OGH 13Os26/96

OGH13Os26/968.5.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.Mai 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel, Dr.Ebner, Dr.Rouschal und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Gottweis als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Peter P***** wegen des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Peter P***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Schöffengericht vom 19.Oktober 1995, GZ 13 Vr 228/95-21, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Zehetner, des Angeklagten und des Verteidigers Dr.Kolarz zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird nicht Folge gegeben.

Der Berufung des Angeklagten wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf 4 Jahre herabgesetzt.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Peter P***** der Verbrechen des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I) und der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II) sowie des Vergehens des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (III) schuldig erkannt.

Darnach hat er in Seitzersdorf-Wolfpassing von April 1992 bis 8. August 1994 in einer nicht mehr festzustellenden Zahl von Angriffen, oft mehrmals wöchentlich

(zu I) mit seiner am 1.Juni 1985 geborenen, sohin unmündigen Stieftochter Christiane P***** den außerehelichen Beischlaf unternommen,

(zu II) die Genannte auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, indem er sie sein Glied in den Mund nehmen und bis zum Samenerguß reizen ließ und sie seinerseits mit seiner Zunge am entblößten Geschlechtsteil leckte und

(zu III) durch die unter I und II bezeichneten Handlungen sein minderjähriges Stiefkind zur Unzucht mißbraucht.

Vom Vorwurf, auch seine unmündige Stieftochter Sarah P***** zur Unzucht mißbraucht zu haben, wurde der Angeklagte freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Schuldspruch richtet sich die auf die Z 3, 5, 5 a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der auch, wie die Staatsanwaltschaft, den Strafausspruch mit Berufung be- kämpft.

Der Beschwerdeeinwand (Z 3), die dreitägige Vorbereitungsfrist des § 221 Abs 1 StPO für die Haupt- verhandlung vom 10.August 1995 sei unzulässig verkürzt worden, übersieht, daß diese Hauptverhandlung vertagt, der Beschwerdeführer aber zu der gemäß § 276 a StPO wegen Zeitablauf am 19.Oktober 1995 neu durchgeführten Hauptverhandlung ordnungsgemäß geladen wurde. Durch die Erneuerung der Hauptverhandlung ist jedoch die an sich Nichtigkeit begründende Fristverletzung in bezug auf die Hauptverhandlung vom 10.August 1995 obsolet geworden (Mayerhofer/Rieder StPO3 § 276 a E 8).

Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des § 151 (Z 2) StPO in der ohne Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht erfolgten zeugenschaftlichen Ein- vernahme der Landesbeamtin Gertrude H***** erblickt, ist ihm zunächst entgegenzuhalten, daß das Amt der Steiermärkischen Landesregierung als Träger der heilpädagogischen Station des Landes in Graz die gegenständliche Anzeige auf Grund eines Berichtes der dort als Psychotherapeutin beschäftigten Gertrude H***** erstattete (S 83 f). Damit stand fest, daß diese Zeugin durch ihre Aussage die amtliche Verschwiegenheitspflicht nicht verletzt (vgl Mayerhofer/Rieder StPO3 § 151 E 26).

Auch unter dem Aspekt eines Verstoßes gegen die Bestimmungen des § 152 Abs 1 Z 5 und Abs 5 StPO ginge die Beschwerde fehl:

Nach § 152 Abs 1 Z 5 StPO sind ua Psychotherapeuten von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses über das, was ihnen in dieser Eigenschaft bekannt geworden ist, befreit und gemäß § 152 Abs 5 leg cit darüber zu belehren, wobei ihre Aussage nichtig ist, wenn sie nicht ausdrücklich auf das Entschlagungsrecht verzichtet haben. Vorliegendenfalls wurde die Psychotherapeutin Gertrude H***** zwar weder über das ihr zustehende Zeugnisverweigerungsrecht belehrt noch hat sie darauf ausdrücklich verzichtet. Ihre Aussage vor dem Schöffengericht wurde jedoch ungeachtet dessen, daß ihr Name im Urteil unter den Beweismitteln genannt wurde, zur Begründung der entscheidungsrelevanten Feststellungen nicht herangezogen. Die für diese Konstatierungen maßgeblichen Beweisergebnisse fand das Erstgericht nämlich in der Schilderung des Geschehensablaufes durch Christiane P***** anläßlich deren im Beisein der Psychotherapeutin durchgeführten Einvernahme durch eine Kriminalbeamtin des LGK für Steiermark (S 69 bis 75). Über diese Einvernahme wurde aber Gertrude H***** in der Hauptverhandlung nicht befragt, sodaß mangels Verwertung der an sich nichtigen Aussage für die Entscheidungsfindung der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 3 StPO nicht hergestellt und auch sonst kein Nachteil für den Angeklagten entstanden ist (§ 281 Abs 3 StPO).

Von einer Verletzung des § 260 Abs 1 StPO (Z 3) kann schon deshalb keine Rede sein, weil das Schöffengericht der Beschwerde zuwider sehr wohl ausgesprochen hat, welcher Taten der Angeklagte schuldig befunden wurde. Daß Urteilsfeststellungen mit dem Urteilsspruch nicht in Einklang stehen, vermag im übrigen den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nicht zu begründen, sondern könnte nur unter dem Gesichtspunkt der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO releviert werden. Diesbezüglich ergibt sich jedoch aus dem Zusammenhalt von Urteilstenor und Entscheidungsgründen mit hinreichender Deutlichkeit, daß der Angeklagte das Tatopfer zum Oralverkehr nicht nur aufforderte (woraus die Beschwerde die behauptete Diskrepanz zum Urteilsspruch ableitet), sondern einen solchen auch wiederholt ausführen ließ.

Grundsätzlich ist der Mängelrüge (Z 5), die den Ausspruch des Gerichtes als unvollständig, in sich widersprüchlich, nicht oder nur offenbar unzureichend begründet und als aktenwidrig bezeichnet, zu erwidern, daß das Gericht gemäß § 270 Z 5 StPO die Urteilsbegründung in gedrängter Form abzufassen hat und nicht verhalten ist, im Urteil alle Verfahrensergebnisse schlechthin und ohne Rücksicht auf ihre Bedeutung für die zu fällende Entscheidung zu erörtern.

Im einzelnen ist dem Beschwerdeführer folgendes entgegenzuhalten:

Weshalb die Defloration der Christiane P***** nicht bei einem Vorfall mit einem Nachbarbuben in Wien erfolgte, hat das Erstgericht der Beschwerde entgegen ohnedies dargelegt (US 9).

Auch mit den Fragen allfälliger "Suggestion" und "Verdrängung" sowie den in Details abweichenden Aussagen des unmündigen Tatopfers hat sich das Gericht unter Heranziehung des Gutachtens der psychologischen Sach- verständigen (ON 11 und S 155 ff) ausführlich und im Einklang mit den Erfahrungen des täglichen Lebens auseinandergesetzt (US 9 und 10).

Der Einwand, die Zeugin Daljana P***** habe nach Kenntnis des ersten Vorfalls ihren Gatten kontrolliert, sodaß für die Annahme zahlreicher weiterer Vorfälle eine ausführliche Begründung erforderlich gewesen wäre, ist nicht zielführend. Hat doch diese Zeugin nur angegeben, sie habe versucht, die Kinder mit dem Angeklagten nicht allein zu lassen, wobei offenkundig ist, daß eine ständige Anwesenheit und Kontrolle nicht möglich war. Damit steht die Aussage der Christiane P***** im Einklang, wonach die sexuellen Angriffe durch ihren Stiefvater immer dann erfolgten, wenn ihre Mutter schlief oder nicht zu Hause war (S 69).

Auch Aktenwidrigkeiten liegen entgegen der Beschwerdebehauptung nicht vor. Der Vorfall im April 1992 findet in der Aussage der Zeugin Daljana P***** (S 15, 17 und 31) Deckung. Die weitere Feststellung, daß diese Zeugin gegenüber Gabriele S***** schilderte, Christiane P***** hätte bei einem Vorfall das Glied des Angeklagten im Mund gehabt, wird durch die Angaben der Gabriele S***** vor der Gendarmerie (S 23), also auch durch die dort deponierte Darstellung des Tatopfers bestätigt.

In seiner Tatsachenrüge (Z 5 a) versucht der Beschwerdeführer die Aussage der vom Schöffengericht als glaubwürdig angesehenen Zeugin Christiane P***** dadurch zu erschüttern, daß er einzelne Beweisergebnisse aus dem Zusammenhang löst und auf einen Verdrängungsprozeß und die kindliche Phantasie hinweist. Er vermag damit indes weder schwerwiegende, unter Außerachtlassung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitserforschung zustandegekommene Mängel in der Sachverhaltsermittlung aufzuzeigen, noch auf aktenkundige Umstände hinzuweisen, die erhebliche Zweifel gegen die Richtigkeit der entscheidenden Urteilsannahmen aufkommen ließen. Vielmehr unternimmt er nur den Versuch, die auf dem persönlichen Eindruck und dem Gutachten der psychologischen Sachverständigen formell mängelfrei aufgebaute Beweiswürdigung der Tatrichter in insoweit unzulässiger Weise zu bekämpfen.

Sowohl in seiner Rechtsrüge (Z 9 lit a) als auch in der Subsumtionsrüge (Z 10) - insoweit richtig nur Z 9 lit a - wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Annahme einer Realkonkurrenz zwischen dem Verbrechen nach § 206 Abs 1 StGB (I) und § 207 Abs 1 StGB (II), weil den zu II festgestellten Unzuchtshandlungen, die nur im Zusammenhang mit dem unternommenen Beischlaf zu sehen seien, keine selbständige Bedeutung zukomme.

Dabei übergeht der Beschwerdeführer jedoch die Feststellungen des Erstgerichtes, daß sexuelle Angriffe mehrmals wöchentlich stattfanden, manchmal auch zweimal in einer Nacht, und es dabei auch mehrmals zum Geschlechtsverkehr gekommen ist (US 4). Daraus ergibt sich insbesondere auch im Zusammenhalt mit den klarstellenden Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung, wonach die nicht zum Geschlechtsverkehr führenden sexualbezogenen Handlungen vom Vorsatz auf Mißbrauch zur Unzucht getragen waren (US 11), daß der Angeklagte sowohl der Vorbereitung eines Geschlechtsverkehrs dienende Unzuchtshandlungen setzte, die insofern im Verbrechen nach § 206 Abs 1 StGB aufgehen, als auch solche, bei denen tätergewollt kein Beischlaf (im technischen Sinn) stattfand, weshalb hiedurch das Verbrechen nach § 207 Abs 1 StGB verwirklicht wurde.

Weil aber die Geltendmachung eines materiellen Nichtigkeitsgrundes ein Festhalten am gesamten festgestellten Sachverhalt erfordert, erweist sich die Rechtsrüge, die nicht alle konstatierten Tatsachen berücksichtigt, als nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt.

Die in der Subsumtionsrüge (Z 10) vertretenen Beschwerdeauffassung, der Angeklagte hätte aufgrund der Feststellungen des Erstgerichtes nur wegen des Verbrechens der versuchten Unzucht mit Unmündigen nach §§ 15, 207 Abs 1 StGB verurteilt werden dürfen, vernachlässigt abermals die bereits zitierten Feststellungen und übersieht zudem, daß eine Unzuchtshandlung im Sinne des § 207 Abs 1 StGB nicht einen vollendeten Oralverkehr voraussetzt, sondern daß zur Vollendung dieses Deliktes all jene Handlungen ausreichen, durch die objektiv die Sittlichkeit in geschlechtlicher Hinsicht verletzt wird. Dazu gehören alle Angriffe, die die unmittelbare Geschlechtssphäre eines Menschen betreffen und nicht bloß flüchtige Berührungen darstellen (Leukauf-Steininger Komm3 § 207 RN 4 bis 6), womit auch durch einen bloß versuchten Oralverkehr das Unzuchtsdelikt vollendet wäre.

In seiner Strafzumessungsrüge (Z 11) moniert der Beschwerdeführer eine Überbewertung der generalpräventiven Erwägungen und wendet sich gegen die Heranziehung der Begehung zahlreicher Handlungen und der Berücksichtigung der Tatfolgen für die Entwicklung des Kindes als Erschwerungsgründe.

Mit diesen Einwendungen wird indes keine Gesetzeswidrigkeit der Strafzumessung im Sinne der geltend gemachten Nichtigkeit aufgezeigt. Die Anfechtung betrifft vielmehr insgesamt nur den allein mit Berufung bekämpfbaren Ermessensbereich des Strafausspruches, sodaß es an der gesetzesgemäßen Ausführung dieses Nichtigkeitsgrundes fehlt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach §§ 28, 206 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren, wobei die zahlreichen Handlungen sowie der lange Deliktszeitraum als erschwerend und der bisherige ordentliche Lebenswandel als mildernd gewertet wurden.

Damit wurden die Strafzumessungsgründe zwar im wesentlichen vollzählig erfaßt, dem Milderungsgrund des bisherigen ordentlichen Lebenswandels jedoch auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes zu geringes Gewicht beigemessen. Die Freiheitsstrafe war daher auf ein tat- und schuldgerechtes Maß herabzusetzen.

Der Berufung des Angeklagten war somit durch Reduzierung des Strafmaßes auf vier Jahre Folge zu geben, während der Berufung der Staatsanwaltschaft ein Erfolg zu versagen war.

Die Kostenentscheidung ist in § 390 a StPO begründet.

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