OGH 7Ob593/95(7Ob525/96)

OGH7Ob593/95(7Ob525/96)21.2.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christine W*****, vertreten durch Dr.Axel Friedberg, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Land Niederösterreich, Wien 1., Herrengasse 11-13, vertreten durch Dr.Stefan Gloß und Dr.Hans Pucher, Rechtsanwälte in St.Pölten, wegen Feststellungen (Streitwerte je S 160.000,--), infolge 1.) außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 3. Mai 1995, GZ 17 R 57/95-30, 1. womit infolge Rekurses der Klägerin der Beschluß des Landesgerichtes Krems a.d.Donau vom 29.November 1994, GZ 6 Cg 225/93k-24/1., bestätigt wurde, und 2. infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 3.Mai 1995, GZ 17 R 57/95-30/2., womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Krems vom 29.November 1994, GZ 6 Cg 225/93k-24/2., abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1. Dem Revisionsrekurs der Klägerin wird Folge gegeben und der Beschluß der Vorinstanzen, mit dem das über das Klagebegehren Punkt A, es werde der beklagten Partei gegenüber festgestellt, daß den jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft Parzellennummer 48 inneliegend in EZ GZ: U.A.St.8.4 V-1941 vom 31.5.1941, derzeit Christine W*****, und deren Rechtsnachfolger keine Erhaltungspflicht der auf ihrer Liegenschaft errichteten Futtermauer gegenüber der Landesstraße L 7105 trifft, durchgeführte Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage insoweit zurückgewiesen wurde, aufgehoben und die Rechtsache in diesem Umfang zur allfälligen Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Revisionsrekurskosten bilden weitere Verfahrenskosten.

2. Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleiben der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin und ihr Ehegatte Karl W***** sind je zur Hälfte Eigentümer des an die Landesstraße 7105 angrenzenden Grundstückes Nr.*****, inneliegend in der Liegenschaft EZ ***** KG A*****. Die Klägerin wurde von ihrem Gatten zur Klageführung ermächtigt. In den Jahren 1941/42 wurde auf diesem Grundstück eine Mauer am Rand der seinerzeitigen Bezirksstraße und nunmehrigen niederösterreichischen Landesstraße ***** errichtet. Damals stand das Grundstück im Eigentum der Gemeinde A*****; den Auftrag zur Errichtung der Mauer erteilte entweder das Reichsstraßenbauamt K***** oder die Landesstraßenaufsicht M***** an einen Tiefbauunternehmer; keinesfalls wurde der Auftrag aber vom Liegenschaftseigentümer erteilt. Die zwischen 1,8 und 2,7 m hohe Mauer ist im östlichen Bereich auf einer Länge von etwa 40 m als Trockenmauer ausgebildet, im übrigen Bereich sind die Steine mit Mörtel verfugt. Eine derartige Mauer weist eine relativ hohe Lebensdauer auf, der Erhaltungsaufwand beschränkt sich auf das Versetzen kleiner keilartiger Steine, die durch Frosteinwirkungen teilweise herausgesprengt werden, sowie auf das Übergehen der Verfugung alle fünf Jahre. Es kann damit gerechnet werden, daß in Zeitabständen zwischen 10 und 20 Jahren Teileinstürze geringeren Ausmaßes erfolgt sind; auch in den letzten 30 Jahren wäre die Vornahme solcher Erhaltungsarbeiten wohl notwendig gewesen, doch konnte nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden, daß sie auch verrichtet worden wären. Die Streitteile tätigten jedenfalls bisher keine derartige Erhaltungsarbeiten. Oberhalb der Mauer befindet sich eine steile Böschung und darüber eine Weingartenterrasse. Die Böschung des Hanges fällt im Bereich der Futtermauer viel steiler ab als darüber. Dieser Geländeverlauf kann nicht von Natur aus entstanden sein, die Böschung wurde vielmehr zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt abgegraben und der Böschungswinkel zur Straßenoberkante verändert, sodaß die Landesstraße dadurch verbreitert wurde. Die Klägerin und ihr Gatte Karl W***** erwarben das Grundstück 1986 von der Gemeinde A***** im Zuge eines Zusammenlegungsverfahrens. Daß dabei oder allenfalls schon früher von den Rechtsvorgängern der Streitteile eine Pflicht zur Instandhaltung der Mauer durch die Klägerin oder den jeweiligen Straßenerhalter vereinbart worden wäre, konnte nicht festgestellt werden. 1992 stürzte die Mauer bei Straßenkilometer 5,8 zum Teil ein, der Ausbruch reicht bis zum Niveau der Straße. Die Mauer dient dem Schutz der Straße, ohne sie könnten bei stärkeren Regenfällen Hangrutschungen auftreten, die die Benützbarkeit der Straße beeinträchtigen.

