OGH 2Ob2170/96y

OGH2Ob2170/96y4.7.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Graf, Dr.Schinko und Dr.Tittel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Robert Mayrhofer und Dr.Johann Köpplinger, Rechtsanwälte in Ried im Innkreis, wider die beklagte Partei Reifen D***** GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Heinz Lughofer, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, wegen S 59.668,97 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgerichtes vom 26.März 1996, GZ 6 R 96/96a-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Ried im Innkreis vom 28.Dezember 1995, GZ 2 C 815/95i-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig der klagenden Partei die mit S 4.871,04 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 811,84, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung

Die klagende Partei war Haftpflichtversicherer des von Helmut R***** gehaltenen PKWs mit dem österreichischen amtlichen Kennzeichen *****. Am 19.11.1992 geriet Helmut R***** auf der A 45 von Dortmund in Richtung Hannau fahrend bei Straßenkilometer 197,46 infolge eines Reifenplatzers am linken Hinterrad ins Schleudern. Er kam nach rechts von der Fahrbahn ab, stieß gegen die Leitschiene und wurde von dieser wieder auf die Fahrbahn zurückgeschleudert, wo er gegen den nachfolgenden, von Heinz M***** gelenkten PKW der Marke Ford mit dem deutschen amtlichen Kennzeichen ***** stieß. An beiden Fahrzeugen entstand schwerer Sachschaden. Der Unfall wurde ausschließlich dadurch ausgelöst, daß sich am PKW des Helmut R***** die Lauffläche des linken Hinterrades löste. Diesen Reifen hatte Helmut R***** zusammen mit drei weiteren Reifen Ende 1991 bei der beklagten Partei gekauft, die den runderneuerten Reifen hergestellt hatte. Die klagende Partei hat als Haftpflichtversicherer des auf Helmut R***** zugelassenen PKW die Schadenersatzansprüche des Heinz M***** in der Höhe des Klagsbetrages befriedigt.

Gestützt auf diesen Sachverhalt begehrt die klagende Versicherung von der beklagten Partei die Zahlung von S 59.668,97 mit der Begründung, diesen Betrag als Haftpflichtversicherer an den Unfallsgegner des Versicherungsnehmers bezahlt zu haben. Der Unfall sei durch ein fehlerhaftes Produkt (Reifen), das die beklagte Partei hergestellt habe, ausgelöst worden. Die beklagte Partei hafte daher für die Unfallsschäden nach dem PHG, doch werde die Forderung auf alle erdenklichen Rechtsgrundlagen gestützt. Der Schadenersatzanspruch der Helmut R***** gegenüber der beklagten Partei zustehe, sei im Umfang der von der klagenden Partei an Heinz M***** ausbezahlten Beträge gemäß § 67 VersVG auf die klagende Partei übergegangen.

Die beklagte Partei wendete im wesentlichen ein, der am PKW des Heinz M***** entstandene Schaden sei für Helmut R***** ein reiner Vermögensschaden, für den nach den Bestimmungen des PHG nicht gehaftet werde. Die beklagte Partei treffe am Eintritt des Reifenplatzers kein Verschulden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß durch die Zahlung der klagenden Partei die aus dem Titel der Produkthaftpflicht zu Recht bestehenden Forderung des Geschädigten gegen die beklagte Partei befriedigt worden sei. Diese Sachschadenforderung des Geschädigten sei unverändert auf die klagende Partei gemäß § 1358 ABGB übergegangen, sodaß der Einwand der beklagten Partei, es habe sich um einen bloßen Vermögensschaden gehandelt, unberechtigt sei.

Das von der beklagten Partei angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für zulässig.

Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß der geltend gemachte Schaden auf einen Beschaffenheitsfehler des Reifens im Zusammenhang mit seiner Abnützung zurückzuführen sei. Es sei daher von einem Versagen der Verrichtungen des Fahrzeuges auszugehen, weshalb ein Entlastungsbeweis nach § 9 EKHG ausgeschlossen sei. Der Versicherungsnehmer der klagenden Partei (Helmut R*****) sei daher gegenüber seinem Unfallsgegner (Heinz M*****) für dessen Schadenersatzansprüche nach den Bestimmungen des EKHG haftpflichtig geworden. Die klagende Partei habe als Haftpflichtversicherer diesen Schadenersatzanspruch befriedigt.

Nach § 67 Abs 1 VersVG sei der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers der klagenden Partei auf diese übergegangen. Der Forderungsübergang nach dieser Bestimmung setzte bloß die tatsächliche Leistung an den Versicherungsnehmer im Rahmen des versicherten Risikos ohne Rücksicht darauf voraus, ob eine Leistungspflicht bestand. § 67 VersVG gelte für die gesamte Schadensversicherung, somit auch für die Haftpflichtversicherung. Die Befriedigung des Versicherungsnehmers im Sinne des § 67 Abs 1 VersVG geschehe in der Haftpflichtversicherung durch die Deckung des Drittschadens.

Der vorliegende Fall sei dadurch gekennzeichnet, daß die beklagte Partei und Helmut R***** dem Geschädigten solidarisch für dessen Unfallsschäden im Rahmen des EKHG (betreffend Helmut R*****) und des PHG (betreffend die beklagte Partei) hafteten. Gemäß § 896 ABGB bestehe ein Regreßrecht unter den Gesamtschuldnern und bleibe nach § 1302 letzter Satz ABGB dem Schädiger, welcher den Schaden ersetzt habe, der Rückersatz gegen die übrigen Schädiger vorbehalten. Letztere Bestimmung sei auch in den Fällen anzuwenden, in denen die zur Solidarhaftung führende Gemeinschaftlichkeit des Handelns nur in einem objektiven Sinn, nämlich als Beteiligung an der Kausalkette, gegeben sei.

Ob und in welchen Umfang ein Rückgriffsrecht bestehe, richte sich nach dem besonderen Verhältnis unter den Mitschuldnern im Sinne des § 896 ABGB. Im vorliegenden Fall sei die die Haftung begründende Betriebsgefahr des PKW des Helmut R***** nur durch den von der beklagten Partei an ihn verkauften Reifen verursacht worden. R***** hätte seinen eigenen Unfallschaden aus dem Titel der Produkthaftung gegen die beklagte Partei geltend machen können. Unter diesem Gesichtspunkt komme die Gefährdungshaftung des Helmut R***** gegenüber der Produkthaftung der beklagten Partei nicht zum Tragen, sodaß die beklagte Partei im Innenverhältnis zur Gänze für den eingetretenen Sachschaden aufzukommen habe.

Der Anspruch der klagenden Partei sei aber auch deshalb berechtigt, weil auch Schadenersatzansprüche, die dem Versicherungsnehmer aus Schlechterfüllung eines Vertrages gegen einen Dritten entstehen, nach § 67 Abs 1 VersVG auf den Versicherer übergehen. Auszugehen sei davon, daß die beklagte Partei nach § 922 ABGB für den Mangel des Reifens einzustehen habe und auch für den verschuldeten Schaden hafte. Die Kausalität des Schadens des Helmut R***** resultiere aus der Veräußerung des Reifens, die Rechtswidrigkeit folge aus der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten oder des Vertrages, das Verschulden aus der Nichtaufklärung über den Mangel trotz Kenntnis oder Kennenmüssens bei Anwendung der gehörigen Aufmerksamkeit. Da der Schaden auf ein objektiv vertragswidriges Verhalten des Veräußerers zurückzuführen sei, gelte die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB. Falle der beklagten Partei eine Vertragsverletzung durch Schlechterfüllung zur Last, müsse sie für den Schaden des Versicherungsnehmers der Klägerin, der mit der Entstehung der Haftpflichtverbindlichkeit gegenüber dem Dritten eingetreten sei, einstehen, sofern sie nicht ihre Schuldlosigkeit beweise. Den Beweis für ihr mangelndes Verschulden habe die beklagte Partei nicht einmal angetreten. Auch aus diesem Grunde sei der geltend gemachte Anspruch berechtigt.

Auf § 1358 ABGB könne der Anspruch der klagenden Partei aber nicht gestützt werden, weil die Schadensabdeckung in Erfüllung einer formell und materiell eigenen Verpflichtung erfolgt sei; die klagende Partei habe nämlich als Haftpflichtversicherer den Schadenersatzanspruch des Geschädigten gegen ihren Versicherungsnehmer befriedigt. Wenn es auch richtig sein könne, daß durch die Schadenstilgung zugleich mit der eigenen auch eine mögliche fremde Schuld - nämlich die Verpflichtung der beklagten Partei aus der Produkthaftung - zum Erlöschen gebracht worden sei, habe keine vertragliche oder gesetzliche Haftung des Versicherungsnehmers der Klägerin für die der beklagten Partei zuzurechnende Schadensverursachung bestanden, sodaß ein Forderungsübergang auf den Versicherungsnehmer der klagenden Partei nach § 1358 ABGB ausscheide.

Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt, weil zu der Frage, nach welchen Kriterien ein Schadensausgleich nach §§ 896, 1302 letzter SatzABGB zwischen einem Schädiger, der nach EKHG hafte und einem Produkthaftpflichtigen vorzunehmen sei, nicht vorliege.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.

Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der beklagten Partei zurückzuweisen, in eventu ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig, weil die in der angefochtenen Entscheidung als erheblich bezeichnete Rechtsfrage nicht entscheidungsrelevant ist - eine gegen § 502 Abs 1 ZPO verstoßende Zulassung bindet den Obersten Gerichtshof nicht (§ 508 a Abs 1 ZPO) - und auch andere erhebliche Rechtsfragen nicht vorliegen.

Die beklagte Partei macht in ihrem Rechtsmittel geltend, es sei unrichtig, daß der Versicherungsnehmer der klagenden Partei gegenüber seinem Unfallsgegner für dessen Schadenersatzansprüche nach den Bestimmungen des EKHG haftpflichtig wurde. Der Unfall habe sich nämlich in Deutschland ereignet, sodaß das (österreichische) EKHG nicht anzuwenden sei. Aufgrund des Ortes des Schadenseintrittes sowie des Umstandes, daß der Unfallsgegner kein österreichischer Staatsbürger ist, sei auch auf ein allenfalls zwischen der beklagten Partei und Heinz M***** bestehendes Rechtsverhältnis das österreichische PHG nicht anwendbar. Es sei daher die Ansicht des Berufungsgerichtes, es bestehe eine solidarische Haftung der beklagten Partei mit Helmut R***** unrichtig, weil weder das EKHG noch das PHG anwendbar seien.

Selbst wenn man aber österreichisches Recht anwenden wollte, könne § 1302 ABGB zur Beurteilung nicht herangezogen werden, weil sich diese Bestimmung ausschließlich darauf beziehe, daß der eingetretene Schaden von mehreren verschuldet werde; die Haftung nach dem PHG sei aber verschuldensunabhängig.

Es falle der beklagten Partei auch eine Vertragsverletzung durch Schlechterfüllung nicht zur Last. Eine solche sei von der klagenden Partei auch nicht behauptet worden, weshalb sich eine Behauptungs- und Beweispflicht im Sinne des § 1298 ABGB für die beklagte Partei nie ergeben habe.

Schließlich handle es sich bei den Anspruch des Helmut R***** um einen reinen Vermögensschaden der nach dem PHG nicht zu ersetzen sei.

