OGH 2Ob591/95

OGH2Ob591/9529.2.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Kurt-Jürgen P*****, geboren ***** ***** 1979, infolge Revisionsrekurses des Minderjährigen, vertreten durch seine Mutter Ulrike P*****, diese vertreten durch Dr.Ludwig Pramer, Dr.Peter Lindinger, Rechtsanwälte in Linz, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 19.Oktober 1995, GZ 13 R 260/95-73, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 9.Juni 1995, GZ 5 P 134/95-68, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Bis 31.7.1994 war der Vater aufgrund des rekursgerichtlichen Beschlusses vom 10.3.1993, GZ 18 R 82/93-23, verpflichtet, zum Unterhalt des in Obsorge der Mutter befindlichen Minderjährigen ab 1.1.1992 monatlich S 7.500 beizutragen. Dieser Entscheidung lagen Feststellungen über gehobene Lebensverhältnisse beider Elternteile und eine Unterhaltsbemessungsgrundlage im Bereich von S 40.000 sowie die Annahme zugrunde, daß mit dem festgesetzten Unterhaltsbeitrag die "Unterhaltsstopgrenze" (das Zweieinhalbfache des Regelbedarfs) nicht erreicht werde.

Mit dem Vorbringen, sein Dienstverhältnis bei der VÖEST Alpine sei vom Dienstgeber seit 1.1.1994 beendet worden, er beziehe nunmehr eine Arbeitslosenunterstützung von monatlich S 12.834 sowie ein monatliches Stipendium von S 5.000, während der Minderjährige ab 16.8.1994 bei seiner Mutter eine Bäckerlehre begonnen habe und über Einkünfte von mindestens S 4.000 zuzüglich Sonderzahlungen verfüge, begehrte der Vater die Herabsetzung seiner monatlichen Unterhaltsverpflichtung ab 1.8.1994 auf S 2.000.

Der durch seine Mutter vertretene Minderjährige trat dem einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von S 5.500 übersteigenden Herabsetzungsbegehren entgegen. Die Vorinstanzen setzten daraufhin - unter Vorbehalt der Entscheidung über das weitere Begehren - die Unterhaltsleistung des Vaters ab 1.8.1994 auf monatlich S 5.500 herab (ON 62, 66).

Sodann setzte das Erstgericht die Unterhaltsverpflichtung des Vaters aufgrund folgender weiterer Tatsachenfeststellungen auf S 2.300 monatlich herab: Der Minderjährige wird im Haushalt der obsorgeberechtigten Mutter, einer selbständigen Bäckermeisterin, versorgt. Er absolviert seit August 1994 im mütterlichen Betrieb eine Bäcker- und Konditorlehre. Im ersten Lehrjahr beträgt die monatliche Lehrlingsentschädigung netto S 4.191 zuzüglich Sonderzahlungen. An lehrebedingten Ausgaben für Berufskleidung fallen jährlich S 7.500 an.

In rechtlicher Hinsicht nahm das Erstgericht das anrechenbare Eigeneinkommen des Minderjährigen mit S 4.364 (rechnerisch richtig: S 4.264,50) an und setzte angesichts "gehobener Verhältnisse" die Selbsterhaltungsfähigkeitsgrenze mit rund S 9.000 monatlich an. Den nach Abzug des Eigeneinkommens verbleibenden Betrag habe der Vater zur Hälfte zu tragen. Zur Leistung dieses herabgesetzten Unterhaltsbetrages sei er aufgrund seiner angegebenen Einkommensverhältnisse und des seinerzeit festgestellten Vermögens von S 1,300.000 jedenfalls fähig.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte infolge Rekurses des Minderjährigen die erstinstanzliche Entscheidung und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Gemäß § 140 ABGB hätten die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes nach ihren Kräften anteilig beizutragen (Abs 1). Der Elternteil, der den Haushalt führe, in dem er das Kind betreut, leiste dadurch seinen Beitrag; darüber hinaus habe er zum Unterhalt des Kindes beizutragen, soweit der andere Elternteil zur vollen Deckung der Bedürfnisse des Kindes nicht imstande sei (Abs 2). Der Anspruch auf Unterhalt mindere sich insoweit, als das Kind eigene Einkünfte habe oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig sei (Abs 3).

Bei der Unterhaltsbemessung für ein nur "teilweise selbsterhaltungsfähiges" Kind (das nicht über zur Selbsterhaltungsfähigkeit ausreichende Einkünfte verfüge) könnten die Lebensverhältnisse der Eltern nicht außer Betracht bleiben. Das Kind solle auch noch während der Berufsausbildung am höheren Lebensstandard seiner Eltern angemessen teilhaben. Das vom Erstgericht für die "Selbsterhaltungsfähigkeit" des Minderjährigen angenommene Eigeneinkommen von monatlich S 9.000 erscheine angesichts der von diesem gewählten Berufsausbildung als Bäcker- und Konditorlehrling für diese durchschnittlichen Lebensverhältnisse angemessen. Die Differenz zum Eigeneinkommen des Minderjährigen sei nach den Rechtsprechungsgrundsätzen (JBl 1993, 238 ua) im Verhältnis des Durchschnittsbedarfs der Altersgruppe des Minderjährigen und der (richtig: dessen Differenz zur) Mindestpensionshöhe, also im Verhältnis 1 : 1 aufzuteilen. Ein höherer Geldunterhalt wäre nur bei überdurchschnittlich hohen Lebensverhältnissen des Vaters möglich, während die gehobenen Lebensverhältnisse der Mutter hiefür außer Betracht zu bleiben hätten. Die Lebensverhältnisse des zur Zeit arbeitslosen Vaters seien nach der Aktenlage (Arbeitslosenunterstützung von S 12.834 - Stipendium von S 5.000 - Barvermögen im Jahr 1993 von 1,3 S - Abfertigung nach dem Ausscheiden beim Dienstgeber von S 650.000 - Motorboot im Wert von S 700.000) nicht schlecht, aber bei einem Einkommen von "gut S 20.000 netto" im Monat nicht mehr so gut, daß bei ihm von gehobenen Lebensverhältnissen gesprochen werden könnte, die einen höheren Unterhaltsbetrag rechtfertigten, selbst wenn er bei seinem Einkommen unter Berücksichtigung der Prozentkomponente einen deutlich höheren Unterhaltsbetrag leisten könnte. Der Vater könne auch nicht gleichsam auf "gehobene Lebensverhältnisse" angespannt werden. Bei der sogenannten Anspannungstheorie werde aus dem Gesetz ("nach Kräften") abgeleitet, der Unterhaltspflichtige müsse alle zumutbaren Erwerbstätigkeiten ausüben, um seiner Unterhaltsverpflichtung nachzukommen. Tue er dies nicht, sei von einem erzielbaren fiktiven Einkommen auszugehen. Das derzeitige Einkommen des Vaters reiche für den zu leistenden Unterhalt aus, hiefür brauche man ihn nicht anzuspannen. Die Anspannungstheorie könnte sich nach dem Standpunkt des Rechtsmittelwerbers nur darauf beziehen, daß der Vater verpflichtet wäre, in gehobenen Verhältnissen zu leben, woraus dann erst die erhöhte Unterhaltsverpflichtung ableitbar wäre. Die Lebensverhältnisse des Vaters seien nun einmal nur noch durchschnittlich, sie bildeten die Grundlage für den Bedarf des Kindes. Die Anspannungstheorie betreffe also nur die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, nicht aber die für den Unterhaltsbedarf des Kindes ausschlaggebenden Lebensverhältnisse der Eltern. Die (im Tatsachenbereich ungeklärte) Frage, wieviel der Vater bei Ausschöpfung seiner Kräfte verdienen könnte, könne daher dahingestellt bleiben.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die zweitinstanzliche Entscheidung erhobene Revisionsrekurs des Minderjährigen ist berechtigt.

Zwar ist die von der Vorinstanz für die Rechtsmittelzulassung als erheblich erachtete Frage, ob ausschließlich die Lebensverhältnisse des Kindes für die Selbsterhaltungsfähigkeit maßgeblich seien, hier nicht zu lösen, weil von einer Selbsterhaltungsfähigkeit (im wahren Sinn des Wortes) des Minderjährigen nicht einmal der Vater ausgeht und für die Berücksichtigung von Eigeneinkommen des Minderjährigen ohnedies nicht allein dessen Lebensverhältnisse maßgeblich sind.

Da für die Bemessung des Geldunterhaltes die Lebensverhältnisse der Eltern, hier vor allem auch die des geldunterhaltspflichtigen Vaters maßgebend sind, darf dieser bei Erfüllung seiner Unterhaltspflicht "nach Kräften" nicht etwa grundlos seine überdurchschnittlichen (gehobenen) Lebens- und Einkommensverhältnisse aufgeben oder - im Falle des Verlustes eines überdurchschnittlich dotierten Arbeitsplatzes - nicht wiederzuerlangen trachten, weil er dadurch die angemessene Teilnahme seines unterhaltsberechtigten Kindes an seinen adäqauten Lebensverhältnissen hinderte. Der Vater ist nämlich zur Erfüllung seiner "nach Kräften" bestehenden Unterhaltsverpflichtung gehalten, seine konkreten persönlichen Fähigkeiten bestmöglich und nicht etwa bloß zur Erzielung eines derart niedrig(er)en Einkommens (aus Arbeitslosenunterstützung oder dgl) einzusetzen, welches ihm nach seinen dadurch dürftigen Verhältnissen nur mehr die Bestreitung eines (unter)durchschnittlichen Unterhaltsbetrages ermöglichte. So gesehen ist er - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - auch auf die Erzielung eines überdurchschnittlichen (gehobenen) Einkommens anzuspannen, das seinen Fähigkeiten und den Möglichkeiten des Arbeitsmarktes entspricht (für viele SZ 63/74 mwN;

Purtscheller/Salzmann Unterhaltsbemessung Rz 247 ff, insb. 250 mit entsprechenden Judikaturhinweisen).

Die Verletzung dieser Pflichten des Vaters hat der Minderjährige - durch seine Mutter - in erster Instanz gegen eine weiterreichende Unterhaltsherabsetzung vorgebracht. Die Vorintanzen haben diesen Einwand auf Grund ihrer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht schon im Tatsachenbereich ungeprüft gelassen und sich mit der Beurteilung begnügt, für die Erfüllung der als durchschnittlich zu erachtenden und zu deckenden Bedürfnisse des Minderjährigen reiche das festgestellte Einkommen des Vaters aus.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht den Anspannungseinwand zu behandeln und über die individuellen Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten des Vaters Feststellungen zu treffen haben, die erst eine abschließende Beurteilung des - mittlerweile erweiterten (ON 67) - Herabsetzungsantrages ermöglichen werden.

Diese Erwägungen führen zur spruchgemäßen Entscheidung.

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