OGH 14Os79/96

OGH14Os79/9625.6.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Juni 1996 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer, Dr. Ebner, Dr. E.Adamovic und Dr. Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hawlicek als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Heinz D***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 (§ 203) StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 21. März 1996, GZ 8c Vr 327/96-11, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und eine neue Hauptverhandlung angeordnet.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Heinz D***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 (§ 203) StGB schuldig erkannt und zu einer zum Teil bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt.

Ihm wird angelastet, in der Nacht zum 8. Dezember 1995 in Wien seine geschiedene Ehefrau Sylvia D*****, mit der er weiterhin in Lebensgemeinschaft lebte, mit Gewalt, nämlich dadurch, daß er ihr die Kleidung vom Leib zerrte, sie an den Haaren riß und an beiden Händen festhielt, um weiteren Widerstand zu verhindern, zur Duldung des Beischlafs genötigt zu haben.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde aus den Gründen der Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO sowie mit Berufung.

Als Urteilsnichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 5 StPO behauptet der Beschwerdeführer die Mängel der unvollständigen, unzureichenden und aktenwidrigen Urteilsbegründung, wobei sich einer seiner Einwände als zielführend erweist.

Beim Vorwurf unzureichender Begründung verkennt der Beschwerdeführer allerdings das dem Schöffengericht zu Gebote stehende Argumentationspotential, weil die Übereinstimmung der Aussage der Anzeigerin Sylvia D***** vor der Polizei mit den Zeugenangaben der Genannten in der Hauptverhandlung sehr wohl und ungeachtet der in Befolgung des Gesetzes unterbliebenen Verlesung der Polizeiprotokolle in den Urteilsgründen berücksichtigt werden durfte. Die Frage, ob die Zeugin in der Hauptverhandlung bei wesentlichen Punkten von ihrer früher bei der Polizei abgelegten Aussage abwich, war nämlich insoweit Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfungspflicht und demgemäß Verhandlungsgegenstand, als bei derartigen Abweichungen die Verlesung der Polizeiprotokolle zulässig geworden wäre (§ 252 Abs 1 Z 2 StPO). Aus dieser Sicht durfte der Prozeßumstand, daß die Voraussetzung einer solchen Verlesung in der Hauptverhandlung nicht eingetreten ist, durchaus in die Entscheidungsgründe Eingang finden. Für die in diese Richtung weiter vorgetragenen Beschwerdereklamationen, wonach die Angaben der Sylvia D***** vor der Polizei und vor Gericht ohnehin nicht deckungsgleich gewesen seien und sich insoweit eine Erörterungsbedürftigkeit ergeben hätte, genügt die Erwiderung, daß damit bloß eine Kritik an der im schöffengerichtlichen Verfahren einer Anfechtung entzogenen Beweiswürdigung geübt wird, weshalb das Vorbringen keine Berücksichtigung finden kann.

Ebensowenig zutreffend ist die Behauptung einer Aktenwidrigkeit, weil es keine entscheidende Tatsache in der Bedeutung der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO darstellt, ob die Zeugin Sylvia D***** in einer Phase des festgestellten Geschehens durch Festhalten an beiden Händen oder an einer Hand bedrängt worden sein soll.

Zutreffend ist allerdings die Rüge der Unvollständigkeit, weil die Urteilsgründe auf den in der Hauptverhandlung erörterten Umstand nicht eingehen, daß die Zeugin Sylvia D***** - deren Aussage die alleinige Basis der Tatsachenfeststellung bildet - in einem früheren Strafverfahren gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs einer an der Zeugin verübten Körperverletzung am 8. August 1991 vor dem Strafbezirksgericht Wien erklärt hatte, den Angeklagten (bewußt) falsch bezichtigt zu haben (Seite 73 f des Aktes 13 U 2162/91 des Strafbezirksgerichtes Wien). Diese Tatsache hat an sich die abstrakte Eignung, gegen die Glaubhaftigkeit der nunmehrigen Zeugenaussage zu sprechen, weshalb sie im Rahmen einer formell richtigen Urteilsbegründung nicht übergangen werden durfte. Das Erstgericht ließ demgegenüber offen, ob seine Überzeugung von der Richtigkeit der Zeugenaussage der Sylvia D***** auch die von ihr abgegebene Erklärung (S 73) einschloß, damals nach Drohungen des Angeklagten unrichtige entlastende Angaben deponiert zu haben, oder ob es die frühere widerrufene Beschuldigung des Angeklagten durch die Zeugin überhaupt nicht in die Wahrheitsfindung einbezog. Das Fehlen einer diesbezüglichen beweiswürdigenden Stellungnahme bewirkt nach Lage des Falles eine Unvollständigkeit der Entscheidungsgründe, weshalb das angefochtene Urteil aufzuheben und eine neue Hauptverhandlung in erster Instanz anzuordnen war, ohne daß es noch eines Eingehens auf die Rechtsrüge bedurft hätte (§ 285 e StPO).

Die Berufung des Angeklagten ist damit gegenstandslos.

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