Hiezu wurde erwogen:

Richtig ist, daß auf die Ansprüche des Geschädigten Heinz M***** gegenüber dem Schädiger Helmut R***** gemäß Artikel 3 des Haager Straßenverkehrsabkommens deutsches Recht anzuwenden ist. § 7 Abs 2 dStVG bestimmt allerdings (sowie § 9 EKHG), daß die Ersatzpflicht des Halters eines Kraftfahrzeuges dann ausgeschlossen ist, wenn der Unfall durch ein unanwendbares Ereignis verursacht wird, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeuges, noch auf einem Versagen seiner Verrichtungen beruht. Ein Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs oder ein Versagen seiner Verrichtungen schließt die Haftungsbefreiung des Halters auch dann aus, wenn er, der Führer des Kraftfahrzeuges und alle bei dem Betrieb beschäftigten Dritten die äußerste, nach den Umständen gebotene Sorgfalt beobachtet haben (Greger, Zivilrechtliche Haftung im Straßenverkehr2, Rz 499 zu § 7 StVG). Das Zerplatzen eines Reifens stellt ein Versagen einer Verrichtung dar (Greger, aaO Rz 515 zu § 7 StVG). Es waren daher auch nach deutschem Recht Helmut R***** bzw die klagende Partei verpflichtet, den Schaden des Heinz M***** zu decken.

Aufgrund des zwischen Helmut R***** und der beklagten Partei abgeschlossenen Kaufvertrages war die beklagte Partei verpflichtet, einen mangelfreien Reifen zu liefern. Daß ein Reifen, bei dem sich die Lauffläche löst, mangelhaft ist, liegt auf der Hand. Es gehört doch ohne Zweifel zu den im Verkehr gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften eines Reifens (§ 922 ABGB), daß sich die Lauffläche nicht löst. Seit der Entscheidung des verstärkten Senates (SZ 63/37) wird in nunmehr ständiger Rechtsprechung (JBl 1992, 114; JBl 1992,

245; SZ 63/53; JBl 1993, 786; RdW 1996, 110 = ecolex 1996, 250;

ecolex 1995, 551 = JBl 1995, 791) im Werkvertragsrecht die volle

Konkurrenz von Gewährleistungs- und Schadenersatz- ansprüchen anerkannt. Diese Konkurrenz besteht auch für das Kaufvertragsrecht (ecolex 1990, 474; ecolex 1992, 628; 2 Ob 2140/96). Die Anspruchskonkurrenz zwischen Gewährleistung und Schadenersatz beruht darauf, daß der Schuldner verpflichtet ist, vorhandene Mängel zu beseitigen und er daher rechtswidrig handelt, wenn er die Sache in mangelhaftem Zustand liefert. Der Ersatzanspruch ist zwar vom Verschulden abhängig, doch kommt die Beweislastregel des § 1298 ABGB zur Anwendung. Der Verkäufer muß beweisen, daß er die Mangelhaftigkeit weder kannte noch kennen mußte oder ohne sein Verschulden nicht in der Lage war, sie zu beseitigen (Koziol/Welser I10 269 f). Diesen Beweis hat die beklagte Partei gar nicht angetreten. Die beklagte Partei hat sohin - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - dem Käufer jenen Schaden zu ersetzen, der ihm aufgrund der Mangelhaftigkeit des Kaufgegenstandes entstanden ist, das ist der Betrag, der an den Unfallsgegner zu leisten war. Dieser Ersatzanspruch ist gemäß § 67 VersVG an die klagende Partei übergegangen.

Entgegen der in der Revisionsbeantwortung vertretenen Ansicht hat die klagende Partei auch durchaus ausreichende Behauptungen aufgestellt, um einen Anspruch aus diesem Rechtsgrund abzuleiten. Die klagende Partei hat behauptet, R***** habe den Reifen, der zum Unfall führte, bei der beklagten Partei gekauft, das Loslösen der Lauffläche vom Reifen sei ursächlich für den Unfall gewesen und sei der Klagsbetrag an den Geschädigten Heinz M***** geleistet worden. Es wurde das Klagebegehren auch auf alle erdenklichen Rechtsgrundlagen gestützt.

Die Klagsstattgebung gründet sich insoweit auf eine gesicherte Lehre und Rechtsprechung, sodaß die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht gegeben sind. Auf die Frage, nach welchen Kriterien ein Schadensausgleich nach den §§ 896, 1302 letzter SatzABGB zwischen einem Schädiger, der nach dem EKHG haftet, und einem Produkthaftpflichtigen vorzunehmen ist, braucht nicht eingegangen zu werden.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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