Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie lauten:
Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin anstelle des bisher gewährten Pflegegeldes der Stufe 2 ab 1.7.1995 das Pflegegeld der Stufe 3 zu gewähren, wird abgewiesen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 17.2.1912 geborene Klägerin bezieht von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter eine Witwenpension und ein Pflegegeld der Stufe 2. Mit Bescheid vom 21.7.1995 wurde der Antrag der Klägerin vom 6.3.1995 auf Erhöhung des Pflegegeldes abgelehnt. Mit der dagegen fristgerecht erhobenen, in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung modifizierten Klage begehrt die Klägerin die Erhöhung des Pflegegeldes auf ein solches der Stufe 3 ab 1.7.1995. Sie brachte dazu vor, daß sie fremde Hilfe im Ausmaß von mehr als 120 Stunden im Monat benötige.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht gab der Klage statt und stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Die Klägerin kann ihre Mahlzeiten selbst einnehmen und die Notdurft verrichten. Sie benötigt aber fremde Hilfe bei der täglichen Körperpflege beim An- und Auskleiden sowie bei der Zubereitung der Mahlzeiten. Sie kann Manipulationen mit Geld nur noch bis ca S 200,-- vornehmen. Lebensmittel und Medikamente kann sie nicht mehr selbst herbeischaffen und sie benötigt auch Mobilitätshilfe in weiterem Sinn. Auch die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände kann sie nicht mehr selbst vornehmen, ebensowenig kann sie ihre Leib- und Bettwäsche selbständig waschen, aufhängen und bügeln. Sie muß Medikamente einnehmen, die ihr hergerichtet werden müssen und deren Einnahme kontrolliert werden muß; hiefür ist im Monat fremde Hilfe im Ausmaß von 3 bis 5 Stunden nötig. Die Beheizung der Wohnung erfolgt mit einem Gasofen älteren Modells, der auf verschiedene Stufen (0 bis 6) eingestellt werden kann und an dem ein Thermostat angebracht ist. Aufgrund der Cerebralsklerose und der dadurch bedingten zeitweisen Verwirrung kann die Klägerin den Gasofen nicht mehr selbst regulieren: Sie ist nicht in der Lage, die Zimmertemparatur durch Einstellen an schwankende Außentemparaturen anzupassen, außerdem dreht sie wahllos am Gasofen herum und verstellt dadurch die Temparatur. Aufgrund des psychischen Zustands der Klägerin ist die tägliche Kontrolle der Beheizung erforderlich.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß die Klägerin ohne Berücksichtigung der Beheizung des Wohnraumes einen Pflegebedarf von 120 Stunden im Monat habe. Darüber hinaus bestünden jedoch Probleme bei der Beheizung des Wohnraumes. Auch wenn der medizinische Sachverständige anführe, daß für die Kontrolle täglich nur ein Zeitaufwand von einer halben Minute erforderlich sei, so sei nach der Einstufungsverordnung ein fixer Zeitwert von 10 Stunden im Monat anzusetzen. Damit übersteige der Pflegebedarf 120 Stunden, sodaß nach § 4 Abs 2 BPGG ein Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 3 bestehe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Die Klägerin sei nicht mehr imstande, die Heizung selbständig zu regulieren und dadurch für die ordnungsgemäße Temperierung und Beheizung des Wohnraumes zu sorgen. Es sei zwar richtig, daß unter Berücksichtigung des weiteren Pflegebedarfes der für die Kontrolle und Regulierung der Heizung erforderliche Aufwand minimal sei und in den Hintergrund trete. Ebenso sicher sei aber auch, daß die Klägerin selbständig nicht für die ordnungsgemäße Beheizung ihres Wohnraums sorgen könne. Nach § 2 Abs 2 und 3 der Einstufungsverordnung zum BPGG sei für die Beheizung des Wohnraumes ein fixer Zeitwert von 10 Stunden anzunehmen. Es liege im Wesen einer Pauschalierung, daß der Bedarf an Hilfe in Extremfällen wesentlich von den pauschalen Sätzen abweichen könne.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen dieses Urteil von der Beklagten erhobene Revision aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ist berechtigt.
Anders als bei den Verrichtungen im Rahmen der Betreuung ist bei den für den Zeitaufwand der Hilfsverrichtungen nach § 4 Abs 3 Z 3 BPGG festzulegenden verbindlichen Pauschalwerten weder eine Über- noch eine Unterschreitung möglich. Dementsprechend ordnet § 2 Abs 3 EinstVO jeder der in Abs 2 taxativ genannten Verrichtungen einen fixen Zeitwert von 10 Stunden zu. Abweichungen von diesen Werten sind daher ausgeschlossen, und zwar auch dann, wenn der Anspruchswerber die betreffende Hilfe nicht in vollem Umfang benötigt und einzelne einfachere Verrichtungen noch selbst besorgen kann (SSV-NF 8/61 = SZ 67/117; SSV-NF 8/74 ua). Da diese 10 Stunden jedoch auch als nach unten fixer Wert anzusehen sind, muß die Pauschalierung ebenso gelten, wenn im Einzelfall für die betreffende Verrichtung unter Umständen mit einem geringeren Ausmaß an Hilfe das Auslangen gefunden werden könnte. Die Notwendigkeit, auf derartige subjektive Besonderheiten einzugehen, soll durch Pauschalwerte gerade vermieden werden. Bereits dem Gesetz ist also zu entnehmen, und die EinstVO hat dies lediglich umgesetzt, daß bei Hilfsverrichtungen keine konkret - individuelle Prüfung anzustellen ist (Pfeil, Pflegevorsorge 185; SSV-NF 8/74, 8/104 ua).
Dies schließt aber nicht aus, daß der notwendige Aufwand für fremde Hilfe - wie bei den Betreuungsverrichtungen, für die verbindliche Mindestwerte normiert sind - ein bestimmtes Mindestmaß erreichen muß, um als im Sinne des § 2 EinstVO relevante Verrichtung Berücksichtigung zu finden. Ob also die betreffende Hilfsverrichtung zur Sicherung der Existenz (§ 2 Abs 1 EinstVO) erforderlich ist, muß sehr wohl anhand der konkreten Situation beurteilt werden (Pfeil, Pflegevorsorge 188 f; derselbe, Bundespflegegeldgesetz - Kommentar 89; SSV-NF 8/74, 8/104). So ist etwa ein Bedarf nach fremder Hilfe zur Beheizung des Wohnraumes einschließlich der Herbeischaffung von Heizmaterial zu verneinen, wenn eine Zentralheizung vorhanden ist, sofern die (vermeintlich) pflegebedürftige Person diese zu bedienen imstande ist. Wie der Senat ausgesprochen hat, könnte trotz Anschlusses an eine bestehende Zentralheizung ein anzuerkennender Mehrbedarf bestehen, wenn der Wohnraum der pflegebedürftigen Person wegen deren schlechten Gesundheitszustandes auch außerhalb der üblichen Heizperiode beheizt oder während dieser auf eine höhere Temparatur gebracht werden muß (SSV-NF 9/83; zust Pfeil, Komm aaO).
Im vorliegenden Fall besteht der Bedarf der Klägerin an Hilfe in Zusammenhang mit der Beheizung ihres Wohnraumes nur darin, daß während der üblichen Heizperioden eine Hilfsperson täglich kontrollieren muß, ob die Klägerin nicht den Thermostat verdreht hat bzw ob die Einstellung am Thermostat dem Temparaturbedarf angemessen ist. Für diese Kontrolle ist täglich ein Zeitaufwand von nur einer halben Minute erforderlich. Diese Kontrolle kann daher ohne nennenswerten Mehraufwand im Zusammenhang mit den übrigen Hilfs- oder Betreuungsverrichtungen erbracht werden. Der in diesem Zusammenhang nahezu zu vernachlässigende Zeitaufwand bleibt weit hinter dem oben genannten Mindestmaß zurück, das erforderlich wäre, damit die Hilfsverrichtung als im Sinne des § 2 EinstV relevante Verrichtung Berücksichtigung finden kann. In Wahrheit liegt hier ein Bedarf nach Beaufsichtigung infolge geistiger oder psychischer Behinderung vor, wozu § 4 EinstVO anordnet, daß die Anleitung sowie die Beaufsichtigung von Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung bei der Durchführung der in den §§ 1 und 2 EinstVO angeführten Verrichtungen der Betreuung und Hilfe selbst gleichzusetzen ist. Wie der Senat bereits ausgesprochen hat, setzt die Anwendung des § 4 EinstV aber voraus, daß die Anwesenheit der Betreuungsperson zur Anleitung und Beaufsichtigung während der Verrichtung erforderlich ist; nur in diesen Fällen ist die Anleitung und Beaufsichtigung mit dem für die Verrichtungen selbst bestimmten Zeitwert gleichzusetzen. Andernfalls stellt dies eine psychische Betreuung dar, die nach dem dafür notwendigen Zeitaufwand zu bewerten ist (SSV-NF 9/66). In dem zuletzt genannten Fall bedurfte die behinderte Person nur dreimal wöchentlich durch jeweils 1 Stunde der Anwesenheit einer Betreuungsperson, die sie auf alle in den nächsten zwei Tagen notwendigen Tätigkeiten hinwies. Im Fall der Klägerin wäre die erforderliche tägliche Kontrolle der Beheizung ebenfalls nur nach dem dafür tatsächlich notwendigen, aber zu vernachlässigenden Zeitaufwand zu bewerten, also mit einer halben Minute täglich oder 15 Minuten im Monat. Demgegenüber haben die Vorinstanzen zu Unrecht einen fixen Zeitwert von 10 Stunden angenommen.
Auch nach den Richtlinien für die einheitliche Anwendung des Bundespflegegeldgesetzes nach § 31 Abs 5 Z 23 ASVG (SozSi 1994, 686 - Amtliche Verlautbarung Nr 120/1994) würde sich keine andere rechtliche Beurteilung ergeben. Nach § 13 ist bei der Prüfung, ob der Wohnraum ordnungsgemäß beheizt werden kann, generell von der konkreten Heizeinrichtung der Wohnung auszugehen. Es ist nicht nur auf die Bedienung der vorhandenen Heizmöglichkeit Bedacht zu nehmen, sondern auch auf deren Reinigung. Bei vorhandener Zentralheizung kann kein Hilfsbedarf berücksichtigt werden, wenn die Wartung und Temparatursteuerung nicht vom Pflegebedürftigen vorgenommen werden muß (zB Fernwärme, Gasetagenheizung). Aus der zitierten Bestimmung dürfte nicht der Umkehrschluß gezogen werden, daß bereits dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - ein Pflegebedürftiger dahin kontrolliert werden muß, ob er etwa den Heizungsthermostat verstellt hat, Hilfsbedarf im Sinne des § 2 Abs 2 EinstVO mit einem fixen Zeitwert von 10 Stunden im Monat nach Abs 3 der zitierten Bestimmung anzunehmen ist. Der vorliegende Fall ist entfernt jenem vergleichbar, indem eine Pensionistin infolge ihrer Vergeßlichkeit vergaß, den vorhandenen Elektroherd abzuschalten und diesbezüglicher Kontrolle einer Aufsichtsperson bedurfte. Der Senat führte dazu aus, daß in einem solchen Zusammenhang keine Verrichtungen dritter Personen oder die Anleitung und Beaufsichtigung notwendig sei (SSV-NF 9/85).
Da unter diesen Umständen der Pflegebedarf der Klägerin nicht durchschnittlich mehr als 120 Stunden monatlich beträgt (nachgewiesen sind 118 bis höchstens 120 Stunden), sind die Voraussetzungen für eine Erhöhung des Pflegegeldes auf ein solches der Stufe 3 nach § 4 Abs 2 BPGG nicht gegeben. In Stattgebung der von der Beklagten erhobenen Revision waren daher die Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.
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