OGH 6Ob2018/96z

OGH6Ob2018/96z8.5.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisions- und Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Zechner und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Peter B*****, vertreten durch Mag.Dr.Markus Ch.Weinl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Z*****gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Bertram Grass, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen Widerrufs, Unterlassung, Veröffentlichung des Widerrufs (Streitwert je 200.000,-- S), Feststellung (Streitwert 70.000,-- S) sowie Schadenersatz (Zahlung von 143.730,-- S), infolge Revision und Rekurses der beklagten Partei gegen das Teilurteil und den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 6. Dezember 1995, GZ 3 R 1079/95s-10 (richtig 20), womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 22.Mai 1995, GZ 8 Cg 299/94m-13, hinsichtlich des Unterlassungs-, Widerrufs-, Veröffentlichungs- und Feststellungsbegehrens als Teilurteil abgeändert und hinsichtlich des Begehrens auf Zahlung von 143.730,-- S aufgehoben wurde, zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

Der Revision und dem Rekurs wird Folge gegeben.

Das angefochtene Teilurteil und der angefochtene Aufhebungsbeschluß werden dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 34.116,60 S (darin 5.686,10 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 44.060,-- S (darin 2.925,-- S Umsatzsteuer und 26.510,-- S Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisions- und Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Gastwirt in einer kleineren Gemeinde in Vorarlberg. In verschiedenen Bausachen hatte der Bürgermeister der Gemeinde in der Zeit bis Mai 1993 gegen die Intentionen des Klägers entschieden. Ein Baugesuch wurde von der Baubehörde in erster und zweiter Instanz abgelehnt.

Die Beklagte war bis April 1994 Medieninhaberin und Herausgeberin der "N***** Tageszeitung".

In der Nacht zum 24.5.1993 gelangte durch bisher unbekannte Täter Thiophenol, das ist eine übelriechende Chemikalie, in das Arbeitszimmer des Bürgermeisters, das dieser in seinem Privathaus eingerichtet hatte. Durch die Tat entstand dem Bürgermeister ein Sachschaden in beträchtlicher Höhe. Über den Vorfall berichtete die "N***** Tageszeitung" in ihrer Ausgabe vom 6.7.1993. Auf der Titelseite wurde unter der Überschrift "Giftanschlag auf Bürgermeister!" und dem Untertitel "Feige Täter wollten den ***** Gemeindechef ***** zu Hause vergiften" ein im Inneren der Zeitung abgedruckter Artikel angekündigt. In diesem wurde unter der Überschrift "Gift-Anschlag auf den ***** Bürgermeister!" und dem Untertitel "Unglaublich! Gegen den Bürgermeister von *****, Josef S*****, ist Ende Mai ein Anschlag mit der hochgiftigen Chemikalie Diophenol verübt worden" unter anderem ausgeführt:

"... Die Rekonstruktion der Ereignisse dürfte etwa so aussehen:

S***** ließ in seinem Arbeitszimmer während der Nacht das Fenster

gekippt. Eine oder mehrere Personen müssen sich in der Dunkelheit

unbemerkt dem Haus genähert haben. Mit der Chemikalie "Diophenol" in

der Tasche, einem Zwischenprodukt aus der pharmazeutischen Industrie,

eine farblose, hochgiftige Substanz. Diophenol wird vor allem in

Zuhälterkreisen verwendet, um Zimmer oder Einrichtungen eines

Konkurrenten zu zerstören ... Unfaßbar sind die Hintergründe. S*****:

"Es ist eindeutig, daß dieser Anschlag mit meinem Bürgermeister-Job

zusammenhängt. Mit einem normalen ***** Bürger hat das nichts mehr zu

tun", meint er. "Das muß ein anderer Typ von Leuten sein, als wir ihn

gewohnt sind" ... In der Ausgabe der "N***** Tageszeitung" vom

7.7.1993 erschien auf S 9 im Lokalteil ein mit "Giftanschlag: Es gibt keine Beweise gegen Verdächtige" übertitelter Artikel, welcher unter anderem folgende Textstelle beinhaltete:

"Der Anschlag auf den ***** Bürgermeister Josef S***** mit dem Gift Thiophenol ist im K*****dorf Tagesgespräch. Er ist sich sicher, daß die Gründe für die Tat mit seiner Arbeit als Politiker zu tun haben. Die Gründe für den Anschlag mit dem Gift Thiophenol auf ihn und auf seine Familie in der Nacht vom 23. auf den 24.5. dieses Jahres vermutet der Bürgermeister von *****, Josef S*****, eindeutig im politischen Bereich. Es habe wahrscheinlich zu tun mit einem Bauvorhaben, das er als erste und die Gemeindevertretung einstimmig in zweiter Instanz abgelehnt haben. S***** steht zur Entscheidung und findet die Reaktion der Gegenseite unglaublich. Wie die N***** gestern berichtete, hatten der oder die Täter in das Arbeitszimmer Summers in seinem Privathaus das Gift hineingeschüttet. Die Folge:

S***** muß die gesamte Einrichtung im Wert von S 120.000 bis S 150.000 austauschen lassen. Auch hatte das Gift bestialisch gestunken und leichte gesundheitliche Probleme bei ihm und seiner Frau hervorgerufen. Der mit dem Fall beauftragte Gendarm I***** vom Posten K***** kann noch nicht mit einem Fahndungserfolg aufwarten: Die Ermittlungen laufen, verdächtige Personen wurden vernommen. Es konnte ihnen aber nichts nachgewiesen werden. Eine Anzeige gegen Unbekannt soll an die Staatsanwaltschaft gehen."

Verfasser der beiden Zeitungsartikel war ein bei der Beklagten beschäftigter Journalist.

Mit seiner am 10.10.1994 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrt der Kläger den Widerruf und die Unterlassung rufschädigender Äußerungen, die Veröffentlichung des Widerrufs, die Zahlung eines Schadenersatzbetrages von 143.730 S sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle weiteren Schäden aus den genannten Zeitungsartikeln. Auch wenn er nicht namentlich genannt worden sei, so richte sich der geäußerte Tatverdacht gegen ihn, weil zur damaligen Zeit nur eine Bausache mit dem angeführten Ausgang in ***** anhängig gewesen sei. Die von der Beklagten wiedergegebene Vermutung des Bürgermeisters, der Kläger sei der Täter, treffe nicht zu. Der Kläger sei in seinem Fortkommen als Gastwirt gefährdet. Zur Verteidigung seiner Ehre und seines wirtschaftlichen Rufes habe er bereits mehrere Verfahren gegen den Bürgermeister, den Journalisten und auch die Beklagte anstrengen müssen, wodurch Verfahrenskosten in der Höhe von 143.730 S entstanden seien. Es seien auch künftige Schäden noch durchaus möglich. Die beklagte Medieninhaberin und Herausgeberin der Zeitung habe keinen Anhaltspunkt für die Richtigkeit der von ihr verbreiteten Anschuldigung gehabt. Der Journalist habe nicht sorgfälig recherchiert und die Zuverlässigkeit seiner Informationsquelle nicht geprüft. Der Beklagten sei anzulasten, daß sie sich einer untüchtigen Person als Journalist bedient habe. Der Tatbestand des § 1330 ABGB werde auch durch die Weitergabe von Behauptungen anderer erfüllt.

Die Beklagte bestritt das Klagevorbringen, beantragte die Abweisung der Klage und wandte im wesentlichen ein, daß der beanstandete Teil des Zeitungsartikels keine Ehrenbeleidigung darstelle. Es habe weder die Gefahr einer Rufschädigung bestanden, noch sei eine solche in der Zukunft zu befürchten. Der Journalist könne nicht als untüchtige Person beurteilt werden. Er sei der gebotenen Sorgfalt nachgekommen. Es sei nur eine Vermutung des Bürgermeisters wiedergegeben worden. Die Tatsache der Äußerung dieser Vermutung sei aber wahr. Es habe ein öffentliches Interesse an der Wiedergabe der Vermutung des Bürgermeisters bestanden.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es traf zusätzlich zu dem eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt noch Feststellungen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:

In der Bevölkerung der Gemeinde sei noch am Tag des Bekanntwerdens des Giftanschlages das Gerücht entstanden, daß der Kläger damit im Zusammenhang stehen könne. Von einem Nachbarn sei er direkt auf seine allfällige Täterschaft angesprochen worden, weiters auch von mehreren Gästen in seinem Lokal. Der erhebende Gendarmeriebeamte habe trotz Durchführung von Befragungen keine konkreten Hinweise auf den Täter erhalten und daher den Kläger auch nicht als Verdächtigen einvernommen. Der Journalist der beiden Artikel sei in seinem Beruf schon mehrere Jahre tätig gewesen. Der leitende Redakteur der Beklagten habe mit ihm drei Jahre zusammengearbeitet und nie Anlaß gehabt, an der Richtigkeit seiner Aussagen zu zweifeln. Der Journalist sei im Dezember 1991 wegen einer üblen Nachrede zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe verurteilt worden. Er habe Anfang Juli 1993 von dem gegenständlichen "Giftanschlag" auf den Bürgermeister der Gemeinde erfahren. Er habe mit diesem am 5.7.1993 ein 15 bis 20minütiges Telefongespräch geführt. Der Bürgermeister habe keinerlei Auskünfte oder Hinweise betreffend die Täterschaft gegeben, jedoch die Vermutung geäußert, "daß der Anschlag eher im politischen Bereich zu suchen sei" (S 12 in ON 13). Der Journalist habe seinen leitenden Redakteur über das stattgefundene Telefongespräch informiert und den schon angeführten Artikel vom 6.7.1993 verfaßt. Der Journalist der Beklagten sei mit weiteren Recherchen betraut worden und habe sich am 6.7.1993 mit dem Bürgermeister nochmals telefonisch in Verbindung gesetzt. Der Bürgermeister habe geäußert, daß er nicht glaube, daß der Anschlag mit seinem Beruf als Finanzbeamter zusammenhänge, und habe über Fragen nach seiner Tätigkeit als Bürgermeister und nach Durchbesprechung seiner wesentlichen Aufgabengebiete geäußert, daß seines Erachtens der Anschlag mit einem Bauvorhaben zu tun haben könnte, welches in erster Instanz von ihm als Bürgermeister und in zweiter Instanz von der Gemeindevertretung abgelehnt worden sei. Der Bürgermeister habe aber keinen Namen eines Verdächtigen genannt. Der Kläger habe die im Artikel ausgesprochenen Verdächtigungen auf sich bezogen, nachdem er in Erfahrung gebracht habe, daß zu jener Zeit keine weiteren Bauvorhaben in der Gemeinde sowohl in erster als auch in zweiter Instanz abgelehnt worden seien. Der Journalist der Beklagten habe bei Erscheinen der Artikel bei der Gemeinde nicht nachgefragt, ob und in welcher Anzahl Bauvorhaben sowohl in erster als auch in zweiter Instanz abgelehnt worden seien.

Der Kläger habe gegen den Journalisten eine Privatanklage wegen des Vergehens der üblen Nachrede erhoben. Der Journalist sei freigesprochen worden. Ein vom Kläger eingebrachter Antrag auf Veröffentlichung einer Gegendarstellung gemäß § 14 Abs 2 MedienG sei rechtskräftig abgewiesen worden. Eine vom Kläger gegen den Bürgermeister eingebrachte Klage auf Unterlassung und Widerruf rufschädigender Äußerungen und Veröffentlichung des Widerrufs sei rechtskräftig abgewiesen worden.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht zusammengefaßt die Auffassung, daß bei der Verbreitung rufschädigender und ehrenbeleidigender Tatsachen dem Täter der Wahrheitsbeweis obliege. Der Begriff der Tatsachenbehauptung sei weit auszulegen. Auch bloße Verdächtigungen fielen unter § 1330 Abs 2 ABGB. Die Beklagte als Medieninhaberin und Herausgeberin der Tageszeitung hafte grundsätzlich für jedes Verschulden ihrer Organe; darunter sei jeder Repräsentant in leitender Funktion zu verstehen. Dem Chefredakteur der Beklagten sei ein Verschulden nicht nachgewiesen worden. Es habe keine Verpflichtung bestanden, eine Überprüfung der Recherchen des Journalisten vorzunehmen. Dieser sei nicht als "untüchtige Person" zu qualifizieren. Selbst wenn die Beklagte für ihre Redakteure einzustehen hätte, wäre ihr der Beweis des mangelnden Verschuldens gelungen. Bei der Prüfung der Sorgfaltspflichten von Journalisten komme es auf die Zuverlässigkeit der Informationsquellen an. Die Presse treffe nur die Pflicht zur Wahrhaftigkeit, nicht aber zur objektiven Wahrheit. Dem Journalisten sei vom Opfer des Anschlags der Verdacht mitgeteilt worden. Er habe in Anwendung seiner journalistischen Sorgfaltspflicht von der Nennung des Namens des Klägers abgesehen. Die Annahme einer Prüfungspflicht, ob in der Gemeinde noch andere Bauvorhaben in beiden Instanzen abgelehnt worden seien, würde eine Überspannung der journalistischen Sorgfaltspflicht bedeuten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und erkannte die Beklagte schuldig, 1. die in der Ausgabe ihrer Tageszeitung vom 7.7.1993 verbreitete Behauptung, die Gründe für den Anschlag mit dem Gift Thiophenol auf den Bürgermeister der Gemeinde und dessen Familie in der Nacht vom 23. auf dem 24.5.1993 lägen eindeutig im politischen Bereich und hätten wahrscheinlich mit einem Bauvorhaben zu tun, das der Bürgermeister als erste und die Gemeindevertretung einstimmig in zweiter Instanz abgelehnt hätten, zu widerrufen; 2. die Verbreitung der beleidigenden und kreditschädigenden Behauptungen des Inhalts, "die Gründe für den Anschlag mit dem Gift Thiophenol auf ihn und seine Familie in der Nacht vom 23. auf den 24.5. dieses Jahres (gemeint 1993) vermute der Bürgermeister der Gemeinde eindeutig im politischen Bereich; es habe wahrscheinlich zu tun mit einem Bauvorhaben, das er als erste und die Gemeindevertretung einstimmig in zweiter Instanz abgelehnt haben oder ähnlichen Inhalts, womit der Kläger mit der erwähnten Straftat in Zusammenhang gebracht und als Täter verdächtigt werde, zu unterlassen und 3. den angeordneten Widerruf in einer Ausgabe der Tageszeitung der Beklagten zu veröffentlichen. Das Berufungsgericht stellte ferner die Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem erwähnten Zeitungsartikel vom 7.7.1993 fest (Punkt 4. des Urteilstenors) und wies das Unterlassungs-, Widerrufs-, Veröffentlichungs- und Feststellungsmehrbe- gehren ab (Punkt 5.). Mit dem in gemeinsamer Entscheidung ergangenen Beschluß gab das Berufungsgericht der Berufung des Klägers gegen die Abweisung des Zahlungsbegehrens Folge und hob das erstinstanzliche Urteil in diesem Umfang zur Verfahrensergänzung auf.

Ausgehend von den erstinstanzlichen Feststellungen vertrat das Berufungsgericht zusammengefaßt die Rechtsauffassung, daß die Weitergabe der Vermutung des Opfers eines Giftanschlages über den Täter eine in das Gewand einer bloßen Verdächtigung gekleidete Tatsachenbehauptung im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB darstelle. Die Tatsachenmitteilung sei nachprüfbar. Ein Verbreiten von Tatsachen bestehe auch in der Weitergabe fremder rufschädigender Tatsachenbehauptungen, die im vorliegenden Fall auch als Ehrenbeleidigung im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB zu qualifizieren seien. Die Beweislast für die Richtigkeit der Behauptung treffe den Täter. Das Recht auf Ehre und das Recht auf Wahrung des wirtschaftlichen Rufes seien absolut geschützte Rechtsgüter. Die Streitfrage der Untüchtigkeit des für die Beklagte tätig gewesenen Journalisten könne ebenso wie die Frage einer erweiterten Gehilfenhaftung oder einer Gefährdungshaftung des Medieninhabers auf sich beruhen. Dem leitenden Redakteur der Beklagten sei als leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen, daß die bloße Vermutung des Opfers des Anschlages, das keine konkreten Verdachtsmomente nennen habe können, nicht weiter geprüft worden sei. Wegen der leichten Erkennbarkeit des Klägers als des in Frage kommenden Verdächtigten hätte der leitende Redakteur der Beklagten zumutbare Erkundigungen über die Verläßlichkeit der Behauptungen des Opfers anstellen müssen. Hinsichtlich des Unterlassungsanspruches liege die erforderliche Wiederholungsgefahr vor, insbesondere wegen des bisherigen Prozeßverhaltens der Beklagten (gemeint offenbar: wegen des Beharrens auf dem Prozeßstandpunkt).

Das Berufungsgericht bewertete die Entscheidungsgegenstände hinsichtlich des Unterlassungs-, Widerrufs-, Veröffentlichungs- und Feststellungsbegehrens mit je 50.000 S übersteigend und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es fehle an einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes aus jüngerer Zeit zur Frage, ob auch die bloße Weitergabe der Vermutung des Opfers einer Straftat über den Täter als Verbreiten im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB zu qualifizieren sei. Aus diesem Grund erklärte das Berufungsgericht auch den Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluß gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO für zulässig.

Mit ihrer Revision und ihrem Rekurs beantragt die Beklagte die Wiederherstellung des die Klage abweisenden Ersturteiles.

Der Kläger beantragt primär, die Revision und den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen; hilfsweise wird beantragt, den Rechtsmitteln nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision und der Rekurs sind zulässig und berechtigt.

Der Rechtsansicht der Beklagten, bei der wiedergegebenen Vermutung des vom "Giftanschlag" betroffenen Bürgermeisters handle es sich um keine Tatsachenbehauptung, sondern um ein Werturteil ohne Tatsachenkern, kann nicht beigepflichtet werden. Tatsachen im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB sind nach ständiger Rechtsprechung Umstände, Ereignisse und Eigenschaften mit einem greifbaren, für das Publikum erkennbaren und von ihm an Hand bekannter oder zu ermittelnder Umstände auf seine Richtigkeit nachprüfbaren Inhalt. Die Richtigkeit der verbreiteten Äußerung muß grundsätzlich einem Beweis zugänglich sein, sodaß das Verbreiten nicht nur subjektiv angenommen oder abgelehnt, sondern als richtig oder falsch beurteilt werden kann. Der Begriff der Tatsachenbehauptung ist weit auszulegen. Werturteile sind dagegen rein subjektive, einer objektiven Überprüfbarkeit entzogene Aussagen (SZ 60/255 uva). Im vorliegenden Fall ist die Grundlage des Tatverdachtes des betroffenen Bürgermeisters (also der Zusammenhang des Anschlages mit einem in zwei Instanzen abgelehnten Bauansuchen) genauso nachprüfbar wie die gezogene Schlußfolgerung, der Bauwerber sei der Täter. Daß dieser Tatverdacht nur in Vermutungsform geäußert wurde, ändert an der Qualifikation der Äußerung als Tatsachenbehauptung nichts, weil ja auch über Tatsachen geäußerte Vermutungen Tatsachenbehauptungen sein können (Korn-Neumayer, Persönlichkeitsschutz 27). Der überprüfbare Aussageinhalt der Vermutung besteht in der behaupteten Täterschaft des Klägers. Dessen Betroffenheit von der Äußerung (also die für den Leserkreis mögliche Identifizierungsmöglichkeit) ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.

Zu beurteilen ist der vom Opfer einer strafbaren Handlung in Vermutungsform gegen eine bestimmte (bestimmbare) Person geäußerte Tatverdacht, den das beklagte Zeitungsunternehmen publizierte. Die Richtigkeit des Tatverdachtes steht nicht fest.

Mit dem Vorwurf einer strafbaren Handlung wird das absolut geschützte

Gut der Ehre verletzt. Der Täter haftet deliktisch für die

rufschädigende Tatsachenbehauptung, die hier gleichzeitig auch eine

Ehrenbeleidigung darstellt. Der Verletzte hat einen

verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch sowie bei Vorliegen eines Verschuldens Anspruch auf Widerruf und Schadenersatz (§ 1330 Abs 1 und 2 ABGB). § 6 Abs 1 MedienG normiert für die erlittene Kränkung des Verletzten bei Herstellung des Tatbestandes der üblen Nachrede einen Entschädigungsanspruch. Täter ist jeder Verbreiter von die Ehre eines anderen verletzenden Tatsachenbehauptungen. Die Verletzungshandlung kann auch in der Weitergabe der Behauptung eines Dritten (sei es in einem Artikel, Leserbrief, Interview uä) bestehen, ohne daß sich der Verbreiter mit der Äußerung identifizieren müßte. Tatbildlich ist auch eine ehrenbeleidigende Äußerung in Vermutungsform.

Von dieser in ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vertretenen Grundsätzen ist das Berufungsgericht bei der Bejahung der Haftung der Beklagten nicht abgewichen. Nicht geprüft wurde allerdings die Frage, ob dem beklagten Zeitungsunternehmen wegen des Rechts auf freie Meinungsäußerung im Rahmen der Medienfreiheit ein Rechtfertigungsgrund zugutekommt, sodaß es bei der wahrheitsgetreuen Wiedergabe der fremden rufschädigenden und zugleich auch ehrenbeleidigenden Äußerung des Dritten an der Rechtswidrigkeit mangelte. Dabei sind auch die zum Persönlichkeitsschutz mit der Mediengesetznovelle 1992 neu geschaffenen Bestimmungen zu beachten. Zum Zweck des Mediengesetzes wird in der Präambel ausgeführt, daß das Gesetz die volle Freiheit der Medien zur Sicherung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung und Information gewährleisten soll. Beschränkungen der Medienfreiheit, deren Ausübung Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, sind nur unter den im Art 10 Abs 2 MRK bezeichneten Bedingungen zulässig.

Verfassungsrechtliche Grundlage der Medienfreiheit sind vor allem Art 13 StGG, wonach jedermann das Recht hat, durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern, sowie der im Art 10 Abs 1 MRK jedermann eingeräumte Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Die Verletzung der Ehre eines anderen indiziert zwar zunächst die Rechtswidrigkeit. Diese kann aber nur aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung beurteilt werden. Stets müssen den Interessen am gefährdeten Gut die Interessen des Handelnden und diejenigen der Allgemeinheit gegenübergestellt werden, wobei es bei der Interessenabwägung auf die Art des eingeschränkten Rechtes, die Schwere des Eingriffes, die Verhältnismäßigkeit zum verfolgten Zweck und den Grad der Schutzwürdigkeit dieses Interesses ankommt (SZ 64/36 mwN). In der zitierten Entscheidung war die Zulässigkeit einer Berichterstattung im Fernsehen zu prüfen (in einer Fernsehdiskussion und den dabei gezeigten Filmbeiträgen wurden unrichtige, ehrverletzende Äußerungen verbreitet). Bei der Beurteilung der divergierenden Interessen sei einerseits zu berücksichtigen, daß die in einem Massenmedium verbreitete Äußerung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werde, die dem Bericht (im Fernsehen) erfahrungsgemäß ein besonderes Maß an Glaubwürdigkeit beimesse. Eine Überspannung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte könnte zu einer unerträglichen Einschränkung der Interessen anderer und der Allgemeinheit führen. Andererseits wiege der Schutz des von fahrlässig verbreiteten unwahren Tatsachenbehauptungen Betroffenen dann schwer, wenn es sich um einen unverhältnismäßigen Eingriff in die durch § 1330 Abs 2 ABGB geschützten Interessen handle. Anders als im vorliegenden Fall hatte der beklagte Medienunternehmer die ehrverletzenden Äußerungen des Dritten erkennbar zur eigenen Sicht der Dinge gemacht. Hier geht es aber um die wahrheitsgetreue Weitergabe der fremden Äußerung ohne jede Identifikation mit dieser Äußerung durch den Verbreiter. Im Bereich des Strafrechtes wird eine solche Wiedergabe mit der sogenannten "Zitatenjudikatur" als nicht tatbildlich und daher straflos erachtet, etwa die wertfreie Wiedergabe einer ehrverletzenden Äußerung eines Politikers im Rahmen eines Interviews über einen anderen Politiker (MR 1992, 190; Hager-Walenta, Persönlichkeitsschutz im Straf- und Medienrecht E Nr 63 ff). Aus dieser Judikatur läßt sich für die zivilrechtliche Beurteilung nach § 1330 ABGB nichts ableiten, weil die Haftung nach Abs 2 leg cit nicht nur für die Behauptung, sondern auch für die Verbreitung der Äußerung besteht, ehrverletzende Äußerungen Dritter also nicht sanktionslos weitergegeben werden dürfen. Aufgrund des seit 1.7.1993 in Kraft stehenden § 6 Abs 2 Z 4 MedienG besteht der im Abs 1 dem Verletzten eingeräumte zivilrechtliche Anspruch auf Entschädigung für die erlittene Kränkung dann nicht, wenn es sich um eine wahrheitsgetreue Wiedergabe der Äußerung eines Dritten handelt und ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Kenntnis der zitierten Äußerung bestand. Mit der Frage der Haftung eines Medieninhabers, in dessen Zeitschrift ehrverletzende Äußerungen eines (anonym gebliebenen) Interviewpartners wiedergegeben wurden, hatte sich der erkennende Senat in der Entscheidung 6 Ob 30/95 (veröffentlicht in ecolex 1995, 892) zu befassen. Er ist zum Ergebnis gelangt, daß dem Medieninhaber (Verleger) einer periodischen Druckschrift auch in Ansehung eines aus § 1330 ABGB abgeleiteten Unterlassungsanspruches der durch die MedienG-Novelle 1992 neu geschaffene Rechtfertigungsgrund des § 6 Abs 2 Z 4 MedienG zugutekommen könne. Gegen eine analoge Anwendung der in §§ 6 f MedienG angeordneten Ausnahmebestimmungen auf den im ABGB geregelten Tatbestand hat sich Wilhelm in seiner Entscheidungskritik (ecolex 1995, 877) gewandt. Auch ohne Anerkennung des im Wege der Analogie gefundenen Rechtfertigungsgrundes ist aus der Bestimmung des § 6 Abs 2 Z 4 MedienG für die in jedem Fall erforderliche Interessenabwägung zwischen dem Rechtsgut der Ehre und dem verfassungsgesetzlichen Recht der freien Meinungsäußerung zu folgern, daß das überwiegende Informationsinteresse der Öffentlichkeit ein entscheidungswesentliches Kriterium darstellt. Zweck der Rechtfertigung des Zitierens von Äußerungen Dritter in Medien ist das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Die Berichterstattung soll im Interesse der Öffentlichkeit aktuell sein und hat daher rasch zu erfolgen. Wegen der engen zeitlichen Grenzen bestehen naturgemäß geringe Möglichkeiten zur Überprüfung der Nachrichten, was die Gefahr von Falschmeldungen in sich birgt. Dies stellt einen Punkt der besonderen Gefährlichkeit von Massenmedien dar. Die weite Verbreitung der Nachrichten begründet die hohe Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts. Vorwürfe, die in Massenmedien wiedergegeben werden, sind für die Konsumenten der Berichterstattung im allgemeinen glaubwürdig (Koziol, Die Haftung für kreditschädigende Berichte in Massenmedien, JBl 1993, 613 [618]).

Es liegt auf der Hand, daß die Berichterstattung über aktuelle Tagesereignisse auch die Stellungnahme Beteiligter umfassen muß. Die Unzulässigkeit der Weitergabe solcher Stellungnahmen würde zu einer erheblichen Einschänkung der Informationsfreiheit führen. Wenn mit den Äußerungen Dritter Persönlichkeitsrechte von Personen verletzt werden, so besteht für die neutrale Weitergabe der Äußerungen im Schadenersatzrecht ein Regulativ über das Verschulden. Journalisten und Redakteure trifft die Verpflichtung zur sorgfältigen Recherche und zur Prüfung der Zuverlässigkeit der Informationsquellen. Eine Prüfungspflicht wird aber beispielsweise bei der neutralen Berichterstattung über den Inhalt eines Haftbefehles, einer polizeilichen Presseaussendung uä entfallen können. In einer fehlenden Überprüfung derartiger Meldungen Dritter wird keine Fahrlässigkeit erblickt werden können. Im Bereich des verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruchs fehlt das angeführte Korrektiv. Aus der Wiedergabe des Inhalts einer Anzeige oder einer Anklageschrift könnte mangels Verschuldens kein Schadenersatzanspruch abgeleitet werden, wohl aber ein Unterlassungsanspruch. Dies würde zu dem widersprüchlichen Ergebnis führen, daß der Verletzte wegen der schon erfolgten Berichterstattung keine Ansprüche hätte, die künftige Berichterstattung (etwa über den Fortgang des Strafverfahrens) aber mit erfolgreicher Unterlassungsklage verhindern könnte, weil der Unterlassungsanspruch von einem Verschulden unabhängig ist. Von dieser in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung sieht sich der erkennende Senat nicht veranlaßt abzugehen. Das Regulativ, damit nicht jede künftige Verbreitung ehrverletzender Äußerungen, die in der Weitergabe eines Tatverdachtes Dritter besteht, verboten werden muß, liegt im Bereich der Rechtswidrigkeit. Diese ist immer dann zu bejahen, wenn der Täter die Unrichtigkeit der Tatsachenbehauptungen des Dritten kannte oder kennen mußte. Letzteres ist der Fall, wenn die Erkennbarkeit der Unrichtigkeit bei Einhaltung der gebotenen objektiven Sorgfalt zu bejahen ist. Auf die Sorgfaltspflicht von Journalisten wurde schon hingewiesen. Die objektive Nachprüfungspflicht ist bei eigenen Äußerungen und der gleichzuhaltenden identifizierenden Weiterverbreitung von Äußerungen Dritter durchaus zu bejahen, bei der neutralen Weiterverbreitung fremder Äußerungen aber dann zu verneinen, wenn sich dies aus der Interessenabwägung ergibt. Die Weiterverbreitung ist immer dann gerechtfertigt, also nicht rechtswidrig, wenn das Interesse der Öffentlichkeit an der Kenntnis der Äußerung die Interessen des Verletzten überwiegt, etwa wegen der besonderen Stellung des Zitierten in der Öffentlichkeit oder wegen der aktuellen, besonderen Wichtigkeit des Themas. So wird bei der Verbreitung ehrverletzender Äußerungen von Politikern (etwa im Rahmen von Pressekonferenzen geäußerter Anschuldigungen über andere Politiker) eine objektive Nachprüfungspflicht des Medieninhabers vor der Weiterverbreitung verneint werden können, weil dies das öffentliche Interesse an einer raschen Information über ein aktuelles Ereignis gebietet. Ähnliches wird für die mit Zitaten erfolgende Berichterstattung über den Meinungsstreit von Experten über nicht ohneweiteres überprüfbare Sachfragen (beispielsweise im Umweltbereich oder in komplizierten technischen Fragen) gelten. In allen Fällen entscheiden aber die Umstände des Einzelfalls, in welche Richtung die Interessenabwägung ausfällt.

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte den vom Opfer einer strafbaren Handlung geäußerten Tatverdacht weiterverbreitet, ohne die Stichhaltigkeit der Verdachtsgründe zu überprüfen. Es ist davon auszugehen, daß die über den Sachverhalt (Giftanschlag) informierte Öffentlichkeit ein hohes Informationsinteresse an der Stellungnahme des Opfers hatte. Der Fall wäre anders zu beurteilen, wenn der Tatverdacht gegen den Kläger von einem unbeteiligten Dritten geäußert und beispielsweise in einem Leserbrief veröffentlicht worden wäre, ohne daß (etwa aus der Bekanntheit des Leserbriefschreibers abzuleitende) besondere Gründe für die Veröffentlichung ins Treffen geführt werden könnten. Bei nicht täglich vorkommenden aufsehenerregenden Ereignissen mit überdurchschnittlicher Bedeutung und bei Beteiligung von Personen, die im Blickpunkt des öffentlichen Interesses stehen, rechtfertigt das Informationsinteresse der Allgemeinheit die korrekte, neutrale Wiedergabe auch rufschädigender Äußerungen der am Ereignis in maßgeblicher Weise beteiligten Personen, dies nicht nur im engeren Anwendungsbereich des § 6 Abs 2 Z 4 MedienG, sondern ganz allgemein aufgrund der zugunsten des Verbreiters ausschlagenden Interessenabwägung. Der in seinem Persönlichkeitsrecht Verletzte ist damit keineswegs schutzlos. Anders als in der zitierten Vorentscheidung ist hier der Urheber der ehrverletzenden Äußerung namentlich bekannt und kann vom Verletzten in Anspruch genommen werden (was nach den Feststellungen der Vorinstanzen ohnehin bereits geschehen ist).

Da aus den dargelegten Gründen die Weiterverbreitung rufschädigender Äußerungen eines Dritten in Zitatsform in einem Medium wegen eines zu bejahenden Rechtfertigungsgrundes zulässig war, ist die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Der Ausspruch über die Verfahrenskosten beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Bei Rechtsstreitigkeiten über in Medien veröffentlichten Ehrenbeleidigungen beträgt die Kostenbemessungsgrundlage der nicht in Geld bestehenden Ansprüche höchstens 240.000,-- S (§ 10 RATG). Zu diesem Betrag ist die Schadenersatzforderung von 143.730,-- S hinzuzurechnen, sodaß die Kostenbemessungsgrundlage insgesamt S 383.730,-- S beträgt. Auf dieser Basis waren die Kosten beider Rechtsmittelverfahren zu bestimmen. Für den gemeinsam mit der Revision erstatteten Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluß waren keine gesonderten Kosten zuzusprechen.

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