Die Klägerin begehrt gegenüber der Beklagten 1. die Feststellung, daß den jeweiligen Eigentümer der Parzelle 48, derzeit die Klägerin (und ihr Ehegatte), und deren Rechtsnachfolger keine Pflicht zur Instandhaltung der auf diesem Grundstück befindlichen Futtermauer gegenüber der Landesstraße ***** treffe, und 2. daß darüber hinaus festgestellt werde, daß die Instandhaltungspflicht der genannten Mauer den jeweiligen Straßenerhalter der Landesstraße *****, derzeit die beklagte Partei, treffe. Die Klägerin brachte vor, sie und ihr Gatte seien Eigentümer des Grundstreifens, auf dem die Stützmauer errichtet sei, die anläßlich von Grabungsarbeiten der EVN eingestürzt sei. Das beklagte Land lehne eine Instandhaltung der Mauer ab und verlange von den Klägern die Wiedererrichtung der ausgebrochenen Teile. Den Klägern sei bei Erwerb des gegenständlichen Grundstückes vom Voreigentümer, der Gemeinde A*****, zugesichert worden, daß die Erhaltung (der Mauer) vom jeweiligen Straßenhalter vorgenommen werde.

Das beklagte Land beantragte die Klagsabweisung und wendete ein, die vorliegende Mauer sei für die Benützung der Straße nicht notwendig. Letztlich wendete es Verjährung ein, weil die Mauer vor mehr als 50 Jahren errichtet worden sei. Zwischen den beiden Urteilsbegehren bestehe Streitanhängigkeit, weshalb beide Begehren zurückzuweisen seien.

Das Erstgericht hob das hinsichtlich des ersten Feststellungsbegehrens durchgeführte Verfahren als nichtig auf und wies die Klage in diesem Umfang zurück. Das weitere Feststellungsbegehren wies es ab. Der Klägerin stehe zwar ein Feststellungsinteresse zu, weil ein Leistungsbegehren nicht alle in Zukunft anfallenden Erhaltungsverpflichtungen an der Mauer miterfasse. Die Bejahung der Instandhaltungspflicht der beklagten Partei schließe zwischen den Parteien notwendigerweise die Verneinung einer gleichartigen Verpflichtung der Klägerin aus. Das weniger weitreichende negative Feststellungsbegehren stelle gegenüber dem positiven ein minus dar; insoweit liege daher eine idente Streitsache vor, weshalb das betroffene Verfahren in diesem Umfang als nichtig aufzuheben und die Klage insoweit zurückzuweisen gewesen sei. Das weitere Klagebegehren sei verjährt. Nach § 1484 ABGB hätten die jeweiligen Grundeigentümer während der ab 1946 oder 1947 in Lauf gesetzten Verjährungsfrist zumindestens drei Gelegenheiten zur Geltendmachung und Durchsetzung ihrer Forderung auf Instandhaltung gegenüber dem jeweiligen Straßenerhalter ungenützt verstreichen lassen und seien somit im Sinne der zitierten Gesetzesstelle säumig geworden.

Das Berufungsgericht bestätigte den erstangefochtenen Beschluß des Erstgerichtes und erklärte hiezu die Erhebung des Rekurses an den Obersten Gerichtshof für jedenfalls unzulässig. Mit dem zweitangefochtenen Urteil änderte das Berufungsgericht das Ersturteil in eine Klagsstattgebung ab und erklärte die Revision in diesem Umfang für zulässig, wobei es den Wert des Streitgegenstandes als mit S 50.000,-- übersteigend bewertete. Für das vorliegende Begehren sei der Rechtsweg zulässig. Die zwei von der Klägerin erhobenen Feststellungsbegehren stellten genau das begriffliche Gegenteil voneinander dar. Da über den gleichen Feststellungsanspruch nur einmal entschieden werden könne, verwirkliche die Zustellung der positiven Feststellungsklage das Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit der negativen Feststellungsklage. Zum zweiten Punkt des Klagebegehrens vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, daß nach § 16 des Niederösterreichischen Landesstraßengesetzes das beklagte Land für die Erhaltung der Landesstraße aufzukommen habe. Diese Verpflichtung bestehe zeitlich unbegrenzt, weshalb schon begrifflich keine Verjährung eintreten habe können.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Klägerin gegen den erstangefochtenen Beschluß ist nach § 528 Abs.2 Z 2 zweiter Satz ZPO zulässig (vgl. Kodek in Rechberger ZPO § 528 Rz 3); er ist auch berechtigt.

Streitanhängigkeit iSd § 232 ZPO liegt schon deshalb nicht vor, weil beide Feststellungsbegehren gleichzeitig erhoben worden sind (vgl. Fasching III, 88 ff, Fasching LB2 Rz 1185 sowie Rechberger/Simotta4, 530).

Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, daß das erste (negative) Feststellungsbegehren begrifflich das Gegenteil des zweiten (positiven) Feststellungsbegehrens beinhalte, trifft im übrigen nicht zu, weil das erste negative Feststellungsbegehren auch die Möglichkeit ausgeschlossen haben will, daß die Klägerin gemeinsam mit der Beklagten erhaltungspflichtig ist bzw. ausgeschlossen haben will, daß die Klägerin gegenüber einer dritten Person erhaltungspflichtig ist. Hingegen trifft das zweite Feststellungsbegehren allein das Rechtsverhältnis der Klägerin zur beklagten Partei als derzeitiger Straßenerhalterin. Die beiden Feststellungsbegehren stehen daher nach ihrem Inhalt nicht in einem Verhältnis zueinander, daß die Sachentscheidung über den ersten Teil des Klagebegehrens eine erschöpfende Lösung der gesamten Rechtsfragen, so insbesondere auch der des zweiten Begehrens zur Folge haben müßte (vgl. 7 Ob 23/78). Dem Revisionsrekurs der Klägerin war daher Folge zu geben. Da die Vorinstanzen aus einem formellen Grund das erste Feststellungsbegehren der Klägerin zurückgewiesen haben, sohin noch gar keine Sachentscheidung vorliegt, war dem Erstgericht eine solche aufzutragen.

Die Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Unbeschadet der Frage, ob durch die bisherige Vorgangsweise ein neuerliches Aufrollen der Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges überhaupt noch möglich wäre, kann darauf verwiesen werden, daß die Straßenverwaltung in das Gebiet der Wirtschaftsverwaltung fällt, weshalb Vereinbarungen über die Verpflichtung zur Erhaltung von Straßen privatwirtschaftliche Verträge sind, bezüglich derer Streitigkeiten im ordentlichen Rechtsweg ausgetragen werden müssen (vgl. ZVR 1989/113). Aus § 1319a ABGB ergibt sich auch im Zusammenhang mit § 16 des Niederösterreichischen Landesstraßengesetzes LGBl 8500 idF des LGBl 8500-3, daß zu einem Weg bzw. wie hier vorliegend zu einer Straße auch die in seinem (ihrem) Verlauf befindlichen und dem Verkehr dienenden Anlagen wie Brücken, Stützmauern, Futtermauern, Durchlässe, Graben und Pflanzungen gehören (vgl. Reischauer in Rummel ABGB2 § 1319a Rz 5 mwN). Wurde eine Stützmauer wie hier vom Straßenerhalter errichtet, so wird, sofern nicht eine gegenteilige Vereinbarung erwiesen werden sollte, im Zweifel davon auszugehen sein, daß diesem auch die Verfügungsgewalt über die Stützmauer zukommt und er damit auch die Kosten ihrer Erhaltung zu tragen hat (vgl. SZ 52/27). Den Beweis einer gegenteiligen Vereinbarung hat das dafür beweispflichtige Land nicht erbracht. Der Entscheidung 7 Ob 597/91 (= ZVR 1992/97) lag eine ausdrücklich festgestellte Vereinbarung zwischen dem beklagten Land und dem Anrainer zugrunde, mit der letzterer die Errichtung der Stützmauer auf seinem Grunde zusagte. Im vorliegenden Fall muß der Anordnung des damaligen Straßenerhalters in den Jahren 1941/42 zur Errichtung der gegenständlichen Stützmauer ebenfalls eine Zustimmung des damaligen Anrainers oder zumindest ein Anerkenntnis des Verlangens des Straßenerhalters durch den Anrainer zugrundegelegen gewesen sein, handelte es sich doch nach dem Feststellungsstand um eine Stützmauer, für deren Errichtung die Initiative vom Straßenerhalter ausging. Im Vordergrund stand - und steht auch weiterhin - sohin die Inanspruchnahme des klägerischen Grundes zur Sicherung der Straße vor dem sonst abrutschenden Gelände. Mit der Errichtung der Mauer in der beschriebenen Form übernahm daher die Beklagte als Rechtsnachfolgerin das Bauwerk ebenso wie die Straße als Halter. Vom Verursacherprinzip her beurteilt ist damit die Übernahme der mit der Erhaltung verbundenen Kosten verbunden, ohne daß es einer besonderen Vereinbarung darüber bedurft hätte. Die Erhebung einer Feststellungsklage ist nur dann ausgeschlossen,wenn das mögliche Leistungsbegehren all das bietet, was mit dem Feststellungsbegehren angestrebt wird. Dies ist hier, wo es auch um die zukünftige Erhaltungspflicht geht, nicht der Fall. Überhaupt ist eine Feststellungsklage eines mehrere Teilansprüche umfassenden Anspruches auch dann zulässig, wenn ein Teilanspruch mit Leistungsklage geltend gemacht werden kann (vgl MGA ZPO14 § 228/285 f). Die aus der vorliegenden Feststellungsklage sich erschließende Verpflichtung des beklagten Landes zur Erhaltung der vorliegenden Stützmauer ist auch noch nicht verjährt, weil nicht erwiesen ist, daß die Klägerin ein Verweigerungsverhalten des beklagten Landes mehrfach unwidersprochen hingenommen und selbst die Erhaltung vorgenommen hätte. Auch hier hat das beklagte Land weder seiner Behauptungs- noch seiner Beweislast entsprochen.

Der unbegründeten Revision der Beklagten war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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