OGH 15Os3/96

OGH15Os3/9628.3.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. März 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch, Mag. Strieder, Dr. Rouschal und Dr. Schmucker als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Petschnigg als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ljubisa Z***** wegen des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 11. September 1995, GZ 38 Vr 282/95-28, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Schroll, und des Verteidigers Dr. Tretinaglia, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ljubisa Z***** von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe

I. einmal im Juli 1994 im Badesee in Kirchberg und einmal im August 1994 im Schwarzsee in Kitzbühel mit der am 22. August 1982 geborenen unmündigen Biljana M***** den außerehelichen Beischlaf unternommen und

II. die am 22. August 1982 geborene unmündige Biljana M*****

1. im Juni 1994 in Kirchberg durch mehrmaliges Streicheln von ihrem Knie aufwärts über ihren Oberschenkel und durch Greifen auf ihre Brüste über ihre Kleidung sowie

2. im Juli 1994 in Kirchberg dadurch, daß er sich der vollkommen bekleideten Biljana M***** nackt zeigte, sie von hinten umklammerte und gleichzeitig seinen Penis gegen ihr Gesäß stieß, sowie dadurch, daß er sie sodann auf das Bett schob, sich auf sie legte und ihr unter das Hemd auf ihre nackte Brust griff,

auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, und er habe hiedurch

zu I. das Verbrechen des Beischlafes mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und

zu II. das Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB begangen,

gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Z 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, der Berechtigung zukommt.

Der Mängelrüge (Z 5) ist schon deswegen beizupflichten, weil das Erstgericht der Sachverständigen Dr. H***** unterstellt, sie sei bei ihrem Gutachten von einer unrichtigen Grundvoraussetzung, nämlich einem vorpubertären Alter der Zeugin Biljana M***** ausgegangen. Die Staatsanwaltschaft verweist in diesem Zuammenhang zu Recht auf die Darlegungen der Sachverständigen, wonach es sich bei Biljana M***** um ein körperlich, intellektuell und psychisch über ihr Alter hinaus entwickeltes Mädchen handelt (S 205), dessen psychische Reife ihre Behauptungen glaubwürdig erscheinen läßt (S 207). Mit diesen zur Unterstellung des Erstgerichtes geradezu in Widerspruch stehenden Ausführungen der Gutachterin setzen sich die Tatrichter in keiner Weise auseinander, sondern verweisen im Kern nur auf die bei Biljana M***** ca eineinhalb Jahre vor den Tatzeiten einsetzende Regelblutung und die deshalb vorliegende Pubertät, welche die den Angeklagten belastende Darstellung der Zeugin als Phantasiegebilde erscheinen lasse. Damit unterbleibt aber unter Hinweis auf eine bloß physische Begleiterscheinung des Erwachsenwerdens jegliche Erörterung der Gutachtensergebnisse, wonach die im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung allein wesentliche Psyche der Zeugin bereits als gefestigt angesehen werden muß (S 207).

Der Beschwerdeführerin ist aber auch dahingehend beizupflichten, daß sich das Schöffengericht bei der Analyse der Glaubwürdigkeit der Biljana M***** mit dem bloßen Hinweis auf erhebliche Bedenken gegen das Gutachten der Sachverständigen Dr. H***** nur unzureichend mit dessen Inhalt auseinandersetzt. Die aus der Sicht eines Erwachsenen unverständliche Reaktion der damals fast schon Zwölfjährigen, die trotz mehrfacher sexueller Angriffe ein weiteres Zusammentreffen mit dem Angeklagten nicht von sich wies, wird aber im Gutachten der Sachverständigen als geradezu typisches Verhaltensmuster eines Mädchens dieser Entwicklungsstufe dargestellt, das einerseits über das Erlebte in einem sogenannten "Totstellreflex" erst nach einiger Zeit berichten kann, und welches sich andererseits in der Hoffnung, daß es zu keinen weiteren sexuellen Übergriffen kommt, zu wiederholten Zusammentreffen bereit erklärt (S 249).

Auch wenn das erkennende Gericht bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Zeugin an ein psychologisches Gutachten nicht gebunden ist und sich demgemäß auch nicht mit allen vom Sachverständigen für und wider die Glaubwürdigkeit einer Zeugin vorgebrachten Umständen im einzelnen auseinanderzusetzen hat (EvBl 1972/69), müssen sich die Tatrichter doch mit den im Gutachten bekundeten Grundlagen einer für die Beweiswürdigung wesentlichen Frage des Entwicklungsstandes einer noch unmündigen Zeugin jedenfalls dann inhaltlich auseinandersetzen, wenn sie beweiswürdigend zu anderen Ergebnissen gelangen (vgl Mayerhofer/Rieder StPO3 § 258 E 127, 128 und § 281 Z 5 E 60); ein bloßer Verweis auf "erhebliche Bedenken" (US 4) genügt insoweit nicht.

Zutreffend zeigt die Staatsanwaltschaft auch auf, daß die Feststellung des Erstgerichtes, wonach Biljana M***** den Angeklagten auch heute noch gerne sieht (US 4 f), aktenwidrig ist. Die Zeugin gab in der Hauptverhandlung vom 11. September 1995 lediglich an, daß ihr der Angeklagte "bis zu dieser sexuellen Handlung" sympathisch gewesen ist und sie diese Freundschaft weiterführen wollte, jedoch ohne sexuelle Belästigung (S 235) und infolge der sexuellen Attacken des Angeklagten Angst entwickelte, mit ihm allein zu sein (S 239), weswegen sie sogar zu ihrem Bruder nach Belgrad übersiedelte, um nicht mit den Orten der für sie traumatischen Erlebnisse konfrontiert zu werden (S 241). Auch in den im Rahmen der Zeugenvernehmung aufrechterhaltenen Aussagen vor der Gendarmerie (S 75 ff) und vor dem Bezirksgericht Hopfgarten (S 147 ff) finden sich keinerlei Ansatzpunkte für die von der Staatsanwaltschaft gerügte Urteilsfeststellung, die daher auch nicht als Beurteilungsbasis für eine mangelnde Glaubwürdigkeit der Zeugin dienen kann.

Zutreffend zeigt die Staatsanwaltschaft letztlich auch einen dem Urteil anhaftenden inneren Widerspruch auf, der darin liegt, daß das Schöffengericht einerseits ausführt, es könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, daß der Angeklagte mit der Zeugin Biljana M***** allein den Badesee in Kirchberg aufgesucht habe (erstes Faktum des Punktes I der Anklage), demnach diese Möglichkeit offenließ, und andrerseits im unmittelbaren Anschluß daran folgerte, daß die - einen derartigen alleinigen Badeausflug behauptende (S 239) - Zeugin "hinsichtlich dieses Vorfalles jedenfalls nicht die Wahrheit gesagt" habe.

Das angefochtene Urteil ist daher in entscheidungswesentlichen Teilen der Gründe unvollständig und offenbar unzureichend begründet sowie in Ansehung der Aussage der Zeugin Biljana M***** mit einer Aktenwidrigkeit, sohin Nichtigkeit begründenden Mängeln behaftet.

Es war daher der Nichtigkeitsbeschwerde Folge zu geben, das angefochtene Urteil einschließlich des Ausspruchs über die Verweisung der Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg (Mayerhofer/Rieder aaO § 288 E 3) aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck zurückzuverweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte