge infolge dieser Übungen ein Bruch der Arthrodese ein, der am 10.6.1992 operativ behandelt werden mußte.

Mit ihrer am 15.6.1993 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von Schmerzengeld, Verdienstentgang und Kosten im Zusammenhang mit den Operationen, weil die im Therapieplan angeführte Diagnose falsch gewesen und es zu Fehlbehandlungen im Rahmen der Physiotherapie gekommen sei. Insbesondere habe die mit dem Schaukelbrett durchgeführte Übung zu einer Lockerung der Sprunggelenksversteifung geführt und die zusätzlichen Operationen und stationären Krankenhausaufenthalte notwendig gemacht.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Therapeutin habe die im Therapieplan aufgrund eines Schreibfehlers enthaltene Fehldiagnose ohnehin erkannt und der tatsächlichen Verletzung entsprechende Heilbehandlungen bestimmt. Der Abbruch der Therapie sei wegen anhaltender Schwellungen erfolgt. Die nachfolgenden Operationen seien auf die Pseudarthrose (Fehlgelenksbildung) und nicht auf eine Fehlbehandlung im Rahmen der Therapiemaßnahmen zurückzuführen.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung von S 113.449,24 samt Zinsen. Das Zahlungsmehrbegehren und das Feststellungsbegehren wurden (rechtskräftig) abgewiesen. Das Erstgericht traf folgende weitere wesentliche Feststellungen:

Am 22.1.1992 wurde die Klägerin von ihrem Operateur Prim.Dr.T***** untersucht. Auf dem Röntgenbild wurden zufriedenstellende Zeichen einer Knochenneubildung im Bereich des versteiften Sprunggelenkes festgestellt. Eine Heilung der Arthrodese war innerhalb des üblichen Zeitraumes von 1 1/2 bis 2 Jahren zu erwarten. Ein im März 1992 aufgenommenes Röntgenbild zeigte eine unveränderte Knochenstellung und einen zunehmenden knöchernen Durchbau in den weichen Knochenteilen. Die äußeren harten Knochenteile waren noch nicht zusammengewachsen. Der Operateur verordnete therapeutische Maßnahmen, insbesondere eine physikalische Behandlungseinheit (Heilgymnastik und Heilmassage), bestehend aus Gangschulung (10mal) bei orthogradem (ohne Änderung der Winkelstellung zwischen Fuß und Unterschenkel) Aufsetzen und Abrollen. Mit dieser Verordnung suchte die Klägerin den prakt.Arzt Dr.M***** auf auf, der ihr abweichend davon "physikalische Therapie mit Muskelaufbautraining" verordnete. Mit dieser Verordnung wandte sich die Klägerin an die Beklagte; die Kurärztin Dr.R***** lehnte die Einsicht in die mitgebrachten Unterlagen ab und überprüfte nur die ärztliche Anordnung des Dr.M***** ausschließlich auf ihre Tauglichkeit zur Verrechnung mit der Gebietskrankenkasse. Sie schickte die Klägerin mit einem kurzen Schreiben, in dem sie den Hausarzt bat, seine Verordnung zu präzisieren und die Begriffe Heilgymnastik und Heilmassage zu verwenden, zurück. Der Hausarzt ergänzte dann seine Verordnung handschriftlich durch den Zusatz "15mal Heilgymnastik, 15mal Heilmassagen". Die Therapeutin der Beklagten bestimmte, von der Verordnung des Hausarztes teilweise abweichend, "Gangschulung, Lymphdrainage und Wannenbäder" als Therapiemaßnahmen. In der irrigen Annahme, die Sprunggelenksarthrodese sei knöchern durchgebaut, veranlaßte die Therapeutin auch Stabilisationsübungen mit einem Schaukelbrett. Diese waren aber wegen der damit verbundenen Belastung der Sprunggelenke bei der noch nicht knöchern durchbauten Sprungglenksversteifung als Therapie ungeeignet. Infolge einer Schaukelbrettübung am 25.5.1992 trat ein frischer Bruch der Arthrodese und eine veränderte Knochenstellung bei festsitzenden Schrauben auf.

Rechtlich führte das Erstgericht im wesentlichen aus, der Klägerin sei der Beweis der Ursächlichkeit der von der Beklagten durchgeführten Behandlung für die zusätzliche Verletzung gelungen; hingegen habe die Beklagte den Beweis ihrer Schuldlosigkeit nicht erbracht. Als Betreiberin einer Krankenanstalt sei sie nach den §§ 1 und 22 ÄrzteG und § 26 Abs 1 KrankenpflegeG zur gewissenhaften Betreuung des Kranken und zur Ausführung der vom Arzt angeordneten physikalischen Behandlungen verpflichtet gewesen. Sie habe die Auswahl der Behandlungsmaßnahmen ohne ärztliche Überprüfung und Anweisung ihrer Therapeutin überlassen und dadurch ein Schutzgesetz übertreten, weshalb sie für die Folgen der Verletzung einzustehen habe.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es übernahm die Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz und hielt der Rechtsrüge im wesentlichen folgendes entgegen:

Die Beklagte betreibe in der Rechtsform einer OHG eine Kuranstalt mit einer Therapiestation, deren ärztlicher Leiter ihr Gesellschafter Dr.L***** sei. Die Beklagte als Rechtsperson - und nicht ihr ärztlicher Leiter - habe mit der Klägerin einen Behandlungsvertrag geschlossen und dadurch ein Schuldverhältnis begründet, aus dem die Beklagte und nicht ihr ärztlicher Leiter nach vertraglichen Gesichtspunkten hafte. Bestehe nämlich das Schuldverhältnis nur zum Träger einer Krankenanstalt, so treffe den Arzt keine Leistungspflicht gegenüber dem Patienten; seine Haftung sei diesem gegenüber rein deliktisch. Die Beklagte habe sich auch nicht mit Erfolg auf eine ihre Haftung ausschließende Eigenverantwortlichkeit ihres leitenden Arztes nach Punkt 4 der Anstaltsordnung berufen können. Überdies sei aus § 6 KAG abzuleiten, daß der Anstaltsordnung nur die Regelung des inneren Betriebes einer Krankenanstalt zukomme und nicht die Regelung von Haftungsfragen nach außen. Nach Punkt 2 der Anstaltsordnung habe die Beklagte die Aufgabe, mit ihren Einrichtungen und unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften und Bestimmungen der Anstaltsordnung den Personen, die einer Kur‑ und Rehablitationsbehandlung bedürfen, die entsprechende Therapieanwendung nach ärztlicher Verordnung zu verabreichen. Nach § 2 Z 7 der Kärntner Krankenanstaltenordnung, LGBl 1978/34, sei das von der Beklagten betriebene Ambulatorium eine Krankenanstalt, für welche das Krankenanstaltengesetz gelte. Die Beklagte sei daher als Trägerin einer Krankenanstalt anzusehen, die aufgrund des mit der Klägerin abgeschlossenen Behandlungsvertrages für ihre Vertreter und Gehilfen im Sinne des § 1313a ABGB hafte. Die Beklagte schulde eine korrekte Durchführung der Behandlung nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft. Erleide ein Patient im Zuge der Behandlung einen Schaden, so habe er nur die Ursächlichkeit der Behandlung bzw eines Behandlungsfehlers für seinen Schaden zu beweisen; die Beklagte habe ihre Schuldlosigkeit, dh die Einhaltung der gebotenen Sorgfalt zu beweisen. Der Klägerin sei der Beweis, daß die bei der Beklagten durchgeführten fehlerhaften Therapiemaßnahmen zu einer zusätzlichen Verletzung geführt hätten, gelungen. Die Beklagte habe zu verantworten, daß im Therapieplan eine unrichtige Diagnose enthalten gewesen sei und daß die Therapeutin Behandlungsmaßnahmen bestimmt habe, die weder in der Verordnung des überweisenden Arztes noch im Therapieplan konkret aufgeschienen seien und daß schließlich die auf dem Schaukelbrett verordnete Übung zu einer derartigen Verschlechterung im Zustand der Klägerin geführt habe, daß eine zusätzliche Operation erforderlich geworden sei. Bei Einhaltung der geforderten besonderen Sorgfalt wäre es möglich gewesen, allenfalls durch Rückfragen beim einweisenden Arzt oder durch genaue Überprüfung der Behandlungsunterlagen zu erkennen, daß die von der Therapeutin bestimmte Übung zur Behandlung der Klägerin ungeeignet war und die Gefahr einer weiteren Verletzung mit sich brachte. Der Schadensumfang sei im Berufungsverfahren nicht mehr strittig gewesen.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision mangels qualifizierter Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Sie beantragt die Abänderung im Sinne einer vollen Abweisung des Klagebegehrens und stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt in ihrer freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

 

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichtes zulässig, weil zur Frage der Haftung für Schäden im Zusammenhang mit der ärztlichen Anordnung physiotherapeutischer Maßnahmen eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehlt. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

Zusammengefaßt steht die Beklagte auf dem Rechtsstandpunkt, sie sei der eine Kuranstalt treffenden Sorgfaltspflicht in ausreichendem Maße nachgekommen, nachdem sie eine ärztliche Verordnung an den einweisenden Arzt mit dem Ersuchen um entsprechende Präzisierung rückgemittelt und die therapeutische Behandlung dann aufgrund dieser präzisierten ärztlichen Verordnung durchgeführt habe. Sie wäre nicht verpflichtet gewesen, diese ärztliche Anweisung weiter zu überprüfen. Sie habe vielmehr darauf vertrauen können, daß die ergänzte und präzisierte ärztliche Verordnung den wissenschaftlich anerkannten Regeln ärztlicher Behandlung entsprach. Eine inhaltliche Überprüfung dieser Anordnung wäre nur nach der Anfertigung von Röntgenbildern möglich gewesen; eine solche zusätzliche Leistung sei aber nicht Inhalt des Behandlungsvertrages gewesen. Ausschließlich der Oparateur selbst habe zu entscheiden, wann eine Arthrodese ausreichend durchgebaut sei und ausgegipst werden könne. Da diese Entscheidung vom Operateur getroffen und darüberhinaus auch keine Warnung ausgesprochen worden sei, habe die Beklagte sowie auch ihre Therapeutin davon ausgehen können, daß keine Gefahr durch eine physiotherapeutische Behandlung bestehe, und zwar auch nicht bei Verwendung des Schaukelbrettes. Der Therapeutin sei aufgrund ihrer Anamnese bewußt gewesen, daß eine Sprunggelenksversteifung vorlag, sodaß die im Therapieplan eingetragene unrichtige Diagnose keine Auswirkung auf die Behandlung gehabt habe. Auch der Vorwurf, daß die Therapeutin Behandlungsmaßnahmen bestimmt habe, die weder in der Verordnung des überweisenden Arztes noch im Therapieplan konkret aufgeschienen seien, könnten kein Verschulden der Therapeutin begründen. Üblicherweise würden die von den Ärzten vorgeschriebenen Handlungen nicht im einzelnen verordnet, sondern der Therapeutin überlassen bleiben. Das Klagebegehren bestehe daher zur Gänze nicht zu Recht.

Diesen Ausführungen kann nicht beigetreten werden. Nach ständiger Rechtsprechung liegt ein dem Spitalsarzt anzulastendes Fehlverhalten, für welches der Krankenhausträger dem Patienten als Partner des abgeschlossenenn Behandlungsvertrages zu haften hat (§ 1313a ABGB), dann vor, wenn der Arzt nicht nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung vorgegangen ist oder die übliche Sorgfalt eines ordentlichen pflichtgetreuen Durchschnittsarztes in der konkreten Situation vernachlässigt hat (Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 25 zu § 1299; JBl 1987, 104JBl 1987, 670; SZ 62/53 = RZ 1989/101; JBl 1992, 520 [Apathy] = VersR 1992, 1498; RdM 1994, 121; JBl 1995, 453 (Steiner) = RdM 1995, 91 [Kopetzki] = EvBl 1995/149 ua). Den Beweis des Vorliegens eines Behandlungsfehlers und seiner Kausalität in bezug auf den eingetretenen Schaden hat im Sinne der allgemeinen Schadenersatzregeln grundsätzlich der Patient zu führen (Reischauer aaO Rz 26 zu § 1298; SZ 62/53; RdM 1994, 121; JBl 1995, 453). Diese Grundsätze haben auch zu gelten, wenn nicht ein Spitalsarzt, sondern ein in der Krankenanstalt tätiger Physiotherapeut (oder eine Physiotherapeutin) nicht nach Maßgabe der Wissenschaft und Erfahrung vorgegangen ist oder die übliche Sorgfalt eines ordentlichen pflichtgetreuen Durchschnittsphysiotherapeuten in der konkreten Situation vernachlässigt hat. Rechtsgrundlage für den physiotherapeutischen Dienst war bis zum 31.12.1992 das KrankenpflegeG BGBl 1961/102 (idF vor der Novelle BGBl 1992/872). Nach § 26 Abs 1 KrankenpflegeG umfaßte der physikotherapeutische Dienst die Ausführung physikalischer Behandlungen nach ärztlicher Anordnung zu Heilzwecken. Hiezu gehörten insbesondere alle elektrotherapeutischen Behandlungen, ferner die Thermo‑, Photo‑, Hydro‑ und Balneotherapie sowie die Mechanotherapie (Heilgymnastik, Massage und Ultraschallbehandlung). Entsprechend dieser Rechtslage war gemäß § 135 Abs 1 ASVG auch nur eine aufgrund ärztlicher Verschreibung erforderlich physiotherapeutische Behandlung durch Personen, die gemäß § 52 Abs 4 KrankenpflegeG zur freiberuflichen Ausübung des physiotherapeutischen Dienstes berechtigt waren, der ärztlichen Hilfe gleichgestelltt (Beran/Fritz/Haslinger, Krankenpflegerecht3 [1991] 44, Anm 2 zu § 26). Ein nach den Bestimmungen der §§ 15, 21, 42 und 49 ausgestelltes Diplom oder Zeugnis berechtigte nach § 52 Abs 1 KrankenpflegeG nur zur Ausübung des darin bezeichneten Berufes im Dienste einer Krankenanstalt oder im Dienste sonstiger unter ärztlicher Leitung bzw unter ärztlicher Aufsicht stehender Einrichtungen, die der Vorbeugung, Feststellung oder Heilung von Krankheiten oder der Betreuung pflegebedürftiger Personen dienen, sowie zur unmittelbaren Unterstützung von freiberuflich tätigen Ärzten. Seit dem 1.1.1993 ist der physiotherapeutische Dienst im Bundesgesetz über die Regelung der gehobenen medizinisch‑technischen Dienste (MTD‑Gesetz) BGBl 1992/460 geregelt. Nach dessen § 2 Abs 1 umfaßt der physiotherapeutische Dienst die eigenverantwortliche Anwendung aller physiotherapeutischen Maßnahmen nach ärztlicher Anordnung im intra‑ und extramuralen Bereich, unter besonderer Berücksichtigung funktioneller Zusammenhänge auf den Gebieten der Gesundheitserziehung, Prophylaxe, Therapie und Rehablitation. Hiezu gehören insbesondere mechanotherapeutische Maßnahmen, wie alle Arten von Bewegungstherapien, Perzeption, manuelle Therapie der Gelenke, Atemtherapie, alle Arten von Heilmassagen, Reflexzonentherapien, Lymphdrainagen, Ultraschalltherapie, weiters alle elektro‑, thermo‑, photo‑, hydro‑ und balneotherapeutischen Maßnahmen sowie berufsspezifische Befundungsverfahren und die Mitwirkung bei elektrodiagnostischen Untersuchungen. Weiters umfaßt er ohne ärztliche Anordnung die Beratung und Erziehung Gesunder in den genannten Gebieten. Im Bericht des Gesundheitsausschusses, 615 BlgNR 18. GP , 2, wird dazu ausgeführt:

"Die Begriffe 'ärztliche Anordnung' und 'Eigenverantwortlichkeit' haben immer wieder Verständnisprobleme aufgeworfen. Klarzustellen ist, daß unter ärztlicher Anordnung keine generelle Überweisung oder Zuweisung durch den behandelnden Arzt zu verstehen ist, vielmehr hat die Anwendung der entsprechenden medizinisch‑technischen Maßnahme nach eingehender Untersuchung und Beurteilung der Zustände durch den Arzt zu erfolgen. Die Anordnungsverantwortung bleibt also beim Arzt, der Angehörige eines gehobenen medizinisch‑technischen Dienstes trägt die Durchführungsverantwortung; er hat aufgrund der Diagnose des Arztes die entsprechende Behandlung nach Anordnung durch den Arzt eigenverantwortlich durchzuführen. Dies bedeutet aber, daß bei Auftreten von Fragestellungen, die den Wissens‑ bzw Ausbildungsstand des jeweiligen medizinisch‑technischen Dienstes überschreiten, umgehend der anordnende Arzt zu befassen ist. Die Angehörigen der gehobenen medizinisch‑technischen Dienste handeln jedoch bei der Ausübung der Tätigkeiten, die ihr Berufsbild umfaßt, eigenverantwortlich. Der rechtliche Begriff der Eigenverantwortlichkeit bedeutet die fachliche Weisungsfreiheit jedes zur Berufsausübung berechtigten Angehörigen eines gehobenen medizinisch‑technischen Dienstes im Rahmen seines Berufsbildes. Mit dem Wort 'eigenverantwortlich' wird aber auch zum Ausdruck gebracht, daß der Angehörige ... für den Schaden, den er infolge nicht fachgemäßer Behandlung verursacht hat, selbst haftet. Die Eigenverantwortlichkeit ist nicht als verzichtbares Recht, sondern als eine unverzichtbare Pflicht bei der Berufsausübung zu sehen".

Diesen Ausführungen in den Gesetzesmaterialien ist, wie Beran/Fritz/Haslinger/Bumberger, Das Recht der Krankenpflege, Sanitätsdienste, medizinisch‑technischen Dienste [1994] 96 Anm zu § 2 MTD‑Gesetz zutreffend darlegen, mit einer einzigen Ausnahme eine sachgerechte Regelung zu bescheinigen: Widerspruch ruft der Hinweis hervor, daß der rechtliche Begriff der Eigenverantwortlichkeit die fachliche Weisungsfreiheit der Angehörigen des gehobenen medizinisch‑technischen Dienstes bedeute, wenn auch nur 'im Rahmen seines Berufsbildes'. Wenn nämlich bei jeder Sparte dieses Dienstes im Berufsbild mit Recht angeführt ist, daß die eigenverantwortliche Ausführung 'nach ärztlicher Anordnung' zu erfolgen habe, dann bestimmt dieser Arzt nicht nur das 'Ob', sondern auch das 'Wie' der Ausführung (also nicht nur 'Lymphdrainage', sondern auch 'Lymphdrainage jeden zweiten Tag in der Dauer von 30 Tagen'). Natürlich haftet der Physiotherapeut für die richtige Ausführung der einzelnen Lymphdrainage, nicht aber für die als Weisung ergangene Richtigkeit der Verabreichung an jedem zweiten Tag durch 30 Tage; dafür hat ausschließlich der Arzt einzustehen.

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, dann ist die Haftung der Beklagten für den Schaden der Klägerin aus der Physiotherapie zu bejahen. Unbestritten ist dabei, daß die Anwendung des Schaukelbrettes als Therapiemittel nach einer nicht knöchern durchgebauten Sprunggelenksversteifung absolut ungeeignet war. Die ärztliche Verordnung "15mal Heilgymnastik und 15mal Heilmassage" ist zu allgemein gehalten, weil sie nichts darüber aussagt, was mit der Patientin konkret gemacht und was vor allem in Hinblick auf die Arthrodese vermieden werden soll. Obwohl es nicht Aufgabe einer Physiotherapeutin ist, aus Röntgenbildern festzustellen, ob eine Arthrodese knöchern durchgebaut ist oder nicht, nahm die Physiotherapeutin ohne Rückfrage bei einem Arzt an, die Sprunggelenksarthrodese der Klägerin sei bereits knöchern durchgebaut und das Sprunggelenk halte die Schaukelbrettübungen aus. Diese fehlerhafte Annahme der Physiotherapeutin führte dazu, daß ein Bruch der Arthrodese eintrat und die Klägerin neuerlich operiert werden mußte. Die ohne ärztliche Anordnung erfolgte Anwendung des Schaukelbrettes fällt daher in den Verantwortungsbereich der Beklagten, nicht jedoch des überweisenden Arztes, da diesem die Anwendung des Schaukelbrettes nicht zugerechnet werden konnte. Bei diesem Sachverhalt ist nicht davon auszugehen, daß die Beklagte den ihr obliegenden Entlastungsbeweis, sie bzw ihre Dienstnehmerin habe alle objektiv gebotene Sorgfalt eingehalten, erbracht hat.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte