OGH 2Ob2028/96s

OGH2Ob2028/96s28.3.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Firma T* GmbH, * vertreten durch Dr.Helmut Weber, Rechtsanwalt in Liezen, wider die beklagten Parteien 1.) Peter V* und 2.) * Versicherung*, beide vertreten durch Univ.Prof.Dr.Friedrich Harrer und Dr.Iris Harrer‑Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen S 118.905,- s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 24.Jänner 1996, GZ 2 R 138/95‑16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 18.April 1995, GZ 8 Cg 128/94‑10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1996:E42029

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 8.365,50 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 1.394,25, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

 

Am 20.5.1994 ereignete sich um ca. 4.15 Uhr auf der E* Bundesstraße ein Verkehrsunfall an welchem Franz D* als Lenker eines Sattelkraftfahrzeuges der klagenden Partei und der Erstbeklagte als Lenker eines PKW beteiligt waren. Der Unfall ereignete sich im Begegnungsverkehr. Franz D* fuhr von S* kommend in Richtung R* mit einer Geschwindigkeit von 85 km/h, obwohl im Bereich der Unfallsstelle nach § 43 Abs 1 lit b und Abs 2 lit a StVO für die Zeit zwischen 22.00 und 5.00 Uhr für Fahrten mit Lastkraftwagen mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht von mehr als 7,5 Tonnen die erlaubte Höchstgeschwindigkeit mit 60 km/h festgesetzt und die entsprechende Verordnung durch Verbotszeichen kundgemacht worden war. Der Erstbeklagte fuhr mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h. Infolge Übermüdung schlief er kurzfristig ein und geriet dadurch auf die (in seiner Fahrtrichtung gesehen) linke Straßenhälfte. Franz D* leitete sofort eine Vollbremsung ein, konnte aber eine Kollision nicht mehr vermeiden. Bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 85 km/h hatte Franz D* keine Möglichkeit, den Unfall zu vermeiden. Der klagenden Partei entstand durch den Unfall ein Schaden von S 356.714, worauf durch die Beklagten eine Teilzahlung im Ausmaß von zwei Drittel geleistet wurde, sodaß eine Differenz in der Höhe des Klagsbetrages offen ist. Die zweitbeklagte Partei gewährt Versicherungsschutz für das Fahrzeug des Erstbeklagten.

Die klagende Partei begehrt den Ersatz des restlichen Drittels des durch den Unfall entstandenen Schadens mit der Behauptung des Alleinverschuldens des Erstbeklagten. Es sei zwar richtig, daß der Lenker ihres Fahrzeuges zum Zeitpunkt der Fassung des Bremsentschlusses eine Geschwindigkeit von 85 km/h eingehalten habe, doch sei eine allfällig überhöhte Geschwindigkeit nicht schadensursächlich gewesen; auch bei einer Geschwindigkeit von 60 km/h wären die Unfallsfolgen gleich gewesen. Die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h zur Nachtzeit sei nur als Lärmschutzmaßnahme verordnet worden und stehe nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit dem hier zu beurteilenden Unfallsgeschehen.

Die beklagten Parteien wendeten ein, den Lenker des Klagsfahrzeuges treffe ein Mitverschulden von einem Drittel, weil er gegen die im Unfallsbereich verordnete Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h und auch gegen die für das Sattelkraftfahrzeug gemäß § 58 KDV geltende Bauartgeschwindigkeit von 70 km/h verstoßen habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:

Als vom Lenker des Fahrzeuges der klagenden Partei eine Reaktionsaufforderung angenommen wurde, betrug der Abstand des Fahrzeuges zur Kollisionsstelle 55 m. Unter Zugrundelegung einer Bremsverzögerung von 6 m/sec2 stieß das Fahrzeug nach 2,7 m mit einer Geschwindigkeit von knapp 50 km/h gegen das Fahrzeug des Erstbeklagten. Hätte der Lenker des Fahrzeuges der klagenden Partei eine Ausgangsgeschwindigkeit von 60 km/h eingehalten, hätte er bei ebensolcher Reaktion das Fahrzeug mehr als 7 m vor der Kollisionsstelle zum Stillstand bringen können. In diesem Falle wäre das Fahrzeug des Erstbeklagten kollisionsfrei an der Frontpartie des Klagsfahrzeuges vorbeigefahren. Hätte Franz D* eine Geschwindigkeit von 70 km/h eingehalten, hätte er bei gleicher Reaktion das Klagsfahrzeug ebenfalls vor der Kollisionsstelle zum Stillstand bringen können.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, Franz D* habe nicht nur gegen die gemäß § 58 Abs 1 Z 1 lit a KDV höchstzulässige Bauartgeschwindigkeit von 70 km/h verstoßen, sondern auch gegen die konkret im Unfallsbereich und zur Unfallszeit geltende Geschwindig- keitsbeschränkung auf 60 km/h. Schon allein der in der entsprechenden Verordnung aufscheinende Verweis auf § 43 Abs 1 lit b StVO zeige, daß die Franz D* anzulastende Geschwindigkeitsüberschreitung vom Schutz- zweck der Norm umfaßt sei. Auch § 58 Abs 1 Z 1 lit a KDV stelle eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB dar, deren Normzweck in der Verminderung aller Gefahren im Straßenverkehr liege, die eine erhöhte Geschwindigkeit mit sich bringe. Im Hinblick auf die Schwere des verkehrswidrigen Verhaltens des Lenkers des Fahrzeuges der klagenden Partei bewertete das Erstgericht das Verschulden der beteiligten Lenker mit 1 : 2 zu Lasten des Erstbeklagten.

Das von der klagenden Partei angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für zulässig.

Das Berufungsgericht führte zur Rechtsfrage aus, der Zweck der Normen über die Bauartgeschwindigkeit liege darin, Gefahren im Straßenverkehr zu verhindern, die eine erhöhte Geschwindigkeit mit sich bringe. Bei den im § 58 KDV normierten Höchstgeschwindigkeiten handle es sich demnach um Schutznormen im Sinne des § 1311 ABGB. Das Erstgericht habe daher zu Recht den Rechtswidrigkeits- zusammenhang zwischen der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h durch den Lenker des Fahrzeuges der klagenden Partei und dem am Klagsfahrzeug entstandenen Schaden bejaht. Zutreffend habe das Erstgericht aber auch den Rechtswidrigkeitszusammenhang hinsichtlich der verfügten Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h bejaht. Wenn auch aus der Gültigkeit dieser Geschwindigkeitsbeschränkung nur für die Nachtstunden darauf geschlossen werden könne, daß vorrangiges Motiv für die Verfügung dieser Geschwindigkeitsbeschränkung der Lärmschutz der Anrainer war, könne daraus nicht abgeleitet werden, daß jedweder Verkehrsunfall, der bei Einhaltung der verfügten Geschwindigkeitsbeschränkung unterblieben wäre, vom Schutzzweck der Geschwindigkeitsbeschränkung nicht umfaßt sei. Vielmehr sei davon auszugehen, daß jedwede Geschwindigkeitsbeschränkung notwendigerweise immer auch die Gefahr von Verkehrsunfällen und die Folgen dennoch erfolgter Verkehrsunfälle verringere. Jedweder Geschwindig- keitsbeschränkung sei daher zwangsläufig auch die Verminderung der Gefahren im Straßenverkehr immanent, so daß auch die Vermeidung von Unfällen und die Verringerung von Unfallsfolgen vom Schutzzweck solcher Geschwindigkeitsbeschränkungen umfaßt sei.

Das Berufungsgericht teilte auch die vom Erstgericht vorgenommene Verschuldensteilung von 2 : 1 zu Lasten des Erstbeklagten. Wenngleich sein Verschulden deutlich überwiege, weil er das den Unfall auslösende Verhalten setzte, indem er wegen Übermüdung kurz einschlief und auf die Gegenfahrbahn geriet, habe doch die Geschwindigkeitsüberschreitung beim Fahrzeug der klagenden Partei 42 % der höchstzulässigen Geschwindigkeit betragen. Auch dies stelle ein grobes Verschulden dar.

Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt, weil zur Rechtsfrage, ob vom Schutzzweck einer nach den Bestimmungen des § 43 Abs 1 lit b und Abs 2 lit a StVO verordneten Geschwindigkeitsbeschränkung nur für die Zeit zwischen 22.00 Uhr und 5.00 Uhr auch die Vermeidung von Verkehrsunfällen und die Verringerung der Folgen von Verkehrsunfällen umfaßt sei, eine Judikatur des Obersten Gerichtshofes nicht vorliege.

Dagegen richtet sich die Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde.

Die beklagten Parteien haben Revisions- beantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der klagenden Partei nicht anzunehmen, hilfsweise wird beantragt, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Partei ist aus den vom Berufungsgericht aufgezeigten Gründen zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Die klagende Partei macht in ihrem Rechtsmittel geltend, der ihr entstandene Schaden sei vom Schutzzweck der lediglich für die Nachtstunden angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h nicht umfaßt. Die Geschwindigkeitsbeschränkung gemäß § 43 Abs 2 lit a StVO diene ausschließlich dem Lärmschutz der Anrainer während der Nachtstunden. Andernfalls wäre es nicht nachvollziehbar, warum die Vorschrift lediglich in der verkehrsarmen Zeit der Verkehrssicherheit dienen solle, während in der übrigen verkehrsreichen Zeit, also tagsüber, eine höhere Geschwindigkeit erlaubt sei, ohne die Sicherheit des Verkehrs zu gefährden. Selbst wenn man davon ausgehe, daß es sich bei den in § 58 KDV normierten Bauarthöchst- geschwindigkeiten um eine Schutznorm handle, wäre dem Lenker des Klagsfahrzeuges eine Geschwindigkeits- überschreitung von lediglich 15 km/h (sohin 21 % anzulasten).

Bei der Bewertung des Verschuldens hätten die Vorinstanzen übersehen, daß das Verschulden des Erstbeklagten wesentlich höher zu bewerten sei und ein dem Lenker des Fahrzeuges der klagenden Partei allenfalls anzulastendes Fehlverhalten praktisch nicht ins Gewicht falle. Das grob verkehrswidrige Verhalten der Erstbeklagten sei als primäre Unfallsursache anzusehen, während das dem Lenker des Klagsfahrzeuges allenfalls anzulastende Fehlverhalten keine Bedeutung habe; es sei daher von einem Alleinverschulden des Erstbeklagten auszugehen, jedenfalls aber von einer Schadensteilung im Verhältnis zumindest 1 : 4 zu Lasten des Erstbeklagten.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden:

Auszugehen ist davon, daß der Lenker des Fahrzeuges der klagenden Partei durch die Einhaltung einer Geschwindigkeit von 85 km/h gegen zwei Schutzvorschriften im Sinne des § 1311 ABGB verstoßen hat, und zwar gegen jene des § 58 Abs 1 Z 1 lit a KDV betreffend die höchstzulässige Bauartgeschwindigkeit und auch gegen die konkret im Unfallsbereich und zur Unfallszeit geltende Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h. Es macht aber die Übertretung einer Schutznorm nur insofern für den durch die Übertretung verursachten Schaden haftbar, als durch die Schutznorm gerade dieser Schaden verhindert werden sollte. Um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den im konkreten Fall eingetretenen Schaden verhindern wollte, ist das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren (ZVR 1991/130; 1995/75 ua). Maßgeblich ist dabei der Inhalt der Norm (ZVR 1995/75; 1995/110) und nicht das Motiv, das zur Erlassung der Verordnung geführt hat. Es genügt dabei, daß die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt ist; die Norm muß aber die Verhinderung eines Schadens wie des später Eingetretenen intendiert haben (JBl 1993, 788; SZ 61/189; ecolex 1994, 534). Zum Zweck der Normen über die Bauartgeschwindigkeit von Fahrzeugen nach § 58 KDV hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, daß dieser in der Verhinderung aller Gefahren im Straßenverkehr besteht, die eine erhöhte Geschwindigkeit mit sich bringt (ZVR 1990/119; EvBl 1995/37; 2 Ob 63/95 ua).

Gleiches gilt aber auch für eine nach § 43 Abs 1 lit b und Abs 2 lit a StVO für die Zeit zwischen 22.00 und 5.00 Uhr für Fahrten mit Lastkraftwagen mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht von mehr als 7,5 Tonnen festgesetzte Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h. Mag auch das vorrangige Motiv für die Verhängung dieser Geschwindigkeitsbeschränkung der Lärmschutz der Anrainer gewesen sein, so ändert dies nichts daran, daß sich aus dem Inhalt der Norm ergibt, daß sie die Verhinderung aller Gefahren im Straßenverkehr (mit‑)bezweckt, die eine erhöhte Geschwindigkeit mit sich bringt.

Zutreffend sind daher die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß schon die Überschreitung einer Geschwindigkeit von 60 km/h kausal für den von der klagenden Partei erlittenen Schaden war und auch der Rechtswidrigkeitszusammenhang zu bejahen ist.

Daraus folgt auch, daß dem Lenker des Fahrzeuges der klagenden Partei eine Geschwindigkeits- überschreitung von 42 % anzulasten ist, so daß auch sein Verhalten eine grobe Verkehrswidrigkeit darstellt. Gegen die von den Vorinstanzen vorgenommenen Verschuldensteilung im Verhältnis von 2 : 1 zu Lasten des Erstbeklagten bestehen unter diesem Gesichtspunkt keine Bedenken.

Der Revision der klagenden Partei war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte