OGH 3Ob2163/96a

OGH3Ob2163/96a10.7.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Graf, Dr.Pimmer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj.Jessica W*****, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Zell am See, infolge Revisionsrekurses der Minderjährigen gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgerichtes vom 24.April 1996, GZ 21 R 151/96v-5, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Taxenbach vom 29. Februar 1996, GZ 1 P 10/96z-2, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt.

Text

Begründung

Die am 18.November 1994 geborene und in der Obsorge ihrer unehelichen Mutter befindliche Minderjährige hat gegen ihren Vater aufgrund eines am 17.Februar 1995 abgeschlossenen Unterhaltsvergleichs Anspruch auf Bezahlung eines Unterhaltsbeitrags von 2.200 S monatlich ab 18. November 1994. Der Vater ist von Beruf Spengler und Glaserer.

Am 28.Februar 1996 beantragte die Minderjährige die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach den §§ 3 und 4 Z 1 UVG in der Höhe von 2.200 S monatlich für den Zeitraum vom 1.Februar 1996 bis 31.Jänner 1999 und brachte vor, daß die Führung einer Exekution aussichtslos erscheine, weil "im Inland ein Drittschuldner oder ein Vermögen, dessen Verwertung einen die laufenden Unterhaltsbeiträge deckenden Ertrag erwarten" ließe, "nicht bekannt" sei.

Das Erstgericht gab diesem Begehren statt.

Das Gericht zweiter Instanz änderte diese Entscheidung infolge Rekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes dahin ab, daß lediglich Unterhaltsvorschüsse von 1.900 S monatlich für den Zeitraum vom 1.Februar 1996 bis 31.Jänner 1999 - jedoch jedenfalls begrenzt durch die "Höhe des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen" nach den §§ 293 Abs 1 lit c bb 1.Fall und 108 f ASVG - gewährt würden. Es sprach überdies aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei und erwog rechtlich im wesentlichen, daß der Aktenlage nicht entnehmbar sei, weshalb ein Unterhaltstitel bestehe, der "immerhin rund 15 % über dem Durchschnittsbedarfssatz" von 1.900 S monatlich für Minderjährige der Altersgruppe, der auch die Antragstellerin angehöre, liege. Das begründe aber "Bedenken im Sinne des § 7 UVG", weise doch die Minderjährige im Gewährungsantrag selbst darauf hin, daß im Inland weder ein Drittschuldner noch Vermögen des unterhaltspflichtigen Vaters bekannt sei. Die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen habe sich somit auf den derzeit geltenden Durchschnittsbedarfssatz von 1.900 S monatlich zu beschränken. Dieses Verfahren "an Bedeutung übersteigende Rechtsfragen" seien nicht zu lösen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Minderjährigen ist zulässig und auch berechtigt.

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG hat das Gericht Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in den Fällen der §§ 3, 4 Z 1 und 4 UVG begründete Bedenken bestehen, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes setzt der Versagungsgrund nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG nicht eine erwiesene oder bescheinigte materielle Unrichtigkeit der nach dem Exekutionstitel bestehenden Unterhaltsansprüche voraus, Vorschüsse sind vielmehr schon dann zu versagen, wenn begründete Bedenken im Sinne des Gesetzes bestehen. Bloß objektiv gerechtfertigte Zweifel vermögen dagegen einer Versagung nicht als ausreichende Grundlage zu dienen. Nur wenn die bei der Entscheidung über den Vorschußantrag zu berücksichtigenden Tatumstände mit hoher Wahrscheinlichkeit nahelegen, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltsleistung schon damals unangemessen war oder durch eine Änderung der Unterhaltsbemessungsgrundlage seither nicht mehr angemessen ist, kann das Gericht Vorschüsse ganz oder teilweise versagen (ÖA 1996, 29;

EvBl 1995/75; RZ 1995/9; ÖA 1995, 121; EvBl 1994/43; EvBl 1993/34;

ähnlich: Knoll, Kommentar zum Unterhaltsvorschußgesetz Rz 9 zu § 7). Der Oberste Gerichtshof sprach aber auch schon wiederholt aus, daß den §§ 140 Abs 1 und 166 ABGB kein konkretes Modell für die Berechnung des angemessenen Kindesunterhalts zu entnehmen ist. Dessen Bestimmung erfolgt zwar häufig mit Hilfe standardisierter und auf die Unterhaltsbemessungsgrundlage bezogener Prozentsätze oder des an den Bedürfnissen des Unterhaltsberechtigten ausgerichteten Regelbedarfs. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um Orientierungshilfen, die im Interesse der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle zu befriedigenden Ergebnissen führen sollen. Demnach widerspräche etwa eine Unterhaltsbemessung bloß in Höhe des Regelbedarfs ohne Berücksichtigung der Lebensverhältnisse der Eltern - hier insbesondere jener des zur Leistung von Geldunterhalt verpflichteten Vaters - dem Gesetz (ÖA 1992, 88; JBl 1991, 40; RZ 1991/50; SZ 63/88). Das bedeutet aber, daß die Überschreitung des hier maßgebenden Regelbedarfs von 1.900 S monatlich um 300 S im Exekutionstitel noch nicht die Annahme rechtfertigt, die in diesem bestimmte Unterhaltsleistung sei mit hoher Wahrscheinlichkeit unangemessen, könnte doch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Vaters bei Abschluß des Unterhaltsvergleichs am 17.Februar 1995 ohne weiteres eine Leistung von 2.200 S monatlich nach den gemäß § 166 ABGB in Verbindung mit § 140 Abs 1 ABGB zu beachtenden Kriterien gerechtfertigt haben, ohne daß sich seither eine wesentliche und den Vater entlastende Änderung ergeben hätte. Auch die Tatsachen, daß im Inland weder "ein Drittschuldner" noch "ein Vermögen, dessen Verwertung einen die laufenden Unterhaltsbeiträge deckenden Ertrag erwarten läßt, ..... bekannt ist", genügen nicht, um mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Schlußfolgerung zu stützen, die durch den Vater im Unterhaltsvergleich vom 17.Februar 1995 übernommene Leistung entspreche nicht jenem Betrag, den die Minderjährige nach dem Gesetz damals wie heute beanspruchen konnte und kann. Der Vater, der nach dem Akteninhalt Spengler und Glaser ist, könnte derzeit allenfalls einer Berufstätigkeit im Ausland nachgehen und dort genug verdienen, um einer gesetzlichen Unterhaltspflicht von 2.200 S monatlich entsprechen zu können. Sollte er aber keine geregelte Beschäftigung ausüben, wäre ebensowenig mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß er nicht auf ein erzielbares Einkommen angespannt werden könnte, das die Bestimmung einer gesetzlichen Unterhaltsleistung von 2.200 S monatlich erlaubte. Es entspricht nämlich der seit SZ 63/74 ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, daß die Bemessung des Unterhalts nach der Anspannungstheorie nicht mit dem Durchschnittsbedarf begrenzt ist (vgl Purtscheller/Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 250 mwN aus der Rechtsprechung). Daß dem Akt keinerlei Anhaltspunkte dafür zu entnehmen sind, welches Einkommen der Vater am 17.Februar 1995 hatte und was er seither verdient oder verdienen könnte, erlaubt keine begründeten Bedenken im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 UVG, weil ein - wie hier - vollständig fehlendes Sachverhaltssubstrat solche nicht zu stützen vermögen.

Das Rekursgericht ließ die bereits durch eine ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes geprägten, oben dargestellten Grundsätze unbeachtet. Da der Oberste Gerichtshof an den Ausspruch des Gerichtes zweiter Instanz über die Unzulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses nicht gebunden ist und die Entscheidung von der Lösung einer zur Wahrung der Rechtssicherheit aufzugreifenden Rechtsfrage erheblicher Bedeutung im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG abhängt, ist in Stattgebung des Revisionsrekurses der vom Erstgericht gefaßte Beschluß wiederherzustellen.

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