OGH 4Ob2099/96x

OGH4Ob2099/96x25.6.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elfriede B*****,***** vertreten durch Dr. Karl Bernhauser und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) S*****GmbH & Co KG, 2.) S*****GmbH, ***** beide vertreten durch Ramsauer-Perner-May, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren S 480.000), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 4. April 1996, GZ 6 R 60/96w-10, womit die einstweilige Verfügung des Landesgerichtes Salzburg vom 23. Februar 1996, GZ 4 Cg 9/96d-6, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung wie folgt zu lauten hat:

Der Antrag der klagenden Partei, zur Sicherung ihres Anspruches auf Unterlassung von Veröffentlichungen ihrer Bildnisse werde den beklagten Parteien ab sofort bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils geboten, die Veröffentlichung und/oder Verbreitung von Bildnissen der Klägerin, insbesondere in der periodischen Druckschrift "S*****", im Zusammenhang mit der Berichterstattung über ein gegen die Klägerin anhängiges Strafverfahren wegen der Tötung Dritter ohne Zustimmung der Klägerin zu unterlassen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 67.305,60 bestimmten Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen (darin enthalten S 11.227,60 Umsatzsteuer) binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin befindet sich wegen des Verdachts des mehrfachen Mordes in Untersuchungshaft.

Die Erstbeklagte ist Medieninhaberin und Verlegerin der Tageszeitung "S*****", die Zweitbeklagte ihre persönlich haftende Gesellschafterin. Am 16.1.1996 veröffentlichten die Beklagten in den "S*****" ein Lichtbild der Klägerin ohne deren Zustimmung. Dieses Lichtbild zeigt die Klägerin bei einer Vorführung zu einer Vernehmung. Daneben veröffentlichten die Beklagten folgenden Bericht:

Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs beantragt die Klägerin, den Beklagten ab sofort bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils zu verbieten, Bildnisse der Klägerin, insbesondere in der periodischen Druckschrift "S*****", im Zusammenhang mit der Berichterstattung über ein gegen sie anhängiges Strafverfahren wegen Tötung Dritter ohne ihre Zustimmung zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten. Die Klägerin habe einer derartigen Bildnisveröffentlichung nie zugestimmt; das Foto sei auch nicht von den Sicherheitsbehörden zu Zwecken der Aufklärung angeblicher Straftaten zur Verfügung gestellt, sondern von Bildreportern angefertigt worden. Damit würden berechtigte Interessen der Klägerin verletzt. Der mit dem Lichtbild im Zusammenhang stehende Text verstoße gegen das Gebot der Unschuldsvermutung, weil von einem Geständnis von vier Tötungsdelikten und einer Beihilfe zum Selbstmord berichtet und auch angedeutet werde, daß noch einige Straftaten "hochkommen" könnten. Dabei seien auch die Umstände der angeblichen Tötung dargelegt und der Klägerin auch ein räuberischer Diebstahl zur Last gelegt worden. Berechtigte Interessen würden aber immer auch dadurch verletzt, daß dem Abgebildeten unehrenhaftes, gesetzwidriges oder gar strafbares Verhalten im Begleittext oder durch Bildunterschriften vorgeworfen würde. Auf die Wahrheit des Berichtes komme es dabei nicht an. Die Klägerin sei keine Person, deren Aussehen allgemein bekannt sei, so daß der dem Bild beigegebene Text bei der Beurteilung der Verletzung berechtigter Interessen berücksichtigt werden müsse.

Die Beklagten beantragen die Abweisung des Sicherungsantrages. Berechtigte Interessen der Klägerin könnten durch die beanstandete Bildnisveröffentlichung schon deshalb nicht verletzt worden sein, weil die Klägerin auf Grund vorheriger Berichterstattung in anderen Medien und die damit zusammenhängende Veröffentlichung ihres Lichtbilds allgemein bekannt geworden sei. Allgemein bekannte Personen genössen nur ein eingeschränktes Recht am eigenen Bild, wenn ihr Bild mit einem grob ehrenrührigen Text veröffentlicht werde. Die Beklagten hätten aber nur über Tatsachen berichtet, die sie aus der Polizeiberichterstattung übernommen hätten. Aber auch eine Verletzung der Unschuldsvermutung falle den Beklagten nicht zur Last, weil die Klägerin in dem beanstandeten Bericht bloß als tatverdächtig bezeichnet worden sei. Jedenfalls überwiege das Veröffentlichungsinteresse. Die intensive Berichterstattung über die Klägerin in nahezu allen österreichischen Medien habe es notwendig gemacht, daß auch die Beklagte ihre Berichterstattung durch ein Lichtbild der Klägerin ergänzte.

Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag statt. Wohl könne der Bekanntheitsgrad einer Person bei der Beurteilung berechtigter Interessen im Sinne des § 78 UrhG nicht außer Betracht bleiben. Die Klägerin sei aber durch vorangegangene Presseberichte samt Bildnisveröffentlichun- gen nicht zwingend allgemein bekannt geworden. Die Veröffentlichung eines Lichtbildes im Zusammenhang mit einem grob ehrenrührigen Text verstoße auf jeden Fall gegen § 78 UrhG. Bei rufschädigenden und herabsetzenden Behauptungen im Begleittext mangle es regelmäßig auch am Überwiegen eines Informationsbedürfnisses. Mit der Bildberichterstattung durch Konkurrenzblätter lasse sich ein Informationsbedürfnis nicht begründen.

Das Rekursgericht bestätigte die einstweilige Verfügung des Erstgerichts und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Das Aussehen der Klägerin könne wegen der vorangegangenen Bildnisveröffentlichungen in anderen Medien nicht schon als allgemein bekannt beurteilt werden. Durch die Bildnisveröffentlichung sei bei nicht wenigen Lesern der Tageszeitung "S*****" eine Identifikationsmöglichkeit geschaffen worden. Durch die mit der Bildnisveröffentlichung im Zusammenhang stehende Berichterstattung, daß die Klägerin mehrere Morde begangen habe, seien berechtigte Interessen der Klägerin verletzt worden. Solange jemand noch nicht rechtskräftig verurteilt sei, werde vermutet, daß er unschuldig sei. An der Verletzung berechtigter Interessen der Klägerin ändere aber auch der Umstand nichts, daß in den Begleittext Tatsachenmitteilungen der Polizeiberichterstattung übernommen worden seien. Das Interesse an der Information der Öffentlichkeit überwiege im Rahmen einer Kriminalberichterstattung dann nicht, wenn das veröffentlichte Bild des Betroffenen keinen zusätzlichen, selbständigen Informationswert habe. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit sei in einem solchen Fall nicht höher zu bewerten, als das Interesse des Abgebildeten am Unterbleiben der Veröffentlichung. Auch im vorliegenden Fall sei kein solcher selbständiger Informationswert erkennbar.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen von den Beklagten erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO (iVm §§ 78, 402 EO), weil das Rekursgericht bei der Interessenabwägung von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist; er ist auch berechtigt.

Die Beklagten vertreten in ihrem Rechtsmittel die Auffassung, daß der durch die Kriminalberichterstattung in anderen Medien erlangte Bekanntheitsgrad der Klägerin dafür ausreiche, die Verletzung berechtigter Interessen der Klägerin durch die beanstandete Bildnisveröffentlichung zu verneinen. Es überwiege aber auch das Veröffentlichungsinteresse nicht nur, weil andere Medien in massiver Weise über den Straffall der Klägerin mit einem Lichtbild von ihr berichtet hätten, sondern auch deshalb, weil durch die Bildnisveröffentlichung Informationen für die Sicherheitsbehörden erlangt hätten werden sollen.

Der Bekanntheitsgrad einer Person kann bei der Beurteilung, ob durch eine konkrete Bildnisveröffentlichung berechtigte Interessen des Abgebildeten im Sinne des § 78 UrhG verletzt wurden, nicht außer Betracht bleiben (ÖBl 1992, 87 - Lästige Witwe; ÖBl 1993, 39 - MR 1993, 61 [M.-Walter] - Austria-Boß). Ist die abgebildete Person allgemein bekannt, dann werden ihre Interessen durch die Bildveröffentlichung als solche in der Regel - von hier nicht wesentlichen Ausnahmefällen abgesehen - nicht beeinträchtigt. Wird jemand jedoch durch eine Kriminalberichterstattung allgemein oder - meist nur - einer gewissen Öffentlichkeit bekannt, ändert das nichts am Schutz gemäß § 78 UrhG, weil es nicht angeht, daß Medien durch exzessive Berichterstattung die Zulässigkeitsvoraussetzung der Bildnisveröffentlichung selbst schaffen (ecolex 1993, 736; MR 1996, 33). Ein Interesse der Klägerin am Unterbleiben der Veröffentlichung ihres Bildnisses wäre hier, da es um den Vorwurf schwerster Verbrechen geht, jedenfalls zu bejahen. Dieses Interesse der Klägerin ist aber auch nach den Wertungen in § 7b MedienG gegeben. Eine unmittelbare Drittwirkung der in Art 6 Abs 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung auf Privatpersonen besteht zwar nicht; Adressaten der Konventionsverpflichtung sind der Gesetzgeber und die staatlichen Verfolgungsbehörden; sie kann aber als Prüfungsmaßstab für Handlungen Dritter herangezogen werden, das heißt die sich aus Art 6 EMRK ergebenden Rechte sind im Rahmen der Interessenabwägung und der Berücksichtigung der Rechte aus Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und der angemessenen Wahrnehmung berechtigter Interessen zu beachten (Hager/Walenta, Persönlichkeitsschutz im Straf- und Medienrecht3, 54). Wird die Unschuldsvermutung in der in § 7b MedienG beschriebenen Weise verletzt, dann ist regelmäßig auch das Interesse am Unterbleiben der Bildnisveröffentlichung iS des § 78 UrhG gegeben.

Die Interessen des Abgebildeten am Unterbleiben der Veröffentlichung

und das Verbreitungsinteresse desjenigen, der das Bildnis

veröffentlicht hat, sind aber nach ständiger Rechtsprechung

gegeneinander abzuwägen (MR 1990, 24 - Falsche Ärztin; ÖBl 1992, 85 =

MR 1991, 202 - Betriebsratskaiser; ÖBl 1993, 36 = MR 1993, 59 -

Ronald/Leitgeb (Zielwerbung); ÖBl 1993, 39 = MR 1993, 61 [M.Walter] -

Austria-Boß; ÖBl 1996, 161 = MR 1996, 32 - Kopf der (Drogen)bande

ua). Der Eingriff muß verhältnismäßig sein; auch das echte Informationsbedürfnis darf nicht weiter berücksichtigt werden, als unbedingt notwendig. Wie der erkennende Senat zur Frage des Veröffentlichungsinteresses bei der Berichterstattung über einen Kriminalfall bereits ausgesprochen hat (ÖBl 1996, 161 = MR 1996, 32 - Kopf der Drogenbande) kann in einem solchen Fall das Interesse an der Verbreitung (nur) dann überwiegen, wenn die Veröffentlichung des Bildes einen Nachrichtenwert hat. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Veröffentlichung dazu dient, vor dem Abgebildeten zu warnen oder im Zusammenhang mit ihm angelasteten Straftaten Informationen zu erlangen, und zwar insbesondere dann, wenn die Sicherheitsbehörde um die Veröffentlichung eines Fotos ersucht. Insoweit kann der Schutz nach § 78 UrhG nicht weiterreichen als der nach § 7 a MedienG. Nach dieser Bestimmung besteht (ua) bei Preisgabe der Identität des einer gerichtlich strafbaren Handlung Verdächtigen kein Entschädigungsanspruch, wenn die Veröffentlichung der Angaben zur Person amtlich veranlaßt war, insbesondere für Zwecke der Strafrechtspflege oder der Sicherheitspolizei. Eine ähnliche Wertung liegt auch § 41 UrhG zugrunde. Der Benutzung eines Werks für (ua) Zwecke der Strafrechtspflege und der öffentlichen Sicherheit steht das Urheberrecht nicht entgegen. Daraus hat der erkennende Senat abgeleitet, daß im Sinne der Einheit der Rechtsordnung auch der Bildnisschutz nach § 78 UrhG dann entfallen muß, wenn die Veröffentlichung im Interesse der Strafrechtspflege und der öffentlichen Sicherheit amtlich veranlaßt wird.

Daß in der zitierten Vorentscheidung das Informationsinteresse mit dem amtlichen Ersuchen um Bildnisveröffentlichung begründet wurde, macht aber keinen wesentlichen Unterschied zum vorliegenden Fall, in dem ein solches Ersuchen zwar fehlt, die Bildnisveröffentlichung aber jedenfalls dem Interesse der Aufklärung von Straftaten gedient hat. Hier stand nämlich die Bildnisveröffentlichung im Zusammenhang mit einem - der Kriminalberichterstattung entnommenen - Aufruf der Sicherheitsbehörden an die Öffentlichkeit, Hinweise zum Straffall der Klägerin zu geben. Dabei wurden zahlreiche Fragen an die Öffentlichkeit gerichtet, die nur dann zu zweckdienlichen Hinweisen für die Sicherheitsbehörden führen konnten, wenn auch das Aussehen der Klägerin durch eine Bildnisveröffentlichung bekanntgegeben wurde. Die Beklagten haben darauf hingewiesen, nur über Tatsachen berichtet zu haben, die bereits Gegenstand der Polizeiberichterstattung gewesen sind. Zutreffend weisen sie in ihrer Rechtsrüge darauf hin, daß hier die Bildnisveröffentlichung einen eigenen Nachrichtenwert gehabt hat. Auch ohne amtliche Veranlassung kann das Veröffentlichungsinteresse überwiegen, wenn - wie hier - der dem Polizeibericht entsprechende Aufruf um Hinweise an die Bevölkerung veröffentlicht wird und das Anliegen der Sicherheitsbehörde durch die Bildnisveröffentlichung wesentlich gefördert werden kann. Daß dabei kein Fahndungsfoto verwendet wird, kann solange nicht schaden, als das verwendete Lichtbild an sich berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht verletzt.

Daß die Klägerin in dem beanstandeten Bericht bereits als (geständige) Täterin hingestellt und nicht bloß als Tatverdächtige bezeichnet wurde, hat hier auf diese Interessenabwägung keinen entscheidenden Einfluß mehr. Besteht der Verdacht, daß der Abgebildete noch weitere strafbare Handlungen begangen hat und kann die Bildveröffentlichung zur Aufklärung derselben beitragen, dann überwiegt das Veröffentlichungsinteresse jedenfalls dann, wenn die mit der Bildnisveröffentlichung verbundene weitere Berichterstattung nicht in besonderer Weise gegen die Unschuldsvermutung verstoßen hat. Die Beklagten haben hier zwar nicht beachtet, daß die Klägerin das Geständnis, worüber im Detail berichtet wurde, widerrufen hat. Keinesfalls haben sie aber im Begleittext ausgeführt, daß jedenfalls von der Richtigkeit des Schuldvorwurfes auszugehen sei und somit kein Zweifel an der Schuld der Klägerin bestehe. In einem solchen Fall überwiegt daher das aus den Gründen der Strafrechtspflege gegebene Veröffentlichungsinteresse.

Das Überwiegen des Veröffentlichungsinteresses muß zur Abweisung des Sicherungsantrages führen. Ein auf Verletzung der Unschuldsvermutung gerichtetes Verbot allein konnte im vorliegenden Fall aber schon deshalb nicht ausgesprochen werden, weil ein solches nicht in erster Instanz beantragt wurde und auch nicht als Minus im beantragten Verbot enthalten ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Provisorialverfahrens gründet sich auf die §§ 78, 402 EO, §§ 41, 50, 52 Abs 1 ZPO.

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